Rudolf Urban

Die deutsche Minderheit in Polen

Die deutsche Minderheit in Polen


Die Mehrzahl der in Polen lebenden Deutschen ist in den Woiwodschaften Oppeln/ Opole und Schlesien/ Śląsk ansässig. Kleinere deutsche Gemeinden gibt es auch in den Woiwodschaften Niederschlesien/Dolny Śląsk, Lebus/Lubuskie, Großpolen/Wielkopolskie, Lodsch/Łódzkie, Kujawien-Pommern/Kujawsko-Pomorskie, Westpommern/ Zachodniopomorskie, Pommern/Pomorskie und Ermland-Masuren/Warmia i Mazury. Zur Minderheit wurden sie, als 1945 infolge der Beschlüsse der Potsdamer Konferenz (17.7.–2.8.1945) die Grenzen Polens nach Westen verschoben wurden und dem Land einstmals deutsche Gebiete zufielen, die seitdem rund ein Drittel des polnischen Staatsterritoriums ausmachen.

Das kommunistische Polen war als ethnisch homogener Staat gedacht. Die deutsche Bevölkerung sollte die westlichen und nördlichen Gebiete verlassen. Dieser Prozess begann schon vor Kriegsende und dauerte bis 1948. Viele Deutsche verließen Polen auch noch danach, meist im Zuge von Familienzusammenführungen. Trotz alledem verblieben viele Menschen deutscher Abstammung innerhalb der polnischen Grenzen, darunter eine Gruppe von Facharbeitern und Akademikern (Bergleute, Ingenieure, Ärzte etc.), deren Fähigkeiten nach 1945 in Polen gebraucht wurden, sowie die vor allem in Schlesien und Pommern lebenden sogenannten Autochthonen.

Bis zum Beginn der 1950er Jahre war die Situation der Deutschen in ganz Polen ähnlich: Unter Androhung von Strafe durften sie sich weder öffentlich zu ihren deutschen Wurzeln bekennen noch die deutsche Sprache verwenden oder ihre Kultur pflegen. Zur Ausnahme wurde schon wenige Jahre nach dem Krieg Niederschlesien. Ein Teil der niederschlesischen Deutschen, zumal aus der Gegend von Wałbrzych (Waldenburg), musste in Polen bleiben, weil sie von zentraler Bedeutung für den wirtschaftlichen Wiederaufbau waren. Als Gegenleistung erhielten sie einen Sonderstatus als sogenannte „anerkannte Deutsche“. In den offiziellen Statistiken wurde ihre Nationalität allerdings verschwiegen, man klassifizierte sie als Staatenlose. Aus diesem Grund galten sie nicht als nationale Minderheit. Trotzdem verbesserte sich nach und nach die Situation der Deutschen in Niederschlesien. 1951 begann man mit der Ausstellung offizieller Aufenthaltsgenehmigungen. Im selben Jahr wurde auch die Gründung der deutschsprachigen Zeitung Arbeiterstimme erlaubt. Es entstanden deutsche Schulen (die infolge der Abwanderung von Deutschen wegen Schülermangels 1963 wieder geschlossen wurden). Eine große Annehmlichkeit war für die in Niederschlesien verbliebenen Deutschen überdies die Möglichkeit, Kulturgruppen zu gründen (Theatergruppen, Chöre oder Filmklubs). In den Jahren 1954 und 1958 konnten in Niederschlesien auf Kreis- und Woiwodschaftsebene deutsche Kandidaten für die Nationalratswahlen aufgestellt werden.

