Urszula Glensk

Alarm für Europa. Deutschland in Antoni Słonimskis Feuilletons aus den 1930er Jahren (Presse)

Alarm für Europa. Deutschland in Antoni Słonimskis  Feuilletons aus den 1930er Jahren (Presse)


Antoni Słonimskis Kroniki tygodniowe (Wochenchroniken) nehmen eine besondere Stellung in der polnischen Zwischenkriegsliteratur ein. Sie erschienen in Wiadomości Literackie, einer angesehenen intellektuellen Wochenzeitung, deren Auflage maximal 14.000 Exemplare betrug. In Mieczysław Grydzewskis Blatt publizierten fast alle namhaften SchriftstellerInnen; die Redaktion initiierte wichtige Diskussionen, nicht nur über literarisch-künstlerische, sondern auch über gesellschaftliche Themen. Welche Bedeutung die Zeitung hatte, lässt sich daran ablesen, dass die literaturkritischen Beiträge und weltanschaulichen Diskussionen in Wiadomości Literackie für ForscherInnen der Zwischenkriegszeit auch heute noch ein relevanter Bezugspunkt sind und als wichtige Quelle dienen.

Antoni Słonimski war von der Gründung (zur Jahreswende 1923/24) an mit der Zeitung verbunden und veröffentlichte in ihr fast fünfhundert Feuilletons, deren publizistische Verve, ironischer Stil und treffsichere Urteile mit der Publizistik eines Bolesław Prus und Stefan Kisielewski verglichen werden können. Der Beginn von Słonimskis Zusammenarbeit mit Wiadomości Literackie war turbulent: Słonimski und der Chefredakteur der Zeitung Grydzewski wurden vom Direktor des Nationaltheaters Artur Śliwiński verklagt, der sich von den Thesen einer Theaterkritik Słonimskis persönlich verunglimpft fühlte. Słonimiski verlor in erster Instanz und wurde zu vierzehn Tagen Arrest verurteilt, legte jedoch Berufung ein, die mit einem Freispruch endete, sodass er sich letzten Endes als Sieger fühlen konnte. Der Gerichtsstreit gab einen Vorgeschmack auf Słonimskis Publizistik, die kompromisslos, unerbittlich und treffend war, wobei selbst die schärfsten Kritiken in einem ironischen, spöttisch-distanzierten Ton gehalten waren. Dieser Stil ist auch für Słonimskis sonstige Schriftstellerei charakteristisch, für seine Texte für das literarische Kabarett „Pod Picadorem“, für seine politischen Komödien, die vom Theaterpublikum der Vorkriegszeit goutiert wurden, sowie für seine grotesk-katastrophische Prosa (u. a. den Roman Zweimal Weltuntergang [Dwa końce świata]). Słonimski war darüber hinaus einer der führenden Dichter der SkamanderGruppe. Einige seiner Sätze fanden Eingang sowohl in Gedichte als auch in Feuilletons, z.B. „Wenn diese Bilder eines Tages sich verschärften,/Dann bitt ich zu vermerken: Ich war stets dagegen“ (Słonimski 1933), sowie in die jüdischen Witze, die er für „Pod Picadorem“ schrieb, z.B. „Es kam vor, dass sie mich im Büro anrief und fragte: ,Lutek, ein Körperteil mit vier Buchstaben, das auf a endet‘. Das Blut schoss mir in den Kopf, weil ich in Anwesenheit der Bediensteten Schweinereien von mir gab (Hier wird auf das polnische Wort dupa angespielt, die vulgäre Bezeichnung für den Hintern, womit aber auch eine junge, sexuell attraktive Frau gemeint sein kann. Zudem wird es als Fluch gebraucht, im Sinne von „verdammter Mist!“, Anm. d.Ü.), doch wie sich später herausstellte, war mit dem Körperteil ręka, die Hand, gemeint“ (Zit. nach: Kuciel-Frydryszak 2012, S. 69).

Słonimski interessierte sich als Feuilletonist vor allem für das künstlerische Leben, hauptsächlich für das Theater und die Literatur, sowie für politische Probleme, insbesondere für Hitlerdeutschland, das bolschewistische Russland und den polnischen Nationalismus. Aufmerksam verfolgte er die politischen Entwicklungen. Anlässlich seiner Aufenthalte in Brasilien (1924), Russland (1932) und den Vereinigten Staaten (1935) entstanden Reiseberichte – von beiden letzteren Reisen druckten Wiadomości Literackie jeweils eine mehrteilige Serie von Reportagen; seine Reiseeindrücke aus Brasilien und Moskau erschienen als eigenständige Bücher (In den Tropen. Schiffstagebuch und Meine Reise nach Russland [Pod zwrotnikami. Dziennik okrętowy i Moja podróż do Rosji]) –, doch diese Länder interessierten ihn nicht in gleichem Maße. In Kroniki tygodniowe wurden die russischen Eindrücke immer wieder in Erinnerung gerufen, sie waren Ausgangspunkt für seine späteren Analysen des Kommunismus, während die Amerikareise sparsam und nur in zeitlicher Nähe zur Abreise kommentiert wurde. Die überraschende Wirklichkeit Moskaus war für Słonimski weitaus interessanter als der Wohlstand Chicagos.

