Ilona Rodzeń, Sylwia Dec-Pustelnik

Das gegenseitige Bild Polens und Deutschlands in der Presse



Das heutige Bild der deutsch-polnischen Beziehungen kreist verständlicherweise in hohem Maße um aktuelle Ereignisse, die naturgemäß tonangebend für den öffentlichen und medialen Diskurs sind, aber auch um die Geschichte, die der gegenseitigen Wahrnehmung fortwährend ihren Stempel aufdrückt. Ist doch das gegenseitige Bild beider Gesellschaften im Laufe der Jahrhunderte hervorgegangen aus einer komplizierten Nachbarschaft, historischen Vorfällen sowie dadurch bedingten beiderseitigen Stereotypen und Vorurteilen (→ Stereotyp). Und obgleich die Veränderungen seit der Wende 1989/90, als beide Länder die gegenseitigen Beziehungen gewissermaßen neu ordnen mussten, einen einschneidenden Umbruch in den beiderseitigen Kontakten mit sich brachten, besteht die wechselseitige Wahrnehmung sowohl Polens in Deutschland, als auch Deutschlands in Polen, wie es für eine Nachbarschaftsbeziehung ganz natürlich zu sein scheint, aus vielen gegensätzlichen Elementen. In Abhängigkeit von der aktuellen Lage und der politischen Großwetterlage (die die gegenseitigen Beziehungen determiniert) wurde Polen im Laufe der Jahre in Deutschland einerseits als Land des Wirtschaftsbooms und als „Klassenbester“ unter den Ländern Ostmitteleuropas wahrgenommen, andererseits wird es nach wie vor unter dem Gesichtspunkt der Autodiebstähle, der billigen Arbeitskräfte sowie der Religiosität und der damit einhergehenden konservativen Moral betrachtet. Die Polen wiederum assoziieren die Deutschen zumeist mit Disziplin, guter Arbeitsorganisation, Ordnung, Fleiß und Sparsamkeit sowie allgemein mit Wohlstand, aber auch mit dem Krieg, Feindseligkeit und im weiteren Sinne höherer Zivilisation. Trotz grundlegender Veränderungen in der gegenseitigen Wahrnehmung im Laufe der letzten 30 Jahre folgt diese immer noch weitgehend eingefahrenen Schemata, die in den Medien und damit auch der Presse wiederholt werden.

Bei einem Vergleich des gegenseitigen Bildes, das über die Jahre in der polnischen und deutschen Presse erzeugt wurde, ist hervorzuheben, dass die polnischen Pressetitel bedeutend jünger sind als die deutschen (→ Medien), was eine Folge des unterschiedlichen Schicksals der beiden Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg darstellt. Die wichtigsten landesweiten deutschen Tageszeitungen wie Die Welt, die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die Süddeutsche Zeitung sowie das Boulevardblatt Bild oder auch die meinungsbildenden Wochenzeitungen Die Zeit, Der Spiegel und Stern entstanden unmittelbar nach dem Krieg oder in den frühen fünfziger Jahren in Westdeutschland. Etwas jünger ist die 1978 gegründete Tageszeitung. In der Deutschen Demokratischen Republik waren die wichtigsten Blätter die Tageszeitung Neues Deutschland, das Organ der regierenden Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, und auch die Wochenzeitung Neue Zeit, die von der „oppositionellen“ ostdeutschen Christlich-Demokratischen Union herausgegeben wurde. Die polnische Presse hingegen konnte sich erst nach dem Jahr 1989 dynamisch entwickeln, als die Gazeta Wyborcza entstand, damals der Inbegriff der freien Presse. Die Zeit des Systemwechsels überstanden, wenn auch in veränderter Form, u. a. die Rzeczpospolita, die Polityka oder auch Wprost. Später traten andere Titel hinzu und etablierten sich am polnischen Markt, etwa Super Express, Newsweek Polska oder Fakt sowie die später gegründeten rechten Wochenzeitungen Uważam Rze, Inaczej Pisane (2011) oder W Sieci (2012). Abgerundet wird das Spektrum von katholischen Medien, darunter Gość Niedzielny, Tygodnik Powszechny oder Nasz Dziennik. Der wichtigste Unterschied zwischen den führenden meinungsbildenden deutschen und polnischen Zeitungen besteht in der Reichweite. Deutsche Titel wie die FAZ oder der Spiegel werden auf der ganzen Welt gelesen und wahrgenommen. Weit häufiger und umfassender greifen deutsche Tageszeitungen auch Themen von weltweiter Bedeutung auf und konzentrieren sich weniger auf die Nachbarländer. Dagegen stehen in Polen aufgrund historisch-geografischer Bedingungen die großen Nachbarländer in Ost und West im Mittelpunkt des Interesses, das heißt Russland und Deutschland. Daraus ergeben sich starke Disproportionen: Deutsche Angelegenheiten beschäftigen die polnischen Medien entschieden stärker als polnische Angelegenheiten den deutschen Pressediskurs. Was den deutschen und den polnischen Pressemarkt indes verbindet, ist die ungeheure Popularität und Verbreitung von Boulevardzeitungen (Bild-Zeitung sowie das polnische Gegenstück Fakt und dessen Konkurrenzblatt Super Express).

