Alois Woldan

Der Österreich-Mythos in der polnischen Literatur

Der Österreich-Mythos in der polnischen Literatur


Wenn man vom Österreich-Mythos in der polnischen Literatur spricht, so hat man es vor allem mit einem Phänomen in der polnischen Literatur der Nachkriegszeit, in der Literatur der PRL, zu tun, wenngleich österreichische Spuren in der polnischen Literatur schon seit der frühen Neuzeit zu finden sind. Für das Entstehen dieses Mythos – der Begriff wurde in Anlehnung an Claudio Magris berühmtes Buch vom Habsburgischen Mythos in der österreichischen Literatur (1966) geprägt – sind vor allem zwei Faktoren ausschlaggebend: zum einen das Kronland Galizien als jener Teil Polens, der nach der Ersten Teilung bis zum Ende des Ersten Weltkriegs bei Österreich war, und zum anderen die Erinnerung an diesen Raum und diese Zeit nach 1945, die in der Situation des sozialistischen Polens zweifellos eine Art kompensatorische Funktion hatte – die Zustände von „damals“, so wie man sie in der literarischen Fiktion rekonstruierte, zeigten, dass diese Zeit besser, liberaler und toleranter war als die Situation hier und heute. Der Österreich-Mythos in der polnischen Literatur bezieht sich also auf das „Alte Österreich“, die Habsburgermonarchie vor 1918, und nicht etwa auf das heutige Österreich, die Zweite Republik. Und er stützt sich wesentlich auf das Kronland Galizien, das sowohl polnisch als auch österreichisch war. So ist im Sprachgebrauch jener Jahre sowohl vom Galizien- wie auch vom Österreich-Mythos die Rede, als von zwei Seiten einer Medaille. Dieser Mythos ist in seiner literarischen Form aber nicht nur ein kleinpolnisches Phänomen, das etwa nur dort anzutreffen wäre, wo einst Österreich war, sondern eine gesamtpolnische Erscheinung der letzten Jahrzehnte der PRL, er resultiert also auch aus einer Spannung zwischen dem „alten“ Österreich und dem „neuen“ Polen.

Das zeigt sich auch, wenn man die Autoren betrachtet, die für dessen Auf- und Weiterleben relevant sind. Hier finden wir zunächst Vertreter einer älteren Generation, die noch in der Zeit der Donaumonarchie und im Kronland Galizien geboren sind, wie Andrzej Kuśniewicz (1904–1993), einer der wichtigsten Vertreter dieser Strömung überhaupt, Julian Stryjkowski (1905–1996), Leopold Buczkowski (1905–1996), Autoren, die noch über Kindheitserinnerungen an jene Welt verfügten. Dazu kommen AutorInnen aus einer jüngeren Generation, wie Andrzej Stojowski (1933–2006), Andrzej Kijowski (1928–1985), Anna Strońska (1931–2008), die die Zeit des alten Österreich nicht mehr erlebt hatten, ggf. aber aus den Traditionen der eigenen Familie kannten. Von besonderem Interesse ist eine jüngste Generation „galizischer“ Autoren wie Włodzimierz Pażniewski (geb. 1942) und Ryszard Sadaj (geb. 1950), die, vielleicht schon im Bann eines funktionierenden Österreich-Mythos, diesen in ihren Texten aufgreifen. Dabei ist zu sagen, dass sich Werke mit galizisch-österreichischer Thematik nicht nur bei solchen Autoren finden, die primär dieser Strömung zugerechnet werden können, sondern auch bei einer Reihe von anderen, wo galizische Texte nur vereinzelt vorkommen (z. B. Leon Kruczkowski, Antoni Gołubiew, Kazimierz Brandys u. a.). Was die Herausbildung des Österreich-Mythos betrifft, so lassen sich drei Phasen beobachten, die ganz und gar nicht mit jenen Zäsuren zusammenfallen, die man aus der Geschichte der polnischen Nachkriegsliteratur kennt (1956, 1968, 1980) – eine erste Phase stellen die 1960er Jahre dar, als mit Kuśniewicz’ ersten Romanen (Eroica 1963, W drodze do Koryntu 1964), mit Stryjkowskis Austeria (1966) und Stojowskis Podróż do Nieczajny (1968) auf das alte Österreich in seiner galizischen Variante in sehr unterschiedlichen Prosaformen zurückgegriffen wird. Die 1970er Jahre stellen sicher einen Höhepunkt in der Ausformung des Österreich-Mythos dar – Kuśniewiczs Król Obojga Sycylii (1970) und Lekcja martwego języka (1977), Stojowskis Romans Polski (1970), Kareta (1972), Zamek w Karpatach (1973), Buczkowskis Romancollagen Uroda na czasie (1970), Kąpiele w Lucca (1974), Oficer na nieszporach (1975) u. a. wären hier zu nennen. Aber auch die 1980er Jahre bis hin zur Wende von 1989 bringen noch eine Reihe von betont galizischen Texten, wie Pażniewskis Krótkie dni (1983), Kuśniewiczs Mieszaniny obyczajowe (1985) und (Literacka kariera Galicji), (1987), Sadajs Galicjada (1985) und Kraina niedźwiedzia (1989). Ab den späten 1970er Jahren hat sich auch die Literaturkritik verstärkt dieses Phänomens angenommen. 1978 veröffentlicht Włodzimierz Pażniewski einen Artikel über die „Literarische Karriere Galiziens“ (Literacka kariera Galicji), 1984 taucht in einer Arbeit über den Historiker und Politiker Michał Bobrzyński der Begriff des „Habsburgermythos“ auf (Michał Bobrzyński a mit Habsburgów), 1986 spricht Ernest Dyczek von „Österreichmythos“ („mit austriacki“), 1987 veröffentlicht Stefan Kaszyński eine Studie zum Tod in Galizien (Śmierć w Galicji) und 1988 erscheint eine erste einschlägige Buchpublikation von Ewa Wiegandt mit dem Titel Austria Felix, czyli o micie Galicji w polskiej prozie współczesnej (Austria Felix, oder über den Galizienmythos in der zeitgenössischen polnischen Prosa), die schon im Titel den Zusammenhang zwischen „Österreich“ und „Galizien“ anspricht.