Kein Land fesselte Słonimski jedoch dermaßen wie das nationalsozialistische Deutschland. Ab Anfang 1932 schrieb er regelmäßig über deutsche Angelegenheiten. Seine Reflexionen verbanden sich zu einem thematischen Ganzen: Pazifismus versus Militarismus, das Schicksal der deutschen Juden, der polnische Nationalismus vor dem Hintergrund des Nationalsozialismus, das Porträt Hitlers. Die detaillierten Analysen verblüffen durch ihre scharfsichtigen Diagnosen. Ihre sorgfältig ausgefeilte Rhetorik erwies sich im Laufe der Zeit als prophetisch. Im Oktober 1932 konnte man in den Wiadomości Literackie einen Satz lesen, dem die Leserinnen und Leser keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt haben dürften, bestenfalls hielten sie ihn für eine übertriebene Vision: „Wenn Europa Kalkgruben aushebt, in die es die Leichen von Kindern, Frauen und Männern werfen will, dann sollte man zumindest erfahren dürfen, wer von dieser Fabrik des Verbrechens profitiert“ 6.11.1932, (Die Datumsangeben dieses und der nachfolgenden Zitate beziehen sich sämtlich auf Kroniki tygodniowe und werden in Klammern angeben. Sie beziehen sich auf das Erscheinungsdatum der Wochenschrift). In seiner Kolumne hatte sich Słonimski kritisch mit der Finanzierung der Aufrüstung und dem damit verbundenen Kapital- und Technologietransfer auseinandergesetzt. Aktueller Anlass waren Nachrichten über die Geschäftspraktiken europäischer Großkonzerne während des Ersten Weltkrieges. So wurde beispielsweise bekannt, dass die Firma Krupp ein Patent für Granatzünder an die Engländer verkauft hatte, das Unternehmen Carl Zeiss die feindliche Armee mit optischen Linsen versorgt hatte, was half, die deutsche Flotte zu zerschlagen, und die Franzosen wiederum den Deutschen Nickel und Kohlenstoffdisulfid, das für die Herstellung tödlicher Gase benötigt wurde, verkauft hatten. Słonimski verstand, dass die militärischen Interessen der Staaten sich nicht immer mit den Geschäftsinteressen des Großkapitals decken und dass Kriege auch finanzielle Motive haben. Die Vision von Kalkgruben, noch vor der Machtergreifung Hitlers, mag absurd geklungen haben. Schon realistischer klang das folgende Zitat vom Januar des unheilvollen Jahres 1933: „Unsere Epoche ist keine Epoche des Humanitarismus. Alles scheint darauf hinzudeuten, dass wir einer großen, zerstörerischen Welle der Barbarei entgegengehen“ (15.1.1933). Von „Barbarei“ ist in Słonimskis Kommentaren über Hitlerdeutschland fortan fast ständig die Rede.

Ein Pazifist im Kampf gegen den Militarismus

Słonimski brachte die Geschichte von August Jäger in Erinnerung. Dieser hatte als deutscher Soldat in französischer Kriegsgefangenschaft den Franzosen Informationen über einen geplanten Giftgasangriff weitergegeben. Eine solche Tat wurde damals in den meisten Staaten als Kriegsverrat gewertet, eine Rechtsprechung, die bis heute vielerorts Bestand hat. Nach Ende des Ersten Weltkrieges kehrte Jäger nach Deutschland zurück und führte ein ruhiges Leben, bis die Memoiren eines französischen Offiziers erschienen, der diesen Vorfall beschrieb und verriet, wem es zu verdanken war, dass der Angriff verhindert werden konnte. Infolge dieser Indiskretion wurde Jäger festgenommen und vor Gericht gestellt. Er wurde zu einer zehnjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Die Geschichte des Deutschen, der mehrere Hundert Franzosen vor einem qualvollen Tod bewahrt hatte, war für Słonimski ein Beispiel für Humanität, eine Stimme des menschlichen Gewissens, die sich nicht mit der Grausamkeit und dem Terror des Staates abgefunden hatte, „ein letztes vom Krieg ersticktes Gestammel der Menschlichkeit“ (15.1.1933). Słonimski bedauerte, dass Jäger, obwohl mittlerweile fünfzehn Jahre vergangen waren, ins Gefängnis musste. Er kommentiert bitter: Als Häftling habe er viel Zeit der von ihm geretteten Männer zu gedenken. Seine Argumentation verstärkte er durch den bildlichen Kontrast zwischen dem Retter in seiner Zelle und den geretteten Soldaten in ihrem Alltagsleben: Słonimski stellte sich vor, wie diese mit Autos handeln, ihre Zeit in Paris oder Toulouse in Cafés verbringen, zu ihren Frauen und Kindern zurückkehren. „Jäger hat die Armee verraten, doch nicht die Menschheit“, konstatierte Słonimski.