Am 17. April 1957 wurde die Sozial-Kulturelle Gesellschaft der Deutschen (SKGD) gegründet, die ihren Sitz anfangs in Wałbrzych hatte und später nach Wrocław übersiedelte. Das Ziel der SKGD war die Pflege der deutschen Kultur und Identität. In der Praxis stieß die Verwirklichung dieses Ziels auf zahlreiche Schwierigkeiten. Ein grundlegendes Problem war die stetig sinkende Mitgliederzahl: Bei ihrer Gründung hatte die Gesellschaft 4.000 Mitglieder, ein Jahr später bereits nur noch 800 und im Jahr 1970 gerade einmal 563. Grund für den Schwund waren sowohl die Abwanderung von Deutschen aus Polen als auch die Politik des polnischen Staates, der nur Menschen die SKGDMitgliedschaft gestattete, die unstrittig als Deutsche anerkannt waren. Auf diese Weise wollte man die Autochthonen vor deutschen Einflüssen „schützen“. Trotz der geringen Mitgliederzahl und begrenzten Handlungsmöglichkeiten existiert die SKGD bis heute. In Oberschlesien und anderen von Deutschen bewohnten Gebieten Polens herrschten ganz andere Verhältnisse. Der Gebrauch der deutschen Sprache war von 1945 bis Ende der 1980er Jahre verboten. Nicht nur in den ersten Nachkriegsjahren, sondern auch in den folgenden Jahrzehnten wurde alles Deutsche unterdrückt, wenngleich die Repressionen mit der Zeit nachließen. Der einzige Moment in der Nachkriegsgeschichte Polens, in dem die Deutschen eine Chance auf Anerkennung ihrer Existenz erhielten, war das Ende des Jahres 1956. Damals entwickelte sich im Zuge des politischen Tauwetters unter den in Polen lebenden Deutschen die Idee, eigene Organisationen registrieren zu lassen. Als Beispiel kann die Woiwodschaft Oppeln dienen, wo im Woiwodschaftsnationalrat sowie in einigen Kreisnationalräten über die Existenz einer deutschen Minderheit debattiert wurde. Das Tauwetter währte freilich nicht lange, und noch 1956 wurden – auf Diktat des Zentralkomitees der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (Polska Zjednoczona Partia Robotnicza, PZPR) – alle Maßnahmen hinsichtlich der Anerkennung der deutschen Minderheit eingestellt. Bis 1989 blieb deshalb die in Wrocław ansässige SKGD die einzige legale Organisation der Deutschen in Polen. Sie durfte allerdings nicht außerhalb der Grenzen Niederschlesiens tätig werden.

Den nächsten Durchbruch brachte erst der Aufstieg der Gewerkschaft Solidarność, die im Herbst 1981 in Gdańsk (Danzig) eine Resolution zur Frage der nationalen Minderheiten verabschiedete, in der auch die in Polen lebenden Deutschen erwähnt wurden. Dieses Signal vonseiten der Gewerkschafter hätte die Deutschen in Oberschlesien und anderen Regionen Polens sicher zum Handeln motiviert, doch die Verhängung des Kriegsrechts im Dezember desselben Jahres erstickte jeglichen Ansatz im Keim. Der Gedanke der Gründung einer Organisation der Deutschen in Oberschlesien wurde erst Mitte der 1980er wieder aufgegriffen. Die polnischen Deutschen hofften damals auf stärkere Unterstützung seitens der Bundesregierung und nutzten die positive Einstellung der polnischen Opposition. Pioniere dieser Bewegung waren Deutsche aus der Gegend von Racibórz (Ratibor), Norbert Gaida und Blasius Hanczuch, die sich schon seit 1983 vergeblich um die gerichtliche Registrierung einer Organisation der deutschen Minderheit bemühten. Am 10. Mai 1986 wollte Hanczuch einen landesweiten Kulturkongress der deutschen Volksgruppe organisieren, doch das Vorhaben wurde von Sicherheitsdienst (Służba Bezpieczeństwa, SB) und Miliz vereitelt. Hanczuch, Gaida und ihre Mitstreiter ließen sich davon nicht entmutigen, sondern intensivierten vielmehr ihre Bemühungen um die offizielle Anerkennung der deutschen Minderheit in Polen, die 1989 schließlich von Erfolg gekrönt wurden.

Ein anderes dynamisches Zentrum der sich formierenden deutschen Minderheit in Polen war Gogolin, wo Johann Kroll lebte; hinzu kam eine Reihe kleinerer Ortschaften im Oppelner Land, in denen Menschen versuchten, die in ihrer Region lebenden Deutschen zusammenzuführen. Anfangs agierten sie unabhängig voneinander, ohne von den Aktivitäten der anderen zu wissen. Sie organisierten Liederabende oder sonstige Treffen, die zunächst eher geselligen und kulturellen als politischen Charakter hatten. Trotzdem entstanden auf diese Weise die ersten „Deutschen Freundschaftskreise“ (DFK), deren Name schon auf den geselligen Aspekt der Treffen verwies. In ihrem Rahmen wurden Kontakte geknüpft, die später ein organisiertes Vorgehen ermöglichten.

