Emilia Jaroszewska

Deutsch-polnische Ehen – Statistik, Umstände, Beziehungsmodell und Kommunikation

Deutsch-polnische Ehen –  Statistik, Umstände, Beziehungsmodell und Kommunikation


Deutsch-polnische Ehen – zahlenmäßige Bedeutung und wichtigste Trends

2019 wurden in Deutschland mehr als 416.000 Ehen geschlossen. In der überwiegenden Mehrzahl waren dies deutsch-deutsche Ehen; der Anteil der Beziehungen, an denen Per­sonen anderer Nationalität beteiligt waren, war jedoch mit etwa 15 % relativ hoch. Ei­nen erheblichen Anteil daran hatten Ehen zwischen einer Ausländerin und einem Deut­schen (6,4 %) sowie Ehen zwischen einer Deutschen und einem Ausländer (5 %) – 2019 wurden 48.347 Ehen dieser Art geschlossen. Ehen ohne Beteiligung einer deutschen Staatsbürgerin oder eines deutschen Staatsbürgers machten knapp 4 % aus – wovon in der Hälfte der Fälle beide Ehepartner aus demselben Herkunftsland kamen. Das Gros der binationalen Ehen in Deutschland waren folglich Beziehungen mit einer deutschen Partnerin oder einem deutschen Partner.

Migranten aus Polen belegten in der Statistik der binationalen PartnerInnen Rang drei. 2019 wurden insgesamt 2.404 deutsch-polnische Ehen eingegangen, was etwa 5 % al­ler Ehen zwischen Deutschen und AusländerInnen entspricht. An erster Stelle lagen MigrantInnen aus der Türkei (8.017 Ehen), auf Platz zwei folgten MigrantInnen aus Italien (3.107 Ehen). EhepartnerInnen aus anderen Herkunftsländern waren deutlich seltener vertreten, einzig Ehen mit Russen und Russinnen überschritten als vierthäu­figste Kombination noch die Zweitausender-Grenze (2.063 Ehen). Wenngleich in den letzten Jahren die Zahl der deutsch-polnischen Ehen rückläufig war (1999 belegten Po­len und Polinnen den ersten Platz in dieser Statistik – 6.172 Ehen, das entsprach damals 10,5 % aller binationalen Eheschließungen mit deutscher Beteiligung in Deutschland), ist ihre Zahl aber weiterhin hoch. Man schätzt, dass in Deutschland von Anfang der 1970er Jahre bis 2019 etwa 190.000 deutsch-polnische Ehen (etwa 175.000 zwischen 1990 und 2019) geschlossen wurden. Die genaue Zahl der unverheirateten Paare ist nicht bekannt, geht man jedoch davon aus, dass gemischtgeschlechtliche, nichteheliche Lebensgemeinschaften in Deutschland etwa 10 % aller Paare ausmachen (Baumann/Hochgürtel/Sommer 2018, S. 52–54), kann man von etwa 200.000 in den letzten fünfzig Jahren in der Bundesrepublik Deutschland geschlossenen Lebensgemeinschaften sprechen (Hierzu müssen noch die Ehen gezählt werden, die in der Republik Polen geschlossen wurden, allerdings handelt es sich dabei um eine relativ geringe Zahl).

Quelle: Grafik der Autorin, auf der Grundlage von Daten des Statistischen Bundesamtes.

Die Zahl der deutsch-polnischen Ehen begann in den 1980er Jahren zuzunehmen (vor allem in der zweiten Hälfte). In den 1990er Jahren setzte sich dieser ansteigende Trend fort, wobei der größte Sprung in der ersten Hälfte des Jahrzehnts erfolgte, was zweifellos auf den Zusammenbruch des Ostblocks und die neue relative Reisefreiheit zurückzuführen war. In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre pendelte sich die Zahl der jährlich neu geschlossenen Ehen bei etwa 6.000 ein. Seit 2004 ist ein deutlicher Abwärtstrend zu beobachten.

Die geringere Zahl neu geschlossener Ehen kann mehrere Gründe haben. Erstens, sie spiegelt möglicherweise die demografische Entwicklung wider, die, infolge des gesellschaftlichen Wandels, allgemein zu einem Rückgang der Zahl der Eheschließungen geführt hat. Aufgrund der Aufenthaltserleichterungen nach dem Beitritt Polens zur Europäischen Union sind viele Personen, die faktisch in Partnerschaften zusammenleben, nicht mehr gezwungen, ihre Beziehungen zu formalisieren, um den Aufenthaltsstatus der Partnerin oder des Partners zu legalisieren (von einer solchen – vom Gesetzgeber unbeabsichtig­ten – Wirkung allzu restriktiver Vorschriften berichteten Ende der 1990er Jahre Migrantenhilfsorganisationen in Deutschland). Zweitens, es heiratet niemand mehr, weil er da­durch eine Aufenthaltserlaubnis erhält. Und nicht zuletzt hat möglicherweise auch die frühere Öffnung der Grenzen für polnische ArbeitnehmerInnen in Großbritannien und Irland und die Verlagerung der Migrationsströme in Richtung britische Inseln – und da­mit ein geringerer Zufluss potenzieller polnischer PartnerInnen auf den deutschen Ehe­markt – zu einem Rückgang der Zahl der deutsch-polnischen Ehen beigetragen (Untersuchungen zeigen, dass nach dem EU-Beitritt Polens die Gruppen derjenigen, die nach Großbritannien und derjenigen, die nach Deutschland emigrieren wollen, sich in ihren soziodemografischen Merkmalen unterscheiden – die nach Großbritannien auswandernden polnischen Migranten sind z.B. im Schnitt jünger und besser ausgebildet).

In Deutschland werden auch polnisch-polnische Ehen sowie Ehen zwischen Polen und anderen in Deutschland lebenden MigrantInnen geschlossen. Dabei handelt es sich je­doch um eine vergleichsweise geringe Zahl (2019 wurden 655 polnisch-polnische Ehen geschlossen und 299 Polen heirateten andere AusländerInnen – 114 Partner kamen aus der Europäischen Union, 185 von außerhalb der EU). Zur Heirat mit einem Migranten entschieden sich häufiger Polinnen als Polen (mehr als drei Viertel der Ehen dieses Typs).

Ein ähnlicher Trend lässt sich auch bei den deutsch-polnischen Ehen beobachten; in 83 % der Fälle stammt die Frau aus Polen. Deutsch-polnische Ehen sind daher vor allem Partnerschaften zwischen Polinnen und Deutschen. 2019 standen in Deutschland 1.997 Paare dieser Art vor dem Traualtar – derzeit belegen Polinnen in der nach Herkunftslän­dern aufgeschlüsselten Statistik der ausländischen Ehefrauen den zweiten Platz. Damit gehören polnische Frauen zu den am häufigsten gewählten Partnerinnen, auch wenn die Zahl der Ehen zwischen Polinnen und Deutschen im Vergleich zu Ende der 1990er Jah­re rückläufig ist und gleichzeitig die Zahl der Ehen zwischen Deutschen und Türkinnen (die im Ranking der ausländischen Ehefrauen in den letzten zehn Jahren auf den ers­ten Platz vorgerückt sind) zugenommen hat. Diese Veränderung wird deutlicher, wenn man die Daten aus verschiedenen Jahren heranzieht: 1999 stellten die Polinnen 16,5 % (5.304) aller ausländischen Ehepartnerinnen und die Türkinnen lediglich 3,5 %. 2010 lagen die entsprechenden Zahlen mit 12,5 % (Polinnen) und 9,5 % (Türkinnen) nicht mehr allzu weit auseinander, und 2019 hatte sich der Trend bereits umgekehrt – der Anteil der Polinnen lag bei 7,4 %, der der Türkinnen bei 11 %.

Tabelle 1. Ehen deutscher Männer mit Ausländerinnen (Alle Herkunftsländer, bei denen die Gesamtzahl der geschlossenen binationalen Ehen „DeutscherNichtdeutsche“ 1.000 überstieg) in der BRD 2019

 

Herkunftsland der
Ehefrau
Zahl der geschlosse-
nen Ehen
prozentualer Anteil
der Ehen vom Typ
Deutscher+ 2019
prozentualer Anteil
der Ehen vom Typ
Deutscher+ 2010
prozentualer Anteil
der Ehen vom Typ
Deutscher+ 1999
1. Türkei 2.986 11 9,5 3,5
2. Polen 1.997 7,4 12,5 16,5
3. Russland 1.767 6,6 7,5 7,0
4. Thailand 1.321 4,9 5,0 7,0
5. Ukraine 1.306 4,8 4,5 4,5
6. Italien 1.175 4,3 4,0 3,0

Quelle: Daten des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden für die Jahre 1999, 2010, 2019.