Słonimskis Bewunderung für den renitenten deutschen Soldaten rührte von seiner pazifistischen Haltung her. Keine seiner politischen Anschauungen äußerte er derart klar und eindeutig. Dabei bediente er sich der Autorität des englischen Schriftstellers Herbert George Wells, der in seinen Artikeln für den Daily Herald das damals entstehende Konzept eines vereinten Europas und die Philosophie einer gewaltlosen Politik propagierte, doch sowohl Wells als auch Słonimski hegten Vorbehalte gegenüber den mit viel Tamtam geschlossenen Friedensverträgen, die Europa umspannen, nach Ansicht beider Autoren aber Netzen aus Stacheldraht glichen (13.1.1935). Beide hielten Hitlers politische Taktik für heimtückisch, seinen Abrüstungswillen und seine Friedensbereitschaft für geheuchelt. Słonimski glaubte nicht an die Wirksamkeit des deutsch-polnischen Nichtangriffspaktes vom Januar 1934. Er teilte diese Meinung mit vielen Intellektuellen in beiden Ländern, die der lateinischen Devise si vis pacem, para bellum – wenn du Frieden willst, bereite den Krieg vor – die Gefolgschaft versagten. Im Februar 1935 schrieb Thomas Mann in seinen Tagebüchern:

Man scheint in Berlin sehr stolz auf Polen und die Erfolge, die Göhring dort gehabt hat, der eine Begegnung Hitlers mit Piłsudsky verabredete. Man fühlt sich angeblich außenpolitisch sehr stark und droht, ein französisch-russisches Militärbündnis, das nur für den Fall in Aussicht steht, dass Deutschland dem Ostpakt nicht beitritt, mit einem deutsch-polnischen zu beantworten. Mir scheint das ein verächtlicher Blödsinn (Mann 1978, S. 29).

Zu einem Treffen Hitlers mit Piłsudski kam es nicht mehr, der Marschall war bereits ernsthaft erkrankt und verstarb im Mai. Doch allein Görings Visite wurde von Słonimski mehrmals empört kommentiert – sarkastisch empfahl er, dem deutschen Gast Wodka der damals populären Marke „Podpalanka“ (Anspielung auf den Reichstagsbrand 1933, auf Polnisch „podpalenie Reichstagu“, Anm. d.Ü.) vorzusetzen.

Ging es um den Pazifismus, ließ sich Słonimski sogar auf scharfe Polemiken mit dem General Bolesław Wieniawa-Długoszowski ein, dem einzigen Militär, der zum Tisch der Skamander-Dichter im Café „Ziemiańska“ zugelassen war. Nachdem Wieniawa sich in einem Interview in der Militärzeitschrift Polska Zbrojna abfällig über „pseudopazifistische Literatur“ geäußert hatte, kritisierte Słonimski den „schönen General“ schonungslos. Zumal er die Prosa von Remarque und Zweig, die im Zentrum des Streites mit dem General stand, dafür schätzte, dass sie die heroische Kriegsliteratur entmythologisierte und das Grauen und die Barbarei des Krieges zeigte. In einer Ausgabe von Kroniki tygodniowe stellte er voller Optimismus fest, dass Im Westen nichts Neues in Deutschland Verkaufszahlen von einer Million Exemplare erreicht hatte, und stellte diese dem polnischen Verlagsmarkt gegenüber, auf dem die durchschnittliche Auflagenhöhe viel gelesener Bücher bei 3000 Exemplaren lag. Remarques Roman wurde jedoch wenig später auf den Index gesetzt und zusammen mit anderen Titeln auf dem Berliner Opernplatz verbrannt – für Słonimski ein Schlüsselmoment, der seine Sicht auf das nationalsozialistische Deutschland endgültig prägte. Słonimskis Namensvetter Antoni Sobański, der Berliner Korrespondent der Wiadomości Literackie, berichtete ausführlich über das öffentliche Aufsehen, das dieses Ereignis erregte: „Der beißende Geruch der am 10. Mai [1933] verbrannten Bücher verbreitet sich über die ganze Welt“ (Wiadomości Literackie 1933, Nr. 29). Zwar spielte Sobański in seinem Kommentar die Bedeutung der Aktion herunter, indem er behauptete, es habe sich vor allem um ein Schauspiel gehandelt, doch seine Rekonstruktion der Ereignisse besagte genau das Gegenteil: Alles begann mit dem Aufruf nationalsozialistischer Kampftrupps, „schädliche“ Bücher aus privaten Buchbeständen zu bestimmten Sammelstellen zu bringen oder zu schicken. Verbotene Titel wurden auch in Bibliotheken beschlagnahmt. Zu diesem Zweck richtete man spezielle Magazine ein. Mit großem Eifer schlossen sich die Studierenden der Universität Breslau der Aktion an, man plante die Durchsuchung von Privatwohnungen, wozu es letzten Endes aber nicht kam. Etwa 20.000 Bände wurden mit Lkws zum Ort der Verbrennung transportiert, und um 23 Uhr setzte man den Bücherhaufen in Brand. Zwölf „Kulturträger“ reichten die Exemplare von Hand zu Hand weiter, um sie schließlich mit der feierlichen Losung „Ich übergebe der Flamme die Schriften von…“ ins Feuer zu werfen. Goebbels hielt eine Rede, die von den Versammelten enthusiastisch aufgenommen wurde.

