Tobias Weger

Erinnerungspolitik ganz praktisch: Museen und Ausstellungen

Erinnerungspolitik ganz praktisch: Museen und Ausstellungen


Nach einer brauchbaren Definition des amerikanischen Museumsfachmanns George Ellis Burcaw versteht man unter einer Ausstellung eine „Ansammlung von Objekten künst lerischer, geschichtlicher, naturwissenschaftlicher oder technischer Art, durch die sich BesucherInnen in einer nach didaktischen oder ästhetischen Gesichtspunkten kon zipierten Abfolge von Einheit zu Einheit bewegen. Begleittexte und/oder -grafiken (Zeich nungen, Diagramme usw.) erleichtern die Interpretation, Erklärung oder Orien-tie rung der BesucherInnen. Üblicherweise beansprucht eine Ausstellung eine gewisse Flä che und besteht aus mehreren Exponaten oder großen Objekten und behandelt in der Regel eher ein breit angelegtes als ein eng gefasstes Thema“ (Burcaw 1997, S. 15).  

Grundsätzlich lassen sich Dauer- und Sonderausstellungen voneinander unterscheiden. Der übliche Ort von Dauerausstellungen ist das Museum oder verwandte Einrichtun­gen (Gedenkstätten, Dokumentationsstätten usw.), während zeitlich begrenzte Sonder-oder Wechselausstellungen auch an anderen Orten gezeigt werden können, sofern es die dafür erforderlichen konservatorischen Bedingungen und die Ansprüche an die Si­cherheit zulassen. Der Übergang zwischen Sonder- und Dauerausstellungen ist fließend, da auch eine auf longue durée angelegte Dauerausstellung keine ewige Existenz besitzt: Auch in einer permanenten Ausstellung findet in bestimmten Abständen ein Austausch einzelner Exponate oder ganzer Abteilungen statt, die aufgrund von inhaltlichen Neu­konzeptionen oder aus konservatorischen Erfordernissen nötig werden.

Der vorliegende Beitrag geht der Frage nach, welchen Stellenwert Polen, seine Geschich­te und Kultur sowie seine BewohnerInnen in deutschen Museen und Ausstellungen spielen. Dabei werden zunächst heute bestehende museale Einrichtungen mit einem deutlichen polnischen Akzent vorgestellt. Des Weiteren geht es um Sonderausstellun­gen mit einer expliziten oder impliziten Bezugnahme auf Polen oder auf die deutsch-polnische Beziehungsgeschichte. Aus Gründen der Realisierbarkeit werden dabei die seit der politischen Wende im östlichen Europa vergangenen Jahre in den Mittelpunkt gestellt. Eine vertiefte Berücksichtigung erfahren sodann Ausstellungen zum Thema Flucht und Vertreibung unter der besonderen Fragestellung, welches Bild Polens in diesem Kontext deutschen BesucherInnen vermittelt wird. Abschließend soll auf der Grundlage der behandelten Ausstellungen ein vorsichtiges Fazit für das bilaterale Kommunikationsgefüge gezogen werden.

Polnisches in deutschen Dauerausstellungen

Die realhistorische Bedeutung der deutsch-polnischen Beziehungen in Vergangen­heit und Gegenwart, soviel lässt sich bereits zu Anfang konstatieren, findet in der be­scheidenen musealen Präsenz Polens in Deutschland keine Entsprechung. Es existiert hierzulande keine einzige Einrichtung, die ihrem Rang nach etwa dem im Jahre 1870 auf Initiative polnischer Emigranten gegründeten Polenmuseum/Muzeum Polskie im schweizerischen Rapperswilf (Das Polenmuseum/Muzeum Polskie wurde als „Polnisches Nationalmuseum“ auf Initiative des patriotischen Exilpolitikers Graf Władysław Plater (1808–1889) am 28. Oktober 1870 im Schloss Rapperswil eröffnet und seither ständig erweitert. Es sollte in der aufgrund ihrer traditionellen Freiheitsliebe als geistig verwandt empfundenen Schweiz die Kultur der um ihre staatliche Freiheit und Unabhängigkeit ringenden polnischen Nation veranschaulichen. Dabei sollte es sowohl für das polnische Exil als auch für allgemeine BesucherInnen als eine Art Lernort fungieren. Im Jahre 1927 erfolgte der Abtransport der Exponate nach Warschau. 1936 wurde erneut eine Sammlung des zeitgenössischen Polen im Schloss Rapperswil aufgebaut, die 1952 ihrerseits nach Polen verlagert wurde. Ab 1975 begann der Aufbau des heutigen Museums, das insbesondere durch die Sammlungen polnischer EmigrantInnen in der westlichen Welt bereichert wurde und heute erneut eine der weltweit wichtigsten Kollektionen zur polnischen Geschichte, aber auch zu den polnisch-schweizerischen Beziehungen, umfasst. Vgl. http://www.muzeum-polskie.org/muzeum/ 10.2.2013. In der Schweiz ist auch das 1936 eröffnete Kościuszko-Museum/Muzeum im. Tadeusza Kościuszki in Solothurn zu erwähnen, das im Sterbehaus des polnischen Generals (1746–1817) eingerichtet wurde; vgl. https://www.kosciuszko-solothurn.ch/18.2.2013) oder den musealen Institutionen der Polonia in den USA (Hier ist vor allem das Polish Museum of America/Muzeum Polskie w Ameryce in Chicago zu erwähnen, das seit dem Jahre 1937 besteht und zu den größten ethnischen Museen in den USA zählt. Vgl. dazu mit polnisch- und englischsprachigen Informationen: https://www.polishmuseumofamerica.org/, 10.2.2013) das Wasser reichen könnte.