Ehen zwischen einer Deutschen und einem Polen sind viel seltener und machen gerade einmal 17 % aller deutsch-polnischen Beziehungen aus. Polnische Männer belegten in der entsprechenden Statistik 2019 erst den 14. Platz, mit 407 Ehen (das sind 1,9 % der Ehen zwischen einer Deutschen und einem Ausländer). Ähnlich wie bei den Frauen lag auch bei den ausländischen Ehepartnern die Türkei an erster Stelle, dahinter folgten Italien, Österreich, USA, Großbritannien, Niederlande und Frankreich. Auch bei der Zahl der Ehen vom Typ „Deutsche-Pole“ war ein Rückgang zu verzeichnen, wobei die­ser nicht ganz so deutlich ausfiel wie bei den polnischen Ehefrauen (Tabelle 2).

Tabelle 2. Ehen deutscher Frauen mit Ausländern (Die Tabelle umfasst die fünf häufigsten Herkunftsländer ausländischer Ehemänner deutscher Frauen sowie die entsprechenden Daten für polnische Ehemänner) in der BRD 2019

 

Herkunftsland des
Ehemanns
Zahl der geschlosse-
nen Ehen
prozentualer Anteil
der Ehen vom Typ
Deutsche+ 2019
prozentualer Anteil
der Ehen vom Typ
Deutsche+
2010
prozentualer Anteil
der Ehen vom Typ
Deutsche+
1999
1. Türkei 5.031 23,5 21,5 15,0
2. Italien 1.932 9 10 7,5
3. Österreich 871 4 4,5 3,5
4. USA 860 4 6 5,0
5. Großbritannien 761 3,5 4,0 3,0
14. Polen 407 1,9 2,5 3,0

 

Quelle: Daten des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden für die Jahre 1999, 2010, 2019.

Motive und Umstände der Eheschließung

Die überwiegende Mehrzahl der Paare lernt sich in Deutschland kennen. Es lassen sich jedoch je nach Alter der Heiratenden gewisse Unterschiede erkennen. Personen bis drei­ßig lernen sich in der Regel in Deutschland (beim Studium oder bei der Erwerbsarbeit im Ausland) kennen, bei Personen über dreißig steigt der Prozentsatz derjenigen, die ihren Partner oder ihre Partnerin in Polen kennengelernt haben, auf ein Drittel. Unter­schiedlich sind in den einzelnen Altersgruppen auch die Umstände des Kennenlernens. In der jüngsten Gruppe lernen sich die Partner oft zufällig kennen, an neutralen Orten (im Café, in der Kneipe, im Konzert, an der Hochschule). In den Gruppen der 30- bis 39-Jährigen und der 40- bis 49-Jährigen spielen gemeinsame Freunde die entscheidende Rolle, wobei es in der ältesten Gruppe relativ viele Polinnen gibt, die mit ihrem deut­schen Ehemann verkuppelt wurden. In diesen Gruppen gibt es des Öfteren auch Ehen, die mittels Partnervermittlungen angebahnt wurden.

Wirtschaftliche Gründe sind nicht das Hauptmotiv für die Schließung der meisten deutsch-polnischen Ehen, auch wenn das in der Presse häufig zu lesen und zu hören ist. Von mir durchgeführte Untersuchungen zeigen, dass bei den jüngsten Ehen in der überwiegenden Mehrheit emotionales Engagement und Liebe zum Partner eine wichtige Rolle spielen. In manchen Beziehungen scheinen materielle Elemente (weibliche Befragte erwähnen beispielsweise romantische Einladungen in elegante Restaurants und Blumen­sträuße) ein zusätzlicher, aber nicht ausschlaggebender Faktor für die Beziehung zu sein. Wirtschaftliche Gründe und materielle Sicherheit scheinen jedoch bei den Ehepartnern in den ältesten Altersgruppen eine wichtige Rolle zu spielen. In den meisten Fällen betrifft dies geschiedene Frauen, die oft keine feste Anstellung haben und in Polen gezwungen sind, ihren Unterhalt und den ihrer Kinder von niedrigen Alimenten und Sozialhilfe zu bestreiten. Doch auch in dieser Altersgruppe haben romantische Vorstellungen von der wahren Liebe sowie idealistische Vorstellungen von der Verlässlichkeit, Fürsorglichkeit und Vertrauenswürdigkeit der deutschen Partner häufig eine große Bedeutung – dieser Effekt wird noch verstärkt durch die negativen Erfahrungen und Enttäuschungen im Zusammenhang mit den zuvor in Polen gescheiterten Beziehungen (Die von der Autorin durchgeführte Studie umfasste hundert Tiefeninterviews (Gesprächsdauer in der Regel etwa drei Stunden) mit polnischen Partnern (hauptsächlich Frauen), Personen, die einen Deutschen geheiratet hatten (eine hinsichtlich Alter, Herkunft, Bildung, Deutschkenntnisse und Ehejahre heterogene Gruppe). Eine zusätzliche empirische Quelle waren Gespräche mit Vertretern von Vereinen und Einrichtungen, die Migranten unterstützen, sowie Mitarbeitern von Partnerver mittlungen und polnischen Migrantenorganisationen. Vgl. Jaroszewska 2003).

Geht es um die Motive für deutsch-polnische Eheschließungen, lohnt ein Blick auf die gegenseitige Wahrnehmung polnischer Frauen und deutscher Männer – denn dies sind die Protagonisten der meisten deutsch-polnischen Beziehungen. Als eines der Haupt­motive für die „Nachfrage“ nach ausländischen Ehepartnerinnen verweisen die meis­ten AutorInnen auf die Emanzipation deutscher Frauen und die Sehnsucht deutscher Männer nach einer traditionellen Familie. Kunden von Partneragenturen, die sich kri­tisch zu emanzipierten deutschen Frauen äußern und sich von der ‚wahren‘ Weiblich­keit ausländischer Frauen überzeugt zeigen, scheinen diese Hypothese zu bestätigen: (1) „Ich habe mir geschworen, keine deutsche Frau mehr. Deutsche wollen sich nur verwirklichen und kreisen um sich selber.“ (2) „Keine Deutsche, die ich kennengelernt habe, die waren verlogen erstmal und nicht ehrlich, und dann haben sie im Haushalt überhaupt nichts getaugt.“ (3) „Ich habe die Nase voll von den deutschen Frauen. Jede ist so überheblich …“ (Heine-Wiedenmann 1992).

Partneragenturen wiederum betonen die Eigenschaften von Frauen, die sich auf die Sehnsucht des potenziellen Partners nach einer traditionellen Familie beziehen. Ein gu­tes Beispiel dafür ist der Werbetext einer international renommierten Partnervermitt­lung, in dem es heißt: „Ein bekanntes polnisches Sprichwort sagt: In der Familie ist der Mann der Kopf und die Frau der Hals, der den Kopf dreht. Der Satz gibt die Wirklichkeit in Polen wieder. Eine Polin als Ehefrau ist nämlich häuslich, fleißig, familienorientiert und strahlt eine besondere Wärme aus. Polnische Ehefrauen legen großen Wert auf eine liebevolle und feste Partnerschaft und auf das Wohl und die Zufriedenheit des Eheman­nes.“ Außerdem ist von Warmherzigkeit und Fürsorglichkeit, einfacher und schneller Integration, einem ähnlichen Wertesystem, natürlicher Sprachbegabung und starkem emotionalem Engagement die Rede, denn Polinnen „sind ganz flexibel und oft im Stan­de alles auf den Kopf zu stellen, wenn es ums Thema Liebe geht.“ Die Autoren des Texts betonen zudem das Einfühlungsvermögen der Polinnen und deren Verständnis für den Ehemann: „Eine Polin steht zu ihrem Mann und kritisiert ihn nicht, zumindest nicht in aller Öffentlichkeit“ (Eine liebevolle Partnerschaft mit Ehefrau aus Polen – ein kluger Schritt, https://www.polishharmony.de/deutsch-polnische-ehen, 16.9.2020).  Doch nicht nur Partnervermittlungen verbreiten das Bild von der sanften, familienliebenden Polin; ähnliche Kommentare lassen sich in vielen Publi­kationen finden, häufig mit dem Hinweis auf die Schönheit polnischer Frauen versehen (→ die schöne Polin).

