Robert Grzeszczak
Rechtliche Rich Points im deutsch-polnischen Kontext (Recht)
Deutsche Vermögensansprüche
Die Problematik der deutschen (sowie polnischen) Vermögensansprüche ist – historisch, rechtlich, gesellschaftlich und vor allem politisch – komplex. Dies hat mit den Folgen des Krieges zu tun, u. a. mit dem rechtlichen Status der ehemals deutschen Ostgebiete (→ Osten), den Kriegsreparationen, der Flucht und Zwangsumsiedlung (→ Vertreibung) der BürgerInnen des Dritten Reiches und den Rechtsgrundlagen für ihre Enteignung. Die deutschen Eigentumsansprüche stießen nach 1989, vor allem in Polen, auf lebhaftes Medieninteresse, das von bestimmten politischen Kreisen zusätzlich befördert wurde, was wesentlich zu einer Verschärfung des Problems beitrug. Die Sache ist jedoch viel komplizierter, und das Problem so alt wie die Nachkriegsordnung, die in der „Potsdamer Erklärung“ festgelegt wurde.
Tatsache ist, dass 1989 neue Faktoren hinzukamen, die das Problem der Vermögensansprüche wieder auf die Tagesordnung brachten und die Diskussion darüber intensivierten. Dazu gehörten u. a.: die Ratifizierung der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten durch Polen 1991, der Beitritt zur Europäischen Union 2004, das Inkrafttreten der Charta der Grundrechte der EU und die stets von Neuem unternommenen Anläufe des Sejms, ein Reprivatisierungsgesetz auf den Weg zu bringen. Ende der 2000er, Anfang der 2010er Jahre und fortgesetzt in den nächsten Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts (2015–2023) wurden weitere Versuche unternommen, dieses Problem zu lösen. Der Entwurf eines großen Reprivatisierungsgesetzes wurde ausgearbeitet. Schon allein der Name des Gesetzes – zur Wiedergutmachung erlittenen Unrechts, das natürliche Personen infolge der Übernahme von Immobilien oder beweglichen Denkmälern durch die kommunistischen Behörden nach 1944 erfahren haben – legt nahe, dass es insbesondere die Interessen der rechtmäßigen Immobilieneigentümer schützen sollte. Durch das veränderte politische System in Polen und die Wiedervereinigung Deutschlands wurden die Grundlagen der bilateralen Beziehungen modifiziert, was u. a. neue Möglichkeiten schuf, Eigentumsansprüche rechtlich geltend zu machen – und zwar von beiden Seiten. Bis 1990 gründeten die polnischen Rechtsnormen bezüglich des Eigentumsrechts auf dem kommunistischen Konzept, das das Recht auf Eigentum nicht als universelles Menschenrecht anerkannte. Eigentum wurde mit der Souveränität des Staates in Verbindung gebracht, gehörte also zum staatlichen Bereich. In Westdeutschland hingegen wurde Eigentum den Menschenrechten zugerechnet. Dies fand sowohl in der Rechtswissenschaft als auch in der Rechtsprechung Ausdruck. Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt bestätigt, dass es sich beim Eigentumsrecht um ein individuelles Recht handelt, das deshalb breiten verfassungsrechtlichen Schutz genießt. Auf die gleiche Weise betrachtete die deutsche Rechtslehre das Problem des ehemaligen deutschen Besitzes in den früheren deutschen Ostgebieten.
Das deutsche kulturelle und kommunikative Gedächtnis wurde von anderen ideologischen und bildungspolitischen Bedingungen als in Polen geprägt (→ Erinnerungskultur). In gewisser Weise holen wir in Polen immer noch die Rückstände auf, die aus der Geschichtspolitik der Volksrepublik Polen resultierten. Der öffentliche und intellektuelle Diskurs war in Westdeutschland und in der Volksrepublik Polen ein völlig anderer; man betrieb seine eigene staatliche Erinnerungspolitik, und folglich gestaltete sich das gesellschaftliche Bewusstsein unterschiedlich aus. Einfluss auf das deutsche Bild von den verlorenen Ostgebieten hatten politische Ereignisse, u. a. der verlorene Krieg, die sowjetische und alliierte Besatzung Deutschlands, die Teilung des Staates in zwei politisch und wirtschaftlich getrennte Teile sowie deren Autonomie, die durch die alliierten Mächte eingeschränkt wurde. In Polen stieß jeder Versuch, über den Status der Westund Nordgebiete (→ Wiedergewonnenen Gebiete) zu diskutieren, auf allergische Reaktionen und wurde automatisch als eine Bestätigung des in Westdeutschland vermeintlich herrschenden Revisionismus angesehen. Die Tendenz, Diskussionen über schwierige Themen in den bilateralen Beziehungen aus dem Weg zu gehen, scheint in zahlreichen Kreisen bis heute überdauert zu haben, wovon nicht zuletzt das Verhältnis politischer Parteien (z.B. der Partei Recht und Gerechtigkeit [Prawo i Sprawiedliwość, PiS] und der Liga Polnischer Familien [Liga Polskich Rodzin, LPR]) zu dieser Frage zeugt. (Aus politischen Gründen wurde dieses Thema von der PiS im Jahr 2022 vor den Parlamentswahlen im Jahr 2023 erneut aufgeworfen.)