Eine der wenigen deutsch-polnischen Museumseinrichtungen entstammt einer Initiati­ve aus Zeiten der DDR: Seit dem Jahre 1960 besteht in einem villenartigen Gebäude in der Dresdner Neustadt, in dem zwischen 1873 und 1879 der polnische Schriftsteller Jó­zef Ignacy Kraszewski (1812–1887) einen Teil seiner sächsischen Exiljahre verlebte und einige seiner wichtigen Werke verfasste, das Kraszewski-Museum (Dazu ausführlich Thümmler 1961, S. 121–124; Wolska-Grodecka 1996). Es war von Anfang an als Literaturmuseum konzipiert und wurde nach der politischen Wende von 1989/90 zunächst aufwändig renoviert. Themen der Ausstellung waren neben dem Leben und Schaffen Kraszewskis und seiner Bezüge zu Dresden auch die Zeitumstände – die polni­schen Emigrationswellen des 19. Jhs. und ihre deutschen Auswirkungen – sowie generell die polnisch-sächsischen Beziehungen. Allerdings war die Existenz des Museums zwan­zig Jahre später infrage gestellt, als 2011 aufgrund polnischer Kulturgesetze ein Groß­teil der Originalexponate nach Warschau zurückgebracht werden musste. Als Ergebnis eines bilateralen Kooperationsprojekts konnte der Fortbestand des Hauses, das zu den Städtischen Museen Dresden gehört, dennoch gesichert und am 18. Januar 2013 eine neue, bescheidenere Dauerausstellung mit 60 Exponaten – ausschließlich Leihgaben des Muzeum Adama Mickiewicza in Warschau – eröffnet werden. Dafür bietet das Muse­um nunmehr Platz für Wechselausstellungen zu mannigfachen Aspekten der deutsch-polnischen Kulturbeziehungen und versteht sich darüber hinaus als Ort der Begegnung, in dessen Begleitprogramm auch die Deutsch-Polnische Gesellschaft Sachsen e. V. sowie Organisationen der Polonia in den neuen Bundesländern involviert sind.

Im Rahmen einer deutsch-polnischen Regierungsvereinbarung aus dem Jahre 2011 wurden den in Deutschland ansässigen Polen minderheitenähnliche Rechte zugestan­den und in diesem Zusammenhang auch der Aufbau eines Museums für die Kultur und Geschichte der Polonia in Deutschland vereinbart (Vgl. Jaeger-Dabel). Diese Einrichtung sollte ihren Standort im Ruhrgebiet erhalten, wo mit den so genannten Ruhrpolen ein traditionell starker polnischer Bevölkerungsanteil vorhanden war. Die Trägerschaft der Einrichtung wurde dem LWL-Industriemuseum in Bochum übertragen, das bei der Realisierung dieses Projektes mit zahlreichen polnischen Organisationen und bilateral tätigen Insti­tutionen kooperiert. Am 9. September 2012 veranstaltete das LWL-Industriemuseum eine Tagung zum Thema Wie polnisch ist Nordrhein-Westfalen? (Vgl. https://www.lwl-industriekultur.de/en/, 12.2.2013). Entstanden ist seither eine „digitale Dokumentationsstelle“ unter der Bezeichnung Porta Polonica, die sich mit den vielfältigen Aspekten polnischen Lebens in Deutschland befasst. Ausgehend vom Konzept der Erinnerungsorte (→ deutsche und polnische Erinnerungskultur) präsentiert die Einrichtung im Internet eine Enzyklopädie mit vertiefenden Artikeln sowie eine fa­cettenreiche Online-Ausstellung (Vgl. https://www.porta-polonica.de/de, 31.12.2020). Ob darüber hinaus langfristig auch an die Schaffung einer realen Ausstellung gedacht wird, dazu halten sich die Verantwortlichen bedeckt.

Andernorts sind polnische Aspekte in die Präsentationen mehrerer Dauerausstellun­gen integriert. Dies betrifft insbesondere die polnischen Aufständischen, die im 19. Jh. mit deutschen Liberalen interagierten. Im Schloss von Rastatt wurde am 26. Juni 1974 auf Initiative des damaligen Bundespräsidenten Gustav Heinemann (1899–1976) eine Erinnerungsstätte für die Freiheitsbewegungen in der deutschen Geschichte eröffnet, die unter der Leitung des Bundesarchivs die freiheitlich-demokratischen Traditionen der Deutschen herausstellen soll und sich in diesem Sinne von Anfang an als politischer „Lernort“ begriff. In einer chronologischen Schilderung, ausgehend von den sozialen Unruhen des Spätmittelalters und nach 1990 erweitert um die friedliche Revolution in der DDR, wird in Rastatt der Einsatz von Deutschen für Freiheit und Gerechtigkeit gewürdigt. In diesem Zusammenhang wird auch auf das polnische politische Exil in deutschen Landen nach dem gescheiterten Novemberaufstand von 1830 gegen die rus­sische Teilungsmacht und seine Beziehungen zu deutschen freiheitsliebenden Menschen jener Zeit eingegangen. Allerdings überrascht an manchen Stellen die Wortwahl der Präsentation, wenn etwa davon gesprochen wird, „die Polen“ hätten in Deutschland „als revolutionärer Sauerteig“ gewirkt und seien „bei allen Unruhen und Aufständen“ her­vorgetreten (→ polnische Freiheit; → der edle Pole). „Polnische Berufsrevolutionäre“ hät­ten sich am Hambacher Fest (27. Mai 1832) und am Frankfurter Wachensturm (3. April 1833) beteiligt (Vgl. Koops). Ohne vermutlich eine solche Absicht zu verfolgen, delegitimiert diese Formulierung die Beteiligung polnischer Freiwilliger an zahlreichen europäischen und außereuropäischen Freiheitsbewegungen unter dem Motto „Za waszą i naszą wolność“ („Für Eure und unsere Freiheit“).