Mit der Wende scheint aber auch das Ende für den Österreich-Mythos in der polnischen Literatur gekommen zu sein, in der neuen gesellschaftspolitischen Realität der Dritten Polnischen Republik hat die kompensatorische Funktion dieses Mythos ihre Bedeutung verloren. Das heißt aber nicht, dass Galizien als Thema in der polnischen Literatur völlig verschwunden wäre, es taucht weiterhin in publizistischen Texten auf, nicht aber in der kreativen Fiktion. Dafür werden österreichische Versatzstücke mit einem Mal intensiv von einer in der Situation nach der Wende aufblühenden Konsum- und Massenkultur (→ Österreich-Mythos in der Popkultur) aufgriffen, wo sie bis heute vor allem in den Gegenden Polens, die seinerzeit zu Galizien gehörten, nicht zu übersehen sind.

Ein Wort noch zum Begriff „Mythos“, der in den meisten der erwähnten literaturhistorischen Abhandlungen nicht reflektiert verwendet, sondern eher im Sinne Magris’ als „Zerrspiegel und Mikroskop“ (Magris 1966, S. 9) der Wirklichkeit verstanden wird und damit für ein nicht-mimetisches, verklärendes Bild der geschilderten historischen Wirklichkeit des alten Österreich steht. Den ersten Versuch einer methodologischen Klärung dessen, was mit „Mythos“ gemeint sein könnte, unternimmt Ewa Wiegandt in ihrer bereits erwähnten Arbeit, wo zunächst zwischen „Mythos“ und „Stereotyp“ unterschieden wird, dann thematisch unterschiedliche „private Mythologien“ ermittelt werden und schließlich Mythos als Metatext verstanden wird. In seiner Arbeit zum Österreich-Mythos in der polnischen Literatur (1996) versucht der Verfasser „Mythos“ verstärkt als eine strukturelle Eigenschaft von Texten aufzufassen, die sich auf der Ebene des Wortes, der Aussage und der Komposition von Texten zeigt.

Bei der Untersuchung des Österreich-Mythos lassen sich bestimmte motivische Komponenten unterscheiden, die in der literarischen Konstruktion des alten Österreich immer wiederkehren, wie etwa die Gestalt des letzten Kaisers, Franz Joseph, das Staatswesen der Habsburgermonarchie, die Institution der k. k. Armee, das Kronland Galizien mit seiner multinationalen Bevölkerung u. a. Aussagen über diese Gegenstände haben eine mythologische Struktur, aufgrund derer sie mit archaischen Mythen verglichen und so als Träger des Österreich-Mythos verstanden werden können.

Der österreichische Kaiser in Person Franz Josephs I. wird in der literarischen Konstruktion mit höchster Anerkennung und Wertschätzung bedacht, denn er rangiert im hierarchischen Gebäude der Monarchie ganz oben, was ihm – in Analogie zur semantischen Qualität der Stellung „ganz oben“ – quasi göttliche Züge zukommen lässt. Das detaillierte Hofzeremoniell, das literarische Helden beim kaiserlichen Empfang kennenlernen (Z.B. in Stojowski 1972 ,S. 27f. oder Sadaj 1984, S. 55f.) – betont die Unnahbarkeit des Herrschers in seiner Stellung „ganz oben“. Umgekehrt ermöglicht aber gerade diese Stellung ein „Herabsteigen“ des Monarchen auf die Ebene der Untertanen, das sich in zahlreichen Anekdoten von kaiserlichen Gunstbezeugungen zeigt. So durchbricht der Kaiser das strenge Zeremoniell, als er sich bei einem Empfang bückt, um höchstpersönlich jene Perlen aufzuheben, die einer jungen Baronesse durch ein Mißgeschick zu Boden gefallen sind (Stryjkowski 1966, S. 42).  Er erweist sich als Retter in einer Situation, die wir auch aus Joseph Roths Radetzkymarsch kennen: ein alter Bezirkshauptmann wird durch Spielschulden seines Sohnes in höchste Not gebracht, aus der ihn nur mehr der Kaiser selbst retten kann, der diese Schulden aus eigener Tasche bezahlt (Mackiewicz-Cat 1961, S. 327f.).  Im Herabsteigen stellt der Kaiser nicht nur seine Güte, sondern auch seine „mediocritas“, nach Magris einen grundlegenden Zug des Habsburgischen Mythos unter Beweis (Magris 1988, S. 18f.): Er liebt die Jagd in Bad Ischl, die nachmittägliche Tasse Kaffee mit Kipferl aus den Händen der Katharina Schratt, gemütliche Spaziergänge im Park von Schönbrunn (Kudliński 1980, S. 58).  Diese seine Mittelmäßigkeit aber verbindet den Herrscher mit breiten Schichten der Bevölkerung seiner Untertanen. Diese Verbundenheit zeigt sich in der Art, wie der Kaisergeburtstag als ein Fest für alle von allen in allen Teilen der Monarchie gefeiert wird (Stryjkowski 1966, S. 3).  Der Kaiser begründet auch – wie ein archaischer Kultheros – eine Chronologie, die sich von der profanen Zählung der Jahre unterscheidet. Kaiserliche Akte der Herablassung machen Geschichte, verleihen einem beliebigen Ereignis den Rand des Historisch-Einmaligen. So stirbt mit dem Tod Franz Josephs im November 1916 auch das ganze 19. Jh., „das hartnäckig andauerte bis zum Todesdatum des ehrwürdigen Monarchen“ „który przetrwał z uporem aż do daty śmierci dostojnego monarchy“ (Kuśniewicz 1974, S. 30).