Verständlicherweise war das Narrativ über Polen vor der Wende 1989/90 von einer gewissen Dualität gekennzeichnet. Aus politischen Gründen war das Polenbild vor 1989 in der Presse der BRD und der DDR nicht dasselbe. Die DDR war Polen gegenüber, obwohl es ihr dem Regierungssystem nach näher stand, gleichgültiger. Über Polen wurde knapp und vor allem aufgrund von Agenturmeldungen berichtet. Längere Texte betrafen für gewöhnlich politische Begegnungen auf Partei- oder internationaler Ebene. Auf Veranlassung der Parteibehörden sparte die ostdeutsche Presse viele bedeutende Ereignisse in Polen aus, z.B. die Streiks 1956 oder 1970. Die Aktivitäten der Gewerkschaft „Solidarität“, die den MachthaberInnen der DDR gehörige Probleme verursachten, konnte sie hingegen nicht ignorieren. Bis Mitte August 1980 wurde in der ostdeutschen Presse nicht über die Streiks in Polen geschrieben. Später wurden sie als „polnische Besonderheit“ und Nachgeben gegenüber dem Einfluss der römisch-katholischen Kirche erklärt, die angeblich – in Zusammenarbeit mit den USA – die polnischen ArbeiterInnen manipuliert und zur Abkehr vom Sozialismus bewegt habe. Ziel der DDR-Propaganda war es, das „polnische Virus“ aufzuhalten, damit es sich westlich der Oder nicht verbreitete.

Deswegen wurde die polnische Gesellschaft, insbesondere die polnischen antikommunistischen Bewegungen, in der Presse Ostdeutschlands auch verleumdet. Die Einführung des Kriegszustandes 1981 wurde mit Erleichterung aufgenommen, weil dies als möglicher Auslöser einer „moralischen Wiedergeburt“ Polens angesehen wurde. Ab diesem Zeitpunkt veränderte sich das Verhältnis der DDR zum polnischen Nachbarn: Statt Kritik an der polnischen Wirtschaft wurde nun u. a. von der „Bruderhilfe“ gesprochen und die polnischen MachthaberInnen viel positiver dargestellt als zuvor. Zugleich ging die Zahl der Veröffentlichungen über Polen deutlich zurück, denn die Behörden wollten nicht, dass Pressemeldungen über den Wandel die DDR-BürgerInnen inspirierten. Über die Ereignisse des Jahres 1989 wurde viel geschrieben, doch handelte es sich um kurze, nicht objektive Texte, in denen das aktuelle Geschehen in Polen heruntergespielt wurde. Wegen des ‚unberechenbaren polnischen Nationalcharakters‘ glaubte man auch nicht an den Reformversuch der polnischen Wirtschaft – ein klares Anknüpfen an das Stereotyp → polnische Wirtschaft