Auch am wichtigsten Pfälzer Gedenkort für den Vormärz, im Hambacher Schloss, wird der polnische Anteil an der Kundgebung vom Mai 1832 berücksichtigt. Diese Bedeutung hat sich auch in zwei prominenten Besuchen niedergeschlagen: Im Jahre 1998 pflanzte der ehemalige polnische Bürgerrechtler und Staatspräsident Lech Wałęsa vor dem Ham­bacher Schloss eine symbolische Eiche; im Februar 2001 tagte im Hambacher Schloss das Weimarer Dreieck, vertreten durch Bundeskanzler Gerhard Schröder und die Staatsprä­sidenten Jacques Chirac aus Frankreich und Aleksander Kwaśniewski aus Polen.

Ein ganz anders gelagertes Beispiel polnischer Museumspräsenz bietet eine Außenstelle des Bayerischen Nationalmuseums in München, die Ökumenische Sammlung Gertrud Weinhold im Alten Schloss Schleißheim. Sie zeigt seit den 1980er Jahren in einem Arran­gement nach dem religiösen Jahreslauf Objekte unterschiedlicher christlicher Konfessi­onen, die die Kunstgewerblerin und evangelische Volksmissionarin Gertrud Weinhold (1899–1992) in vielen Jahrzehnten zusammengetragen hat (https://www.bayerisches-nationalmuseum.de/index.php?id=578, 10.02.2013). Dabei sind Schnitzereien und andere Gegenstände aus Polen, die Weinhold selbst bei polnischen Volkskünstle­rInnen erworben hat, proportional stark vertreten. Weitere volkskundliche Sammlungs-und Ausstellungsobjekte aus Polen in deutschen ethnografischen Sammlungen, etwa in Berlin, ließen sich anführen.

Sonderausstellungen mit polnischen Akzenten

In den vergangenen Jahren haben eine Reihe von großen Ausstellungen bestimmte As­pekte der deutsch-polnischen Beziehungen einem größeren Publikum nahegebracht. Zu­meist handelte es sich dabei um geschichtspolitisch motivierte Veranstaltungen, die an Jahrestage bestimmter Ereignisse geknüpft waren bzw. bilaterale Großereignisse in der Gegenwart flankieren sollten. Die Grenzen zwischen historischer Aufarbeitung, kulturel­ler Ästhetisierung und dem von Klaus Bachmann einmal so bezeichneten „Versöhnungs­kitsch“ (Vgl. Klaus Bachmann, Versöhnungskitsch zwischen Deutschen und Polen, in: taz vom 5.8.1994; zu dem Begriff und seiner Anwendbarkeit auch die Beiträge in: Henning Hahn/Hein-Kircher/Kochanowska-Nieborak) als geschichtspolitische Begleitmusik verliefen in den einzelnen Fällen fließend. Die folgenden Beispiele bilden nur eine Auswahl, die sich noch erweitern ließe.

Die unter der Ägide des Europarats zum Jahrestag des sogenannten Akts von Gnesen, der berühmten Begegnung Kaiser Ottos III. (980–1002) und des polnischen Fürsten Bolesław I. Chrobry (967–1025) am Grab des Heiligen Adalbert (um 956–997), veran­staltete Präsentation Europas Mitte um 1000 thematisierte den „Eintritt der Ungarn und Westslawen in das christlich-lateinische Abendland um das Jahr 1000“ (Ausstellungen, in: Althoff 2009, S. 361). Die in mit­teleuropäischen Großstädten (Die Ausstellung wurde im Magyar Nemzeti Múzeum in Budapest, 20.08.–26.11.2000, im Muzeum Narodowe in Krakau, 20.12.2000–25.03.2001, im Martin-Gropius-Bau in Berlin, 13.05.– 19.08.2001, im Reiss-Engelhorn-Museum in Mannheim, 07.10.2001–27.01.2002, im Starýkrálovský palác na Pražském hradě in Prag, 17.03.–09.06.2002 und im Bratislavský hrad in Bratislava, 21.07.–21.10.2002, gezeigt. Vgl. Alfried Wieczorek/Hinz 2000, 3 Bde.) gezeigte Ausstellung stellte eine Parallele zwischen dem damals bevorstehenden EU-Beitritt mehrerer wichtiger ostmitteleuropäischer Staaten und der Politik der ottonischen „Renovatio Imperii“ her und versuchte auf diese Weise, eine 1000-jährige Kontinuitätslinie zu konstruieren.

Der offenkundigen Sympathiewerbung diente auch ein Ausstellungsprojekt im Deutsch- Polnischen Jahr 2005/2006 sowie zum 175. Jahrestag des polnischen Novemberauf­stands. Die Rede ist von der vom Museum Europäischer Kulturen in Berlin realisierten Ausstellung Polenbegeisterung. Deutsche und Polen nach dem Novemberaufstand 1830, die durch mehrere Städte Deutschlands und Polens gewandert ist (Vgl. Michalka/Rautenberg/Vanja 2005; Galas 2005).