Analogien zu archaisch-mythischen Vorstellungen sind auch dort gegeben, wo es um das Bild des Kaisers geht, sowohl was dessen beispielgebende äußere Erscheinung, als auch was dessen genormtes Abbild betrifft. Die äußere Erscheinung des Monarchen wird auch in der literarischen Rekonstruktion von dessen Backenbart dominiert, einer Form der Barttracht, die bewusst von den Angehörigen der verschiedensten Stände „nach dem allerhöchsten Beispiel des Monarchen“ „za najwyższym przykładem monarchy“ (Kudliński, 1980, S. 44) nachgeahmt wird. So tragen Aristokraten und Gutsbesitzer einen solchen Bart, aber auch Gendarmen, Portiere, Kutscher und Synagogendiener. Die Ähnlichkeit aller Träger eines Backenbartes mit dem Kaiser lässt sich im Sinn einer mythologischen Beziehung zwischen Urbild und Abbild verstehen, die auch eine bestimmte Zugehörigkeit zum Ausdruck bringt, welche standesübergreifend ist und alle Bartträger in einer spezifischen Gemeinschaft verbindet. Andererseits ist mit der Interpretation dieses spezifisch kaiserlichen Attributs auch eine deutlich ironische Note gegeben, die eine Art notwendiger Kehrseite der mythologischen Rekonstruktion darstellt; nur mit ironischer Brechung ist dieser Rückgriff auf archaische Vorstellungen möglich:

Bokobrody starego cesarza, którego portrety spoglądały z jednakową pobłażliwością ze ścian komend policji i recepcji lupanarów, spinały niby abstrakcyjne klamry wszystkie obsesje, mity i fobie w całość nie znoszącą komplikacji i podziałów, gdyż Kakania szukała zawsze form najprostszych (Pażniewski 1982, S. 20).

(Der Backenbart des alten Kaisers, dessen Bilder mit der gleichen Nachsichtigkeit von den Wänden der Polizeiwachstuben und den Rezeptionen von Etablissements blickten, faßte wie mit einer abstrakten Klammer alle Obsessionen, Mythen und Phobien zu einer Ganzheit zusammen, die keine Komplikationen und Aufsplitterungen duldete, da Kakanien immer nach den allereinfachsten Formen suchte.)

 Neben dem Kaiser gehört der alte österreichische Staat, die Donaumonarchie, zu den bevorzugten Topoi des Österreich-Mythos. Sie hat die mythologischen Züge eines Kosmos, in dem alles und jedes seinen Platz hat, der umgekehrt auch Stabilität und Sicherheit für die einzelnen Elemente in diesem Kosmos verbürgt. Große territoriale Ausdehnung einerseits sowie eine streng hierarchische Gliederung im Innern dieses Staates unterstreichen dessen kosmische Funktion. Die hierarchische Gliederung des Gesamtstaates zeigt sich am Beispiel der Hauptstadt Wien:

Obcego zastanawiała najwięcej sama struktura stolicy, podobnej do wieży bez schodów, której każda kondygnacja stanowiła zamkniętą w sobie całość. Na szczycie, tonąc w chmurach, stał zamek, die Burg, ze starym cesarzem i dynastią (Stempowski 1971, S. 321).

(Dem Fremden gab am meisten die Struktur der Hauptstadt zu denken, die einem Turm ohne Treppen ähnlich war, dessen einzelne Geschosse eine je in sich geschlossene Ganzheit darstellten. An der Spitze, in den Wolken verschwindend, stand das Schloß, die Burg, mit dem alten Kaiser und der Dynastie.)

Diese Ordnung bedeutet für den Einzelnen Sicherheit, Regelmäßigkeit und Planbarkeit seines Lebens. Föderalismus und Legalismus, Liberalismus und Toleranz sind Vorzüge dieses Staates, die ihn als einen Lebensraum ausweisen, der die Existenz seiner Bürger begünstigt. Das Wohlbefinden des Einzelnen zeigt sich auch in der Musik-, Sangesund Tanzfreudigkeit der Bewohner, die über alle Schwierigkeiten der großen Politik hinweghilft:

Ekspansywne Prusy coraz bardziej uzależniają słabą domenę Habsburgów. Na Balkanach jątrzyła przeciw niej Rosja. Jednak te wstrząsy i dramaty nie zaklócają wesołej niefrasobliwości Wiednia i Budapesztu, walc i czardasz panowały niepodzielnie, książęta i hrabiowie bawili się w swych okazałych pałacach na Herrengasse, plebs tańczył i śpiewał na Praterze (Nowakowski 1989, S. 199).

(Das expansive Preußen bringt die schwache habsburgische Hausmacht in immer größere Abhängigkeit. Auf dem Balkan hetzte Rußland gegen Österreich. Diese Erschütterungen und dramatischen Ereignisse können allerdings die fröhliche Unbekümmertheit Wiens und Budapests nicht stören, Walzer und Csárdás herrschten uneingeschränkt, Fürsten und Grafen unterhielten sich in ihren prächtigen Palais in der Herrengasse, der Plebs tanzte und sang im Prater.)