In der Bundesrepublik wurde die Einführung des Kriegszustandes mit Unbehagen beobachtet. Viele JournalistInnen waren der Ansicht, er sei das „kleinere Übel“ und vielleicht der einzige Ausweg aus der schwierigen Lage, um die Errungenschaften der „Solidarität“ zu retten und ein bewaffnetes Eingreifen der UdSSR zu vermeiden. In den westdeutschen Medien herrschte damals die Überzeugung vor, dass die „Solidarität“ auch Mitverantwortung für die Einführung des Kriegszustandes trug. Die deutschen JournalistInnen behaupteten, die Polen seien so sehr auf die Erlangung der Freiheit aus, dass sie sich nicht vom gesunden Menschenverstand leiten ließen. Dies entspricht recht genau dem Stereotyp → polnische Freiheit sowie dem Ethos des romantischen Polen, der um sein Vaterland kämpft, ganz egal ob der Kampf sinnvoll ist oder nicht (→ edler Pole). Eine Meinungsumfrage im Auftrag des Sterns ergab 1982 zudem, dass 59% der BundesbürgerInnen der Ansicht zustimmten, die westlichen Länder sollten sich aus den Angelegenheiten Polens heraushalten, da das Land zum Ostblock gehörte. Im Großen und Ganzen behandelte die westdeutsche Presse das Thema Polen mit Vorsicht und konzentrierte sich auf die wirtschaftlichen Probleme des Landes sowie den Einfluss der katholischen Kirche auf die polnische Gesellschaft – und wiederholte somit das Stereotyp des katholischen Polen (→ katholischer Pole und protestantischer Deutscher). Gleichwohl wurde in den bundesrepublikanischen Medien damals die Überzeugung geäußert, dass der Kriegszustand den Demokratisierungsprozess in Polen nicht zum Erliegen gebracht, sondern lediglich verlangsamt habe. Deswegen erschien in den Pressemeldungen oft das Bild des Polen als Patriot und „furchtloser Ritter der Freiheit“, mithin eine Variante des Stereotyps des „edlen Polen“. In den darauffolgenden Jahren wurde in der westdeutschen Presse selten über Polen geschrieben, nämlich nur zu wichtigen Anlässen wie etwa der Verleihung des Friedensnobelpreises an Lech Wałęsa 1983. Aufmerksamkeit erfuhr das Land von neuem 1989, wenn auch, wie zu betonen ist, in weitaus geringerem Maße als die UdSSR. Polen wurde aufmerksam beobachtet, aber emotionslos, was sich dadurch erklären lässt, dass vielen westdeutschen PublizistInnen die Tragweite der Beratungen des Runden Tisches schlicht nicht bewusst war (Górajek 2006, S. 210ff.). Von den Wahlergebnissen 1989 in Polen waren die JournalistInnen der BRD erstaunt, ebenso von der Regierungsbildung durch Tadeusz Mazowiecki, der westlich der Oder auf sehr großes, wenngleich kritisches Interesse stieß.

Die neue Wirklichkeit

 Ein Wendepunkt in der Geschichte Polens, Deutschlands und der beiderseitigen Beziehungen waren die Veränderungen der Jahre 1989–1990. Polen und Deutsche fanden sich in diametral veränderten Lebensbedingungen wieder, so dass viele bisherige Fragen neu definiert werden mussten. Der Aufbau des neuen Staates und der neuen Gesellschaft brachte sowohl in Polen als auch in Deutschland u. a. die Neuordnung des bisherigen Selbstverständnisses und des kollektiven Gedächtnisses sowie die Erfindung neuer Narrative als Grundlage für die Idee der gutnachbarlichen Zusammenarbeit mit sich. Nicht eben förderlich war die Erfindung eines neuen Narrativs jedoch das tief verwurzelte gegenseitige Misstrauen (insbesondere auf polnischer Seite), das sich ebenfalls im medialen Diskurs jener Zeit widerspiegelte. Nach dem Fall der Berliner Mauer wurde die Wiedervereinigung Deutschlands zu einem brennenden Thema für die polnische Presse. Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes CBOS im März 1990 erbrachte, dass 69% der Polen damals Angst vor den Deutschen hatten und 85% einen Anstieg der Bedrohung nach der Wiedervereinigung der beiden Staaten vorhersahen. Für die Wiedervereinigung der westlichen NachbarInnen sprachen sich damals lediglich 41% der Befragten aus, ebenso viele dagegen. Im Oktober desselben Jahres, also unmittelbar nach der vollzogenen Wiedervereinigung, ergab eine analoge Umfrage, dass 64% der Polen diesen Schritt ablehnten und fürchteten, während 92% meinten, es solle unverzüglich ein Grenzvertrag unterzeichnet werden. Diese Umfragewerte geben die gesellschaftliche Stimmung in Polen zu Beginn der neunziger Jahre recht gut wieder. Die Polen fürchteten vor allem Deutschlands Dominanz als mögliche Bedrohung für Polen. Nicht ohne Angst wurde auch die strittige Frage der deutsch-polnischen Grenze wahrgenommen. Die Gefühlslage der Polen kam auch in Pressemeldungen zum Ausdruck.

