Gregor Thum

Deutscher Kulturauftrag im Osten

Deutscher Kulturauftrag im Osten


Als sich nach der Märzrevolution von 1848 in der Frankfurter Paulskirche eine Deutsche Nationalversammlung zusammengefunden hatte, um einen deutschen Nationalstaat aus der Taufe zu heben, entpuppte sich die Frage nach dessen Ostgrenzen als eine der schwierigsten. Anders nämlich als im Norden, Westen und Süden, wo sich Staatsund Sprachgrenzen mehr oder weniger deckten, umfassten die Ostgrenzen Preußens und vor allem Österreichs weite Landstriche, die mehrheitlich von Menschen bewohnt wurden, die sich nicht als Deutsche verstanden. Die Gründung eines Nationalstaates musste daher zwangsläufig auf eine Zurücknahme der Ostgrenzen hinauslaufen, zumal die Nationalbewegungen der Polen, Tschechen, Ungarn, Slowenen, Kroaten, Serben und Rumänen Ansprüche auf Territorien Preußens und Österreichs erhoben.

Allerdings ließen sich um die Mitte des 19. Jhs. gerade im Osten Preußens und Österreichs, ja überhaupt im östlichen Mitteleuropa, die jeweiligen Sprachgebiete kaum voneinander abgrenzen. Die ganze Region war vom Nebeneinander verschiedener Sprachen sowie der fließenden Übergänge von der einen in die andere geprägt. Wo immer man die Grenzen der Nationalstaaten ziehen wollte, sie schlossen entweder Hundertausende oder gar Millionen von Angehörigen der eigenen Nation aus, oder sie schlugen eine große Zahl von Angehörigen einer anderen Nation dem eigenen Nationalstaat zu.

Die angesichts dieser Situation an sich kaum lösbare Aufgabe, Nation und Staat miteinander in Deckung zu bringen, wurde durch den Umstand weiter verkompliziert, dass auch in einem sich herausbildenden Europa der Nationalstaaten historische Staatsgrenzen weiterhin hohes Prestige genossen. Auch wenn die Entstehung dieser Grenzen mit Sprache und Ethnizität in der Regel wenig zu tun hatte, war die Aufrechterhaltung oder Wiedererlangung historischer Grenzen für die Protagonisten der Nationalbewegungen oft ein wichtiges Anliegen. Das war vor allem dann der Fall, wenn sich historische Grenzen als strategisch vorteilhaft erwiesen. Schließlich sollten die avisierten Nationalstaaten ökonomisch bedeutsame Gebiete einschließen, Zugang zu Seehäfen oder schiffbaren Flüssen haben, Grenzen besitzen, die sich im Falle eines Krieges leicht verteidigen ließen, und in ihrem territorialen Zuschnitt überhaupt so großzügig bemessen sein, dass sich der jeweiligen Nation auch langfristig hinreichende Entwicklungsmöglichkeiten boten.

Vor diesem Hintergrund mag verständlich sein, warum sich auch die Abgeordneten der deutschen Nationalversammlung schwer damit taten, österreichische und preußische Gebiete aufzugeben, in denen sich deutsche Staatlichkeit bereits fest etabliert hatte, selbst wenn dies nicht mit der Dominanz deutscher Sprache und Kultur einherging. In der Debatte über die Zukunft der österreichischen Ostprovinzen im Herbst 1848 wandte sich der Präsident der Deutschen Nationalversammlung, Heinrich von Gagern, daher mit einem eindringlichen Appell an die Paulskirche:

Können wir im nationalen Interesse so handeln: die außerdeutschen Provinzen Österreichs für die Zukunft sich selbst zu überlassen? Ich habe den Beruf des deutschen Volkes als eines großen, weltgebietenden aufgefasst. Man mag darüber spötteln, mit Cynismus wegwerfend einen solchen Völkerberuf leugnen. Ich glaube daran und würde den Stolz verlieren, meinem Volk anzugehören, wenn ich den Glauben an solche höhere Bestimmung aufgeben müßte. […] Welche Einheit haben wir zu erstreben? Daß wir der Bestimmung nachleben können, die uns nach dem Orient gesteckt ist; daß wir diejenigen Völker, die längs der Donau zur Selbstständigkeit weder Beruf, noch Anspruch haben, wie Trabanten in unser Planetensystem einfassen […]. Welche Nationalpolitik kann Deutschland haben, wenn es nicht in die Mission Österreichs eintritt, die Verbreitung deutscher Cultur, Sprache und Sitten längs der Donau bis an das schwarze Meer in die durch so verschiedene Völkerschaften dünn bewohnten und doch so hoffnungsreichen Länder hinein, deren ganze Civilisation sich an die deutsche anzulehnen schon gewohnt ist, die sich nach deutsch-österreichischem Schutz und vermehrtem Einfluß sehnen und deutscher Betriebsamkeit einen reichen Markt öffnen würden? (Wigard 1848, Sp. 2898f.).