Zum Thema „Zwangsumsiedlung“ kam die westdeutsche und die polnische Rechtswissenschaft bisweilen zu diametral entgegengesetzten Rechtsauffassungen. Die historischen Ursachen dafür liegen vor allem darin, dass es unmittelbar nach 1945 keine Möglichkeit gab, mit Deutschland einen Friedensvertrag zu schließen, und in der fast fünfzigjährigen Teilung Europas. In dieser Zeit entwickelten sich die Beziehungen zu Westdeutschland häufiger per facta concludentia – durch Tatsachen, aus denen etwas logisch gefolgert werden kann – denn durch Staatsverträge. Bei der Diskussion über den Charakter der Vertreibungen stand Westdeutschland von Anfang an auf dem Standpunkt, die Zwangsumsiedlung der deutschen Bevölkerung aus den ehemals deutschen Ostgebieten sei, ebenso wie die entschädigungslose Enteignung durch Polen, mit dem Völkerrecht nicht vereinbar gewesen. Diese Sicht der Dinge wurde auch von den Bundesregierungen unter Schröder und Merkel geteilt. Allerdings gibt es in der deutschen Position gewisse Widersprüchlichkeiten. Einerseits vertritt man u. a. die Ansicht, dass aufgrund der polnischen Rechtsvorschriften die heutigen Eigentümer des ehemals deutschen Vermögens auch dessen rechtmäßige Eigentümer sind. Wenngleich die Eigentumsfrage 1990, zum Zeitpunkt des Deutsch-Polnischen Grenzvertrages (→ Grenze), derart kompliziert und umstritten war, dass sie damals nicht endgültig entschieden wurde, weshalb man sie weiterhin als offen erachtete (Tomuschat 1996). Andererseits enthält das vom Bundestag 2005 in Auftrag gegebene Rechtsgutachten die Feststellung, dass die Vermögensansprüche der ausgesiedelten („vertriebenen“) deutschen StaatsbürgerInnen begründet sind, und stufte die Vertreibungen und Enteignungen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit ein, was im Sinne des Völkerrechts u. a. bedeutet, dass sie nicht verjähren (Klein 2005). Nach westdeutscher Rechtsauffassung wurden die deutschen Gebiete östlich von Oder und Neiße durch das Potsdamer Abkommen von 1945 nicht in den Besitz Polens übergeben. Dabei berief man sich auf die Vertragsbestimmungen, in denen die Rede davon ist, dass die Grenzfrage erst durch einen noch auszuhandelnden Friedensvertrag endgültig geregelt werden könne. Die im Potsdamer Abkommen benutzte Formulierung, die Gebiete stünden „unter polnischer Verwaltung“, wurde als verbindliche Bezeichnung angesehen. Die Gebietsabtretung an Polen galt demnach als ein Verwaltungsakt. Dieser bestand darin, dass ein staatlicher Souverän einem anderen Staat das Recht übertrug, ein bestimmtes Gebiet zu besetzen und die Herrschaft über dieses Territorium auszuüben. Rechtlich gesehen ist ein solches Verfahren möglich. Territoriale Souveränität kann im Grunde genommen von der Ausübung der Gebietshoheit getrennt werden. Darüber hinaus argumentierte man, dass die Übertragung der Souveränität (Zession) nur auf der Grundlage eines Abkommens zwischen einem bereits vereinigten Deutschland und Polen erfolgen könne. Bis zum Abschluss eines solchen Abkommens (diese Bedingung wurde erst durch den Deutsch-Polnischen Grenzvertrag von 1990 erfüllt) blieb Deutschland der einzige Souverän, während Polen lediglich die territoriale Herrschaft zustand, die als Recht, das Gebiet zu verwalten, interpretiert wurde. Ein Teil der deutschen Rechtswissenschaftler (U. a. Blumenwitz 1992, Tomuschat 1996, Klein 2005) war der Ansicht, ein solcher Wendepunkt sei bereits mit dem Abschluss der Ostverträge in den 1970er Jahren erreicht worden. Allerdings konnte Polen in jenen Jahren durch seine Gesetzgebung die Eigentumsverhältnisse in den „Wiedergewonnenen Gebieten“ nicht wirksam ändern. Die deutschen EigentümerInnen behielten daher weiterhin ihr Besitzrecht, zumal wenn sie in den deutschen Grundbüchern eingetragen waren. Eine solche Auslegung des Potsdamer Abkommens bedeutete, dass das Territorium bis 1990 den Status besetzter Gebiete innehatte und Polens Rechte und Pflichten durch das Vierte Übereinkommen der Zweiten Haager Friedenskonferenz vom 18. Oktober 1907 geregelt wurden, das dem Besatzer willkürliche Enteignungen verbot. In der deutschen Rechtswissenschaft vertritt man die Position, dass die von Polen nach dem Krieg durchgeführten Enteignungen deutscher StaatsbürgerInnen völkerrechtswidrig gewesen seien, da sie ohne Entschädigung erfolgten. Man verweist darauf, dass völkerrechtlich damals der Hull-Standard galt, der Enteignungen nur dann erlaubte, wenn sie öffentlichen Zwecken dienten und mit Entschädigungen verbunden waren. Auch die Verletzung des Diskriminierungsverbotes in polnischen Rechtsakten bezüglich deutschen Eigentums verstieß nach deutscher Auffassung gegen das Völkerrecht. Enteignungsdekrete betrafen in der Regel nur Deutsche, nur selten auch andere Ausländer Polen jedoch lediglich, wenn sie mit dem deutschen Besatzer kollaboriert hatten. Die Staatsnachfolge an sich rechtfertigte keine systematische Konfiszierung von Eigentum, schon gar nicht, wenn diese diskriminierenden Charakter hatte. In Extremfällen wurde sogar betont, dass die Vertreibung der Deutschen Teil einer Unterdrückungspolitik war und auf diese Weise die Minderheitenfrage gelöst werden sollte.
Polen hingegen stand von Anfang an grundsätzlich auf dem Standpunkt, dass die in den „Wiedergewonnenen Gebieten“ ergriffenen Maßnahmen durch das Potsdamer Abkommen abgedeckt seien (Barcz 2004, Barcz 2005, Czapliński 2003). Die Abtretung dieser Gebiete an Polen sowie die Enteignung deutschen Vermögens wurden als Teil der Polen zustehenden Kriegsreparationen betrachtet. In Polen wurden die völkerrechtlichen Grundsätze betreffend den Schutz ausländischen Eigentums stets anerkannt; daran hat sich bis heute nichts geändert. Allerdings wird ausdrücklich betont, dass es sich hierbei um den Schutz von Privateigentum in Friedenszeiten handelt. Bei der Aneignung deutschen Eigentums durch Polen nach dem Zweiten Weltkrieg hatte man es dagegen mit der Befriedigung von Reparationsansprüchen aus der Vermögensmasse des Aggressors, einschließlich des Privatbesitzes seiner BürgerInnen, zu tun.