Zwar konzentrierte sich die Gazeta Wyborcza am Vorabend der Wiedervereinigung vor allem auf die Frage des Wegfalls der visafreien Einreise nach Westberlin, doch ein Autor bekannte in ihr: „Seit einigen Monaten starren wir wie hypnotisiert auf das Geschehen jenseits der Oder und erliegen atavistischen Ängsten. Unsere Furcht vor dem Osten ist gewissermaßen verpufft und einer stillen Genugtuung gewichen, dass dort alles den Bach heruntergeht“ (Górajek 2006, S. 210ff.). Doch bereits am Tag der deutschen Wiedervereinigung erschien auf der ersten Seite derselben Zeitung neben einer ausführlichen Berichterstattung über die Ereignisse in Berlin ein Kommentar in völlig anderem Tonfall: „Es endet das Zeitalter, in dem unsere Sicherheit mit der Unfreiheit Europas und der Zerrissenheit des Kontinents bezahlt wurde. Das eröffnet die Chance zur schwierigen Zusammenarbeit freier Länder, zum Durchbrechen von Ängsten und Vorurteilen“ (Ernest Skalski, Nasz sąsiad Niemcy, in: Gazeta Wyborcza vom 3.10.1990). Die heraufziehenden Veränderungen weckten sichtlich große Befürchtungen, gaben jedoch auch Hoffnung für die Zukunft.

Doch erst mit der Unterzeichnung bilateraler Verträge und der Intensivierung der diplomatischen Beziehungen kam es zu einem echten Umbruch, auch im Bereich der Erzeugung des gegenseitigen Bildes in den polnischen und deutschen Medien. Deutlich abzulesen ist dies am Beispiel des Wochenmagazins Der Spiegel, dem wegen seines eigenwilligen kritischen Journalismus ein starker Einfluss auf die Denkweise der Deutschen nachgesagt wird. In den Jahren 1990–1999 wurde in ungefähr jeder zweiten Ausgabe über Polen geschrieben. Meist betrafen die Texte die gemeinsame Geschichte, den Grenzverlauf an Oder und Lausitzer Neiße, die polnische Religiosität (insbesondere den Marienkult) sowie die Kriminalität und kulturelle Veranstaltungen (etwa die Verleihung des Goethepreises an Wisława Szymborska 1991). Doch das Bild der Polen in der deutschen Presse der neunziger Jahre war nicht das beste. Mitte der neunziger Jahre warnte Helga Hirsch, die deutsche Korrespondentin der Zeit in Warschau, dass 87% der Deutschen die Polen für schlechter hielten als sich selbst und andere Nationen, u. a. Russen und Türken. Den Polen wurde nachgesagt, sie seien HändlerInnen, SchwarzarbeiterInnen, AutoschmugglerInnen, AlkoholikerInnen und AntisemitInnen (was teilweise auf das Stereotyp → polnische Wirtschaft zurückgeht). Hirsch berief sich auf Ergebnisse einer Emnid-Umfrage an Hirschs Artikel erinnerte fast ein Jahrzehnt später Piotr Cywiński in der Wprost (Piotr Cywiński, I śmieszno i smutno, in: Wprost vom 18.12.2006). Es sei betont, dass diese Meinung in der renommierten Zeit veröffentlicht wurde, einer Wochenzeitung, die für ihre ausgewogenen Ansichten bekannt ist. Freilich waren die Polen, worauf die JournalistInnen der polnischen Newsweek 1999 hinwiesen, in bedeutendem Maße selbst für die Entstehung ihres schlechten Bildes im Westen verantwortlich. Durch den prosaischen Alltag, so schrieben sie, seien die Symbole der Annäherung schnell an den Rand der Diskussion gedrängt worden und stattdessen Kriminalität, polnische SchwarzarbeiterInnen oder ZigarettenschmugglerInnen in den Mittelpunkt gerückt (Newsweek 1999, Nr. 10.).