Kinder in deutsch-polnischen Ehen

2019 wurden in Deutschland etwa 2.500 Kinder in deutsch-polnischen Ehen geboren. Die überwiegende Mehrheit von ihnen (1.874) kamen in Ehen zwischen einer Polin und einem Deutschen zur Welt (aus Beziehungen zwischen einer Deutschen und einem Polen stammten lediglich 627 Kinder). In der Statistik ausländischer Mütter nahmen Polinnen den dritten Platz ein, hinter den Türkinnen, die 2019 (in deutsch-türkischen Ehen) in Deutschland fast dreimal so viele Kinder (6.994) zur Welt brachten, und den Russinnen (2.812), die noch vor wenigen Jahren an dritter Stelle lagen. Bei den Polinnen war in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre ein deutlicher Anstieg der Geburtenzahlen in Ehen mit einem deutschen Partner zu beobachten (1989 wurden mehr als 1.000, 1991 mehr als 2.000 und 1993 mehr als 3.000 Geburten registriert). Die Geburtenraten in deutsch-polnischen Ehen („Polin-Deutscher“) erreichten im Zeitraum 1997–2008 ihre höchsten Werte (2003 war das Rekordjahr, damals wurden 4.587 Kinder geboren). Bei den polnischen Vätern ist die Tendenz ähnlich (2004 wurde mit 998 Geburten der Höchstwert erreicht).

Aus Untersuchungen geht hervor, dass die überwiegende Mehrheit der in deutsch-polni­schen Ehen in Deutschland geborenen Kinder Polnisch spricht (obwohl nur etwa 40 % die polnische Sprache im Alltag benutzen). In Ehen zwischen einer Deutschen und ei­nem Polen ist der Anteil Polnisch sprechender Kinder allerdings deutlich geringer – was wiederum bestätigt, dass die Mutter bei der Weitergabe der nichtdeutschen Herkunfts­sprache eine zentrale Rolle spielt. Die meisten Kinder haben relativ häufig Kontakt mit der polnischen Familie und halten sich regelmäßig in Polen auf.

Dauerhaftigkeit der Ehen

Bei binationalen Ehen haben wir es, aufgrund der kulturellen Verschiedenheit, mit spe­zifischen Faktoren zu tun, die das Risiko erhöhen, dass die Beziehung scheitert. Diese Ehen sind viel stärker als monokulturelle Beziehungen Konflikten ausgesetzt, die ihre Ursachen in unterschiedlichen Gewohnheiten und kulturellen Mustern haben. Ein Um­stand, der die Stabilität binationaler Beziehungen verringert, kann auch die Tatsache sein, dass man die Partnerin oder den Partner vor der Eheschließung erst relativ kurze Zeit kannte. Untersuchungen zufolge wird fast die Hälfte der Ehen sehr schnell geschlossen – innerhalb eines Jahres, nachdem man sich kennengelernt hat (bei etwa 20 % der Ehen beträgt der Zeitraum weniger als ein halbes Jahr). Paare, bei denen beide Part­ner in Deutschland leben, entschließen sich in der Regel nicht so schnell zu heiraten. Bei den Beziehungen, in denen die Partner in zwei verschiedenen Ländern leben, ist dies jedoch praktisch die Regel (aufgrund der Beschwerlichkeit einer Fernbeziehung gelangt das Paar schneller als sonst an den Punkt, an dem man sich für Trennung oder Heirat entscheidet). Haben sich die Partner durch die Vermittlung Dritter kennengelernt (zu­meist über gemeinsame Bekannte), ist der Kontakt zum zukünftigen Ehepartner nicht nur kurz, sondern häufig auch viel oberflächlicher (Briefe/Mails, Telefongespräche und einige wenige Besuche). Personen, die den Partner oder die Partnerin durch eine Part­nerschaftsvermittlung kennengelernt haben, hatten meistens vor der Eheschließung fast gar keinen Kontakt zu ihm oder ihr.

Trotz der erwähnten Umstände sind binationale Ehen nicht unbedingt instabiler als endogamische Beziehungen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes in Wiesba­den wurden 2018 (Ein Vergleich mit den Scheidungszahlen der Ehen vom Typ „Polin-Deutscher“ und „Deutsche-Pole“ für das Jahr 2019 ist nicht möglich, da die Angaben zu dem Zeitpunkt, als dieser Text entstand, nicht nach dem Geschlecht der Ehepartner aufgeschlüsselt waren (die Angaben berücksichtigten zudem auch die Scheidungen gleichgeschlechtlicher Ehen) in Deutschland 641Ehen zwischen einer Deutschen und einem Polen sowie 1.261 Ehen zwischen einer Polin und einem Deutschen geschieden. Diese Zahlen zeigen, dass Ehen, bei denen die Frau aus Polen und der Mann aus Deutschland kommt, wesentlich stabiler sind als Ehen in der umgekehrten Zusammensetzung („Deutsche- Pole“). Um die Dauerhaftigkeit deutsch-polnischer Ehen bewerten zu können, ist es je­doch wichtig, die Zahl der Scheidungen mit der Zahl der Eheschließungen in Verhältnis zu setzen. 2019 lag die durchschnittliche Scheidungsrate in Deutschland und in Polen bei fast 36 %, bei deutsch-deutschen Beziehungen bei 35 %, bei deutsch-polnischen Be­ziehungen hingegen bei 22,5 %. Die zitierten Daten verweisen auf zwei wichtige Ten­denzen. Erstens, entgegen der gängigen Meinung sind deutsch-polnische Ehen stabiler als deutsch-deutsche und polnisch-polnische Ehen. Zweitens, Ehen zwischen einer Polin und einem Deutschen scheinen besser zu funktionieren als Ehen zwischen einer Deut­schen und einem Polen.

Eine interessante Ergänzung zum Thema „Dauerhaftigkeit deutsch-polnischer Ehen“ wäre eine Aufstellung der Scheidungszahlen für verschiedene Jahre. Dies ist jedoch nicht möglich, da das Statistische Bundesamt in Wiesbaden erst seit 2006 eine nach dem Her­kunftsland der Ehepartner aufgeschlüsselte Scheidungsstatistik führt (frühere Angaben berücksichtigten lediglich, ob einer der Geschiedenen AusländerIn war). Es besteht also keine Möglichkeit zu überprüfen, wie sich die Stabilität der deutsch-polnischen Ehen über einen längeren Zeitraum hinweg verändert hat.

Die wichtigsten Konfliktpunkte

Binationale Ehen sind, wie bereits erwähnt, für unterschiedliche Konfliktsituationen anfälliger als endogamische Beziehungen. Dies ist auf den besonderen Charakter binationaler Beziehungen zurückzuführen: auf die Reaktion der Umgebung, die Migrationserfahrung und die Notwendigkeit, ein Beziehungsmodell auszuarbeiten (geklärt werden müssen zum Beispiel die Fragen, wo will man leben und in welcher Sprache wird man mit den Kindern sprechen?). Ein potenzieller Konfliktherd in exogamischen Ehen ist die Wahrnehmung der Beziehung durch die engsten Angehörigen. Von besonderer Bedeu­tung sind hierbei die Reaktionen der Familie und der Freunde auf den ausländischen Partner. Sowohl meine eigenen Untersuchungen vor zwanzig Jahren als auch eine 2006 von K. J. Korth (Korth 2006, S. 82–102) durchgeführte Studie zeigen, dass bei deutsch-polnischen Ehen die Freunde in der Regel positiver auf die Nachricht von der Heirat reagieren als die Fa­milie – und negative Reaktionen häufiger in den Familien der polnischen Ehepartner vorkommen. Vergleicht man beide Untersuchungen (Deutsch-polnische Ehen sind relativ selten Gegenstand der Forschung, sowohl auf deutscher wie auch auf polnischer Seite, und wenn, dann zumeist nur ein Element umfassenderer Darstellungen), fällt auf, dass die von K. J. Korth Befragten der Idee einer deutsch-polnischen Ehe generell positiver gegenüberstehen, negative Reaktionen sind hier eher die Ausnahme und nur bei der ältesten Generation von Polen signifikant bemerkbar der häufigste Grund für Einwände ist die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg (Eine Rolle spielt hier sicherlich auch, dass zwischen beiden Studien fünf Jahre liegen, in denen die polnische Gesellschaft sich stark gewandelt hat).