 Die musische Komponente des Österreichischen, die hier angesprochen wird, ist auch eines der konstitutiven Element des Topos Arkadien – damit kommen auch der Donaumonarchie arkadische Qualitäten zu, einmal mehr in der erwähnten ironisch gebrochenen Sicht – die musische Qualität dieses Kosmos ist die der Operette. Das Potpourri, das in einem der vielen österreichischen Kurorte von der dortigen Kapelle beim nachmittäglichen Konzert gespielt wird, soll, wenn auch nicht ohne Ironie, die Einheit aller der Völker dokumentieren, die vom greisen Kaiser regiert werden (Kudliński 1980, S. 49).

Der ideale Charakter des alten Österreich tritt, wie das auch für andere Ausprägungen des Topos Arkadien gilt, erst im Nachhinein, nach dessen Untergang, zutage. Nach dem Untergang dieses Staates wird dessen kosmischer Charakter erst recht deutlich, wie aus dem Bild der Götterdämmerung hervorgeht:„Czyżby nadchodził zmierzch bogów? Zmierzch panowania i stolicy naddunajskiej, i genialnych rodaków? Otwierała się jakaś pustka i nicość, bo cóż mogło czy miało zastąpić lub nastąpić potem?” (Kudliński 1980, S. 79), (War denn eine Götterdämmerung im Anzug? Das Ende der Herrschaft sowohl der Hauptstadt an der Donau als auch der genialen Vorfahren? Eine Leere und ein Nichts taten sich auf, denn was konnte oder sollte anstelle dessen oder danach kommen?).

Die konkrete Ordnung im habsburgischen Kosmos wird in erster Linie von einem Verwaltungsapparat, der k. k. Bürokratie, verwirklicht, die aus einer Unzahl von Beamten der verschiedensten Ränge besteht. Der Kaiser selbst versteht sich als oberster Beamter, als „oberster Diener“ des Staates, dem er einen „Kult des Rechts und der Vorschrift „kult prawa i regułaminu“ (Mackiewicz-Cat 1961, S. 234) auferlegt. Ungeachtet aller ihrer Schwächen gelingt es diesen Beamten, auch in die am weitesten entfernten Kronländer jene Ordnung zu bringen, die für das Funktionieren des Staates notwendig ist und ein regulatives Gegengewicht zum vielfach beschworenen Hedonismus darstellt:

Czasem wydawało się, że Austro-Węgry istnieją dzięki wystarczającym zapasom papieru, kalki, spinaczy, olówków kopiowych i innych przyborów piśmienniczych, ponieważ chora na ideę walca Kakania dla zrównoważenia swych szaleństw szukała opamiętania w godzinach urzędowych (Pażniewski 1982, S. 18f.).

(Manchmal schien es, dass Österreich-Ungarn nur dank eines ausreichenden Vorrats an Papier, Blaupause, Büroklammern, Kopierstiften und anderen Schreibgeräts existierte, weil das an der Idee des Walzers kranke Kakanien in den Bürostunden Besinnung suchte zum Ausgleich für seine Tollheiten.)

 Allerdings ist diese Ordnung immer in Gefahr zum Selbstzweck zu werden und die Vorzüge einer funktionierenden Verwaltung von den Auswüchsen der Bürokratie gefährden zu lassen, was mit der auch für die Rekonstruktion typischen Ironie aufgezeigt wird. So muss ein kleiner Beamter schon am Beginn seiner Laufbahn feststellen, dass die wichtigen Posten nicht mit den fähigsten, sondern mit reichen Leuten mit guten Beziehungen besetzt werden (Sadaj 1989, S. 205).  Schlechte Beamte, die dem kaiserlichen Vorbild nicht entsprechen, gefährden die Ordnung im Kosmos. So ein gewisser Kreishauptmann, der, um in den Besitz des polnischen Adels in seinem Gebiet zu kommen, Dokumente fälscht, Zeugen besticht und Unschuldige einkerkern lässt (Sadaj 1989, S. 209).  Dagegen steht jedoch das Ideal des absolut kaisertreuen Beamten, wie es z. B. in der Gestalt eines k. k. Konsuls gezeichnet wird, der auch nach dem Untergang des alten Österreich sein Konsulat aufrechterhält, zum Kaisergeburtstag die schwarz-gelbe Fahne hisst und bei den Klängen des Radetzkymarsches stirbt (Pażniewski 1983, S. 210f.).  Solche Beamtenfiguren, die an ähnliche Typen in der österreichischen Literatur erinnern, stehen für einen Kult der Bürokratie, der nach Claudio Magris einen wichtigen Zug des Österreich-Mythos darstellt (Magris 1988, S. 17ff.).

Weil der Österreich-Mythos in der polnischen Literatur zu einem guten Teil auch mit einem Galizien-Mythos zusammenfällt, überrascht es nicht, dass das ehemalige Kronland Galizien und Lodomerien eine wichtige Stelle unter all jenen Aussagen einnimmt, die sich auf das alte Österreich beziehen. So wie die Monarchie im Ganzen verfügt auch Galizien über die Züge eines Kosmos, der vor allem durch den Ausgleich von Spannungen zwischen einzelnen Nationalitäten zu einem idealen Lebensraum für seine Bewohner wird. Die Harmonie in diesem Raum ist allerdings nicht naturgegeben, sie hat eine lange und wechselvolle Geschichte, an deren Ende die berühmte Erklärung einer galizischen Delegation an den Kaiser Franz Joseph vom Jahresende 1866 steht: „Przy Tobie, Najjaśnieszy Panie, stoimy i stać chcemy!“(Mackiewicz-Cat 1961, S. 317; Stojowski 1972, S. 59; Kuśniewicz 1985, S. 21.), Bei Dir, allererlauchtester Herr, stehen wir und wollen wir stehen! In der auf diese Deklaration hin gewährten sog. „Galizischen Autonomie“ von 1867 ist – in literarischer Sicht – der seit 1772 bestehende Gegensatz zwischen Polen und Österreich endgültig aufgehoben, man kann jetzt sehr wohl polnischer Patriot und zugleich auch loyaler Bürger des österreichischen Staates sein („można być dobrym Polakiem, patriotą, a zarazem uczciwym Austriakiem, bez żadnego rozdarcia w sumieniu, nie popełniając zdrady narodowej“), (Gołubiew 1984, S. 64). Und es dauert nicht mehr lang, bis dass polnische Politiker aus Galizien die höchsten Ämter in diesem Staat bekleiden und auf dessen Geschicke entscheidenden Einfluss nehmen:

W roku 1897 premierem był Polak, Kazimierz hr. Badeni, ministrem spraw zagranicznych Polak, Agenor hr. Gołuchowski młodszy, ministrem skarbu Polak, Leon Biliński, poza tym czwartym ministrem Polakiem w tym rządzie był minister dla Galicji – Rittner. Prezydentem Izby Poselskiej był także Polak, Dawid Abramowicz. Ponieważ Badeni był jednocześnie ministrem spraw wewnętrznych, więc można bez przesady powiedzieć, że wszystkie kluczowe resorty były w rękach Polaków łącznie z kierownictwem parlamentu (Mackiewicz-Cat 1961, S. 317).

(Im Jahr 1897 war ein Pole Ministerpräsident, Kazimierz Graf Badeni, Außenminister war ein Pole, Agenor Graf Gołuchowski jun., Finanzminister ein Pole, Leon Biliński, außerdem gab es einen vierten polnischen Minister in dieser Regierung, den Minister für Galizien, Rittner. Parlamentspräsident war auch ein Pole, Dawid Abramowicz. Weil Badeni zugleich auch Innenminister war, kann man also ohne Übertreibung sagen, dass alle Schlüsselstellen in den Händen von Polen lagen, einschließlich der Leitung des Parlaments.)

 Die Kehrseite dieser Erfolgsgeschichte, dass nämlich das sog. „Polnische Kabinett“ des Ministerpräsidenten Badeni nur ein knappes Jahr im Amt war, dass der Minister für Galizien über kein eigenes Budget verfügte, dass schließlich die Autonomie von 1867 nur den Polen, nicht aber den Ukrainern in Galizien zugute kam, wird bei einer derart positiven Sicht des polnisch-österreichischen Interessensausgleichs nicht erwähnt. Dennoch finden sich unter den Aussagen, die das alte Galizien thematisieren, immer wieder auch kritische Bemerkungen, was die wirtschaftliche Rückständigkeit dieses Kronlands und die materielle Not vieler seiner Bewohner anlangt. Immer wieder kommt die Rede auf die „Galizische Not“,  „Nędza Galicji“ nach einem gleichlautenden Buchtitel von Stanisław Szczepanowski (Gołubiew 1984, S. 49; Kudliński 1980, S. 77) und wird die offizielle Bezeichnung des Kronlands, „Galizien und Lodomerien“, umgedeutet in „Gołicja“ (von poln. „goły“ – nackt) und „Głodomeria“ (von poln. „głód“ – Hunger). Aber auch diese eklatanten Mängel können nicht an einer positiven Gesamteinschätzung Galiziens rütteln, die zum einem aus dem Vergleich mit der Situation im russischen Teilungsgebiet folgt – mag es auch in Galizien Mängel geben, im Zarenreich leben die Polen um vieles schlechter – und zum anderen aus der Brückenfunktion Galiziens zum Westen, nach Europa, die dieses Kronland erfüllte, solang es keinen polnischen Staat gab; diese Funktion wird aber, wie viele andere positive Qualitäten Galiziens, aus dem Nachhinein, nach dessen Untergang ersichtlich:

…my tutaj w Galicji poprzez dawną Austrię, a teraz Rzeczpospolitą jesteśmy związani z Europą. Zawsze w przeszłości Galicja, choćby nie wiem jak zaniedbana, ciążyła ku kulturze europejskiej (Stryjski 1984, S. 216).

(…wir hier in Galizien sind über das alte Österreich, jetzt aber die Republik Polen, mit Europa verbunden. Immer tendierte Galizien in der Vergangenheit, wenn es auch weiß Gott wie heruntergekommen war, zur europäischen Kultur.)

 Galizien war aber bekanntlich nicht nur von Polen und Österreichern bewohnt, sondern von einer Vielzahl anderer ethnischer Gruppen, unter denen vor allem die Juden und die Ruthenen herausragen, die dementsprechend auch ihren Platz im Österreich-Mythos der polnischen Nachkriegsliteratur haben. Den Juden kommt in dieser Darstellung eine stark integrative Tendenz zu. Sie sind die nationale Gruppe, die am meisten zum Zusammenhalt der Habsburgermonarchie beiträgt, während die Ukrainer, in der österreichischen Terminologie die Ruthenen, mit ihren separatistischen Ambitionen zum Zerfall dieses Staates beitragen. So sind die Juden besonders kaisertreu und stehen deshalb unter der besonderen Obhut des Monarchen: „Die Juden sind auch mein Volk“ soll Franz Joseph gesagt haben (Stryjkowski 1988, S. 30), weshalb auch in jeder Synagoge an einem jeden Sabbat für den Kaiser gebetet wird (Stryjkowski 1966, S. 63).  Die Bedeutung der Juden als Bindeglied in einem übernationalen Staatgebilde wird einmal mehr aus dem Nachhinein klar, aus der Situation nach dem Holocaust, dem diese Gruppe der galizischen Bevölkerung zum Opfer gefallen ist:

Nie będzie już, dziś już nie ma Żydów na obszarze byłych Austro-Węgier, ich, którzy zawsze lojalni, roznosili po całej monarchii swą ruchliwą krzątaniną, językiem wyrosłym na naszej mowie – ducha wspólnoty… nie byli właściwie ani czescy, ani węgierscy, ani galicyjscy, byli – oni jedyni (obok kasty oficerskiej i urzędniczej) – austro-węgierscy, czarno-żółci i cesarscy… (Kuśniewicz 1974, S. 12).