Am häufigsten aufgegriffen wurde jedoch um die Jahrtausendwende in den beiderseitigen Beziehungen das Integrationsproblem. Im Zusammenhang mit dem Beginn der polnischen EU-Beitrittsverhandlungen traten Interessenunterschiede zwischen der Bundesrepublik und Polen immer stärker zutage. Besonders sichtbar wurden die gegenseitigen „Schrecken“ (oder „Schreckgespenster“) kurz vor Polens Beitritt zu den Strukturen der Europäischen Union. Rechte Milieus in Polen fürchteten vor allem den Aufkauf ehemaligen Eigentums durch Deutsche, eine deutsche Vorherrschaft am polnischen Markt oder gar einen teilweisen Verlust der Souveränität zugunsten der europäischen Strukturen. Die deutschen BürgerInnen waren vor allem durch die Disproportionen zwischen ihnen selbst und den Polen beunruhigt. Polen erschien als rückständiges, schwach entwickeltes, schlicht armes Land, weshalb ein massenhafter Zustrom billiger Arbeitskräfte aus Polen nach Deutschland befürchtet und eine siebenjährige Übergangsfrist erwirkt wurde, nach deren Ablauf die Polen erst Arbeit in Deutschland annehmen durften. Die deutsche Presse erinnerte seinerzeit an das Stereotyp der polnischen Rückständigkeit und druckte Bilder von polnischen Bauern, die mit primitivem Gerät der Feldarbeit nachgingen, das heißt, sie schöpfte aus dem Vollen des Stereotyps „polnische Wirtschaft“. Glücklicherweise erwiesen sich sowohl die deutschen als auch die polnischen Befürchtungen als stark übertrieben.

In diesen Diskurs fügte sich auch die mediales Aufsehen erregende Tätigkeit des Bundes der Vertriebenen, dessen Mitglieder den nahenden EU-Beitritt Polens für ihre Zwecke ausnutzen wollten. Der Verband forderte, Deutschland solle als eine Bedingung für die Aufnahme Polens in die EU die Regelung der Vermögensfragen der in den vierziger und fünfziger Jahren zwangsweise aus Polen umgesiedelten Deutschen stellen (was in gewissen Kreisen unter dem Blickwinkel des deutschfeindlichen Stereotyps Drang nach Osten gesehen wurde). Dieser Vorschlag rief in Polen große Befürchtungen hervor, was sich sofort auch im Pressediskurs niederschlug. Alsbald wurde Erika Steinbach, als Symbolfigur der deutschen Ansprüche, zum „Lieblingsobjekt“ der Kommentare. Beispielsweise brachte die Redaktion der Wprost ein Titelbild mit einer Fotomontage von Steinbach in schwarzer Ledermontur, als Domina über Kanzler Schröder stehend, mit dem Schriftzug „Das deutsche trojanische Pferd“ (in den deutschen Farben) und dem Untertitel: „Eine Billion Dollar schulden die Deutschen den Polen für den Zweiten Weltkrieg“ (Wprost 2003, Nr. 38). Im Heft wurde den Deutschen vorgehalten, dass sie ein reiches Land erst geteilt und später mit Kriegen überzogen hätten und deshalb den Polen viel schuldeten, falls man denn Ansprüche aufrechnen wollte. Damit wird natürlich an die antideutsche Propaganda von vor 1989 angeknüpft. Man muss dabei bedenken, dass die Tätigkeit des Bundes der Vertriebenen in Polen ungleich größeres Interesse weckte als in Deutschland, und dass der feste Standpunkt der polnischen Entscheidungsträger und der Presse in der öffentlichen Debatte über die Entschädigungsforderungen des Bundes der Vertriebenen auch daher rühren mochte, dass viele damals die polnische Nationalidentität durch den nahenden EU-Beitritt bedroht sahen. Beschwichtigt wurden die polnischen Befürchtungen 2004 durch Kanzler Gerhard Schröder, der erklärte, dass die deutsche Regierung keinerlei Eigentumsrückgabeforderungen unterstützen werde (→ juristische Rich Points). Das Thema erschütterte die öffentliche Meinung erneut 2006, als die Preußische Treuhand, eine Organisation zur Durchsetzung von Eigentumsansprüchen Vertriebener, beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Klagen auf Eigentumsrückgabe einreichte. Der Gerichtshof wies die Klagen im Jahr 2008 ab.