Die Hauptforderungen der im Oppelner Land, in den damaligen Woiwodschaften Katowice und Częstochowa sowie in anderen Regionen Polens gegründeten informellen Gruppen der deutschen Minderheit betrafen Bildung, deutsche Kultur und Kunst sowie die Stärkung der deutsch-polnischen Nachbarschaft. Das wichtigste Anliegen bestand zu dieser Zeit aber darin, die Ausreisewelle in die BRD zu bremsen, die insbesondere in Oberschlesien zur Entvölkerung ganzer Ortschaften führte. Alle diese Ziele sollten unter anderem durch den Aufbau eines Netzes von Bibliotheken und Kultur- und Begegnungszentren sowie durch die Gründung von Kulturgruppen oder Sportvereinen erreicht werden. Um die Einführung von Deutsch als Schulfach zu beschleunigen und eine unabhängige Publikationstätigkeit führen zu können, war den Deutschen an einer guten Zusammenarbeit mit der Schulaufsichtsbehörde gelegen. Eine wichtige Rolle war auch der Seelsorge zugedacht, weshalb man sich um enge Kontakte zu Vertretern der katholischen Kirche bemühte.

Einen echten Umbruch für die in Polen lebenden Deutschen bedeutete das Jahr 1988. Bis dahin hatte die polnische Regierung die Existenz einer deutschen Minderheit in Oberschlesien offiziell abstreiten können, doch in diplomatischen Gesprächen mit der Bundesregierung, die sich sehr für das Schicksal der in Polen lebenden Deutschen interessierte, ließ sich diese Tatsache nicht mehr verleugnen. Symptomatisch hierfür waren das Treffen von DFK-Vertretern mit dem damaligen Außenminister Hans-Dietrich Genscher in der Botschaft der BRD in Warschau im Januar 1988. Es diente einerseits der Stärkung der Position der Deutschen in Polen im Bemühen um die Zuerkennung des Minderheitenstatus durch die polnische Regierung und bot andererseits den Deutschen aus Schlesien die Chance, sich untereinander besser kennenzulernen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte es keine koordinierten Initiativen gegeben.

Entscheidend für die Anerkennung der deutschen Minderheit war aber das Jahr 1989, in dem Vertreter der Regionen Opole, Częstochowa und Katowice erneute Versuche zur Registrierung ihrer Sozial-Kulturellen Gesellschaften unternahmen. Zur selben Zeit erstellte Johann Kroll in Gogolin seine später von Legenden umrankten „Listen“ von Personen, die sich als Deutsche deklarierten. Bis Ende 1989 ließen sich rund 250.000 Menschen in diese Listen eintragen. Ähnliche Aktionen gab es (wenngleich aus offensichtlichen Gründen mit geringerem Erfolg) auch in anderen Regionen Polens.

Das Jahr 1989 brachte überdies drei historische Ereignisse, die maßgeblich zur Anerkennung der Deutschen in Polen beitrugen. Am 4. Juni 1989 fand in der Basilika in Góra Świętej Anny (Sankt Annaberg) der erste deutschsprachige Gottesdienst nach 1945 statt. Obwohl er nirgends offiziell angekündigt wurde, versammelte sich eine große Zahl von Gläubigen. Zum ersten Mal seit Kriegsende konnten die Deutschen ihren Glauben in der „Sprache des Herzens“ manifestieren, wie der Erzbischof von Opole, Alfons Nossol, später sagte. Am selben Tag fanden in Polen Parlamentswahlen statt, bei denen die Solidarność-Kandidaten alle frei wählbaren Mandate in Sejm und Senat errangen. Die erste nichtkommunistische Regierung unter Ministerpräsident Tadeusz Mazowiecki leitete Maßnahmen ein, die den Erwartungen der Gründer der Minderheitenorganisationen entgegenkamen. Schon in seiner Regierungserklärung sagte Mazowiecki, die in Polen lebenden Minderheiten sollten sich im Land wie zu Hause fühlen und ihre Muttersprachen pflegen können. Das sei eine Bereicherung für die polnische Kultur. Am 12. November 1989 fand auf dem ehemaligen Gut der Familie von Moltke in Kreisau (Krzyżowa) eine sogenannte Versöhnungsmesse statt, an der auch Deutsche teilnahmen. Während dieses Gottesdienstes tauschten Bundeskanzler Helmut Kohl und Ministerpräsident Mazowiecki den Friedensgruß. Die deutschen, insbesondere aber die polnischen Medien berichteten freilich nicht nur über diese historische Geste, sondern auch über die versammelten Menschen und die hochgehaltenen Transparente mit Grüßen, Bitten und Forderungen der Deutschen. Die größte Aufmerksamkeit fand der Slogan „Helmut, Du bist auch unser Kanzler“, mit dem die DFK-Gruppe aus Jemielnica (Himmelwitz) nach Kreisau angereist war. Die Versöhnungsmesse war deshalb zugleich auch eine große Demonstration, die Polen und der Welt vor Augen führte, dass in diesem Land eine große Gruppe von Menschen deutscher Abstammung lebte, die offiziell nicht anerkannt wurde, aber nun, in der Zeit des Umbruchs, ihre Rechte einforderte.