Preußische Treuhand – Polnische Treuhand
Die Frage, ob die Entschädigungsansprüche deutscher StaatsbürgerInnen, die man nach dem Zweiten Weltkrieg vertrieben hatte, berechtigt waren oder nicht, bewegte die Gemüter. Politik und Medien mischten sich ein in die Diskurse gesellschaftlicher Gruppen, die sich aus unterschiedlichen Gründen für das Thema der Vermögensansprüche im Zusammenhang mit den Folgen des Zweiten Weltkrieges interessierten. Dies führte auf der polnischen Seite dazu, dass die deutsche Interpretation dieses Problems dämonisiert wurde. Um die eigenen politischen Ambitionen zu verwirklichen, zitierte man die radikalsten Ansichten und ignorierte oftmals die Versuche, sachlich über die deutsche Wahrnehmung der polnischen West- und Nordgebiete zu diskutieren. Es zeigte sich, dass die extremen Positionen, die in Polen häufig als repräsentativ angeführt wurden, mit den Meinungen des Durchschnittsdeutschen nicht übereinstimmen, und dass die mit der Preußischen Treuhand verbundenen Namen (wie Pawelka oder Steinbach), die sich in Polen eines hohen Bekanntheitsgrades erfreuten, in Deutschland nur wenig oder mäßig bekannt waren. Die Preußische Treuhand wurde in Polen zu einem Symbol der in Deutschland wiedererstarkenden revisionistischen Tendenzen. Formal gesehen handelte es sich dabei um eine Kommanditgesellschaft auf Aktien, die von einer Gruppe deutscher Vertriebenen, die zur Landsmannschaft Ostpreußen gehörten, in Düsseldorf gegründet wurde. Hauptziel der Preußischen Treuhand war es, die Rückgabe von Vermögen zu erwirken, das die aus den Ostgebieten des Dritten Reiches Zwangsumgesiedelten dort zurückgelassen hatten. Erster Vorsitzender des Aufsichtsrates war (bis 2005) der Vorsitzende der Landsmannschaft Schlesien, Rudi Pawelka, dessen Stellvertreter war Hans-Günther Parplies, Vizepräsident des Bundes der Vertriebenen, der in Polen mit der Präsidentin des Bundes, Erika Steinbach, assoziiert wurde.
Am 15. Dezember 2006 teilte die Preußische Treuhand mit, sie habe im Namen ihrer Anteilseigner beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg 23 Klagen gegen Polen eingereicht, in denen sie die Erstattung des zurückgelassenen Vermögens fordere. Die Treuhand-Klagen wurden 2008 vom Gerichtshof abgewiesen, das Gericht erklärte die Klagen für unzulässig. Damit bestätigte der Gerichtshof die frühere Rechtsprechungslinie, die sich in ähnlichen Verfahren, u. a. gegen die Tschechische Republik, Rumänien und die Bundesrepublik Deutschland, herausgebildet hatte. Der Gerichtshof stellte fest, Artikel 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention könne nicht dahingehend interpretiert werden, dass Polen als Unterzeichnerstaat des Protokolls die allgemeine Pflicht habe, Eigentum zurückzuerstatten, das man ihm vor der Ratifizierung der Konvention übertragen hat. Infolgedessen urteilte der Gerichtshof, Polen sei nicht dazu verpflichtet, Rehabilitierungsgesetze über die Rückgabe konfiszierten Eigentums oder die Entschädigung verlorenen Privatvermögens zu erlassen. Die Begründung des Gerichtshofes für Menschenrechte, die Klagen abzuweisen, enthielt mehrere wichtige Feststellungen. Im Prinzip waren dies keine neuen Fakten, allerdings galten sie fürderhin als res iudicata, als rechtskräftig entschiedene Sache. Die Klage wurde als unbegründet beschieden, da der polnische Staat zwischen Januar und April 1945 keine Kontrolle über das Territorium ausgeübt habe, das zu dieser Zeit noch Teil Deutschlands gewesen sei. Auch könne von einer Wiedergutmachung für die Deutschen, die die Rückgabe ihres Eigentums fordern, keine Rede sein, da Polen die Europäische Menschenrechtskonvention 1945 noch nicht ratifiziert hatte. Dies geschah erst 1994. Der Gerichtshof stellte zudem fest, dass fehlende polnische Rechtsvorschriften, was die Rehabilitierung der ausgesiedelten Deutschen und Entschädigungsregelungen betrifft, die Menschenrechte der deutschen Vertriebenen nicht verletzten. Die Kommentare zum Urteil zeigen die unterschiedliche Bedeutung, die diesem Thema in Polen und in Deutschland beigemessen wurde. Während der Ausgang des Verfahrens in der polnischen Presse einen prominenten Platz einnahm (Piotr Jendroszczyk, Skargi Niemców odrzucone, in: Rzeczpospolita vom 9.10.2008 (https://www.rp.pl/nieruchomosci/art8000791-skargi-niemcow-odrzucone), 8.7.2022; J. Haszczyński, Strasburg wspiera pojednanie polsko-niemieckie, in Rzeczpospolita vom 9.10.2008, https://www.rp.pl/komentarze/art8000461-strasburg-wspiera-pojednanie-polsko-niemieckie, 8.7.2022), weckte er in der deutschen Presse kaum Interesse – der Frankfurter Allgemeinen Zeitung war das Urteil lediglich eine Notiz wert (Klageabweisung: Polen erleichtert, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11.10.2008, S. 5). Dieses Missverhältnis kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die deutsche wie auch die polnische Seite nach 1989 jahrelang nach dem Grundsatz „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ handelte, wovon nicht zuletzt die Forderung polnischer ParlamentarierInnen nach Kriegsreparationen an die Adresse Deutschlands und die erste polnische Entschädigungsklage im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg, die die Polnische Treuhand (Powiernictwo Polskie), als Reaktion auf die Aktivitäten der Preußischen Treuhand sowie auf die deutschen Diskussionen über den legalen Charakter der Vertreibung und mögliche Entschädigungen, am 1. September 2004 in Berlin einreichte, zeugen.