Eine Frage, die die deutsche Öffentlichkeit 2003 aufbrachte, war der Eintritt Polens in den Irakkrieg aufseiten der USA. Damit landete Polen wieder auf den Titelseiten der deutschen meinungsbildenden Wochenzeitschriften. Die deutsche Presse reagierte schärfer als die Politiker und bezeichnete Polen als „polnischen trojanischen Esel“, was direkt auf Polens schlechten Ruf als ständigen Gegner von EU-Entscheidungen anspielte. Außerdem enthielten die deutschen Artikel Bezeichnungen Polens als „Söldner Amerikas“, „Polen wird Besatzungsmacht“, „endlich einmal zu den Siegern gehören“ (Siehe dazu ausführlich: https://taz.de/!s=Polen+Irak+2003/?search_page=4.). In der polnischen Öffentlichkeit hingegen wurde die Haltung der Bundesregierung zum Irakkrieg als Rückkehr zum „deutschen Sonderweg“ und Verrat der transatlantischen Interessen bewertet (Wolf-Powęska 2004, S. 23). Das Klima der wechselseitigen Beziehungen unmittelbar vor Polens Beitritt zur Europäischen Union ließ also einiges zu wünschen übrig. Wäre vor Polens EU-Beitritt in Deutschland eine Volksbefragung zur Aufnahme Polens abgehalten worden, so hätten sich 40% der Deutschen für einen Beitritt ausgesprochen, 37% dagegen, 23% der Befragten wären unentschieden – wie eine Umfrage des Instituts für öffentliche Angelegenheiten ergab. Das wichtigste Argument gegen einen Beitritt war damals die Furcht vor dem Ansturm billiger Arbeitskräfte (fanden 45% der Befragten), die wichtigsten für einen Beitritt waren die Binnenmarkterweiterung und die Handelszunahme (48%). Darüber hinaus wurde Polen in der EU als Land wahrgenommen, das zu viele Forderungen stelle und so die Beitrittsverhandlungen verschleppe. Zudem wurde damals in den deutschen Medien das Bild Polens als eines „großen Landes“ allgemein verbreitet, allerdings in negativem Zusammenhang: einerseits eines Staates mit einer gewissen politischen Macht (besonders in Agrarfragen), andererseits mit großen Schwierigkeiten, die Beitrittskriterien zu erfüllen.

Partnerschaft innerhalb der EU und Geschichtspolitik

 Nach dem Beitritt zur EU sank Polens Zuspruch in der deutschen Presse, insbesondere der meinungsbildenden, noch mehr. Dies lag u. a. an dem kontroversen Vorgehen der Koalitionsregierung aus den Parteien Recht und Gerechtigkeit (PiS), Selbstverteidigung und Liga der polnischen Familien. Es bleibt auch festzuhalten, dass die Deutschen Polens EU-Beitritt distanziert begegneten, was nicht allein aus der Enttäuschung über die parteipolitischen Regierungsverhältnisse an der Weichsel resultierte. Man darf nicht vergessen, dass der Spiegel noch Anfang 2004, nach den gescheiterten Verhandlungen vom Dezember 2003 über das damalige EU-Verfassungsvorhaben, schrieb, Polen könne zu einem ewigen „Störer“ in der EU werden. Als zusätzlichen Grund für die Ablehnung wird auch auf den sog. Brief der Acht hingewiesen, den Polen unterzeichnete (in dem die US-amerikanische Außenpolitik im Zusammenhang mit dem Irakkrieg unterstützt wurde), sowie auf die Übernahme einer Stabilisierungszone im Irak durch Polen. Nachdem die PiS in Polen an die Macht gekommen war, verschärfte sich diese Kritik noch; immer öfter wurde darauf verwiesen, dass die polnische Politikkultur nicht den europäischen Standards entspreche und irrational sei (Fałkowski 2008, S. 49.). Damit berief man sich erneut auf das Stereotyp „polnische Wirtschaft“