(Es wird keine mehr geben, es gibt sie schon heute nicht mehr, die Juden im Gebiet des ehemaligen Österreich-Ungarn, sie, die immer loyal, mit ihrem emsigen Gehabe und ihrer Sprache, die aus unserer entstanden ist, den Geist der Gemeinschaft in die ganze Monarchie hinaustrugen… sie waren eigentlich weder tschechisch noch ungarisch oder galizisch. Sie waren – sie allein (neben der Offiziersund Beamtenkaste) – österreichisch-ungarisch, schwarz-gelb und kaiserlich, sie waren die vollkommenste Verkörperung der Vergangenheit…)

 So sehr die Juden den Bestand des habsburgischen Kosmos gewährleisten, so sehr stellen ihn die Ruthenen in Frage. Immer wieder sympathisieren sie aufgrund ihres griechisch-katholischen Glaubens mit den orthodoxen Russen und sehen Rußland als ihr eigentliches Vaterland an „Dużo jest wśród Rusinów, wśród ludności greckokatolickiej, moskalofilów. Oni uważaja za swój kraj Rosję“ (Stryjkowski 1966, S. 47). Die Ermordung des Statthalters von Galizien, des polnischen Grafen Potocki, im Jahr 1909 durch den jungen Ukrainer Sičyns’kyj, von den ukrainischen Nationalisten als gerechte Strafe für die Unterdrückung der ukrainischen Bevölkerung durch die Polen empfunden „Ta kula, która ugodziła śmiertelnie namiestnika Galicji, hrabiego Potockiego, odlana jest z krzywdy naszego narodu! Siczyńskiemu cześć i chwała!“ (Prajs 1960, S. 45), stellt einen ersten Höhepunkt in der Auseinandersetzung zwischen den beiden zahlenmäßig größten Gruppen in Galizien dar und ist zugleich ein Signal dafür, dass der österreichische Kosmos des Miteinander gefährdet ist. Die Kämpfe um Lemberg zwischen Polen und Ukrainern, kaum dass der Erste Weltkrieg zu Ende und Galizien untergegangen ist, zeigen, dass die österreichischgalizische Harmonie einem tödlichen Antagonismus gewichen ist. Zu spät kommt die – allerdings nur in der polnischen Literatur überlieferte – Mahnung des griechischkatholischen Metropoliten Andrij Šeptyc’kyj „Nur mit Polen! Denkt daran und gebt es weiter: nur mit Polen“, „Tylko z Polską! Pamiętajcie i przekażcie: Tylko z Polską!“ (Schleyen 1967, S. 22), die einmal mehr das alte galizischen Miteinander beschwört.

Auch die Armee des alten Österreich hat ihren festen Platz im Österreich-Mythos. Sie steht zunächst für die Multi- und Übernationalität dieses Staates, dessen wesentlichste Stütze sie ist. In der Armee, vor allem im Offiziercorps, dienen Vertreter der verschiedensten Nationalitäten, die aber ein- und dieselbe Uniform tragen, in ein- und derselben Sprache verkehren (Deutsch als Kommando- und Umganssprache) und für ein- und dieselben Ideale einstehen. So ist auch die Armee ein verkleinertes Abbild der Monarchie, ein Mikrokosmos im Makrokosmos.

Nasz – ojca i mój – c.k. pułk ułanów imienia następcy tronu Franciszka Ferdynanda Habsburg-Este. Czerwone spodnie. Błękitne ułanki. Zielone czaka. Zbiorowisko ludzi o nazwiskach pochodzących ze wszystkich krajów byłej monarchii. Rukavina, Rokitantzky, hrabia Clary und Aldringen, Sihlava, książę Liechtenstein und doktor Rauch. Razem. Właściwie w jednej rodzinie (Kuśniewicz 1974, S. 140).

(Unser – Vater und mein – k. k. Ulanenregiment, benannt nach dem Thronfolger Franz Ferdinand Habsburg-Este. Rote Hosen. Hellblaue Ulanenjacken. Grüne Tschakos. Eine Ansammlung von Menschen mit Namen, die aus allen Ländern der ehemaligen Monarchie stammten. Rukvina, Rokitantzky, Graf Clary und Aldringen, Sihlava, Fürst Liechtenstein und Dr. Rauch. Zusammen. Eigentlich in einer Familie.)

Die von den Namen in unterschiedlichen Sprachen verkörperte Multinationalität der Armee stellt nach Claudio Magris eine der zentralen Komponenten des Habsburgischen Mythos dar (Magris 1988, S. 13ff.).  Der Offiziersstand, der bei der Rekonstruktion der k. k. Armee in der polnischen Nachkriegsliteratur im Vordergrund steht, konstituiert eine mythologische Verwandtschaft, die an die Stelle einer genuinen Butsverwandtschaft tritt und die Idee von der großen Familie der k. k. Armeeangehörigen erzeugt. Äußeres Merkmal der Zugehörigkeit zu dieser Familie sui generis ist die Uniform, deren Beschreibung in den literarischen Schilderungen große Bedeutung zukommt. Die elegante, farbenprächtige Offiziersuniform läßt einen mythologischen Schluß auf die Stärke und Schlagkraft dieser Armee zu:

Huzar stał w ramie okna jak obrazek. Połyskiwał w skośnych promieniach słońca czakiem ze szczoteczką na przodzie, w niebieskim kubraczku i czerwonych spodniach mienił sie cały od sznurów plecionych i złotych guzów. Takie wojsko! Jak można było wątpić o zwycięstwie! (Stryjkowski 1966, S. 61f.).