 Heinrich von Gagern war kein Radikaler. Er verdankte sein Amt gerade dem Umstand, dass er ein Mann der politischen Mitte war, eine Gallionsfigur des liberalen deutschen Bürgertums, der für mehrheitsfähige politische Positionen stand. Zwar vertrat er mit seinem Eintreten für die feste Anbindung Österreichs an den zukünftigen deutschen Nationalstaat eine Minderheitenposition, doch versuchte er ihr gerade dadurch Gewicht zu verleihen, indem er sie mit der populären Idee der Zivilisierungsmission verband: Österreichs Ostprovinzen mochten zwar im sprachlich-kulturellen Sinne noch nicht deutsch sein, könnten es aber noch werden, ja sollten es sogar werden, wenn die Deutschen ihre Zivilisierungsmission im europäischen Osten und Südosten ernst nähmen.

Zivilisierungsmissionen

 Die deutsche Kulturmission im Osten Europas, die Heinrich von Gagern hier idealtypischer Weise auf den Punkt brachte, war eine Variante der europäischen Zivilisierungsmission. Letztere hatte in der Zeit der Aufklärung, als sich die Europäer als überlegene Zivilisation, ja als Quelle der Zivilisation schlechthin zu begreifen begannen, ihre besondere Bedeutung und Prominenz erlangt. Ihre Wirkung sollte sich bis weit ins 20. Jh. fortsetzen. Der Glaube an eine europäische Zivilisierungsmission, durch welche sich die ganze Welt nach und nach der vermeintlich höheren Sitte und Kultur der Europäer erschließen würde, wurde zur wichtigsten Legitimierungsgrundlage aller modernen Imperien, ob sie nun von London oder Paris, von Wien oder Berlin, von St. Petersburg oder Washington aus geführt und konzipiert wurden. So sehr die Etablierung von Überseekolonien oder die Eroberung neuer Räume entlang der Frontiers der kontinentalen Imperien wie der Vereinigten Staaten oder des Russischen Reiches auch von Machtinteressen und kapitalistischem Profitstreben angetrieben war, die imperiale Expansion bezog gerade aus ihrem Anspruch, der Zivilisierung rückständiger Gesellschaften und der Urbarmachung ungenutzten Landes zu dienen, erhebliches moralisches Kapital, oft sogar in den Augen derer, die unterworfen wurden und sich an Sprache und Kultur ihrer Eroberer anzupassen hatten (Barth; Osterhammel 2005; Osterhammel 2009, S. 1173–1188).

Der Begriff der Zivilisation erfordert den Gegenbegriff der Nicht-Zivilisation, der Barbarei, der Wildheit, der Irrationalität, Unordnung und Unterentwicklung. Ohne dieses Gegenüber ist Zivilisation nicht zu denken. Daher entstand mit dem Begriff der Zivilisation auch die Vorstellung einer unzivilisierten Gegenwelt. Zum einen lokalisierte man diese außerhalb Europas, bei den „Wilden“ Afrikas, Amerikas und des Pazifiks sowie bei den gefallenen Zivilisationen des Orients und Asiens, die den Europäern einst überlegen gewesen sein mochten, aber inzwischen nur noch ein Schatten ihrer selbst seien. Zum anderen aber sah man dieses Gegenüber an den Peripherien Europas, insbesondere im Osten Europas, wobei es gewöhnlich vom Standpunkt des Betrachters abhing, wo dieser die Grenze zwischen einem westlichen Europa der Zivilisation und jenem östlichen der Barbarei zog (Wolff 1994).  Von Frankreich aus gesehen, mochte die Zivilisation schon in Deutschland enden, für die Deutschen erst in Polen, für die Polen in Russland, während für die Russen die Zivilisation irgendwo hinter dem Ural endete, manchmal aber auch schon an den Stadttoren von Moskau oder St. Petersburg.

Nicht immer allerdings verstand man die Grenze zwischen Zivilisation und Barbarei als geographische Linie. Sie konnte auch sozialer Natur sein, wenn sie zwischen der zivilisierten Gesellschaft auf der einen, und als unzivilisiert empfundenen sozialen Gruppen von Bauern, Arbeitern, Einwanderern oder Eingeborenen auf der anderen Seite verlief. In diesem Fall richteten sich auch die Zivilisierungsmissionen auf soziale Gruppen. Zuweilen konnten sich geographisch und sozial definierte Zivilisierungsmissionen auch überlappen – dann nämlich, wenn die Bewohner an Peripherien eines Staates sowohl als ethnisch different als auch als sozial und ökonomisch unterentwickelt wahrgenommen wurden.

Die Idee der Zivilisierungsmission hatte ihre Vorläufer – etwa in den Christiansierungsbestrebungen des Mittelalters –, und sie lebte nach dem Ende der klassischen Imperien in diversen Abwandlungen zum Teil bis in die Gegenwart fort: als kommunistische Weltrevolution, als Amerikanisierung und Sowjetisierung, als Entwicklungshilfe für die „Dritte Welt“, als Modernisierungstheorie, als Idee von Menschenrechten nach westlichem Muster oder in der Rhetorik und Praxis der EU-Osterweiterung. Zivilisierungsmissionen sind so omnipräsent und vielfältig in ihren jeweiligen Ausprägungen, dass sie vermutlich existieren, seit es menschliche Gesellschaften und das Bemühen gibt, den Geltungsbereich der eigenen Kultur auszudehnen.