Der 2005 gegründete Verein Polnische Treuhand war als Interessenvertretung für diejenigen gedacht, die infolge von Kriegshandlungen, Repressionen und Vertreibungen durch das deutsche Besatzungsregime auf polnischem Boden ihr Eigentum verloren hatten. Später setzte man sich auch für Personen ein, deren Familien in den ehemaligen Ostgebieten der Zweiten Polnischen Republik Vermögen verloren hatten („jenseits des Bugs zurückgelassenes Eigentum“ [mienie zabużańskie]). Vereinsvorsitzende wurde Dorota Arciszewska-Milewczyk, eine rechtskonservative Politikerin (Mitglied der PiS), Sejm-Abgeordnete und Senatorin. Bekannt wurde der Verein u. a. durch den Appell, den Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit vom 17. Juni 1991 mit der deutschen Regierung neu zu verhandeln, und durch ein Flugblatt, das in Deutschland als anstößig empfunden und dessen Veröffentlichung vom Kölner Oberlandesgericht untersagt wurde. Die Unterlassungsklage hatte in diesem Fall der Bund der Vertriebenen (BdV) eingereicht. Auf dem Flugblatt war neben der Präsidentin des BdV, Erika Steinbach, ein Soldat der Waffen-SS und ein Ordensritter (→ Kreuzritter) abgebildet, dazu ein leicht abgewandeltes Hitler-Zitat, aus seiner Rede vom 29. September 1938 auf der Münchner Konferenz.
Forderungen der „SpätaussiedlerInnen“
Es handelt sich um die Forderungen von StaatsbürgerInnen Deutschlands und Polens beziehungsweise von Personen, die ihre polnische Staatsbürgerschaft verloren haben und zu deutschen Staatsangehörigen wurden, beziehungsweise zu BürgerInnen der Vereinigten Staaten, Israels oder anderer Länder. Die Forderungen dieser Personen haben eine völlig andere Genese als die Vermögensansprüche der Kriegs- und Nachkriegsvertriebenen. Oft werden diese beiden Probleme miteinander verknüpft – ein von den Medien häufig wiederholter Fehler, der politisch instrumentalisiert wird. Es gibt zwei verschiedene Bevölkerungsgruppen, die nach 1945 die Gebiete des heutigen West- und Nordpolens verließen. Zur ersten zählen die Personen, die aufgrund des Potsdamer Abkommens vertrieben wurden. Zur zweiten gehören polnische StaatsbürgerInnen deutscher Nationalität, die von den 1950er Jahren bis 1989 in die BRD oder die DDR ausreisten. Auch die Gruppe der „SpätaussiedlerInnen“ ist nicht einheitlich. Sie besteht zum einen aus Personen, die nach West- oder Ostdeutschland emigrierten, zum anderen aus denjenigen, die mit einem Touristenvisum ausreisten und dann im Ausland blieben (dies betrifft im Grunde nur die BRD). Dies ist eine sehr große Gruppe, die insgesamt etwa 1,5–2 Millionen Menschen zählt. Personen aus der ersten Gruppe, die auf der Grundlage des Staatsratsbeschlusses Nr. 37/56 von 1956 ausreisten, wurde mit dem Grenzübertritt die polnische Staatsbürgerschaft aberkannt, ihre Ausreise erfolgte ohne polnischen Pass, lediglich mit einem sogenannten Reisedokument. Die Entscheidungen, durch die ihnen die Staatsbürgerschaft entzogen wurde, waren nicht individueller, sondern kollektiver Natur, was ihre Legalität in Frage stellt. Zurzeit werden diese Entscheidungen zu Recht angefochten, und in mehreren Fällen haben höchstrichterliche Instanzen in Polen sie für rechtswidrig erklärt. Ein Teil der Ausreisenden musste, um ausreisen zu können, sein Vermögen abgeben. Eigentum, das ohne Verfügung in Polen zurückblieb, ging in Staatsbesitz über. Die Vermögensansprüche der sogenannten „SpätaussiedlerInnen“ (der zweiten Gruppe) sind nicht eine Folge des Zweiten Weltkrieges, sondern haben mit der Verletzung polnischer und internationaler Rechtsnormen bei der Aberkennung der polnischen Staatsbürgerschaft (Automatismus) und den anschließenden staatlichen Konfiszierungen zu tun. Diese Personen verloren nicht automatisch ihr Eigentum in Polen, doch ihre Immobilien wurden im Laufe der Zeit häufig von den lokalen Behörden in Besitz genommen oder verkauft. Der erzwungene Eigentumsverzicht war wiederum eine Praxis, die bei der Ausreise in die BRD oder bei dem Versuch, den Pass im polnischen Konsulat in Deutschland zu verlängern, angewandt wurde. Darüber hinaus wurde – wie bereits erwähnt – der Eigentümerwechsel nicht ins Grundbuch eingetragen. Dies hatte Konsequenzen, die bis heute nachwirken: Vor den zuständigen örtlichen Gerichten kann so auf Rückgabe der Immobilien oder Entschädigung geklagt werden. Deshalb wuchs in den letzten Jahrzehnten die Zahl der Klagen auf Rückgabe von Immobilien durch deutsche StaatsbürgerInnen, die in den 1960er, 1970er und 1980er Jahren als „SpätaussiedlerInnen“ aus Polen ausgereist waren. Allein in den Woiwodschaften Pommern und Ermland-Masuren wurden in den letzten zwanzig Jahren an verschiedenen Verwaltungs- und Zivilgerichten fast 1.000 Anträge/Klagen eingereicht. Die Ausreise polnischer StaatsbürgerInnen, die sich zur deutschen Nationalität bekannten, in die BRD und DDR in den Jahren 1956–1989 (späte Repatriierung) war auf der Grundlage einer Reihe häufig unveröffentlichter Dokumente unterschiedlichen Gewichts möglich. Die Rede ist hier von verschiedenen Berichten und Instruktionen bezüglich der „SpätaussiedlerInnen“, insbesondere von dem unveröffentlichten Staatsratsbeschluss Nr. 37/56 von 1956 über den Verzicht auf die polnische Staatsbürgerschaft. Dieser Beschluss war eine besondere Norm gegenüber den parallelen Gesetzesregelungen: anfangs gegenüber dem Gesetz über die polnische Staatsbürgerschaft vom 8. Januar 1951 und anschließend gegenüber dem Gesetz über die polnische Staatsbürgerschaft vom 15. Februar 1962, wonach die polnische Staatsbürgerschaft nur mit Genehmigung des Staatsrates (Kollegialorgan des Staates in der Volksrepublik Polen) gewechselt werden durfte (der Wechsel zog den Verlust der polnischen Staatsangehörigkeit nach sich). Wer sich als StaatsbürgerIn deutscher Nationalität bezeichnete und den Wunsch äußerte, in einen der beiden deutschen Staaten auszureisen, wurde in der Volksrepublik Polen für einen Deutschen gehalten, was bedeutete, dass man zu dem Status zurückkehrte, den man unmittelbar nach dem Krieg gehabt hatte, und erneut die rechtlichen Nachkriegsbestimmungen bezüglich deutscher StaatsbürgerInnen zur Anwendung kamen. Dies hatte oftmals den Verlust der polnischen Staatsbürgerschaft zur Folge, Voraussetzung, um das Vermögen der Ausreisenden übernehmen zu können.