(Der Husar stand im Fensterrahmen wie gemalt. In den schrägen Strahlen der Sonne glänzte sein Tschako mit dem Schild vorne, sein hellblauer Waffenrock und die roten Hosen schillerten von geflochtenen Schnüren und goldenen Knöpfen. So eine Armee! Wie konnte man da am Sieg zweifeln!)

 Die Entlarvung dieses Zusammenhangs aber erfolgt unmittelbar darauf, als sich herausstellt, dass dieser „schöne“ Soldat der Rest von einem ganzen Regiment ist, das vom Feind aufgerieben wurde. Das mythologische Potential der schönen Uniform wird nicht eingelöst, diese „falsche“ Schönheit eignet sich bestenfalls für die Operette: „Das Militär war generell so farbenprächtg, daß es von der Straße weg direkt auf die Operettenbühne gehen können hätte“, „wojsko w ogóle było tak kolorowe, że mogło wprost z ulicy iść na scenę operetki…“ (Rusinek 1975, S. 16). Damit rückt das Militär wider Erwarten in die Nähe der leichten Muse, verweist auf ludistische Züge, die dem schon erwähnen österreichischen Hedonismus entsprechen. So dominieren auch in der Erinnerung an die Armee die Militärkapellen, die Militärmusik, die sonntäglichen Platzkonzerte und der Radetzky-Marsch – die repräsentative Funktion der Armee scheint wichtiger zu sein als ihre eigentliche, militärische.

Der Österreich-Mythos in der polnischen Literatur wird aber nicht nur mit Hilfe von Aussagen zu einzelnen Bereichen des alten Österreich konstruiert, er wird auch auf sprachlicher Ebene durch eine Fülle von Entlehnungen aus dieser Welt erzeugt. So ist auch die sprachliche Oberfläche von Texten in Betracht zu ziehen, wenn es darum geht, den Österreich-Mythos in seinem vollen Umfang zu ermitteln. Es lassen sich in großer Zahl Realien, Namen, Zitate aus denjenigen Bereichen, die schon auf der Ebene der Aussage thematisiert wurden, finden, welche aufgrund ihrer deutschen sprachlichen Form im Text als Einsprengsel markiert sind. Mit dieser fremdsprachlichen Form werden zusätzliche, konnotative Bedeutungen eingebracht, die die ursprüngliche, denotative Bedeutung des jeweiligen Begriffs in den Hintergrund treten lassen. Damit werden Bedeutungen zu Zeichen – ein Prozess, den Roland Barthes als wesentlich für die Bildung von Mythen ansieht (Barthes 1957).  So ist auch auf der Ebene des sprachlichen Ausdrucks Mythos als eine Form von Metasprache gegeben.

Entlehnungen aus dem Bereich der Küche und der Gastronomie sind besonders typisch, sie bezeichnen nicht nur Realien, die eigentlich unübersetzbar sind und daher übernommen werden müssen, sondern verweisen auf den hedonistischen Grundzug des Österreich-Mythos – gutes Essen, vor allem die für die Wiener Küche typischen Süßspeisen, stehen für kulinarische und sinnliche Freuden:

Sławne Kaiserschmarren z rodzynkami (przetłumaczone na polski „grzybek!?”), czy nasze kochane knedle ze śliwkami przezwane nad Dunajem Zwetschkenknödel, czy wreszcie poczciwe naleśniki – po-wiedeńsku: Palatschinken“ (Kudliński 1980, S. 82), [Herv. A. W.].

 Speisen und Essgewohnheiten überdauern die historische Zeit des alten Österreich, Begriffe wie „kajzerki“ („Kaisersemmel“) finden sich in manchen Teilen Polens bis heute. Speisen und Getränke, in den Texten in der jeweiligen österreichisch-deutschen Bezeichnung präsent, werden zu Indikatoren für jene verschwundene Welt, die als politische Größe lang schon der Vergangenheit angehört, als Chiffre für einen bestimmten Lebensstil aber nach wie vor gegenwärtig ist: „…dawna monarchia Habsburgów sięga tam gdzie sztrudel jest znany i otoczony należytym kultem“ (Kuśniewicz 1987, S. 199), (…die alte Habsburgermonarchie reicht soweit, als der Apfelstrudel bekannt ist und mit dem ihm gebührenden Kult umgeben wird).