Das Recht zur Gründung eigener Organisationen erhielt die deutsche Minderheit allerdings erst Anfang 1990. Am 16. Januar wurde in Katowice die erste SKGD amtlich registriert. In kurzer Zeit vollzogen auch Gerichte in anderen Regionen Polens derartige Akte. Sehr viel schwerer hatten es die Deutschen allerdings dort, wo sie nur kleine Gruppen bildeten. In Zielona Góra (Grünberg) etwa wurde das Verfahren zur Registrierung einer deutschen Organisation erst 1994 abgeschlossen.

Während die Registrierung der ersten Minderheitenorganisationen auf der Basis der allgemeinen juristischen Regelungen zu Vereinen und Gesellschaften erfolgte, basiert das Wirken der Minderheit auf der polnischen Gesetzgebung sowie auf bilateralen Verträgen, die Regelungen zur Förderung der Aktivitäten sowohl der deutschen als auch anderer in Polen lebenden Minderheiten enthalten. Der wichtigste polnische Gesetzestext in diesem Kontext ist die Verfassung der Republik Polen von 1998, die jedermann – und damit auch Angehörigen von Minderheiten – Gleichheit vor dem Gesetz und Schutz vor Diskriminierung wegen seiner Herkunft garantiert. Der zentrale juristische Text für die polnischen Deutschen war jedoch lange Zeit der → vertrag von 1991, in dem beide Seiten sowohl den Deutschen in Polen als auch den Polen in Deutschland die Freiheit zur Gründung von Institutionen und zur Pflege und Entwicklung ihrer Kultur und Sprache sowie Unterstützung bei der Verwirklichung kultureller und sozialer Ziele zusicherten. Um den in Polen lebenden Deutschen diese Rechte zu gewährleisten, wurden in Polen einige Gesetze geändert, darunter das Rundfunkgesetz, in dem den Deutschen Präsenz in den öffentlichen Medien (→ deutschen Minderheit) zugesichert wurde, das Schulgesetz, in dem die Frage des Deutschen als Minderheitensprache (→ deutsche Sprache in Deutschland) in öffentlichen Schulen geregelt wurde, sowie das Wahlrecht, in dem die landesweite Fünfprozenthürde für Minderheitenkandidaten bei Parlamentswahlen abgeschafft wurde.

Das wichtigste Gesetz für die polnischen Deutschen ist aber das am 6. Januar 2005 vom Sejm verabschiedete Gesetz über die nationalen und ethnischen Minderheiten sowie über die Regionalsprache, das alle Rechte der Angehörigen von in Polen anerkannten nationalen oder ethnischen Minderheiten genau definiert. Seither kann unter anderem in ausgewählten Gemeinden die Sprache der Minderheit als sogenannte Hilfssprache im Kontakt mit Behörden genutzt werden; außerdem werden zweisprachige Orts- und Straßenschilder gestattet und Angehörigen von Minderheiten das Recht auf Schreibung ihrer Namen und Vornamen gemäß den Regeln der jeweiligen Minderheitensprache zugesprochen. Garanten der Minderheitenrechte sind darüber hinaus von Polen unterzeichnete und ratifizierte internationale Abkommen. Die wichtigsten sind das von Polen 1995 unterzeichnete und 2000 ratifizierte Rahmenabkommen zum Schutz nationaler Minderheiten des Europarats sowie die 2003 von Polen unterzeichnete Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen.

Die seit 1990 offiziell agierende deutsche Minderheit in Polen wird auf nationaler Ebene vom 1991 gegründeten Verband der Deutschen Sozial-Kulturellen Gesellschaften in Polen (Związek Niemieckich Stowarzyszeń Społeczno-Kulturalnych, ZNSSK) repräsentiert. Ihm gehören alle Organisationen auf Woiwodschaftsebene an, die – in Abhängigkeit von der Zahl ihrer Mitglieder – in kleinere Einheiten untergliedert sind. In den meisten Fällen handelt es sich um DFK-Regionalkreise, deren Zuschnitt meist dem Zuschnitt der betreffenden Städte oder Stadtteile entspricht. Eine Ausnahme bildet die deutsche Minderheit in der Woiwodschaft Schlesien, die zwischen dem Woiwodschaftsvorstand und der DFK eine zusätzliche Strukturebene besitzt. In der Woiwodschaft Oppeln ist die Struktur der Minderheiten in den von Deutschen bewohnten Gebieten ganz der Verwaltungsstruktur der Woiwodschaft angepasst, was bedeutet, dass neben dem Woidwodschaftsvorstand noch Kreis- und Gemeindevorstände sowie als basale Einheit die DFK-Kreise existieren. Diese Einteilung wurde im Oppelner Land vorgenommen, um den Einfluss auf die Politik auf den jeweiligen Ebenen zu vergrößern.