Eine weitere Ursache für Konflikte ist die Tatsache, dass die Partner in unterschied­lichen Kulturen aufgewachsen sind (→ deutsche und polnische Kommunikationskultur). Fast 70 % der polnischen Partner erwähnen spezifische Konfliktsituationen, allerdings betonen sie, dass die Probleme nur sporadisch auftreten. Die meistgenannte Quelle von Konflikten in deutsch-polnischen Ehen betrifft den Themenkomplex „Besuche abstat­ten“ und „Gäste empfangen“. Die dabei auftretenden Probleme haben hauptsächlich mit der Spontaneität, Häufigkeit und Dauer der Besuche (Wie häufig empfangen wir Gäste? Wie lange darf der Besuch bleiben? Darf man sagen/andeuten, dass man jetzt allein bleiben möchte?) sowie mit der Art und Weise, wie Gäste empfangen werden (eigene Be­quemlichkeit und Umfang der Betreuung), zu tun. Auf der einen Seite haben wir hier ei­nen eher symbolischen Imbiss, auf der anderen Seite zeigt man sich von der großzügigen Seite, „lässt sich nicht lumpen“ – das heißt man begrenzt seine Bequemlichkeit und setzt die eigenen Ressourcen ein, um für ein größtmögliches Wohlbefinden der Gäste zu sor­gen (zum Beispiel bietet man Essen an, auch wenn dies aus Höflichkeit zuvor abgelehnt wurde; die Gäste haben freien Zugang zum Kühlschrank und können sich in der ganzen Wohnung frei bewegen). Die Frage, wie Gäste empfangen werden sollen, steht in einem engen Zusammenhang mit der Kulturdimension „Individualismus – Kollektivismus“. Der individualistische deutsche Ehepartner hält die Idee, den gesamten Haushalt dem Wohlbefinden der Gäste unterzuordnen, für unverständlich. Der in einer kollektiveren Kultur aufgewachsene polnische Partner hält es wiederum für seine Pflicht, den Gast ge­bührend zu empfangen, auch wenn dies mit einer gewissen Unbequemlichkeit oder unverhältnismäßigen Ausgaben verbunden ist. Besonders anstrengend sind Besuche (und zwar für beide Partner!), bei denen die polnischen Gäste kein Deutsch sprechen. Der polnische Partner muss in diesem Fall ständig übersetzen, während der deutsche Partner sich häufig ausgeschlossen fühlt oder langweilt.

Das Aufeinanderprallen individualistischer und kollektivistischer Werte im Zusammenhang mit Familie und familiären Bindungen ist ein weiteres potenzielles Konflikt­feld. Unterschiedliche Auffassungen bestehen in deutsch-polnischen Familien häufig in der Frage der Erziehung und des Eintritts des Kindes ins Erwachsenenleben, wobei es vor allem um das Ausmaß der elterlichen Fürsorge und die Freiheiten des Kindes geht (aufgrund widersprüchlicher Äußerungen kann ein derartiger Konflikt die Entwicklung des Kindes negativ beeinflussen). Wobei das, für polnische Maßstäbe, zu schnelle Heranwachsen vor allem in Ehen („Deutsche-Pole“), in denen die polnischen Väter den allzu großen Freiraum deutscher Teenager äußerst negativ beurteilen, problematisch ist. Die Problematik gelockerter Familienbindungen betrifft vor allem die Kontakte zur Familie der deutschen Partnerin oder des deutschen Partners. Besonders große Unzufriedenheit und Meinungsverschiedenheiten ruft dabei der Unwille deutscher Großeltern hervor, sich um die Enkelkinder zu kümmern. Die polnischen Partner, die an eine völlig andere soziale Rolle der Großeltern gewöhnt sind, interpretieren eine solche Verweigerungshaltung als egoistisch und nehmen diese persönlich. Zu ähnlichen Konflikten kommt es auch in anderen binationalen Ehen, zum Beispiel wenn der ausländische Partner vorschlägt, die Verwandtschaft nach Deutschland einzuladen oder die Fami­lie zu unterstützen, was als Verpflichtung gegenüber den Angehörigen angesehen wird. In deutsch-polnischen Ehen scheint es jedoch nur selten Probleme zu geben im Zusammenhang mit der „Notwendigkeit“, die Familie in der Heimat zu unterstützen und weitere Familienmitglieder nach Deutschland zu holen; es ist davon auszugehen, dass der Umfang der Hilfe, die polnische Partner für ihre engsten Angehörigen leisten, we­sentlich geringer ist als bei deutsch-afrikanischen oder deutsch-arabischen Ehen.

Besonders umstritten sind in binationalen Ehen die Finanzen. Die diesbezüglich auftre­tenden Probleme können zwei grundsätzlichen Themenkomplexen zugeordnet werden: die Einstellung zum Sparen und zum laufenden Konsum sowie die Verwendung der Ersparnisse. Bei deutsch-polnischen Ehen haben wir es vor allem mit dem ersten Punkt zu tun. Polnische Ehepartner kritisieren die, ihrer Meinung nach, übermäßige Sparsam­keit ihrer deutschen Partner, die auf Kosten eines Grundkomforts geht. Am häufigsten beklagt werden das unzureichende Heizen und der übertrieben sparsame Wasserverbrauch, nicht so oft die zu geringen Ausgaben beim laufenden Konsum oder die Notwendigkeit der Ausgabenkontrolle. Wesentlich seltener als bei Partnern aus der Tür­kei, den Philippinen oder Ghana sind Meinungsverschiedenheiten im Zusammenhang mit Geldüberweisungen an die Familie im Herkunftsland oder die Notwendigkeit, bei Heimatbesuchen teure Geschenke zu kaufen, Anlass für Konflikte. Aber nicht nur der Umfang der Hilfe für die Angehörigen auch der Personenkreis, dem geholfen wird, ist bei polnischen Migranten geringer als bei Partnern aus Afrika oder Asien. Zum Beispiel werden bei Migranten aus der Türkei meist nicht nur die Familie (die viel größer ist als in Ostmitteleuropa), sondern auch Freunde, Bekannte und Nachbarn unterstützt.

Ein weiteres Konfliktthema können Besuche im Herkunftsland sein. Zu Kontroversen kommt es häufig, wenn der polnische Partner den Großteil des Urlaubs in seiner Heimat verbringen möchte. Dies stößt beim deutschen Partner oft auf wenig Gegenliebe, wobei dessen Unwille vor allem auf das Gefühl der Eintönigkeit und der eingeschränkten Wahl sowie auf die ungewohnten polnischen Kommunikationsstandards zurückzuführen ist. Das Gefühl von Langeweile und Monotonie stellt sich mit großer Wahrscheinlichkeit dann ein, wenn das Paar nahezu jeden Urlaub in Polen verbringt. Anfangs sind die Besuche für den deutschen Partner interessant, und er oder sie hat meistens Verständnis für das Bedürfnis, die Angehörigen im Herkunftsland zu besuchen. Im Laufe der Zeit entsteht jedoch Frustration, weil man aufgrund der ständigen Polenbesuche nicht dazu kommt, andere interessante Orte zu besuchen. Der Urlaub in Polen wird auf diese Weise zur lästigen Pflicht, was schnell zu Unlust und Protest führt. Ein Problem (und Grund zur Irritation) kann zudem das veränderte Verhalten des polnischen Partners sein, der sich plötzlich an seine Umgebung anpasst und sich aus deutscher Perspektive „normab­weichend“ verhält (was beim deutschen Partner das Gefühl hervorruft, es mit jemand Fremden zu tun zu haben).