Die Ausstellung Deutsche und Polen – 1.9.39 – Abgründe und Hoffnungen im Deutschen Historischen Museum (DHM) in Berlin sollte vordergründig an den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs infolge des deutschen Überfalls auf Polen 1939 erinnern (Vgl. Asmuss 2009); darüber hinaus sollte sie aber auch geschichtspolitische Irritationen abfedern, die in Polen durch die deutsche geschichtspolitische Fixierung der Bundesregierung auf das Thema Flucht und Vertreibung (siehe unten) entstanden waren. Dafür gelang es, den renommierten Warschauer Historiker Tomasz Szarota als Berater zu gewinnen (Vgl. Sven Felix Kellerhoff, Polen und Deutsche können sehr wohl miteinander, in: Die Welt vom 28.5.2009).

Im Rahmen der polnischen EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte 2011 entstand die Idee zur Ausstellung Tür an Tür. Polen – Deutschland, 1000 Jahre Kultur und Geschichte (Vgl. Omilanowska 2011a; Omilanowska 2011b). Sie wurde nacheinander im Warschauer Königsschloss (Zamek Królewski w Warszawie) und im Martin-Gropius-Bau in Berlin gezeigt. In insgesamt zehn Abteilungen wurden die vielfältigen deutsch-polnischen Wechselbeziehungen in Politik, Wirtschaft, Kultur und Krieg anhand von 800 künstlerischen Artefakten und Dokumenten vom 10. bis zum Beginn des 21. Jhs. dargestellt, wobei eine Reihe bekannter Wissenschaftle­rInnen unterschiedlicher Disziplinen zur Mitarbeit am Katalog eingeladen wurden. Wie hoch dieser Event aufgehängt war, zeigt die Tatsache, dass die Ausstellung nicht nur unter der Schirmherrschaft der beiden Präsidenten Bronisław Komorowski und Christi­an Wulff stand, sondern auch in Anwesenheit beider Staatsoberhäupter eröffnet wurde. In zahlreichen Rezensionen wurde die Ausstellung als ein wichtiges Anzeichen für eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Deutschland und Polen gedeutet (Vgl. Steppacher 2012, S. 120–125).

Ein weiteres Beispiel einer Großausstellung mit deutlichen polnischen Akzenten ist Europa Jagellonica. Kunst und Kultur Mitteleuropas unter der Herrschaft der Jagiellonen 1386–1572, die nacheinander in Kutná Hora (Tschechische Republik), Warschau und Potsdam gezeigt wurde (Ausstellungsorte waren die Galerie středočeského kraje in Kutná Hora (19.05.–30.09.2012), das Zamek Królewski in Warschau (10.11.2012–27.01.2013) und das Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte in Potsdam (01.03.–16.06.2013). Vgl. http://www.uni-leipzig.de/~gwzo/index.php?option=com_content&view=article&id=678&Itemid=567, 13.2.2013). Sie intendiert anhand der „litauisch-polnischen Dynastie der Jagiellonen“ eine Präsentation der „Kunst- und Kultur Mitteleuropas in transnationaler Perspektive in ihren historischen, politischen und wirtschaftlichen Zusammenhängen“ (http://www.uni-leipzig.de/~gwzo/index.php?option=com_content&view=article&id=678&Itemid=567, 13.2.2013). So sympathisch diese vom Geisteswissenschaftlichen Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas (GWZO) in Leipzig konzipierte Darstellung auch wirken mag, auch sie ist – ähnlich wie die Ausstellung des Jahres 2000 – nicht frei von einer klar durch­schaubaren geschichtspolitischen Botschaft: In einer Zeit zunehmender Europaskepsis soll implizit durch das Aufzeigen der zahlreichen dynastischen Verflechtungen der Ja­giellonen, insbesondere mit deutschen Fürstenhäusern, der Europäisierungsdiskurs ge­stärkt werden. Das Europa „avant la lettre“, ein dichtes Netzwerk am Übergang vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit, wird als Idealmodell nationalen Betrachtungsweisen entgegengesetzt.

Die Beziehungen zwischen Deutschen und Polen ruhen auf persönlichen Kontakten – seien es die herausragender Einzelpersönlichkeiten, oder ganzer Gruppen und Genera­tionen bekannter oder weniger bekannter Individuen. Einem der wichtigsten Protago­nisten des bilateralen Beziehungsgeflechts in seinen unterschiedlichen Schattierungen, dem Widerstandskämpfer, Publizisten und Politiker Władysław Bartoszewski, gilt die biografische Ausstellung Bartoszewski 1922–2015. Widerstand – Erinnerung – Versöh­nung, die seit 2018 durch verschiedene Städte in Deutschland tourt (Vgl. https://www.dpgberlin.de/de/bartoszewski-initiative/ausstellung/, 31.12.2020). Zuletzt kam unter maßgeblicher konzeptioneller Beteiligung des Deutschen Polen-Instituts in Darmstadt die Ausstellung Lebenspfade/Ścieżki życia. Polnische Spuren in RheinMain zustande, die ebenso einen stark biografischen Ansatz verfolgte und zur Jahreswende 2019/2020 im Haus am Dom in Frankfurt am Main zu sehen war (Vgl. https://www.deutsches-polen-institut.de/kultur/..., 31.12.2020).