Auch in Warschau ließ die pazifistische Stimmung deutlich nach – Wieniawa hatte dies bereits in seinem missglückten Interview betont. Ab Mitte der 1930er Jahre trafen militaristische Parolen in der polnischen Gesellschaft auf immer breitere Zustimmung. Słonimski dagegen blieb seinen pazifistischen Überzeugungen treu. Zudem glaubte er nicht, dass Polen in der Lage sei, sich der militärischen Übermacht des Dritten Reiches zu erwehren. Vielmehr lobte er die tschechoslowakische Strategie: In Prag war man sich bewusst, dass ein Zehnmillionenvolk 69 Millionen Deutschen nicht die Stirn bieten konnte. Noch besser wäre es, so Słonimski, hörte Europa auf Norman Angell, den Friedensnobelpreisträger von 1934 und Autor des Buches The Great Illusion (dt. Die falsche Rechnung), in dem dieser argumentierte, dass der Kampf um Absatzmärkte, der in Industriestaaten die Kriegsmotivation sei, zu nichts anderem führe als zur Zerstörung ebenjener Märkte. Słonimski ergriff jede Gelegenheit, um auf Alternativen zu einem sich militarisierenden Europa hinzuweisen. Unbeirrt beobachtete er, wie „die Psyche seiner Generation präpariert“ und der Militarismus salonfähig wurde. Słonimski teilte Europas Staaten in zwei Gruppen ein: die, „die ihre Schriftsteller in Uniformen stecken, und die, in denen die Schriftsteller häufig ohne Schuhe, dafür aber auf zivile Weise herumlaufen“ (1.9.1935). Manchmal spottete er: „Pazifismus steht momentan nicht hoch im Kurs. Das ist alles jüdischer Unfug und Defätismus. Naive Utopien, um die Menschen zu verblöden. Es ist die Bestimmung des Menschen, einen Schweinerüssel zu tragen, oder den Rüssel einer Gasmaske“ (13.1.1935). Eine Anspielung auf Pressefotos, die zeigten, wie man eine Atemschutzmaske anlegt. Gelegentlich nahm das Bild eines Gasmaskenträgers die ganze Titelseite einer Zeitung ein, z.B. von Ilustrowany Kurier Codzienny. Pazifismus war nicht in Mode. In Deutschland galt dieses Wort gar als Beleidigung.