Ein großes Streitthema in vielen binationalen Ehen ist das Essen: Was, wie und wann gegessen wird (in deutsch-französischen Ehen kann nicht nur der Geschmack der Spei­sen, sondern auch ein zu kurzes, ungenügendes Zelebrieren der Mahlzeiten ein Problem sein). Die Küche des Herkunftslandes ist für den ausländischen Partner sowohl wegen der vertrauten Geschmäcke und Gerichte als auch wegen ihrer symbolischen Bedeutung wichtig, denn sie ist möglicherweise ein Element der kulturellen Selbstidentifikation. In deutsch-polnischen Ehen ist das Essen nicht so ein großes Problem wie in Beziehungen, in denen der eine Partner aus Europa und der andere von außerhalb Europas stammt, obwohl es auch hier zu Missverständnissen kommen kann, zum Beispiel wenn es um die Anzahl und Zusammensetzung der Gerichte zu Weihnachten und Ostern geht.

Gelegentlich äußern sich die polnischen Ehepartner kritisch über die deutsche Art ein­zukaufen. Vor allem irritiert sie die mangelnde Flexibilität, die darin besteht, nur das zu kaufen, was geplant war, unabhängig von Schnäppchen oder neuen Angeboten. Dieser Unterschied hat sicherlich mit den Dimensionen der Lang- und Kurzzeitorientierung sowie der Unsicherheitsvermeidung der deutschen Kultur zu tun, das heißt mit der gro­ßen Bedeutung, die Planung und Zeitplänespielen (die polnischen Partner nehmen die­se Eigenschaft der deutschen Ehegatten als äußerst irritierend wahr und werfen ihnen fehlende Spontanität und starres Festhalten an Plänen vor, selbst wenn diese ihren Sinn verloren haben), und auf der anderen Seite mit der langjährigen Erfahrung einer Man­gelwirtschaft, mit der Gewohnheit, Gelegenheiten beim Schopfe zu packen und das zu kaufen, was „gerade reingekommen ist“ (Jaroszewska 2003, S. 215).

Obwohl polnische Partner sich häufig negativ äußern über die, ihrer Meinung nach, übertriebene Pünktlichkeit des deutschen Partners, scheint dies kein ernsthaftes Prob­lem im Alltag der meisten deutsch-polnischen Ehen zu sein. Dies erklärt sich vor allem damit, dass sich die polnischen Partner (in dieser Frage) schnell an die deutschen Nor­men anpassen.

Negative, „typisch deutsche“ Eigenschaften des Ehegatten aus Sicht der polnischen Partner

Analysiert man die Funktionsweise deutsch-polnischer Ehen, lohnt es sich, einen Blick auf die kulturell bedingten Eigenschaften des Partners zu werfen, die als irritierend wahrgenommen werden. Bei den negativ konnotierten Eigenschaften des deutschen Partners werden am häufigsten „übertriebene Offenherzigkeit/Ehrlichkeit“ und „über­mäßiges Planen“ genannt. Über das Planen wird zumeist im Zusammenhang mit fehlender Flexibilität und Spontanität gesprochen (beides hochgeschätzte Eigenschaften in der polnischen Kultur). Es fallen Äußerungen wie: „Er plant den Urlaub drei Jahre im Voraus“, „Auch wenn er krank ist, muss er tun, was er geplant hat“, „Die Mahlzei­ten müssen zu den immergleichen Uhrzeiten stattfinden“ (Jaroszewska 2003, S. 193) „Übertriebene Ehrlichkeit“ wird in der Regel als blinder Gehorsam (sich an den Buchstaben des Gesetzes halten, unabhängig davon, ob das effektiv und zweckmäßig ist) beziehungsweise als Unfähig­keit, etwas „unter der Hand zu erledigen“, interpretiert: „Wenn man ihm sagt, er soll etwas tun, dann tut er es, obwohl es anders vernünftiger wäre“, „Er befolgt die Vor­schriften peinlich genau. Egal, ob das in der jeweiligen Situation Sinn macht. Wenn es zum Beispiel auf der Straße ein Überholverbot gibt, dann wird er, selbst wenn es im Umkreis mehrerer Kilometer kein anderes Auto gibt, nicht überholen“, „Wenn man ihm sagt, dass etwas nicht erlaubt oder unmöglich ist, dann wird er es erst gar nicht versu­chen, denn verboten ist verboten“ (Jaroszewska 2003, S. 193).

Manche der polnischen Partner äußern sich kritisch über die, ihrer Meinung nach, für die Deutschen charakteristische Unfähigkeit, Bindungen aufrechtzuerhalten (und zwar sowohl familiäre als auch freundschaftliche Bindungen), die in der kollektivistischeren polnischen Gesellschaft eine wichtige Rolle spielen. Den deutschen Partnern wird sehr oft auch Egozentrismus und ein arrogantes oder distanziertes Verhältnis anderen gegen­über vorgeworfen. Manche der Befragten bewerten besonders negativ bestimmte von ih­ren Partnern benutzte Wendungen, die sie für den Inbegriff der zwischenmenschlichen Beziehungen in Deutschland halten: „Ich brauche meine Ruhe“, „Selber schuld“ oder „Es ist nicht mein Problem“. Die, nach Ansicht der polnischen Partnerinnen, für Deutsche typische größere Toleranz gegenüber dem Mitmenschen und die Respektierung seiner Privatsphäre rühren in wesentlichem Maße von menschlichem Desinteresse her, das die individualistische Haltung kennzeichnet und zu Isolation führen kann. Eine häufig kri­tisierte Eigenschaft der deutschen Partner ist ihre übertriebene Bestimmtheit (hier spielt sicherlich der Kommunikationsstil eine gewisse Rolle, der von den polnischen Partnern häufig als rüde, gefühllos und rücksichtslos anderen gegenüber empfunden wird).

Dies deckt sich mit Publikationen zu anderen binationalen Ehen, in denen die auslän­dischen Partner betonen, dass ihre deutschen Lebensgefährten großen Wert legen auf die individuellen Rechte des Einzelnen und die Privatsphäre, dass sie individualistisches Glücksstreben gutheißen, selbst wenn es auf Kosten nahestehender Personen geht, dass die Beziehungen partnerschaftlicher ausgerichtet sind und die Kinder gegenüber den El­tern geringere Verpflichtungen haben. Obwohl kulturelle Unterschiede auch in deutsch-polnischen Beziehungen ein Thema sind, scheinen diese jedoch ein wesentlich geringe­res Hindernis zu sein als bei binationalen Ehen mit Partnern aus der Türkei oder auch aus Italien, also aus den Herkunftsländern, die Polen in der Statistik der ausländischen Ehemänner überholt haben. Darüber hinaus werden manche der zitierten Verhaltens­weisen in den Gesprächen mit polnischen Ehepartnern als „typisch deutsche“, positive Eigenschaften genannt; statt von Planungswut, fehlender Fantasie und Flexibilität zu sprechen, ist von Verantwortung, Fleiß, Ordnungsliebe, Organisationstalent, Verläss­lichkeit, Toleranz, moderatem Alkoholkonsum und partnerschaftlicher Aufteilung der häuslichen Pflichten die Rede. Eine der befragten Polinnen fasste ihre Äußerung wie folgt zusammen: Das Verhalten meines Mannes bewirkt, „dass man ein größeres Gefühl der Sicherheit hat“ (Jaroszewska 2003, S. 194). Erwähnt sei in diesem Zusammenhang auch Steffen Möllers im letzten Jahr erschienenes Buch Weronika, dein Mann ist da! Wenn Deutsche und Polen sich lieben. Ein Faktor, der, nach Ansicht des beliebten Komikers, den Alltag deutsch-polnischer Ehen erschwert, sind die unterschiedlichen Temperamente von Polen und Deutschen, wobei für die polnischen Partnerinnen das Hauptproblem in der deutschen Unsensibilität besteht, während den deutschen Partnern die fehlende Planung und über­mäßige Spontaneität ein Dorn im Auge ist (Prüfer 2019). Möller führt viele Beispiele für Konfliktsi­tuationen in deutsch-polnischen Ehen an, dennoch kommt er zu dem positiven Schluss, dass es „zwischen Polen und Deutschen in der Regel gut läuft […] da es außer den Unterschieden auch eine Menge Ähnlichkeiten gibt, so dass sich das alles miteinander in Einklang bringen lässt. Und was wichtig ist: Wir langweilen uns nicht miteinander“ (Jarecka 2019). Obwohl es sich hierbei um keine wissenschaftliche Arbeit handelt, ist umso bemer­kenswerter, dass der Autor bei seiner Recherche einen geradezu wissenschaftlichen Eifer an den Tag gelegt hat: Er sprach mit über siebzig deutsch-polnischen Paaren über ihre Meinungen und Erfahrungen.