Allerdings hat sich mit der Aufklärung des 18. Jhs., die einher ging mit einer bis ins 20. Jh. fortdauernden technologischen, militärischen und ökonomischen Dominanz europäischer Gesellschaften über den Rest der Welt, der Glaube an die Überlegenheit der europäisch–abendländischen Zivilisation so fest verankert, dass es angezeigt ist, von einer Epoche der (europäischen) Zivilisierungsmissionen vom 18. bis 20. Jh. zu sprechen. Was heute an diversen Varianten fortbesteht, tritt selten mit dem Absolutheitsanspruch und Überlegenheitsgefühl jener Epoche auf und gehört daher auch einem anderen Zeitalter an.

Die deutsche Kulturmission im Osten

 Zivilisierungsmissionen haben also immer eine doppelte Funktion: Zum einen postuliert jede Gesellschaft, die sich selbst eine Zivilisierungsmission zuschreibt, ihre Überlegenheit gegenüber anderen Kulturen und nimmt für sich selbst in Anspruch, Zivilisation im Sinne der Aufklärung zu sein. Zum anderen aber sind Zivilisierungsmissionen Instrumente zur Begründung von Herrschaft. Indem Heinrich von Gagern 1848 über Völker sprach, die „zur Selbstständigkeit weder Beruf, noch Anspruch haben“ und sich „nach deutsch-österreichischem Schutz und vermehrtem Einfluß sehnen“, schlug er die deutsche Nation nicht nur der zivilisierten Welt zu, sondern forderte für sie auch das Recht ein, auch über solche Gebiete zu herrschen, die gar nicht mehrheitlich von Deutschen bewohnt wurden.

Von Gagern hatte dabei am wenigsten die polnischsprachigen Bürger im österreichischen Galizien im Sinn. Doch seine Vorstellungen bauten auf jener diskursiven Barbarisierung des östlichen Europa auf, welche die sukzessive Aufteilung des Polnisch-Litauischen Reiches unter seinen Nachbarn Preußen, Österreich und Russland 1772, 1793 und 1795 begleitet hatte bzw. ihr vorangegangen war. Die Teilungen Polens, durch welche ein europäischer Großstaat mit einer bis ins Hochmittelalter zurückreichenden Tradition von der Landkarte getilgt wurde, wurde schon von vielen Zeitgenossen als Ungeheuerlichkeit und Verletzung guter politischer Sitten empfunden. Die Annexionen verlangten daher nach einer Legitimierung. Der preußische König Friedrich II. hatte diese schon im Vorfeld der Teilungen in unzähligen Äußerungen, in Briefwechseln mit europäischen Intellektuellen und Potentaten, geliefert. Die oft wenig schmeichelhaften Urteile über den polnischen Staat und seine Gesellschaft, die im Europa der Aufklärung kursierten, verdichteten sich bei Friedrich II. zu einem vernichtenden Urteil über „die rückständigste Nation Europas“. So dichtete er öffentlichkeitswirksam: „Ein unverständig Volk, das noch in seinem Leben nicht gedacht, das tief in Barbarei und Dummheit liegt!“ (Bömelburg 2011, S. 83. Siehe auch: Wolff 1994, S. 235–283). Vor diesem Hintergrund wurde die Beseitigung des polnischen Staatswesens zur preußischen Zivilisierungstat, die Ordnung in das Chaos brachte und weite Landstriche im östlichen Europa den Segnungen der Zivilisation erschloss. Diese Sicht der Dinge, die durchaus den Ton der Zeit im aufgeklärten Europa traf, hatte für Friedrich II. und seine Anhänger zudem den propagandistischen Vorteil, dass das damals im Vergleich zu Frankreich, England oder den Niederlanden auch noch nicht so sehr fortschrittliche Preußen nun als Vorposten der Zivilisation erschien. Der Zivilisation anzugehören hieß oft nur, im Vergleich günstig abzuschneiden. Insofern war das negative Polenbild der Hintergrund, um Preußen und seine Gesellschaft als Hort der Aufklärung und des Fortschritts erstrahlen zu lassen (Bömelburg, 2011, S. 78–88).

Der mit den Teilungen Polen verbundene Rechtfertigungsdruck ließ jedoch nicht nach. Er gewann mit dem Erstarken der polnischen Nationalbewegung im Laufe des 19. Jhs. sogar an Intensität. Auf der einen Seite wurde er so zum fortwährenden Antrieb für die Idee von der preußisch-deutschen Kulturmission im Osten Europas, zum anderen für den Gegenbegriff der „polnischen Wirtschaft“ (→ Stereotype), in der sich das vermeintliche Unvermögen der Polen zum ordentlichen Haushalten offenbare, ob im Kleinen oder Großen (Orłowski 1996).  Durch „polnische Wirtschaft“ hätten sich die Polen nicht nur um den Besitz eines eigenen Staates gebracht, sondern stellten auch sonst ihre überkommenen Besitzrechte und -titel in Frage. Landbesitz, das war eine Grundauffassung der Aufklärung, war an die Fähigkeit zur vollständigen Nutzung gebunden. Wer sich als ineffizienter Wirtschafter erweise, verwirke sein Recht auf den Boden. Entsprechend argumentierte der junge preußische Abgeordnete Julius Ostendorff 1848 in der Frankfurter Paulskirche in der Polendebatte, die Deutschen besäßen in der umstrittenen Provinz Posen gegenüber den Polen „das Recht der Eroberung durch den Pflug, ein Recht, welches auch der freie Nord-Amerikaner dem eingeborenen Indianer gegenüber ausübt“ (Wigard 1848, Sp. 1175).