Die Prämissen und das Verfahren der Aberkennung sind rechtlich gesehen jedoch umstritten. In den 1990er Jahren äußerten das Oberste Verwaltungsgericht (Naczelny Sąd Administracyjny, NSA) und das Oberste Gericht (Sąd Najwyższy, SN) ernsthafte rechtliche Vorbehalte gegen den kollektiven Entzug der Staatsbürgerschaft in der Volksrepublik Polen. Zwar kennt das Völkerrecht kollektive Staatsbürgerschaftsregelungen (wovon im Zusammenhang mit der ersten Gruppe von AussiedlerInnen aus den West- und Nordgebieten Polens bereits die Rede war), selbst wenn die Betroffenen nicht ihr Einverständnis erklären (insbesondere im Rahmen von Gebietsänderungen und Staatsnachfolgen), doch dies trifft nicht auf die „SpätaussiedlerInnen“ zu, die von den staatlichen Behörden der Volksrepublik Polen willkürlich der polnischen Staatsangehörigkeit beraubt wurden. Zudem fanden die mit dem Verlust der Staatsbürgerschaft einhergehenden Enteignungen nach 1953 statt, nach der offiziellen Verzichtserklärung der Regierung der Volksrepublik Polen auf Reparationen. Daher haben die Vermögensansprüche derjenigen, die in den Jahren 1956–89 nach Deutschland ausreisten, einen völlig anderen rechtlichen Charakter. Das problematische Verhältnis zwischen dem Staatsratsbeschluss und den beiden Gesetzen war Gegenstand der NSA-Urteile vom 11. September 2000 im Fall Hubertus Rygol und vom 11. September 2001 im Fall der Familie Sobczyk. Diese Gerichtsentscheidungen stellten einen Wendepunkt in der Rechtsauslegung dar, was die Eigentumsansprüche von „SpätaussiedlerInnen“ betraf. In beiden NSA-Urteilen stellte das Gericht die Rechtmäßigkeit des Entzugs der Staatsangehörigkeit aufgrund der Ausreise nach Deutschland in Frage. Die Aberkennung der Staatsbürgerschaft begründete man mit dem Staatsratsbeschluss Nr. 37/56, der zu einem Zeitpunkt gefasst wurde, als das Staatsbürgerschaftsgesetz von 1951 bereits in Kraft war. Das Gericht befand, es sei ein Fehler gewesen, den Beschluss von 1956 als eine rechtliche Sonderregelung zu betrachten. Stattdessen interpretierte das NSA ihn als eine Ausführungsbestimmung zum Gesetz von 1951 (aufgrund der im Staatsratsbeschluss enthaltenen gesetzlichen Ermächtigung, aus Artikel 13 des Gesetzes, wonach der Staatsrat auf Antrag des Vorsitzenden des Ministerrates über den Erwerb und den Verlust der Staatsbürgerschaft entscheidet). Das Gericht stellte daraufhin fest, dass der Beschluss folgerichtig mit Außerkrafttreten des Staatsbürgerschaftsgesetzes von 1951 ebenfalls seine Rechtskraft verloren hatte. Im Rahmen einer vom Justizminister angeordneten außerordentlichen Revision beschäftigte sich das SN mit der Problematik. Das Gericht lehnte eine außerordentliche Revision ab und urteilte, dass die Genehmigung zum Staatsbürgerschaftswechsel nach den Bestimmungen beider Staatsbürgerschaftsgesetze (von 1951 und 1962) ein individueller Akt (eine Verwaltungsentscheidung) sein sollte, der an einen bestimmten Adressaten gerichtet ist. Folglich konnte die Entlassung aus der polnischen Staatsangehörigkeit nur auf der Grundlage einer individuellen Genehmigung des Staatsrates erfolgen, für einen bestimmten Antragsteller. Nach Auffassung des SN konnte der Beschluss Nr. 37/56 eine derartige Entscheidung nicht ersetzen, da er weder individuellen Charakter hatte noch zum damaligen Zeitpunkt Rechtskraft besaß. Die Urteile beider Gerichte hatten konkrete vermögensrechtliche Auswirkungen. Personen, die in die BRD oder DDR ausgereist waren, konnte dadurch die polnische Staatsangehörigkeit zurückgegeben werden. Das bedeutete, die Volksrepublik Polen hatte keinerlei rechtliche Handhabe gehabt, sich Eigentum anzueignen – daher konnten auch nicht das Dekret über verlassenes und ehemals deutsches Vermögen oder das Gesetz über die Raumbewirtschaftung in Städten und Siedlungen Anwendung finden.