Beziehungsmodell und Kontakte zum Umfeld

In deutsch-polnischen Ehen begegnen wir meistens einem gemischten Modell, in dem deutsche Kulturstandards überwiegen (Planung, geringere Spontaneität, größere Pünktlichkeit, größere Freiheiten für die Kinder, schnelleres Heranwachsen der Kinder, weniger Kontakte zur Familie, größere Freiheiten für beide Partner). Polnische Kul­turstandards sind hauptsächlich in zwei Bereichen zu beobachten: größere Traditions­verbundenheit (die zum Beispiel beim Feiern von Festen zum Ausdruck kommt) und Urlaub in Polen. Was die Gastfreundschaft betrifft, wird meistens ein Kompromiss aus­gearbeitet, der darin besteht, dass weniger häufig Gäste eingeladen (und weniger häufig unangekündigte Besuche abgestattet werden), diese jedoch eher im polnischen Stil emp­fangen werden. Dies zeugt davon, dass deutsch-polnische Ehen eher den Beziehungen zwischen einem Deutschen und einem südeuropäischen Ausländer gleichen (bei denen eher eine Anpassung an die deutschen Normen zu beobachten ist) als denen zwischen einem Deutschen und einem westeuropäischen Ausländer (bei denen das Prinzip des Kompromisses und Mischformen aus Elementen beider Kulturen überwiegen).

In den meisten deutsch-polnischen Ehen sind die Kontakte zur Familie des Partners gut, obwohl sie in vielen Fällen eher selten stattfinden. Die geringere Häufigkeit der Kontakte mit der Familie scheint jedoch weniger in der fehlenden Akzeptanz für die Ehe mit einem Ausländer begründet zu liegen, als vielmehr mit der Entfernung (wenn die Familie in Polen lebt) sowie mit der lockereren Bindung, die durch das individualis­tische Familienmodell in Deutschland gekennzeichnet ist, zu tun zu haben (Jaroszewska 2003, S. 139–145). Ähnlich wie die Kontakte zur Familie werden auch die Kontakte zu den Freunden des deutschen Partners vorwiegend positiv bewertet, auch wenn die Qualität dieser Kontakte sowohl von der Bildung des polnischen Partners/der polnischen Partnerin als auch von seinem/ ihrem Alter abhängig zu sein scheinen. Deutlich bessere Beziehungen zum Umfeld des Ehepartners haben höher gebildete Personen (dies korreliert in der Regel mit einem höheren Bildungsgrad des Partners sowie seiner Freunde) und jüngere Menschen. We­sentlich schlechter ist die Situation hingegen bei Frauen über vierzig, von denen die Hälfte von der Familie des Mannes und seinen Freunden nicht akzeptiert wird (in dieser Gruppe wird in der Regel nach einer relativ kurzen Bekanntschaft geheiratet, Familie und Freunde haben häufig einen niedrigeren Bildungsgrad, und die polnische Partnerin verfügt in der Regel über schlechtere Kenntnisse der deutschen Sprache und Kultur). Situationen dieser Art können einen negativen Einfluss auf das Kräftegleichgewicht in­nerhalb der Beziehung haben, sofern der ausländische Partner sich nicht sein eigenes Unterstützungsnetzwerk aufbaut. Polinnen, die einen Deutschen geheiratet haben und fest in Deutschland leben, haben jedoch meistens auch ihre eigenen Freunde, wenn­gleich ein Viertel der Frauen nur polnische Freunde hat und die Mehrzahl von ihnen betont, die neuen Kontakte seien oberflächlicher als die alten in ihrer Heimat.

Kommunizieren in deutsch-polnischen Ehen

Ähnlich wie bei anderen Migrantengruppen, können in binationalen Ehen bei interkul­turellen Kontakten im Bereich der interpersonalen Kommunikation erhebliche Schwie­rigkeiten auftreten. Als ein Problem können sich hierbei nicht nur die unzulänglichen Kenntnisse der Sprache des Partners erweisen, als vielmehr auch die Unterschiede in der nonverbalen und paraverbalen Kommunikation sowie das ungenügende Wissen über die Kultur des Landes. Der Soziologe Marian Golka vergleicht einen Ausländer, der sich in einem ihm kulturell fremden Gebiet bewegt, mit einer Person, die ein unbekanntes Gebäude betritt: zunächst sieht sie nur die Fassade (die äußeren Merkmale der fremden Kultur), dann kommt sie in den Vorraum (beginnt, die Bedeutung bestimmter Bot­schaften zu verstehen und Unterschiede wahrzunehmen), von dort führt der Weg weiter in den Flur (alle Unterschiede werden wahrgenommen und fachkundig auf die eigene Kultur bezogen). Der Bereich des Wohnzimmers (alle Nuancen werden erkannt) bleibt jedoch für den Migranten – der sich höchstens in einem kleinen Ausschnitt dieses Rau­mes (unsicher) bewegt – meistens unerreichbar (Golka 2009, S. 18).

In binationalen Beziehungen eignet man sich das Wissen über die Kultur des Part­ners viel intensiver an als bei anderen Migrantengruppen. Überdies verbessern sich die kommunikativen Kompetenzen des ausländischen Partners wesentlich schneller, da er oder sie fast nonstop sowohl mit der fremden Sprache als auch mit der fremden Kultur konfrontiert wird, und dies auf einem Niveau, das anderen Migranten seltener oder überhaupt nicht zugänglich ist. Die Gespräche mit Personen, die in solchen Beziehun­gen leben, und die Fachliteratur zu binationalen Ehen lassen jedoch den Schluss zu, dass selbst ein derart intensiver Kontakt mit der fremden Sprache und Kultur das Vorhan­densein von Schwierigkeiten und Spannungen keineswegs ausschließt.

Das Hauptproblem im Bereich der verbalen interkulturellen Kommunikation sind in der Regel die schlechteren Sprachkenntnisse des ausländischen Partners. Die mangelhaften Sprachkenntnisse des Partners können für beide Seiten Grund zur Frustration sein, wo­bei ein zusätzliches Stresselement in diesem Fall das sogenannte „Fabrikdeutsch“ ist, das laute Wiederholen nicht verstandener Wörter (in der Hoffnung, der Gesprächspartner erfasst ihre Bedeutung), das häufig als aggressiv empfunden wird. Zu einer Reduzierung der linguistischen Kompetenzen kommt es jedoch auch bei Personen, die die fremde Sprache gut beherrschen – dies hängt sowohl mit der größeren Wahrscheinlichkeit, dass ein unbekanntes Wort vorkommt, als auch mit der größeren Anstrengung, die man aufwenden muss, um eine Diskussion zu führen (der „Fremdspracheneffekt“, die Minderung der kognitiven Möglichkeiten bei Personen, die sich einer Fremdsprache bedienen), zu­sammen. Eine besondere Herausforderung für Personen, die in der Sprache des Partners kommunizieren, sind Idiome und mehrdeutige Ausdrücke sowie unübersetzbare Wörter und Wortfallen (Ausdrücke, die gleich oder ähnlich klingen, aber ganz andere Bedeu­tungen haben). Zwischen dem Deutschen und dem Polnischen existieren einige dieser „falschen Freunde“. Wir haben beispielsweise Wortpaare wie: Puppe – pupa (Po), Mappe – mapa (Landkarte), Kurve – kurwa (Prostituierte), Gift – gift (umgangssprachlich für Geschenk), extra – ekstra (toll) usw (Falsche Freunde; http://forum.mlingua.pl/archive/index.php/t-21423.html, 23.09.2020). Schwierig zu meistern, sind auch Ausdrücke, die mehr oder weniger dasselbe bedeuten, aber unterschiedliche Konnotationen haben (wir können es hier mit einer anderen oder einer stärkeren Konnotation zu tun haben oder mit einer Situation, in der der Bedeutungsbereich beider Begriffe nicht ganz deckungs­gleich ist). Das am häufigsten genannte Beispiel für einen scheinbar identischen Begriff, der sich aber in seinem Bedeutungsbereich unterscheidet, ist das Wort „Freund“, das je nach Kultur etwas unterschiedliche Arten von Bindungen bezeichnet: friend, der einem recht oberflächlich bekannt ist; przyjaciel, mit dem einen eine tiefere Bindung verbindet; oder Freund, der in der Formulierung mein Freund den Partner meint (Wierzbicka 2007, S. 72–230). Ähnlich verhält es sich mit dem Wort „Kollege“, das im Deutschen Mitarbeiter bedeutet, während sein Bedeutungsbereich im Polnischen breiter ist (ein Bekannter, nicht nur ein Arbeitskolle­ge). An dieser Stelle sei auch auf einen Unterschied in Bezug auf Namen hingewiesen. Im Polnischen kann man von den meisten Namen Verkleinerungsformen bilden (z. B. Emilia, Emila, Emilka, Emilcia, Emi, Mila, Milka, Milcia usw.), wobei jede Form eine andere emotionale Färbung aufweist. Im Deutschen haben wir es meistens mit einem Diminutiv zu tun. Von polnischen Partnern und ihren Familien kann dieser Mangel an Verkleinerungsformen als emotionale Kälte und Distanz empfunden werden (Garlacz-Sobczyk 2013, S. 134).