Wo Ordnung, Effizienz und Fleiß als Ausweis der Zivilisation galten, dienten organisatorisches Chaos, Ineffizienz und mangelnder Arbeitseifer als Beleg, der zivilisierten Welt nicht, nicht mehr oder noch nicht anzugehören. Entsprechende Zuschreibungen finden sich daher auch im europäischen Kolonial- und Orientdiskurs, der oft mit den gleichen Argumenten und Bildern wie der deutsch-preußische Polendiskurs operierte (Surynt 2006).  Insofern war die Rede von der „polnischen Wirtschaft“ ein Gemeinplatz der Aufklärung, der seit dem 18. Jh. im deutschen politischen Diskurs auch für andere Slawen oder Osteuropäer schlechthin Anwendung fand. Im Kern ging es dabei um die diskursive Delegitimierung von politischen Rechten und Besitztiteln, die im Sinne der Aufklärung nur der in vollem Maße in Anspruch nehmen konnte, der Teil der zivilisierten Welt war. Teile der deutschen Gesellschaften wollten diese Rechte den Polen nicht länger gewähren und empfahlen sich gleichzeitig als Träger einer deutschen Kulturmission in den angrenzenden polnischsprachigen Gebieten.

Natürlich fand derselbe Diskurs auch in der Habsburger Monarchie statt. Im Zuge der Josephinischen Reformen etablierte man auch im dortigen polnischem Teilungsgebiet, der Provinz Galizien (→ Mythos), eine deutschsprachige Verwaltung und förderte, wie überall in den östlichen Provinzen der Habsburger Monarchie, die Ausbreitung deutscher Kultur und Sprache. Allerdings stellten sich die Machtverhältnisse im österreichischen Vielvölkerstaat, in dem die Deutschen nur ein Viertel der Bevölkerung stellten, anders dar als in Preußen. Spätestens mit der militärischen Niederlage Österreichs gegen Preußen 1866 schwenkte die Wiener Regierung auf eine Politik ein, die den Ausgleich zwischen den zahlenmäßig stärksten Nationalitäten der Monarchie suchte. Dadurch wandelte sich die deutsche Kulturmission in Österreich zu einer mehrsprachigen Zivilisierungsmission, deren Träger neben den Deutschen nun vor allem die Ungarn waren, daneben aber auch Italiener und Polen. Dank der weitreichenden Autonomierechte, die die Wiener Regierung der Provinz Galizien 1867 einräumte, konnte die dortige polnische Führungsschicht nun ihre eigene, polnische Zivilisierungsmission verfolgen, deren Objekt nun die ukrainisch- und auch jiddischsprachigen Bewohner Ostgaliziens waren. Zivilisierung hieß in Galizien seit der zweiten Hälfte des 19. Jhs. Polonisierung.

Sahen sich Österreichs Polen also einem Staat gegenüber, dessen Macht im Schwinden begriffen war und daher darauf setzte, um das Wohlwollen seiner nicht-deutschen Untertanen zu werben, verhielten sich die Dinge in Preußen anders. Preußens Machtfülle wuchs bis zum Ende des Ersten Weltkriegs unaufhörlich, angetrieben von den beträchtlichen Erfolgen bei der umfassenden Modernisierung des Landes. Seine polnischen BürgerInnen stellten mit rund 10 % der Gesamtbevölkerung die einzige sprachliche Minderheit von Gewicht dar, sahen sich also einer Mehrheit von 90 % deutschsprachigen Preußen gegenüber. Mit der Gründung des Deutschen Reiches unter preußischer Führung 1871 schrumpfte ihr Anteil im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung sogar auf nur noch 5 %. Erschwerend kam hinzu, dass die preußischen Ostprovinzen Posen und Westpreußen, in denen sich das Gros der polnischen Bevölkerung konzentrierte, zu den eher wenig entwickelten, weiterhin überwiegend agrarisch geprägten Gebieten Preußens gehörten. Dennoch nahm die preußische Führung seine polnischsprachigen Bürger und den aufrechterhaltenen Anspruch auf die Wiederherstellung Polens ernst, richtete er sich doch auf Territorien von erheblicher strategischer Bedeutung für Preußen. Wenn sich der Traum von einer Wiederauferstehung Polens gegen die Allianz der Teilungsmächte in der polnischen Frage auch kaum durchsetzen ließ, so hatte sich während der Napoleonischen Kriege gezeigt, wie schnell ein polnischer Staat entstehen konnte, sofern er nur auf die Unterstützung einer europäischen Großmacht zählen konnte. Auch bestand immer die Möglichkeit, dass der Bund der Teilungsmächte im Falle eines Krieges zerbrechen und Österreich oder Russland mit den Polen gemeinsame Sache gegen Preußen machen könnten. Abgesehen von der polizeilichen Kontrolle der polnischen Unabhängigkeitsbewegung waren der preußische Staat und seine Eliten daher auch stets darum bemüht, polnischen Bestrebungen auch diskursiv zu begegnen – im Sinne einer preußisch-deutschen Kulturmission.