Ein besonderer Fall: Sonderausstellungen zum Themenkreis Flucht und Vertreibung

Parallel zum Europäisierungsdiskurs, wie er in einigen der genannten Ausstellungen zum Ausdruck kam, fand in Deutschland ein erneuter Erinnerungsboom statt, der vielfach Züge einer Selbstbezogenheit artikulierte. Wie die Historiker Eva und Hans Henning Hahn an mehreren Stellen aufgezeigt haben, handelt es sich bei dem Begriffspaar „Flucht und Vertreibung“, das im allgemeinen deutschen Sprachgebrauch die Zwangsmigration von Deutschen aus dem östlichen Europa während und nach dem Zweiten Weltkrieg umschreibt, um einen zentralen Erinnerungsort der Bundesrepublik Deutschland (Vgl. Hahn/Hahn 2001, Hahn/Hahn 2010). Die Autoren konnten im Übrigen nachweisen, dass auch in der ehema­ligen DDR das Thema keinesfalls „tabuisiert“, sondern lediglich auf eine andere Weise erinnert wurde als zeitgleich in der Bundesrepublik Deutschland. Da statistisch gese­hen der größte Kreis der Betroffenen entweder aus den 1945 an Polen übergegangenen ehemals preußischen Ostprovinzen stammten, Angehörige der deutschen Minderheit im Vorkriegspolen gewesen waren oder zur Gruppe der von den Nationalsozialisten Volks­deutschen“ aus dem sowjetischen Einflussbereich des östlichen Europa im Sinne des Hitler-Stalin-Paktes gehörten, kommt der Frage nach dem Bild Polens und der Polen in musealen Umsetzungen des Themas ein wichtiger Stellenwert zu. Die erste Wanderausstellung zu Flucht und Vertreibung – Deutsche Heimat im Osten –, dies hat Tim Völke­ring dargelegt, stammt bereits aus dem Jahr 1950 (Vgl. Völkering, 2010, S. 100f.) – also gerade einmal fünf Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reiches.

Nicht ohne Auswirkungen auf die deutsch-polnischen Beziehungen blieben die seit den 1990er Jahren zu diesem Themenkreis organisierten Ausstellungen. Im Jahre 1994 be­reitete sich die Bundesrepublik Deutschland auf den 50. Jahrestag des Kriegsendes 1945 vor, der im darauffolgenden Jahr anstand. Dabei sollte im wiedervereinigten Deutsch­land auch die Rolle der Deutschen als Opfer der Zeitgeschichte herausgestellt werden. Das Deutsche Historische Museum organisierte aus diesem Anlass von Juli bis November 1994 im Lokschuppen in Rosenheim die Ausstellung Deutsche im Osten (Vgl. Deutsches Historisches Museum Berlin 1994). Sie verstand sich allerdings in erster Linie in einem traditionellen Sinne als eine Art Leistungsschau deutscher Kultur und Geschichte im östlichen Europa, in der etwa die Königsberger Philosophen oder die Breslauer Silberschmiedekunst besonders herausgestellt wurden. Auf diese Weise stellte sie den Verlust an kulturellen Werten in den Mittel­punkt und weniger das historische Geschehen von Flucht und Vertreibung.

Geschichtspolitische Bedeutung erlangte im deutsch-polnischen Nachbarschaftsverhältnis der seit 1999 vom Bund der Vertriebenen (BdV) in mehreren Varianten vorgebrachte Plan, an prominenter Stelle in Berlin ein Zentrum gegen Vertreibungen (ZgV) zu errich­ten (Vgl. Buras/Majewski 2003, Piskorski 2004, Łada 2006, Troebst 2006). Über Sinn und Zweck dieses Vorhabens wurden vehemente öffentliche Debatten, auch über die Staatsgrenzen hinweg, geführt. Entsprechend groß war das Interesse der Öffentlichkeit an der vom BdV gegründeten Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen und deren im Sommer und Herbst 2006 gezeigten Ausstellung Erzwungene Wege – Flucht und Vertreibung im Europa des 20. Jahrhunderts, die der Öffentlichkeit einen Vorge­schmack auf eine künftige dauerhafte Präsentation geben sollte. Dies umso mehr, als die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag vom 11. No­vember 2005 formuliert hatte: „Die Koalition bekennt sich zur gesellschaftlichen wie historischen Aufarbeitung von Zwangsmigration, Flucht und Vertreibung. Wir wollen im Geiste der Versöhnung auch in Berlin ein sichtbares Zeichen setzen, um – in Verbin­dung mit dem Europäischen Netzwerk Erinnerung und Solidarität über die bisher betei­ligten Länder Polen, Ungarn und Slowakei hinaus – an das Unrecht von Vertreibungen zu erinnern und Vertreibung für immer zu ächten“ (http://koalitionsvertrag.spd.de/servlet/PB/show/1645854/111105_Koalitionsvertrag.pdf>, 17.2.2013). 

Die Ausstellung wurde in drei Räumen im Obergeschoß des Kronprinzenpalais in Ber­lin, Unter den Linden, einer der prominentesten Adressen in der deutschen Hauptstadt (Vor 1989 beherbergte das kriegszerstörte, aber 1968/69 in seiner äußeren Fassadengestaltung rekonstruierte Gebäude das offizielle DDR-Gästehaus), am 10. August 2006 eröffnet. Eine einführende Tafel nannte „die Umsetzung der Idee des ethnisch homogenen Nationalstaates“ als „eine der Hauptursachen“ für Flucht und Vertreibung, in einer erweiterten Perspektive wurden auch „Rassismus und Antisemi­tismus“ dafür verantwortlich gemacht (Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen, S. 22). Damit wurde verdeutlicht, dass – neben der im Titel angesprochenen Betrachtung ganz Europas – auch unterschiedliche Gruppen in den Blickwinkel genommen werden sollten. Der Vergleich der „Vertreibung“ (Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen, S. 44–51) von Deutschen und Juden, der in der Ausstellung selbst noch einmal aufgegriffen wurde, war zweifelsohne der Genese des Projekts Zentrum gegen Vertreibungen geschuldet, für die das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in der Nähe des Brandenburger Tors inspirierend wirkte. Während auch die AutorInnen der Ausstellung Erzwungene Wege betonten, dass die Gründe für Zwangsmigrationen von Fall zu Fall unterschiedlich sein können, wurde bereits im Eingangsbereich der einzige gemeinsame Nenner aller dieser Prozesse verschwiegen, der sich gleichwohl als nicht ausgesprochener Subtext wie ein roter Faden durch alle Fallbeispiele zog: der Krieg.