Neben den Organisationen, zu denen sich Menschen deutscher Nationalität zusammenschlossen, existiert eine Reihe weiterer Institutionen, die auf Initiative oder unter Beteiligung der Minderheit entstanden. Zu ihnen gehört die 1992 gegründete Stiftung für die Entwicklung Schlesiens, die heute die wichtigste ökonomische Institution der deutschen Minderheit in Schlesien ist. Anfangs bestand ihre Tätigkeit vor allem in der Verteilung der von der BRD zur Verfügung gestellten Mittel zur Entwicklung der Minderheit sowie der Verbesserung der Infrastruktur und der Förderung des Unternehmertums in Schlesien. Heute ist die Stiftung eine selbständige Finanzinstitution, die mit der Selbstverwaltung der Woiwodschaft und zentralen Institutionen zusammenarbeitet. Die Arbeit für die Minderheit bildet nur noch einen Teilbereich ihrer Tätigkeit. Eine ähnliche Funktion erfüllt die 1993 aus den Strukturen der deutschen Minderheit hervorgegangene Wirtschaftskammer „Śląsk“, die Unternehmer aus Nieder- und Oberschlesien vereint. Als Organisation der Selbstverwaltung beschränkt sich die Kammer heute nicht mehr ausschließlich auf die Arbeit für ihre Mitglieder, sondern ist offen für Kooperationen mit allen Unternehmern, was sich positiv auf das Image der Minderheit auswirkt. Andere Institutionen der Minderheit sind der Verband Schlesischer Bauern (gegründet 1989), der Verband Schlesischer Landfrauen (gegründet 1991) sowie die Wohltätigkeitsgesellschaft der Deutschen in Schlesien (gegründet 1996). Sie entstanden auf Initiative von Angehörigen der Minderheit und verfolgen konkrete, wenngleich etwas andere Ziele als die reinen Minderheitenorganisationen. Sowohl der Bauern- als auch der Landfrauenverband bieten Weiterbildungen und Beratung an, sie organisieren Studienreisen und geben Publikationen für die Landbevölkerung heraus. Die Wohltätigkeitsgesellschaft dagegen leistet, wie schon der Name andeutet, Hilfe für sozial Bedürftige in Gestalt von Kuren und Rehabilitationen, Ferienlagern, Zuschüssen zu Behandlungen oder anderweitiger materieller Unterstützung.

Nicht weniger wichtig ist die 1996 gegründete Deutsche Bildungsgesellschaft (DBG), die sich vor allem die Unterstützung der Deutschlehrer in Polen zur Aufgabe gestellt hat. Zu diesem Zweck organisiert die DBG Kurse, Lehrprogramme und Studienreisen nach Deutschland. Darüber hinaus betreibt sie in Kooperation mit dem Goethe-Institut Krakau eine Mediathek für Lehrer sowie das Oppelner Lehrerfortbildungszentrum, das die entsprechenden Angebote der Woiwodschaft Oppeln ergänzt. Zu erwähnen sind auch die Jugendorganisationen, allen voran der 1992 gegründete und landesweit aktive Bund der Jugend der deutschen Minderheit mit rund 1.000 Mitgliedern. Hinzu kommen von Deutschstämmigen gegründete studentische Vereinigungen: der 1999 gegründete Verein Deutscher Hochschüler in Polen zu Ratibor, dessen 2003 entstandenes Pendant in Opole und die seit 1992 in Gliwice (Gleiwitz) existierende Akademische Verbindung Salia-Silesia.

Alle Organisationen der deutschen Minderheit in Polen finanzieren sich über Mitgliedsbeiträge, die den tatsächlichen Finanzbedarf nur bis zu einem gewissen Grad decken. Wichtig ist deshalb die Förderung durch Zuschüsse und Subventionen sowohl der deutschen als auch der polnischen Regierung. Diese Mittel werden für Kultur- und Bildungsprojekte, für die Medien der Minderheit sowie für den Erhalt von Kulturzentren und Begegnungshäusern genutzt. Während in der Vergangenheit der größte Teil der Fördermittel aus dem Budget der BRD stammte, wird heute die Förderung durch den polnischen Staat für die weitere Arbeit aller Organisationen der deutschen Minderheit in Polen immer wichtiger. Darüber hinaus profitiert die deutsche Minderheit in der Woiwodschaft Oppeln von EU-Mitteln, die der Woiwodschaftsselbstverwaltung zur Verfügung stehen.