Ein eindrucksvolles Zeugnis dessen ist die Marienburg (→ Stereotype; → Ordensritter) und der preußisch-deutsche Kult, der im Laufe des 19. Jhs. um sie entstand. Am Beginn des 19. Jhs. war die Marienburg eine verwahrloste Ruine, der man in Preußen keinerlei Bedeutung zumaß. 1804 jedoch ließ König Friedrich Wilhelm III. per königlicher Order Maßnahmen gegen ihren weiteren Verfall einleiten. Nach den Napoleonischen Kriegen begann dann eine aufwendige Rekonstruktion der Ruine, die sich mit wachsender gesellschaftlicher und politischer Anteilnahme bis ins 20. Jh. hinziehen sollte. War es zunächst bloße Faszination für die Architektur des Mittelalters, die die Marienburg vor dem völligen Verfall und Abbruch rettete, projizierte man auf den einstigen Sitz des Deutschen Ordens in wachsendem Maße politisch-historische Bedeutung. Der Orden, mit dem man in Preußen bis dahin nichts zu tun haben wollte und mit dem man sich auch nie in einem historischen Zusammenhang wähnte, wurde seit dem Beginn des 19. Jhs. von preußischen Historikern als Träger einer deutschen Kulturmission im Osten Europas stilisiert. Sein Erbe schickte sich nun der preußische Staat anzutreten (Boockmann 1982; Ekdahl 1986; siehe auch: Surynt 2010; Wippermann 1979).

Dieser konstruierte historische Zusammenhang fand seinen bildlichen Ausdruck in den zehn Bleiglasfenstern, die man in den 1820er Jahren für den Sommerremter in der Marienburg anfertigen ließ. Die Glasmalereien präsentieren die Ordensritter als Träger einer sowohl christlichen als auch staatsbildenden Mission im Baltikum. Eines der Fenster war dem Kampf um die Marienburg 1410 gewidmet, als sich der Deutsche Orden der Belagerung durch die Truppen des polnisch-litauischen Heeres erwehren musste. Der Künstler Karl-Wilhelm Kolbe ließ die Ordensritter als edle Kämpfer auf bedrohtem Posen erscheinen, denen eine wilde Horde entgegenstürmte. Dabei suggerierten die Gesichtszüge, Kleider und Waffen der Angreifer, dass das Heer des polnischlitauischen Königs vornehmlich aus Tartaren bestanden habe. Der Betrachter musste so den Eindruck gewinnen, als seien 1410 nicht die Heere zweier europäisch-christlicher Staaten aufeinandergeprallt, sondern das zivilisierte Europa habe sich einem Angriff aus Asien gegenübergesehen (Boockmann 1981. Von den Fenstern sind seit der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg nur noch Entwürfe erhalten).  Die Marienburg wurde auf diese Weise zu einem Bollwerk der Zivilisation an der Grenze zu einem barbarischen Osten stilisiert. Diese Rolle reklamierte nun auch der preußische Staat für sich, indem er sich gezielt in die Tradition des Deutschen Ordens stellte – in der Hoffnung, polnische Ansprüche auf preußisches Staatsgebiet wirksam zu delegitimieren.

Zu einem der einflussreichsten Protagonisten einer deutschen Kulturmission im Osten wurde der preußisch-schlesische Schriftsteller Gustav Freytag. Sein Roman Soll und Haben, 1855 erstmals publiziert, avancierte zu einem der meistgelesensten deutschen Romane des 19. Jhs. Im Kern handelt es sich bei Soll und Haben um einen Bildungsroman über den Aufstieg des deutschen Bürgertums. Allerdings hat Freytag mit diesem Roman, dessen Handlung in den preußisch-polnischen Grenzgebieten spielt, das Genre des „Ostmarkenromans“ begründet, das vor allem im späten 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jhs. florieren sollte und die Grenzgebiete im Osten in einen Zusammenhang mit den europäischen Frontiers in Übersee stellte (Wojtczak 2001).  Soll und Haben zeichnete das Bild eines heroischen deutschen Grenzlandkampfes, bei dem sich deutsche Siedler einerseits um die Kultivierung brachliegenden Landes bemühen, sich dabei andererseits immer wieder gegen aufständische Polen zu Wehr setzen müssen, die in blinder Wut gegen die deutschen Vorposten der europäischen Zivilisation anrennen. Dem Bild des strebsamen und wohlorganisierten Deutschen, der sich vor allem in der Gestalt des Anton Wohlfart als Musterknabe der Zivilisation und talentierter Kolonist im Osten erweist, wird das wenig schmeichelhafte Bild polnischer Trunkenbolde, Verräter und Faulenzer gegenübergestellt. Sie agieren fortwährend als Bedrohung für die Errungenschaften der Zivilisation, ausgenommen der wenigen, die sich deutscher Führung unterstellen und damit selbst zu einem Instrument der Zivilisierung werden (Surynt 2004; Kopp 2012, S 29–56).