Dem selbst gesetzten Anspruch einer Europäisierung des Themas Flucht und Vertrei­bung konnte die Ausstellung Erzwungene Wege nicht gerecht werden. Relativ willkürlich wurden in der Präsentation sehr unterschiedlich motivierte und in jeweils singulären Bezugsrahmen durchgeführte Zwangsmigrationen zwischen 1915 und den 1990er Jah­ren aneinander gereiht. Durch die Ausstellung sollte das Paradigma der „ethnischen Säuberung“ (Vgl. Naimark 1998, Naimark 2005/2006; kritisch dazu Staněk 2004 sowie Hahn/Hahn 2006a) festgeklopft werden, das den Nationalstaat – und eben auch seine demo­kratische Variante, wie er nach dem Ersten Weltkrieg in vielen Ländern Ostmitteleuro­pas, so auch im wieder erstandenen Polen, realisiert wurde – diskreditierte und an den Anfang allen Übels stellte. In logischer Weiterführung dieses Gedankens wäre bereits in der Gründung der Republik Polen und der Tschechoslowakischen Republik nach dem Ersten Weltkrieg der Keim für Flucht und Vertreibung angelegt gewesen. Die fol­genden Betrachtungen beziehen sich lediglich auf die Ausstellungsteile, in denen Deut­sche als Opfer dargestellt wurden: Diese Reihe beginnt mit der Vertreibung der Juden in Deutschland ab 1933, die als „Beginn des Holocaust“ (→ Holocaust) bezeichnet wird (Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen 2006, S. 44). Bereits im Titel fällt auf, dass nicht von der „Vertreibung der Juden aus Deutschland“, sondern „in Deutschland“ gesprochen wird. Dahinter steht ein fragwürdiges Weltbild, dass sich beim weiteren Lesen des Textes offenbart: „Die Weimarer Verfassung garan­tierte Juden und Nichtjuden gleiche Rechte“ (Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen 2006, S. 44). Eine solche diskriminierende Bestim­mung gegenüber den Deutschen jüdischer Religionszugehörigkeit sucht man jedoch in der Weimarer Reichsverfassung von 1919 vergeblich. Artikel 113 WRV garantierte den „fremdsprachigen Volksteilen des Reiches“ gewisse Freiheitsrechte (Schuster 1982, S. 119); gemeint waren da­mit die anerkannten nationalen Minderheiten, nämlich Dänen, Polen, Sorben und Frie­sen. Die Weimarer Verfassung gewährte in Artikel 135 allen Reichsbürgern das Recht auf freie Religionsausübung (Schuster 1982, S. 122). Die Heraushebung einer bestimmten religiösen Gruppe als „Minderheiten“ hätte aber in den Augen der Verfassungsväter dem demokratischen Gleichheitsgrundsatz eklatant widersprochen. Deutsche StaatsbürgerInnen jüdischer Religionszugehörigkeit genossen ebenso wie etwa Katholiken, Lutheraner, Reformier­te, Buddhisten oder Atheisten die vollen Rechte. Die Ausstellung Erzwungene Wege ging derart von einem ethnischen Verständnis der Juden aus. Verräterisch ist in diesem Zusammenhang die Formulierung einer „Germanisierungspolitik der Nationalsozialis­ten“ (Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen 2006, S. 46) gegenüber der „jüdischen Bevölkerung“ (Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen 2006, S. 44). Sie redete einem ethnischen Konstrukt das Wort, das den Juden erneut den Stempel des „Fremden“ aufdrücken wollte.

Beim Abschnitt zu Angehörigen deutscher Minderheiten im östlichen Europa, die während des Zweiten Weltkriegs unter der Parole Heim ins Reich im von Deutschen besetzten Polen angesiedelt wurden, gab die verharmlosend klingende Aussage zu denken, das Deut­sche Reich sei bestrebt gewesen, „den Umsiedlern vergleichbare Existenzbedingungen wie in der alten Heimat zu bieten“ (Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen 2006, S. 68). Diese Wendung verharmloste jahrelanges Lagerda­sein, die Inbesitznahme geraubten und beschlagnahmten polnischen Wohnraums und Hausrats oder die ständige Angst vor Angriffen aus Kreisen der Widerstandsbewegung.

Das Kapitel zur Vertreibung der Deutschen am Ende des Zweiten Weltkrieg begann mit einem Rückblick auf die Zeit nach 1918. In der für die Vertriebenenverbände bezeich­nenden Verachtung für die auf den Pariser Friedenskonferenzen beschlossene europäi­sche Staatenordnung nach dem Ersten Weltkrieg wurden die „Repressionen“ gegen die „deutschen Minderheiten in den Territorien, die das Deutsche Reich nach dem Versailler Vertrag abtreten musste“, hervorgehoben (Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen 2006, S. 74). Die anschließende „kalte Vertreibung“ habe bis 1939 ca. 1,5 Millionen Deutsche betroffen. Mit keinem Wort wurden die vorausgegangenen Unterdrückungsmethoden der preußischen Behörden und Verbände gegen die polnische Zivilbevölkerung im Posener Land sowie die preußische Ansiedlungspoli­tik zwischen 1871 und 1914 benannt.