Probleme in der verbalen interkulturellen Kommunikation entstehen nicht zuletzt auch durch die Interpretation von Äußerungen. Das Wort ist lediglich eine gedank­liche Abkürzung, was ein hohes Potenzial an Interpretationsfehlern bedeutet. Gemäß den Prämissen des Koordinierten Bedeutungsmanagements (Coordinated Management of Meaning, CMM) setzt sich die Bedeutung aus dem Inhalt, der Intention, den Beziehungen des Sprechers und des Empfängers, dem Selbstbild des Sprechers und des Emp­fängers, den kulturellen Normen und der Situation zusammen. Das Problem des Aus­handelns von Bedeutungen besteht auch in der Interaktion von Personen, die aus der gleichen Kultur stammen; in der interkulturellen Kommunikation ist das Risiko einer fehlerhaften Interpretation der Information jedoch deutlich höher, da wir es hier mit stärker abweichenden „Erfahrungsbereichen“ zu tun haben, die so etwas wie ein Interpretationsfilter sind und von soziodemografischen Faktoren (zum Beispiel dem Alter, dem Geschlecht, der Art der Herkunftsfamilie, dem Wohnort) sowie Bildungs- und Berufsfaktoren (Bildung und Berufserfahrung) abhängen. Ein nicht unerheblicher Faktor ist hier auch die für die jeweilige Region charakteristische Kultur. Ein wichtiges Kompetenzmerkmal des Gesprächspartners ist bei der verbalen interkulturellen Kommunikation nicht nur die gute Beherrschung der Sprache, sondern auch das Wissen, mit wem und auf welche Weise er oder sie sich in der jeweiligen Kultur unterhalten darf, und das Vertrautsein mit dem kulturellen Kontext jedes einzelnen Elements der sprachlichen Äußerung. Unzureichende Kenntnisse über das Land und die Kultur scheinen bei in­formellen Gesprächen, da dabei häufiger Idiome und Witze vorkommen, ein größeres Handicap darzustellen. Um eine sprachliche Botschaft vollständig zu verstehen, ist es daher notwendig, alle Elemente zu kennen, die für die in Land X aufgewachsenen Per­sonen zum Allgemeinwissen gehören, wie: Geschichte, Literatur, Film, Kunst, Musik, Fernsehprogramme, bekannte Persönlichkeiten. Ein gutes Beispiel, wie wichtig kontext­bezogenes Wissen sein kann, ist die Kampagne von Nokia in Deutschland, mit der für den Kauf von austauschbaren Handygehäusen geworben wurde und deren Slogan auf Deutsch Jedem das Seine lautete, was identisch ist mit der Aufschrift über dem Tor zum Konzentrationslager Buchenwald (Skulski 2008, S. 126).

Sehr wichtig für die Interpretation einer Äußerung ist die paraverbale Kommunikation, das heißt das Sprechverhalten, das die Absichten und Emotionen des Sprechers verrät. Von besonders großer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang: der Ton der Äuße­rung (ein hoher Ton kann zum Beispiel ein Zeichen für Verärgerung oder ein Signal für fehlende Selbstsicherheit sein), die Artikulation (sie kann dazu dienen, die wichtigsten Wörter und Teile der Äußerung zu betonen, jedoch auch auf die Fremdherkunft des Sprechers hindeuten), das Sprechtempo (kann zum Beispiel von der Nervosität oder Erregung des Sprechers zeugen), die Lautstärke (die von Personen, die sich anderer kultureller Standards bedienen, als rücksichtslos, schlechtes Benehmen oder aggressiv emp­funden werden kann) und die Flüssigkeit des Sprechens (zögerliches Sprechen kann Unsicherheit, was das Gesprochene betrifft, oder auch Unehrlichkeit bedeuten). Studien zu binationalen Ehen (auch die Untersuchungen zu deutsch-polnischen Ehen) zeigen, dass unterschiedliche Gewohnheiten im Bereich der paraverbalen Kommunikation nicht nur für den Empfänger irritierend sein können (zum Beispiel die, für den Geschmack des deutschen Ehemanns, zu langsam sprechende finnische Ehefrau), sondern auch Anlass zu falschen Interpretationen, sowohl der Emotionen als auch der Motivationen des Spre­chers, geben können. Die Befragten in deutsch-polnischen Ehen erwähnen beispielswei­se Situationen, in denen es zu Fehlinterpretationen des Tons einer Äußerung kam, die entgegen der Absicht des Sprechers als Verwunderung oder Aggression empfunden wur­de. Etwas anders sind in Polen und Deutschland ferner die Normen für den Gesprächs­rhythmus. Der deutsche Kommunikationsstil scheint diesbezüglich mit dem angelsäch­sischen Modell übereinzustimmen, bei dem es verpönt ist, dem Gesprächspartner oder der Gesprächspartnerin ins Wort zu fallen, sprich gleichzeitig zu sprechen (zumal im Deutschen wichtige Informationen – beispielsweise im Präfix – oft erst am Satzende stehen). Der polnische Gesprächsstil ist hier dem romanischen Stil näher, bei dem das Unterbrechen des Gesprächspartners als Zeichen von Engagement und Interesse gilt (Hampden-Turner/Trompenaars 2012). Ähnliche Probleme sind auch in anderen binationalen Ehen zu beobachten.

In deutsch-polnischen Beziehungen sind in der nonverbalen Kommunikation Gestik und Mimik selten die Ursache für Missverständnisse. Bei Gesten, die Worte ersetzen (Embleme), gibt es keine großen Unterschiede (Wołowik 1998), bei Gesten, die das Gesagte verdeutli­chen (Illustratoren), begegnen wir auf Seiten des polnischen Gesprächspartners häufig einer größeren Expressivität. Differenzen bestehen dafür bei manchen Gesten und Ver­haltensweisen, die in Polen als integraler Bestandteil der Kultur wahrgenommen werden und die in Deutschland für Verwunderung sorgen oder nur widerwillig akzeptiert wer­den (der Frau die Tür aufhalten, das Gepäck tragen, einen Handkuss geben; die Schuhe in der Wohnung ausziehen). In Deutschland wird zudem intensiver Blickkontakt gehalten, was beim polnischen Empfänger bisweilen für Unbehagen sorgt. Mehr Unter­schiede zwischen Polen und Deutschen lassen sich hingegen in weniger offensichtlichen Bereichen der nonverbalen Kommunikation beobachten – wie der Haptik, der äußeren Erscheinung, der Chronemik und der Proxemik. Für einzelne Länder und Regionen sind unterschiedliche Berührungshäufigkeiten charakteristisch (Haptik), zum Beispiel wurde festgestellt, dass Personen, die im Mittelmeerraum aufgewachsen sind, sich wäh­rend eines einstündigen Gesprächs etwa hundert Mal berühren, Amerikaner nur drei bis fünf Mal und Skandinavier überhaupt nicht (Kubitsky 2012). Personen, die häufigere Berührung gewöhnt sind, haben womöglich einen erhöhten Bedarf an ihr, so dass ihr Ausbleiben als Kälte oder mangelnde(s) Fürsorge/Interesse interpretiert wird. In der Kommunikation zwischen Polen und Deutschen kann es darüber hinaus zu abweichenden Interpre­tationen der Wahlmerkmale des Aussehens (der äußeren Erscheinung) kommen, zum Beispiel wird der polnische Kleidungsstil von deutscher Seite häufig als zu schick oder zu gewagt wahrgenommen und der deutsche wiederum von polnischer Seite als zu nach­lässig und zu respektlos gegenüber der Umgebung. Zu Spannungen kann es auch im Bereich der Proxemik kommen – bei deutsch-polnischen Ehen sind diese zwar nicht so ausgeprägt wie bei asiatischen oder afrikanischen Partnern, dennoch lassen sich bei der Raumwahrnehmung gewisse Unterschiede feststellen, ein im Vergleich zu Polen, Italien oder Spanien größeres Bedürfnis der deutschen Partner, für sich zu sein (man braucht „seine Ruhe“; eine niedrigere Toleranz für Gäste; man schließt die Tür zum eigenen Zimmer). Die meisten Probleme in der nonverbalen Kommunikation gibt es im Bereich der Chronemik; sie sind auf Unterschiede im Umgang mit der Zeit zurückzuführen (in Deutschland wird vor allem auf Pünktlichkeit und Zeitpläne Wert gelegt, in Polen mehr auf die zwischenmenschlichen Beziehungen).