Der Führer, der „Hitlersaurier“

Słonimskis Gegner warfen ihm vor, eine antideutsche Obsession zu haben. Er gehörte zu den europäischen Intellektuellen, für die die Giftwolken aus Senfgas und Phosgen im Ersten Weltkrieg Warnung genug waren. Ihnen war bewusst, welche Gefahr von einer Radikalisierung der gesellschaftlichen Stimmung ausging. Während die polnische Presse Anfang 1933 jedes Detail in Verbindung mit dem aufsehenerregenden Mordprozess gegen Rita Gorgonowa intensiv diskutierte und die psychologischen Porträts der am Prozess Beteiligten analysierte, rief Słonimski dazu auf, sich nicht nur mit der Zurechnungsfähigkeit der ProtagonistInnen des lokalen Gerichtsdramas zu beschäftigen, sondern der Frage der Zurechnungsfähigkeit Hitlers ebenso viel Aufmerksamkeit zu widmen. Zum Schluss der rhetorischen Parallele suggerierte er: „Es stellt sich möglicherweise heraus, dass Hitler über ein ,stark eingeschränktes Wahrnehmungsvermögen‘ verfügt, Braun nicht von Schwarz unterscheiden kann, und dass der Diktator Deutschlands aufgrund der gemachten ,Tests‘ als geistig zurückgeblieben und erblich belastet Słonimskis Gegner warfen ihm vor, eine antideutsche Obsession zu haben. Er gehörte zu den europäischen Intellektuellen, für die die Giftwolken aus Senfgas und Phosgen im Ersten Weltkrieg Warnung genug waren. Ihnen war bewusst, welche Gefahr von einer Radikalisierung der gesellschaftlichen Stimmung ausging. Während die polnische Presse Anfang 1933 jedes Detail in Verbindung mit dem aufsehenerregenden Mordprozess gegen Rita Gorgonowa intensiv diskutierte und die psychologischen Porträts der am Prozess Beteiligten analysierte, rief Słonimski dazu auf, sich nicht nur mit der Zurechnungsfähigkeit der ProtagonistInnen des lokalen Gerichtsdramas zu beschäftigen, sondern der Frage der Zurechnungsfähigkeit Hitlers ebenso viel Aufmerksamkeit zu widmen. Zum Schluss der rhetorischen Parallele suggerierte er: „Es stellt sich möglicherweise heraus, dass Hitler über ein ,stark eingeschränktes Wahrnehmungsvermögen‘ verfügt, Braun nicht von Schwarz unterscheiden kann, und dass der Diktator Deutschlands aufgrund der gemachten ,Tests‘ als geistig zurückgeblieben und erblich belastet gelten muss“ (9.4.1933). Wenige Tage später feierte der Reichskanzler seinen 44. Geburtstag und begann seine zwölfjährige totalitäre Herrschaft. Słonimski machte sich immer wieder über den Führer lustig. Er vertrat die Ansicht, dass der Erfolg der Nationalsozialisten in Frankreich oder England, wo die Gesellschaften einen ausgeprägteren Sinn für Nonsens und Groteske haben, nicht möglich gewesen wäre: „Ein Rindvieh lächelt nie. Die Freudlosigkeit eines Fanatikers oder die überhebliche Ernsthaftigkeit eines willigen Nationalsozialisten verträgt kein skeptisches Lächeln, Fröhlichkeit ist ihr ein Graus, sie hasst den Witz“ (11.6.1933). Das Feuilleton bedient sich gern kontrastreicher Bilder und Schemata mit einem hohen Wiedererkennungswert. Ein solches ist das Stereotyp des humorlosen Deutschen, das hier auf den strammen Nationalsozialisten übertragen wird. Es ist die Kehrseite der imaginierten technokratischen Ordnung. Ende 1933 bekamen es auch in Polen Autorinnen und Autoren, die Hitler verhöhnten, mit der Zensur zu tun, da Inhalte unterdrückt wurden, die die deutsch-polnischen Beziehungen belasten konnten. Doch Słonimski war nicht gewillt, sich den Spott zu verkneifen. Die „nichtnordische“ Farbe des Hitlerbärtchens war immer wieder Anlass, um die rassistischen Theorien aufs Korn zu nehmen. Im Übrigen wusste er sich hierbei im Einklang mit der Redaktionslinie der Wiadomości Literackie, die nicht nur in ihren Artikeln, sondern auch mithilfe eines ganzseitigen Nonsens-Quiz die genotypischen Konzepte der Nationalsozialisten verspotteten.