Für die Flucht und Vertreibung der Deutschen nach 1945 gab der BdV mit „12 bis 14 Millionen“ (Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen 2006, S. 74) Betroffenen eine vergleichsweise niedrige Zahl unter den in der deutschen Literatur und Publizistik zu findenden verwirrenden Angaben an, die zwischen fünf und 25 Millionen schwanken (Hahn/Hahn 2006b). Doch schon der nächste Satz machte jeden kritischen Betrachter stutzig: Auslöser von Flucht und Vertreibung sei der „Vormarsch der Ro­ten Armee“ gewesen (Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen 2006, S. 74). Die AusstellungsautorInnen verschwiegen, dass der Vormarsch der Roten Armee im Rahmen alliierter Absprachen der Anti-Hitler-Koalition erfolgte, deren gemeinsames Ziel die Niederwerfung der NS-Diktatur in Deutschland und die Befreiung der von ihr okkupierten Ländern war. Die „Hauptursache“ der Vertreibung aus den ehemaligen östlichen Reichsgebieten aber, so die Ausstellungsautoren weiter, sei „die durch Stalin betriebene und von den Westalliierten und der polnischen Regierung akzeptierte Westverschiebung Polens bis an die Oder-Neiße-Grenze“ (Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen 2006, S. 74f.) gewesen. Den Regierungen der Tschechoslowakei und Polens wurde gar vorgehalten, bereits „mit Kriegsbeginn“ an der Vertreibung der Deutschen gearbeitet zu haben (Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen 2006, S. 75). Welches Geschichtsbild sich hinter dieser vagen Aussage verbarg, offenbarte die damalige BdVPräsidentin Erika Steinbach in einem entlarvenden Interview im Deutschlandfunk am5. September 2006: „Ohne Hitler, ohne den Nationalsozialismus hätten all die Wünsche, Deutsche zu vertreiben, die es in der Tschechoslowakei schon davor gegeben hat, die es in Polen schon davor gegeben hat, niemals umgesetzt werden können. Hitler hat die Tore aufgestoßen, durch die andere dann gegangen sind, um zu sagen, jetzt ist die Gelegenheit, die packen wir beim Schopfe“ ( deutschlandradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/539126/, 10.2.2013).

In die Gedankenwelt des BdV passte auch die in der Ausstellung reproduzierte Ethno karte Siedlungsgebiete von Deutschen außerhalb der Reichsgrenzen von 1937 (Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen 2006, S. 75), die eine graphisch modernisierte Variante einer in den 1920er Jahren entwickelten Karte des „deutschen Volks- und Kulturbodens“ von A. Hillen Ziegfeld (1894–?) darstellt (Thalheim/Ziegfeld 1936, S. 5). Doc nicht nur in der Kartographie, auch im Wort knüpfte die Vertreibungsausstellung an nationalistische Ideen an. Dass es, wie im Kapitel Flucht der deutschen Zivilbevölkerung vor der Roten Armee ausgeführt wurde, zu Gewalttaten gegenüber den Deutschen in den von der sowjetischen Armee erreichten Gebieten kam, ist heute unbestritten. Allerdings waren die „Massaker“ (Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen 2006, S. 77)– so der Originalton des Ausstellungstextes – eine der letzten Propagandakampagnen von Joseph Goebbels, um die Kampfbereitschaft der Deutschen gegenüber den „Russen“ zu erhöhen. Gerade die jüngere Forschung zu den Ereignissen im ostpreußischen Dorf Nemmersdorf/Majakowskoje im Oktober 1944 (Fisch 1997) hat dies – üb-rigens seitens Betroffener – klar erwiesen.

Insgesamt gesehen wirkte die Ausstellung modern, wenngleich auf eine befremdliche Weise glatt und wenig ansprechend. Das kühle Design war eine Hülle für harte Inhalte, für die weitere Verbreitung altbekannter → Stereotypen zum Thema Vertreibung. Für Kenner des BdV-Diskurses enthielt Erzwungene Wege wenig Neues oder gar Überraschendes. Während der ersten Wochen der Ausstellung im Berliner Kronprinzenpalais nutzten zahlreiche BesucherInnen die Gelegenheit zu einem vergleichenden Besuch im gegenüberliegenden Haus der Deutschen Geschichte, wo zu jener Zeit die Ausstellung Flucht, Vertreibung, Integration des Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland aus Bonn präsentiert wurde. In Bonn war sie im Dezember 2005 unter großer Anteilnahme der in- und ausländischen Öffentlichkeit eröffnet worden.

Auch wenn das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ursprünglich den Anspruch gehabt haben mag, mit dieser Ausstellung ein Gegengewicht zur BdV-Initia­tive zu schaffen, beruhte doch ihr Konzept auf identischen Paradigmen. Auch hier stand für die Deutung des 20. Jhs. als „Jahrhundert der Vertreibungen“ (http://www.dhm.de/ausstellungen/flucht-vertreibung/gliederung.html, 1.3.2007) , die häufig aus dem Bestreben, „ethnisch homogene Staaten zu schaffen“, stattgefunden hätten, das Konzept der „ethnischen Säuberungen“ des US-Historikers Norman M. Naimark Pate. Der im Eingangsbereich aufgestellte „Rungenwagen“ wurde in der Ausstellung als Symbol von Flucht und Vertreibung präsentiert. Was fehlte, war der Hinweis, dass das zugrunde liegende Bild des „Trecks“ spätestens 1914 durch die deutsche Kriegspropaganda im Ersten Weltkrieg geprägt wurde, als „deutsche Vertriebene“ (auf der Flucht vor der russischen Armee) in Ostpreußen massenhaft auf Ansichtskarten dargestellt wurden. Ab 1939 wurde der Wagen zum Symbol der nationalsozialistischen „Heimholungen“ – also der Zwangsumsiedlungen von Deutschen aus verstreuten Gebieten im östlichen Europa in das besetzte Polen. Dazu gehört auch, dass nach 1945 häufig NS-Propagandafotos der Umsiedlungen als Illustrationen von Flucht und Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg eingesetzt wurden, um die unwirtlichen Winterlandschaften der angeblichen „polnischen Grausamkeit“ anlasten zu können.