Seit Beginn ihres legalen Wirkens konzentrierten sich die Organisationen der deutschen Minderheit auf die Verwirklichung der in ihren Statuten festgelegten Ziele. Das wichtigste dieser Ziele ist die Belebung der deutschen Tradition und Kultur im jeweiligen Umfeld. Zu diesem Zweck organisieren die Verbände und ihre Regionalkreise Begegnungen, Vorträge und Wettbewerbe zum Wissen über die Region und die deutsche Sprache. Die sichtbarsten Initiativen zur Vermittlung von Kultur und Tradition sind freilich die in den meisten von der deutschen Minderheit bewohnten Orten gegründeten Tanz- und Vokalensembles sowie Chöre, die sich in der älteren Generation wie auch unter Kindern und Jugendlichen großer Beliebtheit erfreuten. Die Mehrzahl der heute aktiven Kulturgruppen entstand in den 1990er Jahren, auch wenn ihre Popularität inzwischen deutlich geschrumpft ist. Im Laufe der Zeit entwickelten sich auch Projekte, die durch die sogenannte hohe Kultur inspiriert wurden. So finden im Oppelner Land seit mehreren Jahren die Deutschen Kulturtage statt. Ein anderes Tätigkeitsfeld deutscher Organisationen in Polen ist die Förderung junger literarischer Talente durch Wettbewerbe oder Publikationen. Viele Aktivitäten richten sich insbesondere an junge Menschen, weil deren Engagement für das weitere Schicksal der Organisationen der deutschen Minderheit in Polen von entscheidender Bedeutung ist.

Ein weiteres wichtiges Zeil der Minderheitenorganisationen war die Wiedereinführung des Deutschunterrichts in den Schulen. Anfang der 1990er Jahre gelang dies in allen Primarschulen dort, wo die deutsche Gemeinde in geschlossenen Gruppen lebte, später wurde Deutsch auch Unterrichtsfach an weiterführenden Schulen und gehörte viele Jahre lang zu den meistgewählten Fremdsprachen. Gegenwärtig engagieren sich die Organisationen der Minderheit für die Schaffung komplett zweisprachiger öffentlicher Stellen. Weil diese bis heute nicht existieren, wurden etwa in der Woiwodschaft Oppeln als Alternative zweisprachige Vor- und Primarschulen in Trägerschaft der deutschen Minderheit gegründet.

Eine andere Herausforderung, die sich den Organisationen der deutschen Minderheit stellt, ist die temporäre Arbeitsmigration von Deutschstämmigen, die aufgrund ihrer doppelten Staatsbürgerschaft schneller legal in Deutschland arbeiten konnten als die übrigen Polen. Die Entscheidung für die Arbeit im Ausland hat gravierende Auswirkungen auf die Familien, aber auch auf das Gemeinschaftsleben: Menschen, die nur alle paar Wochen zu Hause anwesend sind, beteiligen sich nicht am kulturellen Leben der Minderheit. Darüber hinaus führt die Arbeitsmigration in vielen Orten, zumal im Oppelner Land, zu einer zeitweisen Entvölkerung.

Ein positiver Punkt in der Tätigkeitsbilanz der Organisationen der deutschen Minderheit in Polen ist dafür die Zusammenarbeit mit den Kirchen, zumal der katholischen Kirche. Seit der ersten deutschsprachigen Messe im Juni 1989 kann die Minderheit in Schlesien auf die Kooperation der Geistlichen zählen, wenngleich diese nicht in allen Fällen konfliktfrei verläuft, wozu beide Seiten beitragen. Die Deutschen haben jedoch die Möglichkeit, in deutscher Sprache Gottesdienst zu feiern. In einigen Diözesen wurden auch Minderheitenseelsorger berufen, die für die korrekte Betreuung der Minderheiten zuständig sind, darunter auch der Deutschen.