Der Fall Agnes Trawny
Pass und Ausreiseerlaubnis erhielt man in der Volksrepublik Polen in vielen Fällen erst, wenn man etwaigen Immobilienbesitz dem Staat übertragen oder ihn verkauft hatte. In vielen Fällen war die „ständige Ausreise“ mit dem Verlust der polnischen Staatsbürgerschaft verbunden. Aus verschiedenen Gründen wurde der Wechsel des Eigentümers einer Immobilie häufig nicht im Grundbuch festgehalten, in dem weiterhin der alte Eigentümer figurierte – der laut dem Grundstücksverzeichnis immer noch die polnische Staatsbürgerschaft besaß. In der Praxis wurden die Ausreisenden häufig gezwungen, die Immobilie weit unter Wert an Personen zu verkaufen, die Beziehungen zur Partei hatten. Die Behörden der Volksrepublik Polen, die die Staatsbürgerschaft aberkannten und das Eigentum entzogen, hielten nicht einmal das damals geltende Recht ein (es fehlte eine Verwaltungsentscheidung, die bestätigte, dass die Staatsbürgerschaft erloschen war; unter Ausübung von Zwang wurden „Reisedokumente“ in eine Richtung ausgestellt usw.). Daher besitzen viele deutsche StaatsbürgerInnen immer noch die polnische Staatsangehörigkeit, ohne dass ihnen das bewusst ist. Dies bedeutet, dass jeder Streitfall durch das für die Immobilie zuständige Gericht individuell geprüft werden muss. Kommt das Gericht nach Analyse der Rechtsbestimmungen der Volksrepublik Polen und der zum Fall gehörenden Dokumentation zu dem Schluss, dass den Ausreisenden die Staatsbürgerschaft willkürlich, gar entgegen damals bestehenden rechtlichen Prozeduren entzogen wurde, sind die Ansprüche begründet und werden anerkannt. Von der faktischen Situation hängt ab, ob es zur Rückgabe der Immobilie oder zu einer Entschädigungszahlung kommt.
Entsprechend, d.h. unter Berücksichtigung der faktischen Situation – denn diese ist jedes Mal anders gelagert, ist auch der Fall Agnes Trawny zu interpretieren. Die masurische Familie Trawny, die im Spätherbst 1977 nach Deutschland ausreiste, gehört zur Gruppe der „SpätaussiedlerInnen“. Bereits im Januar 1978 wurde das Land, das zum Bauernhof der Trawnys gehörte, vom Staat beschlagnahmt, mit der Begründung, es sei verlassen und liege brach. Haus und Hof gingen in Staatsbesitz über und wurden den Staatsforsten (Lasy Państwowe) zur Verwaltung übergeben. Die damaligen Gemeindebeamten und Angestellten der Staatsforste versäumten es jedoch, den neuen Besitzer ins Grundbuch eintragen zu lassen. Infolgedessen war Agnes Trawny weiterhin als Eigentümerin des Hauses und des dazugehörigen Grundbesitzes registriert. Aufgrund der Nichteintragung wurde Trawny in mehreren Instanzen von den Gerichten, zuletzt vom SN 2005, ein 47-Hektar großer Bauernhof im masurischen Dorf Narty zugesprochen – und zwei dort lebende Familien mussten ausziehen. Anders verhielt sich die Sache im Falle des Bauernhofs ihres verstorbenen Ehemannes im Dorf Przykop. Da der Minister für Landwirtschaft und Entwicklung des ländlichen Raumes sich weigerte, die Entscheidung des Purdaer Gemeindevorstehers vom Januar 1978, den Hof entschädigungslos zu enteignen, aufzuheben, zog Trawny erneut vor Gericht. Ihrer Klage, zunächst vor dem Woiwodschaftsverwaltungsgericht Warschau und anschließend vor dem Obersten Verwaltungsgericht wurde jedoch nicht stattgegeben, es gelang ihr nicht, die Entscheidung der Gemeinde Purda von 1978 für ungültig erklären zu lassen.