Die offizielle Politik Warschaus führte dazu, dass Kritik unterbunden wurde. Die diplomatischen Bemühungen zielten vielmehr auf einen gegenseitigen Gewöhnungsprozess. Nach Goebbels’ Warschau-Besuch wurde eine polnische Journalistengruppe, an deren Spitze der Leiter des Presseamtes stand, nach Deutschland eingeladen. Das Propagandaziel der Reise wurde erreicht. Eine Welle von Berichten in der polnischen Presse war die Folge, auch wenn diese im Tenor eher zurückhaltend waren, da es sich nicht schickte, die ehemalige Teilungsmacht allzu demonstrativ zu loben. Es war überdies eine Falle für die polnischen nationalistischen Redaktionen, die erfolgreich faschistische Ideen propagierten, die Słonimski als „ansteckende Krankheit“ bezeichnete (2.4.1933). Gleichzeitig war es unangebracht, die deutsche Inspirationsquelle ihres politischen Gedankengutes allzu sehr in den Vordergrund zu schieben. „Die Liebe der Nationaldemokraten zu Hitler“, ironisierte Słonimski, „ist herzanrührend, aber was soll jetzt aus unserem Nationallied, der Rota, werden?“ (Die Rota, eine Dichtung von Maria Konopnicka (erstmalig 1908 veröffentlicht), nimmt Bezug auf die Unterdrückung und Germanisierung der Polen durch Preußen während der Teilungen, (Anm. d.Ü.), (28.5.1933). Als der Ilustrowany Kurier Codzienny, die auf­lagenstärkste Zeitung der Zwischenkriegszeit, einen Artikel von Lily Doblhoff über Hitlers private Gewohnheiten abdruckte, schrieb Słonimski: „Die teuflische Lily beschreibt auf etwas verworrene, aber ergreifende Weise Hitlers Haare, jene berühmte Haarpracht, die dunkel ist, der Theorie von der Überlegenheit der nordischen Rasse zum Trotz“ (11.2.1935). Die plumpe Bewunderung der ungarischen Baronin für die künstlerische Feinfühligkeit des Führers quittierte Słonimski mit der Frage, was mit den Konzerten Bruno Walters (der emigrieren musste) und Bronisław Hubermans (der wegen seiner jüdischen Herkunft in Deutschland mit Auftrittsverbot belegt wurde) sei, wenn Hitler – wie Doblhoff behaupte – alle Arten von Musik liebe. Neben der massenpublikumstauglichen Inszenierung einer Märchenwelt in der Alpenkulisse Berchtesgadens schuf die NS-Propaganda auch einen Führerkult, der sich auf den Mystizismus bezog. Der Totemisierung Hitlers schlossen sich die Führer der rivalisierenden neoreligiösen Bewegungen an. Diese Entwicklung ließ selbst den sonst nie um eine Erklärung verlegenen Słonimski ratlos zurück: „Der deutsche Arbeiter, das aufgeklärte Proletariat, erkennt plötzlich einen Herrn mit schwarzem Schnurrbärtchen als Gott an“. Und im selben Feuilleton heißt es weiter: „Der Anführer der neuheidnischen Bewegung, Professor Hauer, verkündete, dass ,Gott sich in Gestalt des deutschen Führers Hitler offenbart habe‘. Die Ikonografie kennt die unterschiedlichsten Bildnisse von Gottheiten“ (19.5.1935). Ein Scherz ersetzt die fehlende rationale Erklärung (Słonimski kann sich nur schwer vorstellen, dass Hauer abends mit seiner Familie vor „dem Foto eines Herrn mit Chaplin-Schnauzer“ zum Gebet niederkniet). Słonimski zählt verschiedene Arten von Gottheiten auf, von Buddha bis zu den Totems des Batak-Volkes, und wundert sich, dass der Gott Hitler der erste ist, der in Filmen auftritt.

Jakob Wilhelm Hauer war Professor für Theologie in Tübingen und Vorsitzender der Deutschen Glaubensbewegung; obwohl er bis zum Ende des Krieges Hitler treu blieb, wurde seine Tätigkeit und damit auch sein Einfluss zunehmend eingeschränkt. Die von Słonimski zitierte Berliner Rede fand auf einem Treffen der Bewegung statt, kurz bevor eine Verordnung Staatsbeamten den Kontakt zur Deutschen Glaubensbewegung verbot. Später, nachdem man Hauer zu einem Redakteur einer theologischen Zeitschrift degradiert hatte, war es nationalsozialistischen Beamten auch verboten, diesen Titel zu lesen und zu abonnieren.

Aus den Beispielen der Hitlerverehrung, die in der polnischen und internationalen Presse dokumentiert wurden, wählte Słonimski in der Regel ein einzelnes Bild aus: „Während des großen Olympia-Schwindels erhielt Hitler einen Olivenzweig. Es muss unglaublich rührend gewesen sein. Von dort ist es nur noch ein kleiner Schritt zur Verleihung des Friedensnobelpreises an Hitler“ (16.8.1936). In Kroniki tygodniowe wurden Szenen aus dem Dritten Reich in groteskem Licht gezeigt. Der ironische, mit Paradoxa spielende Stil bagatellisierte keineswegs die Bedrohung. Die endlosen Beispiele des politischen Wahnsinns, die die Situation im damaligen Deutschland illustrierten, wären ein gutes, sich ständig aktualisierendes Thema für die wöchentliche Kolumne gewesen, wäre diese nicht in vollem Bewusstsein der heraufziehenden Katastrophe – der anschwellenden „Welle der Barbarei“ – geschrieben worden.