Sowohl die Ausstellung als auch das Begleitbuch des Bonner Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland beinhalteten faktische Fehler. Bei einer Karte zur Westver­schiebung Polens (Rösgen 2005, S. 54) fiel etwa die Inkonsequenz der Ortsnamen ins Auge: Während dort „Warschau“, „Posen“, „Bromberg“, „Krakau“ usw. jeweils in deutscher Sprache eingezeichnet waren, wurde mit „Czenstochowa“ eine erfundene Schreibweise des wichtigsten polnischen Wallfahrtsortes Częstochowa angegeben, dessen deutschsprachiger Name konsequenter Weise „Tschenstochau“ gelautet hätte.

Das im Katalog abgebildete Foto der Potsdamer Konferenz mit Winston Churchill, Harry S. Truman und Josef Stalin trug den Titel: ,Die großen Drei‘: Winston S. Chur­chill, Harry S. Truman und Josef Stalin legen im August 1945 in Potsdam die neuen Gren­zen Deutschlands fest (Rösgen 2005, S. 185). Zwar gehört es zu den beliebten deutschen Stereotypen, Winston Churchill eine Mitverantwortung für Flucht und Vertreibung zuzuschreiben – der Osteuropa-Historiker Hans Lemberg stellte ihn deswegen vor einigen Jahren sogar in eine Reihe mit Hitler, Stalin und Beneš (Lemberg 2001, S. 13f.) –, doch war Churchill bei der Ausformulierung und Verkündung der Potsdamer Beschlüsse gar nicht mehr anwesend, nachdem seine Konservative Partei am 3. Juli die britischen Unterhauswahlen verloren hatte. Wer die Protokolle der Potsdamer Konferenz aufmerksam studiert, wird sich im Übrigen ein Bild davon machen können, dass Churchill keineswegs zu den vehementen Verfechtern von Vertreibungen zählte.

Bedenkt man, dass die angekündigte Dauerausstellung der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung (SFVV) in Berlin sich in wesentlichen Teilen auf die beiden Ausstellungen Erzwungene Wege und Flucht, Vertreibung, Integration stützen soll, so sind hier ungeach­tet der Einbeziehung polnischer Wissenschaftler in den Beirat des Gremiums künftige geschichtspolitische Kontroversen im deutsch-polnischen Verhältnis vorprogrammiert. Beide Präsentationen stellten im Grunde die Rechtmäßigkeit der Neugründung Polens 1918 infrage bzw. unterstellten diesem Akt der nationalen Selbstbestimmung eine eth­nisch homogenisierende Wirkung, mit der der spätere Exodus der Deutschen aus den Gebieten östlich der Oder-Neiße-Linie vorprogrammiert gewesen sei.

Fazit

Jahrzehntelang war Polen in der Bundesrepublik Deutschland in Ausstellungen so gut wie nicht präsent, doch auch in der DDR stellte sich die Situation ungeachtet der offi­ziellen Lippenbekenntnisse zur „Völkerfreundschaft“ oder „internationalen Solidarität“ nicht wesentlich besser dar. Dieses Fehlen eines der größten und einwohnerstärksten Nachbarländer Deutschlands in deutschen Museen und Ausstellungen kann als ein Symptom für die lange Ausblendung des Landes und seiner Menschen im öffentlichen Bewusstsein gedeutet werden. Ob dabei vor 1989/90 im Einzelnen das Fortwirken alter → Polen-Stereotype– etwa die Vorstellung, Polen sei ein kulturell uninteressantes Land, von dem es nichts auszustellen gäbe –, die besondere Situation des Kalten Krieges oder – im Westen Deutschlands – die Verbreitung irrationaler Schuldzuweisungen seitens der Vertriebenenorganisationen verantwortlich war, müsste von Fall zu Fall untersucht werden. Jedenfalls gab es zu keiner Zeit ein entsprechendes „Verbot“, das die Kooperation mit polnischen Sammlungen und Institutionen verunmöglicht hätte, sondern eher ein Handeln in Kategorien des vorauseilenden Gehorsams, das bestimmten gesellschaft­lichen Normen entsprach.

In den vergangenen Jahren lässt sich eine gewisse Pluralität bei der Behandlung polni­scher Aspekte im deutschen Ausstellungswesen feststellen. Auf der einen Seite stehen groß angelegte Sonderpräsentationen, die häufig Ergebnisse von Kooperationsprojekten sind. Auf der anderen Seite findet in bestimmten geschichtspolitisch sensiblen Sektoren, etwa der Umsetzung des Erinnerungsorts Flucht und Vertreibung trotz entgegenlauten­der Lippenbekenntnisse eine gewisse Verengung statt. Doch belegt die demonstrative Kooptierung zweier polnischer Wissenschaftler in den wissenschaftlichen Beirat der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung, dass selbst in diesem Bereich Bedenken aus Warschau inzwischen nicht mehr mit einem Federstrich aus der Welt geschaffen wer­den, sondern Polen als Nachbarland zunehmend ernst genommen wird.

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Weger, Tobias, PD Dr., verfasste den Beitrag „Museen und Ausstellungen“. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas (IKGS) an der Ludwig-Maximilians-Universität München und arbeitet in den Bereichen Wissenschaftsgeschichte, Kulturgeschichte und Geschichte der internationalen Beziehungen.

 

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