Die polnische Presse stand der deutschen in nichts nach, insbesondere im Zusammenhang mit der Gasleitung Nord Stream. Der Vertrag über den Bau der Leitung wurde am 8. September 2015 vom russischen Präsidenten Wladimir Putin und Bundeskanzler Gerhard Schröder unterzeichnet. Schon bevor es dazu kam, zeigte das Wochenmagazin Wprost auf seinem Titelbild Putin und Schröder, die sich die Hände in Form von Röhren reichen, und titelte dazu: „Der Putin-Schröder-Pakt. Polens Einkreisung durch Gas“. Die VerfasserInnen des Textes entwarfen Katastrophenszenarios, wonach durch die Inbetriebnahme der Nord-Stream-Leitung Polens Gasversorgung unterbrochen würde, so dass viele Firmen zugrunde gehen müssten, und warnten, dann würde jeder die Folgen des unlängst geschlossenen Putin-Schröder-Paktes am eigenen Leib zu spüren bekommen (Jerzy Marek Nowakowski; Piotr Woźniak, Pakt Putin-Schröder. Gazowe okrążenie Polski, in:Wprost vom 10.7.2005). Dieser Satz greift die Worte Radosław Sikorskis auf (der damals mit der PiS verbunden war), der das Ereignis mit dem Ribbentrop-Molotow-Pakt verglichen hatte. Die Wprost-Redaktion gab Sikorski recht und fügte hinzu, dass Putin und Schröder im Vergleich dazu schlechter abschnitten, da es sich 1939 um einen Nichtangriffspakt gehandelt habe: „Ansonsten verfolgen beide Verträge dieselben Zwecke: die Einflusssphäre zwischen Russland und Deutschland aufzuteilen“ (Jerzy Marek Nowakowski, Energetyczna zimna wojna, in: Wprost vom 14.5.2006). Die Unterzeichnung des Vertrags über den Bau der Gasleitung fiel in die Zeit des Bundestagswahlkampfes, den Schröder verlor; an seine Stelle trat, zur Verblüffung vieler, die Christdemokratin Angela Merkel. In der Newsweek Polska wurde nach der Wahl gefragt, ob die erste weibliche Kanzlerin in der Geschichte Deutschlands, die Gerhard Schröder entthront hatte, die Kraft habe, Reformen durchzusetzen; damit wurde die Stellung der neuen Kanzlerin angezweifelt. 

Angela Merkel erwarb sich jedoch recht schnell in der polnischen Presse den Namen der „mächtigsten Frau der Welt“. In den darauffolgenden Jahren hob die Presse in Polen Merkels Pragmatismus und ihre Unnachgiebigkeit hervor. Die Bundeskanzlerin wurde zu einer der wichtigsten Gestalten auf der politischen Bühne Europas – auch in den Augen der polnischen Gesellschaft. Zwischen 2006 und 2013 wählten die Polen Merkel fünfmal zum ausländischen Politiker des Jahres. Laut CBOS-Erhebungen ist die Bundeskanzlerin eine der beliebtesten ausländischen PolitikerInnen: 85% der Polen kennen sie, 44% bringen ihr Sympathie entgegen. Der einzige ernstzunehmende Vorwurf, den die polnischen Medien Merkel in jener Zeit machten, waren ihre freundschaftlichen Beziehungen zu Erika Steinbach.