Von Anfang an suchten die Minderheitenorganisationen auch nach Möglichkeiten, die Entwicklung der Region durch aktive Beteiligung am politischen Leben mitzugestalten. Nach dem Tod des Oppelner Senators Edmund Osmańczyk kandidierte in den Nachwahlen zum Senat vom 18. Februar 1990 mit Henryk Kroll ein verdienter Funktionär der deutschen Organisationen in Polen für den vakanten Posten. Das Mandat errang zwar Dorota Simonides, Volkskundlerin und Professorin an der Universität Oppeln, doch die Zahl der für Kroll abgegebenen Stimmen (125.000) belegte das große Potenzial der Deutschen in der Region Oppeln. Dieses Potenzial offenbarte sich drei Monate später noch einmal in den ersten freien Selbstverwaltungswahlen in Polen seit Ende des Zweiten Weltkriegs. In vielen Fällen siegten wie in den Nachwahlen zum Senat die Kandidaten der Solidarność, dennoch erhielt die deutsche Minderheit in Oberschlesien als selbständige Organisation oder im Zusammenschluss mit anderen Parteien zahlreiche Stimmen und infolgedessen eine bedeutende Anzahl von Sitzen in Stadt- und Gemeinderäten sowie im neu geschaffenen Parlament der Woiwodschaft Oppeln. Erfolge erzielten die Deutschen auch in den gänzlich freien Parlamentswahlen vom 27. Oktober 1991. Die deutsche Minderheit in Polen erreichte insgesamt 7 Sitze im Sejm (5 davon für Vertreter der Woiwodschaft Oppeln) sowie einen Sitz im Senat, was bis heute das beste Wahlergebnis der Minderheit darstellt. In späteren Parlamentswahlen konnte dieser Erfolg nicht wiederholt werden. Die Minderheit verliert vielmehr kontinuierlich an Zustimmung, weshalb gegenwärtig die Deutschen im Sejm nur noch durch einen Abgeordneten vertreten werden. Auch in den Selbstverwaltungswahlen ist ein – freilich weit weniger starker – Zustimmungsverlust zu beobachten. Im Oppelner Land ist die Minderheit weiterhin eine echte politische Macht, selbst wenn sie längst nicht mehr so viel Unterstützung wie Anfang der 1990er Jahre findet. Sie regiert noch im Woiwodschaftsparlament mit und ist vielen Gemeinden sowie in drei Kreisen stärkste Kraft, doch auch ihr politisches Potenzial schwindet. Gründe für die sinkende Zustimmung in Parlaments- und Selbstverwaltungswahlen sind zum einen der Wegfall des Gefühls der Bedrohung durch staatliche Diskriminierung und damit ein geringeres Bedürfnis, das eigene Deutschtum zu betonen, sowie zum anderen ein Identitätswandel bei vielen Menschen, die sich nicht mehr wie früher als Deutsche, sondern als Schlesier deklarieren. Außerhalb des Oppelner Lands spielen die Deutschen eine marginale politische Rolle. Deshalb fungiert im polnischen Sejm der Abgeordnete der deutschen Minderheit aus dem Oppelner Land als Repräsentant aller Deutschen in Polen.

Unter Verweis auf die Summe der im Oppelner Konsulat ausgegebenen deutschen Reisepässe (in den 1990er Jahren rund 25.000 pro Jahr, aktuell nicht mehr als 7.000) an Menschen mit Wohnsitz in Polen nennt die deutsche Seite eine Zahl von 300.000 in Polen lebenden Deutschen. Auf Basis der Volkszählung von 2002 ist aber davon auszugehen, dass damals etwas mehr als 150.000 Deutsche in Polen lebten. In der letzten Volkszählung 2011 sank diese Zahl auf rund 148.000. Das veranschaulicht, dass nicht alle in Polen lebenden Deutschen aktive Mitglieder von Minderheitenorganisationen sind. Deren Mitgliederzahl liegt in ganz Polen unter 100.000 (was deutlich mit der genannten Zahl der in Oppeln ausgegebenen deutschen Pässe kontrastiert). Der Mitgliederschwund der Minderheitenorganisationen ist nicht nur durch demographische Faktoren bedingt (das Aussterben der ältesten Generation), sondern auch durch das geringe Interesse der jüngeren Generation an den Aktivitäten der Minderheit sowie durch ein allgemeines Gefühl der Sicherheit der in Polen lebenden Deutschen und damit einen mangelnden Bedarf an Schutz durch organisierte Strukturen.

Eine Herausforderung für die deutsche Minderheit in Oberschlesien sind Organisationen, die das Schlesische propagieren. Dies gilt vor allem für die Woiwodschaft Schlesien, aber die Bewegung für die Autonomie Schlesiens und die Gesellschaft der Menschen Schlesischer Nationalität gewinnen auch in der Woiwodschaft Oppeln an Zuspruch, wo die bisher größte und geschlossenste deutsche Community in Polen lebt. Das Schlesische, das die autochthone Bevölkerung vor allem mit einer vielerorts lebendigen Volkskultur verbindet, die von den Bewohnern Oberschlesiens bewahrt wird, ist vielen Angehörigen der deutschen Minderheit vertraut, weil sie damit aufgewachsen sind: Schlesische Tradition, Dialekt und Kultur werden in vielen Häusern bis heute gepflegt. Das Deutsche hingegen ist die Tradition der Vorfahren, Deutsch für viele eine Fremdsprache und die deutsche Kultur nur wenig bekannt, weshalb die Bindung an das „reine“ Deutschtum unter den Bewohnern Oberschlesiens schwächer ist als die an das Schlesische. Die Entwicklung der Zahl der Menschen, die „schlesisch“ als Nationalität angeben (im Jahr 2002 waren es etwas mehr als 150.000, im Jahr 2011 schon 800.000), belegt die wachsende Relevanz dieser regionalen Identität, wobei anzumerken ist, dass in der Volkszählung von 2011 Doppelnennungen möglich waren und viele Angehörige der deutschen Minderheit sowohl die deutsche als auch die schlesische Nationalität deklarierten.