Das narrative Muster von Soll und Haben wird durch die ihm folgenden Ostmarkenromane in immer neuer Spielart wiederholt, am eindrücklichsten vielleicht in Clara Viebigs 1904 erscheinenden Roman das Das Schlafende Heer. Der Optimismus von Soll und Haben, demzufolge die ordnende deutsche Hand letztlich obsiegen und seine kulturelle Mission trotz aller Widerstände erfüllen werde, ist bei Clara Viebig verschwunden. Ihr Roman rückt ein Scheitern der deutschen Kulturmission angesichts der rohen Kräfte des Ostens, die sich in renitenten, schwer steuerbaren und latent gewaltbereiten polnischen Bauern und ihren gewissenlosen Einflüsterern manifestiere, in den Bereich des Möglichen. Nur ein Anspannen aller deutschen Kräfte im Bund mit einer klugen und flexibel auf die Gegebenheiten im Grenzland reagierenden Führung könne ein Scheitern – und damit ein Brechen der Dämme gegen die slawische Flut – verhindern.

Viebigs Pessimismus hatte seine Ursachen in einer realen Erfahrung des Scheiterns. Seit 1886 bemühte sich die preußische Regierung im Zuge einer staatlich gelenkten und mit erheblichen finanziellen Mitteln ausgestatteten Siedlungspolitik darum, in den preußischen Ostprovinzen Posen und Westpreußen die Germanisierung voranzutreiben und damit das polnische Element zurückzudrängen. Hunderttausende deutscher Bauern sollten durch die Einrichtung von deutschen Musterhöfen und deutschen Musterdörfern in die polnischsten Kreise des preußischen Osten gelockt werden, um sich hier als überlegene Siedler und Kolonisten zu erweisen. Die deutsche Kulturmission im Osten, die sich bisher eher auf Diskurse, symbolische Akte und historische Erinnerung etwa an den Deutschen Orden beschränkt hatte, sollte zu einer realen Siedlungsbewegung werden. Doch trotz aller Bemühungen blieben die Ergebnisse weit hinter den Erwartungen der preußischen Regierung und ihrer Unterstützer in der deutschen Öffentlichkeit zurück. Kulturmissionen bedürfen des kulturellen Gefälles. Ein solches ließ sich in Romanen und Pamphleten zwar leicht konstruieren, im realen Vergleich polnischer und deutscher ökonomischer, politischer und kultureller Aktivitäten im preußischen Osten aber immer weniger mit handfesten Daten unterfüttern. 1907 konstatierte Richard Witting, einer der einflussreichsten Protagonisten der preußischen Siedlungspolitik:

Von der alten ‚polnischen Wirtschaft’, finden Sie im übrigen in der Ostmark nichts, oder so gut wie nichts mehr. Die Polen sind fleißig geworden, nüchtern und sparsam, und sie rivalisieren mit den Deutschen auf allen Gebieten des Handels, der Gewerbe und auch der Kunst und Wissenschaft (Witting 1907, S. 28)

Witting gehörte daher auch zu denen, die nicht mehr daran glaubten, die deutsche Kulturmission im Osten könne sich auf die Menschen richten. Man könne die Polen in Preußens Osten nicht germanisieren. „Man soll froh und zufrieden sein, wenn sie gute Preußen werden“ (Witting 1907, S. 59).

Wittings Äußerungen sind auch insofern interessant, als er als Oberbürgermeister von Posen zwischen 1891 und 1902 erheblichen Anteil daran hatte, die städtebauliche Modernisierung dieser wichtigsten Stadt in den polnischen Gebieten Preußens in die Wege zu leiten. Im Zuge der „Hebungspolitik“, ein Begriff der womöglich auf Witting zurückgeht, sollten Posen und andere Städte im preußischen Osten zum Sinnbild deutscher Ordnung und deutscher kultureller Überlegenheit werden. Der Neubau eines ganzen Stadtviertels mit breiten Alleen, großzügigen Parks, modernen öffentlichen Bauten für preußische Verwaltung und deutsche Kultur, gekrönt von einem monumentalen neuen Palast für den preußischen König und deutschen Kaiser, sollte nicht nur das alte polnische Posen in den Schatten stellen, sondern die Stadt zu einem städtebaulichen Sinnbild für die deutsche Kulturmission im Osten machen. Allerdings beschränkte sich diese Kulturmission auf eine staatlich gelenkte und alimentierte Veranstaltung, der offensichtlich fehlte, was sie für ihren Erfolg am nötigsten brauchte: eine breite gesellschaftliche Basis. Insofern war die deutsche Kulturmission im Osten im Wesentlichen eine Rechtfertigungsstrategie, der jenseits der Diskurse wenig realer Gehalt innewohnte oder gegeben werden konnte (Pałat 1983; Schutte 2008; Trzeciakowski 1964. Siehe auch: Thum 2013, 137–162).

Allerdings hatte sie Auswirkungen auf das Bild, das sich die deutsche Gesellschaft vom Osten Europas machte. Die Erfahrungen, die Millionen deutscher Soldaten während des Ersten Weltkriegs bei der unerwarteten Besetzung weiter russischer Gebieten machten, scheinen zu weiten Teilen vor dem Hintergrund der im 19. Jh. etablierten stereotypen Wahrnehmungsmuster verarbeitet worden zu sein. Auch der kurzlebige Militärstaat „Land Ober Ost“, der, getragen vom Glauben an eine deutsche Kulturmission im Osten, wie ein Kolonialland geführt wurde, mutet an wie der Versuch, einer Phantasie des 19. Jhs. reale Gestalt zu geben. Er scheiterte daher nicht nur an den militärischen Entwicklungen, sondern auch der Fehleinschätzung der sozialen Realitäten, die sich, wie schon im Falle der preußischen Siedlungspolitik vor 1914, als komplexer und weniger beherrschbar erwiesen, als es der deutschen Erwartung entsprochen hatte (Liulevicius 2002).