Die Unterschiede in der Konstruktion der Rechtssysteme und deren jeweilige Auslegung sind häufig die Ursache für Streitpunkte in der deutsch-polnischen Kommunikation. Sie liefern den Medien und den PolitikerInnen, die häufig ein Interesse daran haben, ein bestimmtes Problem publik zu machen und/oder zu politisieren, Argumente, um Spannungen in den deutsch-polnischen Beziehungen hervorzurufen – was den Medien attraktives Material und Schlagzeilen für ihre Berichterstattung bietet und den PolitikerInnen Zustimmung aus der nationalistischen Ecke einbringt. An dieser Stelle sei an die Aktivitäten der Liga Polnischer Familien erinnert, die die polnischen Stereotype über die Deutschen und Deutschland (→ Drang nach Osten → Kreuzritter) im Zusammenhang mit der Rückgabe von Vermögen an „SpätaussiedlerInnen“ (vor allem deutsche StaatsbürgerInnen) systematisch ausnutzte, um als Partei, die „wirklich“ im nationalen Interesse handelt, die Gunst der WählerInnen zu gewinnen. Daher auch die häufigen Besuche von LPR-PolitikerInnen im Dorf Narty (der Fall Agnes Trawny), die als Vorwand für Pressekonferenzen dienten. Auf einer dieser Konferenzen sagte der damalige Fraktionsvorsitzende der Liga und stellvertretende Bildungsminister Mirosław Orzechowski: „Die Situation, mit der wir es zu tun haben, ist eine Schande. In Narty findet eine zweite Westerplatte statt, dies zeigt, dass der polnische Staat uns erneut nicht auf die deutsche Expansion vorbereitet hat – anders kann man das nicht bezeichnen“ (Szacki, LPR: zatamować niemieckie roszczenia, in: Gazeta Wyborcza vom 14.6.2007). Und der damalige stellvertretende Sejmmarschall Janusz Dobrosz, ebenfalls Mitglied der LPR, erklärte, man müsse mit „juristischen Winkelzügen“ das Urteil des Gerichts kippen, das im Falle Agnes Trawny zu Gunsten der Klägerin entschieden hatte. Die polnische Presse informierte sehr ausführlich über diese Aktivitäten. Dass man das Problem aufbauschte, nicht zwischen zwangsumgesiedelten Deutschen (1944–1945/47) und „SpätaussiedlerInnen“ unterschied und eine drohende deutsche Expansion nach Osten beschwor, weckte jedoch nicht mehr derart starke Emotionen wie in früheren Jahrzehnten, als die deutsch-polnische Grenze noch keine endgültige rechtliche Verankerung hatte und die leidvollen Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges in der polnischen Gesellschaft allzu lebendig waren, was die Wirksamkeit des „deutschen Schreckgespenstes“, das die Propaganda in der Volksrepublik Polen an die Wand malte, erhöhte. Dennoch belasteten diese Ereignisse die deutsch-polnische Kommunikation, vor allem führten sie zu einem verstärkten Misstrauen gegenüber den Aktivitäten der Preußischen Treuhand und des Bundes der Vertriebenen. Auch die Haltung der polnischen Medien, die oft unkommentiert die Meinungen der empörten PolitikerInnen wiedergaben, ohne über die Hintergründe aufzuklären, und dadurch die nervöse Atmosphäre zusätzlich anheizten, erwies der Sache einen Bärendienst. Erst später meldeten sich Experten für Völkerrecht und polnisches Recht in der Presse zu Wort, die auf die Unterschiede der Rechtsordnungen in Polen und Deutschland hinwiesen und erklärten, warum man die Forderungen der Preußischen Treuhand und die Ansprüche von „SpätaussiedlerInnen“ wie Agnes Trawny nicht miteinander vergleichen könne. Beruhigt wurde die Stimmung schließlich durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, der die Klagen der Preußischen Treuhand abwies, woraufhin die Spannungen in der deutsch-polnischen Kommunikation nachließen. Die Reaktionen der Medien lassen sich als eine Art Lackmustest für den Zustand der deutsch-polnischen Beziehungen betrachten: Je mehr fundierte Informationen, je weniger Emotionen, desto besser die bilaterale Kommunikation, da es weniger Ängste und Feindseligkeiten gibt, die von Stereotypen und Vorurteilen genährt werden. Leider zeigen die Probleme in den deutsch-polnischen Kontakten – z.B. deutsch-polnische Sorgerechtsfälle (die Rolle der deutschen Jugendämter), der Status der Auslandspolen in Deutschland (die Forderung, die polnische Volksgruppe in Deutschland als nationale Minderheit anzuerkennen), die unterschiedliche Wahrnehmung und Bewertung der Vergangenheit (die Diskussion über den Film Unsere Mütter, unsere Väter) oder die Instrumentalisierung der Herkunft von Donald Tusks Großvater während des Präsidentschaftswahlkampfes 2005 und auch heute –, wie wenig es braucht, um in Polen in bestimmten gesellschaftlichen Kreisen die Dämonen des Antigermanismus zu wecken.
Europäische Union und Integrationspolitik
Mit dem Umbau des politischen Systems in Polen Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre erkannten die neuen demokratischen Eliten, dass die Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union Polens Raison d’être sowie die Garantie für die Vollendung der politischen Transformation und den Aufbau eines demokratischen Rechtsstaates war. Die Regierung von Tadeusz Mazowiecki (1989–1991) wie auch alle nachfolgenden polnischen Regierungen strebten, unabhängig von ihrer politischen Ausrichtung, konsequent die EU-Mitgliedschaft Polens an. Dieses Ziel wurde am 1. Mai 2004 erreicht. Die Europäische Union ist eine Gemeinschaft der Staaten und ihrer BürgerInnen; die Mitgliedschaft in ihr bedeutet, dass der Staat die in den europäischen Verträgen festgelegten Zuständigkeiten an die jeweiligen EU-Institutionen abtritt, d.h. er teilt sich seine Zuständigkeiten mit der Union, übt sie gemeinsam aus, im Geiste von Loyalität und Solidarität.
Entdemokratisierungsprozess und Rechtsstaatlichkeit
In Europa sind seit einiger Zeit Phänomene zu beobachten, die zwar auch schon früher auftraten, aber nicht in dieser Intensität und in diesem Ausmaß. Es handelt sich dabei um Entdemokratisierungstendenzen (democratic backsliding), die, ähnlich wie der Aufbau der Demokratie, ein Prozess sind, bei dem die Machthabenden bestimmte rechtliche, politische und öffentlichkeitswirksame Instrumente einsetzen, um ihre politischen Ziele zu erreichen (Grzeszczak 2019). Dies betrifft insbesondere die „jungen Demokratien“, also die Staaten Osteuropas. Die in Polen seit 2015 (dem Wahlsieg der PiS) ergriffenen Maßnahmen führten zu ernsthaften rechtlichen und politischen Turbulenzen in den Beziehungen Polens zu den Institutionen der Europäischen Union und zu einzelnen Mitgliedstaaten, insbesondere zu Deutschland.