Parallel zu den hier beschriebenen Prozessen veränderte sich die Wahrnehmung der in Polen lebenden Deutschen durch ihre polnischen Nachbarn. Am Beginn des Wirkens von Minderheitenorganisationen und insbesondere vor 1989 wurden die Deutschen negativ gesehen, teils sogar als Bedrohung. Die vergangenen dreißig Jahre haben jedoch gezeigt, dass die deutsche Minderheit keine Gefahr für die polnische Souveränität darstellt und dass die Arbeit der Minderheitenorganisationen oft positive Auswirkungen auf die Entwicklung von Gemeinden, Städten und Regionen hat, sei es finanziell und wirtschaftlich, denn von Zuschüssen und Fördermitteln aus Deutschland profitieren nicht nur die Angehörigen der Minderheit, sondern alle Bewohner der jeweiligen Region (ein Beispiel ist die Stiftung für die Entwicklung Schlesiens, die Infrastrukturprojekte in den Gemeinden förderte, die nicht nur den Lebensstandard der dort lebenden Deutschen verbesserten). Auch die Kultur-, Bildungs- und Sozialarbeit der Minderheitenorganisationen trägt zu einer positiven Wahrnehmung nicht nur der in Polen lebenden Deutschen, sondern der Deutschen insgesamt bei. Besonders wichtig ist dies in kleinen lokalen Gemeinschaften, in denen Deutsche unter Polen leben und direkten nachbarschaftlichen Kontakt mit ihnen haben.

Das einzig strittige Thema im deutsch-polnischen Kontext, in dem heute die Frage der deutschen Minderheit in Polen eine Rolle spielt, ist wohl der Status der → Polen in Deutschland der nicht dem Status der Deutschen in Polen entspricht. Die polnischen Deutschen beteiligen sich allerdings nicht aktiv an dieser Debatte, sondern sind allenfalls Gegenstand des Streits. In den letzten Jahren wurden sie als polnische Staatsbürger deutscher Nationalität geradezu zu Geiseln der polnischen Politik gegenüber Deutschland, indem die polnische Regierung die Ausweitung der Rechte der Bürger deutscher Nationalität vom Umgang der Bundesregierung mit der deutschen Polonia abhängig machte. Abgesehen von einzelnen, oft politisch instrumentalisierten Fällen, in denen die Minderheit zum Opfer von Angriffen wird, wird sie heute nicht mehr als absoluter Fremd.

Aus dem Polnischen von Bernhard Hartmann

 

Literatur:

Berlińska, Danuta: Mniejszość niemiecka na Śląsku Opolskim w poszukiwaniu tożsamości, Opole 1999.

Donath-Kasiura, Zuzanna; Urban, Rudolf (Hg.): 20 lat TSKN na Śląsku Opolskim, Opole 2009.

Wittek, Monika: Verband der deutschen sozial-kulturellen Gesellschaften in Polen 1991–2007, Opole 2007.

Wittek, Monika (Hg.): Być Niemcem w Polsce. Ludzkie losy w wykładach i we wspomnieniach, Opole 2001.

Madajczyk, Paweł: Niemcy polscy 1944-1989, Warszawa 2001.

Zybura, Marek: Niemcy w Polsce, Wrocław 2001.

Popieliński, Paweł: Mniejszość niemiecka w III Rzeczypospolitej Polskiej (1989-2019) w procesie integracji ze społeczeństwem większościowym, Warszawa 2020.

Lemańczyk, Magdalena; Baranowski, Mariusz (Hg.): Mniejszość niemiecka w województwie opolskim jako wartość dodana, Warszawa 2020.

 

 

Urban, Rudolf, Dr., verfasste die Beiträge „Die Medien der deutschen Minderheit in Polen“ und „Die deutsche Minderheit in Polen“. Er ist Chefredakteur von „Wochenblatt.pl“, der Zeitung der Deutschen in Polen sowie Radio- und TV-Journalist.

 

 

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