Die wiederholt enttäuschten Erwartungen an eine deutsche Kulturmission im Osten, die sich in der Realität nicht umsetzen ließen, entfalteten im Zusammenspiel mit der Niederlage im Ersten Weltkrieg allerdings ein enorm destruktives Potential. Die Idee der Kulturmission steigerte sich nach 1918 als Reaktion auf die Gebietsverluste des Deutschen Reiches sowie die Auflösung Österreich-Ungarns zu einem chauvinistischen Mythos, der nun erhebliche Resonanz in der deutschen Gesellschaft fand. Nicht nur erlebte der Ostmarkenroman eine neue Blüte, auch die deutsche Wissenschaft öffnete sich nun vermehrt der Idee der deutschen Kulturmission im Osten. An Universitäten sowie universitätsunabhängigen Instituten etablierte sich die „Deutsche Ostforschung“, deren Zweck nicht anderes war, als dem Mythos der deutschen Kulturmission mit historischen Daten, suggestiven Landkarten und wissenschaftlichen Argumenten politische Schlagkraft beim Kampf um die Wiedererlangung der verlorenen Gebiete zu verleihen (Burleigh 1988; Piskorski; Hackmann; Jaworski 2002).

Gleichzeitig verlor die Kulturmission jedoch den universalen Anspruch, den sie bis dahin gehabt hatte. Die Rede vom „Deutschen Osten“, der sich auf der Basis realer wie imaginierter deutscher Kultureinflüsse seit der Steinzeit als „deutscher Volksboden“ etabliert habe, lud sich immer weiter mit germanozentrischen und rassistischen Vorstellungen auf. Konnte ein Friedrich II. noch mit gewisser Plausibilität argumentieren, dass Preußens Ostexpansion die Segnungen der Aufklärung vorantriebe und die europäische Zivilisation nach Osten trage, ließen sich der Eroberungs- und Vernichtungskrieg des Dritten Reiches erst gegen Polen und dann die Sowjetunion beim besten Willen nicht mehr als Kulturmission verbrämen. Zwar wurde in der Propaganda des Dritten Reiches weiterhin mit einer deutschen Mission im Osten argumentiert, aber die Propaganda war nach innen gerichtet, an die deutsche Gesellschaft. Der Referenzrahmen war auch nicht mehr eine universale „Zivilisation“, der dieser Kulturmission diene, sondern ein rassisch exklusives deutsches Volk, dessen „Lebensraum“ im sozialdarwinistischen Daseinskampf auf Kosten aller anderen ausgeweitet werden sollte.

Lediglich im Krieg gegen die Sowjetunion, der vom Propagandaapparat des Dritten Reiches als Kampf gegen den „jüdischen Bolschewismus“ stilisiert wurde, appellierte man an eine antikommunistische und antisemitische Internationale. Angesichts des genozidären Charakters der deutschen Kriegsführung und Besatzungspolitik war die Wirkung solcher Appelle allerdings gering. Auch als die nationalsozialistische Propaganda nach der Niederlage in Stalingrad umschwenkte und den Kampf gegen die nach Westen vorrückende Rote Armee als Verteidigung Europas ausgab, blieb eine größere Resonanz aus.

Als sich nach 1945 das ganze Ausmaß der nationalsozialistischen Verbrechen offenbarte, als die Bilder der deutschen Konzentrationslager und die Leichenberge ihrer jüdischen und nicht-jüdischen Opfer, oder die Bilder des von den Deutschen vernichteten Warschau um die Welt gingen, war die Idee der deutschen Kulturmission im Osten international vollends diskreditiert. In Deutschland selbst allerdings verschwand sie nicht von heute auf morgen. Sie trat eher allmählich in den Hintergrund, so wie sich in der deutschen Gesellschaft das Bewusstsein der eigenen Verantwortung für die Verbrechen des Dritten Reiches auch erst allmählich, in einem mehrere Jahrzehnte währenden Prozess durchsetzte, verlangsamt durch die erneute antikommunistische Frontstellung im Kalten Krieg.