Rechtsstaatlichkeit ist die Herrschaft des Rechts, also die Gewohnheit, sich an Recht zu halten, und die Sanktionierung dieses Verhaltens. Rechtsstaatlich sind sowohl der Staat (Institutionen) als auch seine Gesellschaft (BürgerInnen). Rechtsstaatlichkeit besteht laut Definition der Europäischen Kommission aus einem transparenten, verantwortungsvollen, demokratischen und pluralistischen Gesetzgebungsprozess, Rechtssicherheit, dem Willkürverbot staatlicher Gewalt, unabhängigen und unparteiischen Gerichten, wirksamer gerichtlicher Kontrolle – wobei auch die Achtung der Grundrechte kontrolliert wird – sowie Gleichheit gegenüber dem Gesetz. Weiter führt die Kommission aus, dass die Demokratie dann geschützt ist, „wenn das Gerichtswesen, einschließlich der Verfassungsgerichte, die Meinungsfreiheit, die Versammlungsfreiheit und die Respektierung der Grundsätze, die den politischen Prozess und den Wahlprozess regeln, sicherstellt.“ Kern dieses Grundsatzes ist der Zugang zur Gerichtsbarkeit und die von den Gerichten ausgeübte Kontrolle.
Das Rechtsstaatsprinzip ist sowohl in den Systemen der Mitgliedstaaten als auch in der Union selbst präsent. Die Europäische Union als integrierende Organisation entstand durch das Recht (Besitzstand der EU) und handelt auf der Grundlage des Rechts. Die von den Mitgliedstaaten geteilten Grundwerte beschreibt Artikel 2 des Vertrages über die Europäische Union wie folgt:
Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte, einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet.
Voraussetzungen für das effektive Funktionieren eines derart fortgeschrittenen Zusammenschlusses wie im Falle der EU sind gemeinsame Werte als axiologisches Fundament und gegenseitiges Vertrauen zwischen den Staaten. Die Union ist eine Rechtsgemeinschaft, und ihre Werte sind die Grundlage ihrer Existenz. Anlass zur Sorge, was den Schutz des Rechtsstaatlichkeitsprinzips in Polen betrifft, geben die Verfassungskrise – umstritten ist das Wahlverfahren zur Bestimmung neuer Verfassungsrichter – sowie das novellierte Gesetz über das Verfassungsgericht, dessen Inhalt als auch dessen Zustandekommen (dies brachte das Verfassungsgericht in ein Abhängigkeitsverhältnis zur Exekutive und lähmt seine Arbeit), Änderungen des Rundfunk- und Fernsehgesetzes (→ Medien), des Polizeigesetzes, der Überwachungsregeln, Änderungen des Gesetzes über die nationalen Medien, Gesetze zur Neuordnung des Justizwesens in Polen, insbesondere des Obersten Gerichts, sowie Neuregelungen im NGO-Bereich oder bei der Hochschulbildung.
Energiesicherheit
Angesichts der Krise (in) der Europäischen Union (in der Eurozone oder während der Covid-Pandemie und der Gefährdung der öffentlichen Gesundheit) erscheint vielen PolitikerInnen die Vision von Renationalisierungsprozessen als überaus verlockend. Zu beobachten sind zunehmend zentralistische Tendenzen sowie eine wachsende Dominanz der Politik über die Wirtschaft. Der Wettstreit unter den Mitgliedstaaten um die Führung in bestimmten Politikbereichen der Union (z.B. in der Energie- oder Landwirtschaftspolitik), in der Eurozone und der Union als Ganzes, flammt wieder auf. Dadurch kommt es zu einer neuerlichen (neuen) Aufsplittung der Interessen, in nationale und EU-Interessen. Ausdruck dessen ist u. a. das umstrittene Projekt der Gaspipeline Nord Stream 2, die auf dem Grund der Ostsee verläuft und Russland mit Deutschland verbindet. Nord Stream 2 wird in der polnischen Narration zum Inbegriff der deutschen Illoyalität gegenüber Polen, wobei der integrative Charakter (die Loyalität) der deutschrussischen Beziehungen ausdrücklich hervorgehoben wird. Die Pipeline wird als politisches Projekt wahrgenommen, das darauf abzielt, Polen und die baltischen Staaten als Transitländer zu umgehen, und Russland die Möglichkeit verschafft, Gaslieferungen als politisches und wirtschaftliches Druckmittel zu benutzen – zudem werden die Wirtschaftlichkeit des Projekts und die Sicherheit für die Umwelt in Frage gestellt. Die Ursache des Konflikts liegt hierbei im unterschiedlichen Verständnis beider Staaten des Begriffs der „Energiesicherheit“. In Deutschland steht die Versorgungssicherheit an erster Stelle, während in Polen die Unabhängigkeit durch die Diversifizierung der externen Energielieferanten Vorrang hat. Die Unterschiede leiten sich folglich von den jeweiligen politisch-rechtlichen Konzepten, der Rohstoffverfügbarkeit und den ökonomischen Bedingungen ab.
Energiesicherheit wird mit der politischen Sicherheit des Staates gleichgesetzt und gilt als solche als übergeordnetes politisches Ziel in Polen sowie als Priorität der Wirtschafts-, Sicherheits- und Außenpolitik. Ein weiterer gravierender Unterschied zwischen Polen und Deutschland im Bereich der Energiesicherheit besteht im angestrebten Energiemix: In Deutschland herrscht Einigkeit über die herausragende Bedeutung sauberer (grüner) Energie, während in Polen „schmutzige“ Energie, d.h. Energie, die aus der Verbrennung von Kohle gewonnen wird, immer noch den überwiegenden Anteil am Mix ausmacht. Dies alles führt zu vielen Konflikten.
Aus dem Polnischen von Andreas Volk
Literatur:
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Grzeszczak, Robert, Prof. Dr. habil., verfasste die Beiträge „Rechtliche Streitpunkte im deutsch-polnischen Kontext (Recht)“ und „Transfer von Rechtsdenken (Recht)“. Er ist Leiter des Instituts für die Organisation der Europäischen Union an der Fakultät für Recht und Verwaltung der Universität Warschau. Daneben ist er Vorsitzender des Rechtswissenschaftlichen Ausschusses der Polnischen Akademie der Wissenschaften (2020–2024) sowie Vorsitzender des Wissenschaftlichen Rates der Rechtswissenschaftlichen Disziplin der EU (2021–2024). Er arbeitet in den Bereichen des Institutionenrechts, des EU-Binnenmarkts, und des Völker- und Verfassungsrechts.