Eine solche repräsentative Funktion kommt auch dem Wiener Kaffeehaus bzw. den mit dieser Institution verbundenen Realien zu: „Kaffe mit Schlagsahne“, „kapucyn“ (Kapuziner, vgl. ital. capuccino), „calkelner“ (Zahlkellner), „picolo“ (Piccolo – der jüngste Bedienstete unter den Kaffehausangestellten), „Herr Ober, zahlen bitte“ u. a. Ganz gleich, ob solche Einschübe im deutschen Originalwortlaut oder in phonetisch adaptierter polnischer Form wiedergegeben werden, sie verweisen aufgrund ihrer sprachlichen Markiertheit – und nur aufgrund dieser Auszeichnung – darauf, dass es nicht mehr um das jeweilige Denotat, z. B. eine bestimmte Art von Kaffee geht, die nur in Wien bzw. dem Wiener Kaffeehaus zu haben war; Einschübe dieser Art sind Zeichen aus einem österreichischen kulturellen Code, die einen Lebensstil signalisieren, der mit der Institution des Kaffeehauses verbunden ist und als speziell österreichisch gilt; er umfaßt den erwähnten Hedonismus ebenso wie das Kaffeehaus als Treffpunkt der Kunst und der Bohème („W separatkach ‚Kawiarni Wiedeńskiej‘, tego lupanaru i siedliska wszelkich degeneracji, przyłapano szóstoklasistów z szansonistkami!“ (Stryjkowski 1966, S. 40), (In den Séparées des ‚Wiener Kaffeehauses‘, dieser Höhle des Lasters und aller Degeneration, hat man Sechstklässler mit Soubretten erwischt)). Im Wiener Kaffeehaus, das sich in so gut wie allen galizischen Provinzstädten und Badeorten findet, ist zugleich auch ein kleines Stück „Wien“ präsent und wird auf diese Weise eine Verbindung zwischen der entfernten, marginalen Provinz und der Reichs- und Residenzstadt hergestellt. Das Kaffeehaus mit allen seinen Accessoires ist also ein Teil jenes gemeinsamen Zeichenvorrats, den Galizien mit dem übrigen Österreich gemeinsam hat, und das nicht nur zu Zeiten des Bestehens der Habsburgermonarchie: „Upadały monarchie i rządy, a kawiarnia pozostawała miejscem, do którego przychodzili przede wszystkim wojskowi. Zmieniały się tylko kroje i barwy mundurów“ (Pażniewski 1983, S. 181).  (Monarchien und Regierungen brachen zusammen, das Kaffeehaus aber blieb ein Ort, der vor allem von Militärs besucht wurde. Es änderten sich nur die Schnitte und Farben der Uniformen).

Das alte Österreich als ein bestimmter Vorrat von Zeichen ist in Polen auch außerhalb der literarischen Fiktion präsent, sowohl vor der Wende, als auch nachher. Konnte man vor der Wende von 1989 österreichische Zeichen in Form von Geschirr- und Gläserresten, Einrichtungsgegenständen und anderen Relikten einer Alltagskultur finden (Anna Strońskas Roman-Essay Tyle szczęścia dla szewców – 1977 – beschreibt die Jagd nach solchen Erinnerungsstücken), so werden diese Fragmente einer alten Welt nach der Wende vor allem in kommerzieller Hinsicht verwertet – es entstanden galizische Restaurants, aber auch Radiosender, und das Bild Franz Josephs schmückt bis heute nicht nur Mineralwasserflaschen. Der Österreich-Mythos ist mit dieser Form seines Nachlebens nicht mehr auf die Literatur beschränkt, er hat andere Formen seiner Existenz angenommen.

 

 

Literatur:


Primärliteratur

Gołubiew, Antoni: Szaja Ajzensztok, Kraków 1984.

Kudliński, Tadeusz: Saga rodu Grabowskich, in: idem, Opowiadania zlośliwe i przewrotne, Kraków 1980.

Kuśniewicz, Andrzej: Eroica, Warszawa ²1974.

Kuśniewicz, Andrzej: Mieszaniny obyczajowe, Warszawa 1985.

Kuśniewicz, Andrzej: Nawrócenie, Kraków 1987.

Mackiewicz-Cat, Stanisław: Był bal. Szkice historyczne, Warszawa 1961.

Nowakowski, Marek: Elegia o umarłym świecie, in: Ders.: Karnawał i post, Warszawa 1989.

Pażniewski, Ryszard: Kakania, in: Ders.: Życie i inne zajęcia, Warszawa 1982.

Pażniewski, Ryszard: Krótkie dni, Warszawa 1983.

Prajs, Julia: Krzywe litery, Warszawa 1960.

Rusinek, Michał: Opowieści niezmyślone dawne i nowe, Kraków 1975.

Sadaj, Ryszard: Galicjada, Kraków 1984.

Sadaj, Ryszard: Kraina niedźwiedzia, Szczecin 1989.

Schleyen, Kazimierz: Lwowskie gawędy, London 1967.

Stempowski, Jerzy: Od Berdyczowa do Rzymu, Paris 1971.

Stojowski, Andrzej: Kareta, Warszawa 1972.

Strońska, Anna: Tyle szczęścia dla szewców, Warszawa 1977.

Stryjkowski, Julian: Austeria, Warszawa 1966.

Stryjkowski, Julian: Echo, Warszawa 1988.

Stryjski, Karol Józef: Horynieccy, Łódź 1984.


Sekundärliteratur

Baran, Anna; Baran, Zbigniew: Michał Bobrzyński a mit Habsburgów, in: Znak (1984), Nr. 350, S. 95–102.

Barthes, Roland: Mythologies, Paris 1957.

Dyczek, Ernest: Mit austriacki, in: Kultura (1986), Nr. 19.

Kaszyński, Stefan H.: Śmierć w Galicji, in: Nurt (1987), Nr. 2, S. 12–14.

Magris, Claudio: Der Habsburgische Mythos in der Österreichischen Literatur, Salzburg 1988.

Pażniewski, Włodzimierz: Literacka kariera Galicji, in: Polityka (1987), Nr. 10.

Wiegandt, Ewa: Austria Felix, czyli o micie Galicji w polskiej prozie współczesnej, Poznań 1988.

Woldan, Alois: Der Österreich-Mythos in der polnischen Literatur, Wien – Köln – Weimar 1996.

 

 

Woldan, Alois, em. Univ.-Prof., verfasste den Beitrag „Der Österreich-Mythos in der polnischen Literatur“. Er war Professor an der Universität Wien und arbeitet in den Bereichen polnische und ukrainische Literatur, literarisches Galizien.

 

 

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