Die → Ostengab der Idee von der Kulturmission sogar noch einmal einen neuen Schub. Die Organisationen und Publikationen der deutschen Vertriebenen in der Bundesrepublik Deutschland, in der sie sich allerdings immer mehr nach außen abschlossen und von der Gesellschaft als Ganzes immer weniger wahrgenommen wurden, beschworen immerzu die zivilisatorischen Errungenschaften der Deutschen im Osten Europas. Dabei ging es den Vertriebenen zum einen darum, den Verlust der deutschen Ostgebiete und die Vertreibung der Deutschen aus Ostmitteleuropa als Anschlag auf die abendländische Kultur zu brandmarken, zum anderen, das eigene Sozialprestige zu stärken. Schließlich erlebte ein großer Teil von den an sich schon vom Verlust von Heimat und Besitz Traumatisierten den als erniedrigend empfundenen sozialen und ökonomischen Abstieg in einer Nachkriegsgesellschaft, die für das besondere Schicksal der Vertriebenen oft wenig Verständnis zeigte. Doch selbst innerhalb der Gesellschaft der Vertriebenen lebte die Idee von der deutschen Kulturmission nicht einfach in ihrer ursprünglichen Form fort. Man stellte sich nämlich keine auf die Zukunft gerichtete Mission mehr vor. Die Rede von den kulturellen Errungenschaften war vergangenheitsorientiert. Sie diente der Erinnerung an eine verlorene Heimat, an deren Wiedergewinnung angesichts der Festigung der politischen Nachkriegsordnung immer weniger glaubten.

Insofern war die Idee der deutschen Kulturmission im Osten eine gedankliche Konstruktion vor allem des 19. Jhs., die im 20. Jh. nur noch wenig neue inhaltliche Elemente aufnahm. Anknüpfend an den Glauben an die Zivilisierungsmission, welche sich die von ihrer zivilisatorischen Überlegenheit überzeugten (west-)europäischen Gesellschaften seit der Aufklärung zuschrieben, hatte die Idee der deutschen Kulturmission mit Verteidigung bestehender Grenzen allerdings oft mehr zu tun als mit Projekten zur territorialen Expansion. Sie diente der Rechtfertigung der preußisch-deutschen und österreichischen Ostgrenzen in einer Zeit, als sich diese im Zuge der demographischen Veränderungen und des aufkommenden Nationalstaatsprinzips immer weniger legitimieren ließen. Sie erzeugte Wahrnehmungsmuster und Argumentationsstrategien hinsichtlich eines als chaotisch, schmutzig und wirtschaftlich ineffizienten charakterisierten slawischen Ostens, der nach der ordnenden Hand der Deutschen riefe. Gerade dadurch konnte sie allerdings zum Träger eines chauvinistischen Überlegenheitsgefühls werden und erhebliches Aggressionspotential entfalten. Beides kam politisch allerdings erst nach 1918 wirklich zum Tragen, unter den Bedingungen der nationalsozialistischen Diktatur und während der Vorbereitung auf einen neuen Krieg. Dabei mutierte die Idee der deutschen Kulturmission allerdings zu einer bloßen Legitimationsstrategie für einen Eroberungs- und Vernichtungskrieg im Osten Europas, wobei sie sich ihres universalen Anspruchs völlig entledigte. Schließlich ging es nicht mehr um Verbesserung der Menschheit, sondern nur noch um die Ausweitung „deutschen Volksbodens“. Zwar lebte die Idee in manchen Versatzstücken auch nach 1945 weiter, im Wesentlichen aber endet ihre Geschichte mit ihrer Instrumentalisierung durch den Nationalsozialismus und ihre völlige Diskreditierung im Zweiten Weltkrieg.

 

Literatur:

Barth, Boris; Osterhammel, Jürgen (Hg.): Zivilisierungsmissionen: Imperiale Weltverbesserung seit dem 18. Jahrhundert, Konstanz 2005.

Bömelburg, Hans-Jürgen: Friedrich II. zwischen Deutschland und Polen. Ereignis und Erinnerungsgeschichte, Stuttgart 2011.

Boockmann, Hartmut: Die Entwürfe von Karl-Wilhelm Kolbe und Karl-Wilhelm Wach für die Glasmalereien des Marienburger Sommerremters. Beiträge zu einer Ikonographie des Deutschen Ordens, in Preußen und Berlin. Beziehungen zwischen Provinz und Hauptstadt, hg. von Udo Arnold, Lüneburg 1981, S. 9–39.

Boockmann, Hartmut: Die Marienburg im 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1982.

Burleigh, Michael: Germany turns Eastwards: A Study of Ostforschung in the Third Reich, Cambridge 1988.

Ekdahl, Sven: Denkmal und Geschichtsideologie im polnisch-preussischen Spannungsfeld, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 35 (1986), S. 127–218.

Kopp, Kristin: Germany’s Wild East: Constructing Poland as Colonial Space, Ann Arbor 2012.

Liulevicius, Vejas Gabriel: Kriegsland im Osten: Eroberung, Kolonisierung und Militärherrschaft im Ersten Weltkrieg, Hamburg 2002.

Orłowski, Hubert: „Polnische Wirtschaft“: Zum deutschen Polendiskurs der Neuzeit, Wiesbaden 1996.

Osterhammel, Jürgen: Die Verwandlung der Welt: Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, München 2009.

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Piskorski, Jan M.; Hackmann, Jörg; Jaworski, Marek (Hg.): „Deutsche Ostforschung“ und „polnische Westforschung“ im Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik: Disziplinen im Vergleich, Osnabrück 2002.

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Thum, Gregor, Prof. Dr., verfasste den Beitrag „Deutscher Kulturauftrag im Osten“. Er ist Associate Professor an der University of Pittsburgh und arbeitet in den Bereichen deutsch-polnische Beziehungen und Geschichte Zentraleuropas im 19. und 20. Jahrhundert.

 

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