Ein zentrales Hindernis in der Kommunikation binationaler Ehepartner können die un­terschiedlichen Kommunikationsstile sein. In Edward Halls Typologie der Kommunikationsstile wird zwischen Kulturen mit hohem und Kulturen mit niedrigem Kontext­bezug differenziert (Hall 1976). In Kulturen mit niedrigem Kontextbezug wird alles wortwörtlich verstanden, die Botschaft ist direkt und zeichnet sich durch Präzision und Logik aus. In Kulturen mit hohem Kontextbezug verbirgt sich der Inhalt in der Regel zwischen den Wörtern, in einem Dickicht aus Anspielungen, Andeutungen, Unausgesprochenem und Mehrdeutigkeiten. Direkte Kritik und Absagen gelten als unhöflich, weshalb die Gesprächspartner das Wort „nein“ tunlichst meiden und stattdessen zum Beispiel „ich weiß nicht“, „mal sehen“ oder „ich werd’s versuchen“ sagen. Deutsche, die aus einer Kultur mit niedrigem Kontextbezug kommen, nehmen folglich die Äußerungen der Polen nicht selten als vage oder gar unehrlich wahr. Dagegen empfinden die in einer Kultur mit höherem Kontextbezug aufgewachsenen Polen die direkten Mitteilungen der Deutschen oft als rücksichtslos oder aggressiv und werfen ihnen gleichzeitig geistige Trägheit und mangelnde Empathie vor. In binationalen Ehen kann dieser Unterschied besonders stark spürbar sein, da wir es hier hauptsächlich mit Beziehungen zwischen einem Deutschen und einer Polin zu tun haben; zu den kulturellen Aspekten können demzufolge geschlechtsspezifische Unterschiede in den Kommunikationsstilen hinzukommen (Frauen benutzen häufiger einen Stil mit hohem Kontextbezug). Auf dieses Problem wurde auch im Zusammenhang mit anderen binationalen Ehen hingewiesen zum Beispiel sagt die englische Ehefrau: „Ich habe Eindruck, der Mülleimer ist voll“, während der deutsche Ehemann auf die Aufforderung „trag den Müll runter“ wartet (Scheibler 1992, S. 84). Aufgrund der Angewohnheit, „zwischen den Zeilen zu lesen“, ist der polnische Gesprächspartner ständig bemüht, „unausgesprochene“ Wünsche zu erfüllen. Typisch da­für sind Situationen, in denen er als Gastgeber auftritt. In Polen verneint ein Gast häufig die Frage, ob er etwas essen möchte, obwohl er hungrig ist, weil er nicht unhöflich oder gefräßig erscheinen möchte. Der sich dieser Tatsache bewusste Gastgeber erneuert deshalb sein Angebot und bringt dann meistens einen Imbiss, egal ob der Gast weiter ablehnt oder schließlich einlenkt („aber wirklich nur ganz wenig“). In Deutschland be­deutet eine verneinende Antwort, dass man nichts essen möchte, niemand wird deshalb das Angebot wiederholen. Infolgedessen sind die polnischen Gäste oft vom Geiz des Gastgebers überzeugt, während die deutschen Gäste sich erdrückt fühlen vom uner­wünschten Angebot (Jaroszewska 2003, S. 225). In binationalen Ehen verwischen diese Unterschiede allmählich; sie können allerdings ein Problem darstellen in den Kontakten mit der Familie und den Freunden des Partners. Ein anderer Bereich, in dem Schwierigkeiten auftreten können, die sich aus unterschiedlichen Kommunikationsstilen und Kulturstandards ergeben, ist die Meinung der Umgebung. In der kollektivistischeren polnischen Gesellschaft spielt Angst vor Kritik und vor der Reaktion der Umgebung sowie die Sorge, „das Gesicht zu verlieren“, eine viel größere Rolle. Aus diesem Grund nehmen Polen Kritik viel persönli­cher. Paradoxerweise widersprechen sie lobenden Worten zumeist, da es die Höflichkeit gebietet, die eigenen Verdienste zu verbergen, um nicht als unbescheidene Person zu gelten (Garlacz-Sobczyk 2013, S. 118 und 145-156). Solche ungeschriebenen Regeln können insbesondere in der Anfangsphase der Beziehung auf Unverständnis beim deutschen Partner stoßen.

In den letzten fünfzig Jahren wurden in der Bundesrepublik Deutschland etwa 190.000 deutsch-polnische Ehen geschlossen (in der überwiegenden Mehrzahl zwischen einer Polin und einem Deutschen), wobei davon ausgegangen werden kann, dass die Gesamtzahl der formellen und informellen deutsch-polnischen Lebenspartnerschaften in der BRD bei mehr als 200.000 liegt. Trotz der auftretenden Konfliktsituationen und der Kulturunterschiede (hauptsächlich auf der Ebene „Unsicherheitsvermeidung“ und „Kol­lektivismus – Individualismus“) sind Ehen zwischen einer Polin und einem Deutschen (also die häufigste Variante) durch relative Stabilität gekennzeichnet. Die Scheidungs­rate ist niedriger als bei deutsch-deutschen und polnisch-polnischen Ehen. Das gute Funktionieren dieser Beziehungen ist wahrscheinlich zum großen Teil der Tatsache ge­schuldet, dass die polnische Partnerin sich an deutsche Kulturstandards anpasst, parallel zu ihrer traditionelleren Auffassung, was Familie und gesellschaftliche Rollen betrifft. Dieser Mechanismus erinnert an das sowohl in der Forschung als auch in der Presse erörterte Phänomen der „Unsichtbarkeit“ der polnischen Migration, was mit der gu­ten Integration der polnischen Einwanderer zu tun hat, die nach außen hin als prob­lemlos erscheint. Diese Beobachtungen zeigen eine veränderte Perzeption der Polen in Deutschland – von einer vorwiegend negativen Wahrnehmung in den 1990er Jahren zu einer wesentlich positiveren nach dem Beitritt Polens in die Europäische Union, der der Phase des illegalen Zustroms und Handels ein Ende setzte (Nowosielski 2019, S. 75–100). Angesichts der Kontak­te, die derartige Beziehungen nach sich ziehen – zwischen den Ehepartnern und ihren Familien und Freunden –, sowie angesichts der Kinder mit polnischen und deutschen Wurzeln müssen deutsch-polnische Ehen als ein wichtiger Faktor der Interaktion zwi­schen den beiden Völkern betrachtet werden, der einen großen Beitrag (vielleicht einen größeren als sämtliche Initiativen von oben) zu ihrer Annäherung leistet.

Aus dem Polnischen von Andreas Volk

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Jaroszewska, Emilia, Dr. habil., verfasste den Beitrag „Deutsch-Polnische Ehen – Statistik, Umstände, Beziehungsmodell und Kommunikation“. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Warszawa und arbeitet in den Bereichen Kommunikation, Migration und Sozialpolitik.

 

 

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