Die Leichtigkeit des Stils von Kroniki tygodniowe täuschte nicht im Geringsten über die Schärfe der politischen Kommentare hinweg. Was umso bemerkenswerter war, als zur gleichen Zeit zahlreiche polnische Autoren einem faschistoiden Nationalismus huldigten. Słonimski setzte sich in seinen Feuilletons am liebsten mit einigen ihrer prominenten Vertreter auseinander: mit Stanisław Piasecki (Chefredakteur der rechten literarischen Wochenzeitung Prosto z Mostu), mit Jan Emil Skiwski (während des Krieges von der Heimatarmee wegen Kollaboration zum Tode verurteilt) und mit Roman Brandstaetter (nach dem Krieg ein fanatischer Konvertit). Letzteren nannte Słonimski einen „jüdischen Nazi“ (10.5.1936), obwohl es, aufgrund von Brandstaetters Übertritt, passender gewesen wäre, wenn schon von einem Nazi, dann von einem „katholischen Nazi“ zu sprechen. Słonimski registrierte die sich radikalisierende Stimmung von Teilen der Gesellschaft genau, während der andere Teil der Öffentlichkeit in Polen sich Anekdoten, Witze und lustige Geschichten über die Nationalsozialisten erzählte. Zum Beispiel folgende: Im Jahr 2000 fällt in einem Londoner Club der Name „Hitler“, doch keiner der Anwesenden kann mit dem Namen etwas anfangen. Man beginnt sich zu streiten, wer dieser mysteriöse Gentleman war, der in der Encyclopædia Britannica keinen Eintrag hat. Schließlich entdeckt jemand, dass unter „Churchill“ Hitler am Rande erwähnt wird, als deutscher Abenteurer, der gegen Ende der Regierungszeit des englischen Premiers versuchte, Unruhe in Europa zu stiften… Mehr lässt sich nicht über Hitler in Erfahrung bringen.

Słonimski erkannte den Ernst der Lage, seine sarkastische Rhetorik neutralisierte seine katastrophische Sicht nicht. Immer wieder fragte er sich, wie es möglich sein könne, dass die „Welle der Barbarei“ die gebildetsten europäischen Gesellschaften mit ihren langen Traditionen, also Deutschland, Italien und Spanien, erfasst habe.

Słonimski benutzte gern aufrüttelnde Wendungen: „Nazi-Schurken“ (24.4.1932), „NaziBestialität“ (7.5.1933), „Berliner Sabbat“ (21.5.1933), „kollektiver Wahn“ (2.4.1933), „Demagogie vulgärster Art“. Im Frühjahr 1933, vor der vollständigen Gleichschaltung des deutschen Staates, stellte Słonimski eine eindeutige Diagnose. Zunächst bezeichnete er die Judenverfolgung in Deutschland als deutsch-jüdischen Krieg, später nur noch als blutigen Terror. Auch wenn er sich mehr für das Schicksal der jüdischen Professoren als für die arme jüdische Bevölkerung interessierte, und die Figur Albert Einsteins als Ikone jener Gelehrten betrachtete, die von den Universitäten entfernt oder zum Rücktritt gezwungen wurden. Angelegentlich des Gerüchts, gegen den berühmten Physiker sei ein Todesurteil ergangen, schlug Słonimski eine Intervention europäischer Staaten gegen die Nazi-Diktatur in Deutschland vor:

Eine nationalsozialistische Organisation hat Einstein zum Tode verurteilt […]. Dieses Urteil gegen Einstein setzt womöglich einen Schlusspunkt unter die Relativität, nicht in der Theorie, aber in der Praxis, denn endlich hört man auf, den Nationalsozialismus zu relativieren. Ich bin kein Befürworter einer Intervention, und will dazu niemanden überreden, doch wenn man um die Nase der trojanischen Helena kämpfen konnte, dann kann man auch um Einsteins Kopf kämpfen (24.9.1933).

Die Intervention sollte auf einer Wirtschaftsblockade und einem Boykott beruhen. Folglich handelte es sich nicht um eine Militäraktion, wie sie Marschall Piłsudski vorschlug, den Słonimski zwar schätzte, zugleich glaubte er jedoch mehr an den Pazifismus als an Waffengewalt. In einem anderen Feuilleton schlug Słonimski vor, Flugblätter über Deutschland abzuwerfen, auf denen Autoritäten der Anthropologie die nationalsozialistischen Rassentheorien widerlegten. Er war davon überzeugt, dass der Respekt vor der Wissenschaft die deutsche Gesellschaft zur Besinnung bringen könnte. Słonimski, der an den gesunden Menschenverstand und die eigene Urteilsfähigkeit appellierte, unterschätzte den Grad der Einschüchterung und den herrschenden Alltagsopportunismus, selbst auf Kosten ernsthafter Kompromisse, zum Beispiel dass man die Säuberungen an den Universitäten im Herbst 1933 akzeptierte. Damals wurden zweihundertfünfzig Professoren entlassen, und Einstein, der bereits im Exil weilte, trat aus der Preußischen Akademie der Wissenschaften und aus der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften aus. Das Schicksal der Gelehrten jüdischer Abstammung ereilte auch Fritz Haber, den Schöpfer des Phosgens, des Giftgases, das in Słonimskis Feuilletonistik zu einem Symbol des Grauens wurde (das stärker mit dem Ersten Weltkrieg assoziierte Senfgas wurde ebenfalls an Habers Institut entwickelt). Das Schicksal der aus Deutschland vertriebenen WissenschaftlerInnen und Intellektuellen wurde in den Wiadomości Literackie wiederholt erörtert.

Kroniki tygodniowe zeugen davon, dass selbst ausländische BeobachterInnen, die die Situation in Deutschland aus ihrer eigenen – kulturellen und sprachlichen – Perspektive analysierten, sich ein Bild über die dort stattfindenden Prozesse machen konnten und sich keinen Illusionen über deren Charakter hingeben konnten. Słonimski schrieb unmissverständlich über die sich anbahnende Katastrophe. Die publizistischen Passagen über Deutschland setzten sich zu einer prophetischen Erzählung zusammen, deren Protagonisten anfangs die Nationalsozialisten und deren Führer waren; im Verlauf der NSZeit dehnte Słonimski die Verantwortung jedoch auf die deutsche Gesellschaft als Ganzes aus. Die Reflexionen über die politische Verantwortung konzentrierten sich mehr und mehr auf die Deutschen als Gesellschaft, nicht nur auf die nationalsozialistische Bewegung. Dies resultierte zum Teil aus der verallgemeinernden Sprache der Publizistik. Allerdings lässt sich nicht ignorieren, dass das, was Słonimski zunächst als vereinzelte Exzesse der Nationalsozialisten beobachtete, im Laufe der Zeit zu einem gesellschaftlichen Phänomen wurde, das den gesamten Staat und das gesamte Volk betraf. Auf der Seite der Gerechten befanden sich nur noch die Unterdrückten, zum Beispiel die von den Universitäten verwiesenen WissenschaftlerInnen, zu deren Ikone Einstein wurde. Die scharfsichtige Beobachtungsgabe Słonimskis erwies sich für ihn und seine Frau Janina als lebensrettend. Sie warteten nicht die weitere Entwicklung ab; es muss ihnen bewusst gewesen sein, dass die Kübel voll Spott und Hohn, die in den Feuilletons der Wiadomości Literackie über Hitler ausgegossen worden waren, der Aufmerksamkeit der deutschen Diplomatie in Warschau nicht entgangen sein durfte. Unmittelbar nach dem Überfall auf Polen entschied sich das Ehepaar Słonimski zur Flucht. Über den Grenzübergang in Zaleszczyki gelangten sie nach Rumänien und von dort nach Paris, wo sie bereits am 21. September eintrafen. Im ersten Satz, den Słonimski aus dem Pariser Exil schrieb, zitierte er den Warschauer Stadtpräsidenten Stefan Starzyński mit den Worten, die den Anfang vom Ende besiegelten: „Ich rufe Alarm aus für die Stadt Warschau“. Bevor Słonimski diesen Satz in einen Vers seines berühmten Gedichts Alarm verwandelte, gab er selbst mehrere Jahre lang – Woche für Woche – Alarm für Europa. Leider erfolglos.

Aus dem Polnischen von Andreas Volk

Literatur:

Kuciel-Frydryszak, Joanna: Słonimski. Heretyk na ambonie, Warszawa 2012.

Mann, Thomas: Tagebücher 1935–1936. Frankfurt am Main 1978.

Słonimski, Antoni: Kroniki tygodniowe 1932–1935, hg. von Rafał Habielski, Warszawa 2001.

Słonimski, Antoni: Dokument epoki, in: Okno bez krat. Poezje, Warszawa 1935.

Sobański, Antoni: W Niemczech po przewrocie. Cywile, Reichstag, książki, in: Wiadomości Literackie (1933), Nr. 29, S. 3.

Szpakowska, Małgorzata: „Wiadomości Literackie“ prawie dla wszystkich, Warszawa 2012.

 

Glensk, Urszula, Dr. habil., verfasste den Beitrag „Alarm für Europa. Deutschland in Antoni Słonimskis Feuilletons aus den 1930er Jahren (Presse)”. Sie ist Professorin an der Universität Wrocław und arbeitet in den Bereichen  der dokumentarischen Literatur und der polnischen Literatur des 20. und 21. Jahrhunderts.

 

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