In Polen blieb auch der Moment nicht unbemerkt, als im Jahr 2005 der „Panzerkardinal“ Joseph Ratzinger auf den Papstthron gewählt wurde und den Namen Benedikt XVI. annahm. In der polnischen Presse wurde er, was nicht verwundern dürfte, allzu gern mit dem polnischen Papst Johannes Paul II. verglichen. Joachim Trenkner schrieb einige Jahre später in der Tygodnik Powszechny: „Obwohl es während des Pontifikats Johannes Pauls II. zu vielen Unstimmigkeiten zwischen dem Vatikan und der deutschen Kirche kam, mochten viele Deutsche den polnischen Papst ganz einfach und schätzten seine charismatische Güte, seinen Beitrag zum Ende des Kalten Krieges und der Beseitigung des Kommunismus. Anders sieht es mit dem deutschen Papst aus: Er wird in seinem Herkunftsland allenfalls respektiert“ (Joachim Trenkner, Na własnym boisku, in: Tygodnik Powszechny vom 25.9.2011). Die Wahl Ratzingers zum Papst ließ die grobe Teilung Deutschlands in einen katholischen Süden und einen teils protestantischen, teils atheistischen Norden deutlicher hervortreten. In der polnischen Presse wurde Genugtuung darüber zum Ausdruck gebracht, dass die Kirche nun von einem früheren engen Mitarbeiter Johannes Pauls II. regiert würde; zugleich wurden die gemischten Gefühle der Deutschen, ihre religiöse Vielfalt und ihr Laiyismus mit Neugier beschrieben – etwas, das an der Weichsel fremd war, wo der polnische Papst als eine der größten Autoritäten verehrt wurde. Nach Ratzingers Wahl wies Adam Krzemiński in der Polityka darauf hin, dass die Deutschen die Wahl eines Landsmannes zum Papst ganz anders aufnähmen als einst die Polen die Wahl Karol Wojtyłas. Er schrieb, es gebe keine Euphorie, sondern Hochmut und Verlegenheit. Mit Verweis auf die zahlreichen Auseinandersetzungen zwischen Deutschland und dem Vatikan im Laufe der Jahrhunderte betonte er: „In Berlin haben drei Viertel der Schüler keinen Religionsunterricht mehr! Dissidenten sind in den Medien stärker präsent als Bischöfe. Die meisten Deutschen interessiert das Christentum schlicht kaum noch“. Und er schloss mit dem Resümee: „Die deutschen Auseinandersetzungen um die Begrüßung Benedikts XVI. zu verfolgen, kann für uns aufschlussreich sein. Der Zustand im Westen wird schließlich auch uns einholen, wenn auch erst in einigen Jahren und nicht eins zu eins“ (Adam Krzemiński, Bardzo splątane korzenie, in: Polityka vom 30.4.2005)

Seit dem Jahr 2005, als es in beiden Ländern zu einem Regierungswechsel kam, ließ sich also in der Bewertung der gegenseitigen Beziehungen eine Verschlechterung beobachten, was durch Umfrageergebnisse bestätigt wurde. Möglicherweise war dies eine Antwort auf populistische Stimmen in der Presse (etwa in der Wprost), vielleicht aber auch Ausdruck eines Gefühls der Bedrohung durch die größten Nachbarn – Deutschland und Russland –, die nach dem Dafürhalten vieler Polen nicht zum ersten Mal in der Geschichte hinter dem Rücken Polens agierten. Vor diesem Hintergrund mochte die polnische Öffentlichkeit eine gewisse Verbitterung darüber empfinden, dass ein EU-Land gegen die Interessen der anderen Mitgliedsländer handelt. Die Deutschland gegenüber distanzierte Politik der damals regierenden PiS goss dazu noch Öl ins Feuer. Mit dem Sieg dieser Partei bei den Parlamentswahlen und Lech Kaczyńskis Wahl zum polnischen Staatspräsidenten kam es 2005 zu einer starken Abkühlung zwischen Warschau und Berlin. Die deutschfeindliche Rhetorik der PiS-Regierung sorgte zweifellos für Spannungen in den deutsch-polnischen Beziehungen, die besonders in Presseberichten ablesbar waren. Nach Lech Kaczyńskis Wahl zum Präsidenten hob der Warschauer Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, Thomas Urban, Kaczyńskis antideutsche Äußerungen aus dem Wahlkampf hervor, darunter das Wort von der Notwendigkeit, eine „Politik der Stärke gegenüber Berlin“ zu führen; er erinnerte auch daran, dass die Brüder Kaczyński während des Wahlkampfes mehrfach das deutsch-russische Vorhaben einer Gasleitung unter Umgehung Polens kritisiert und damit die Wähler erschreckt hatten (Thomas Urban, Polens neuer Präsident geht auf Deutschland zu, in: Süddeutsche Zeitung vom 17.5.2010). In der deutschen Presse wurde damals häufig hervorgehoben, dass in Deutschland Misstrauen und Skeptizismus gegenüber der zu Populismus und unüberlegtem Vorgehen neigenden polnischen Regierung herrschten.

Ein wahrer Sturm brach in Polen los, als die deutsche Tageszeitung im Juni 2006 Kaczyński in einer Satire als „polnische Kartoffel“ bezeichnete und schrieb, er habe „ausposaunt, er kenne von Deutschland nicht mehr als den Spucknapf in der Herrentoilette des Frankfurter Flughafens“ (Peter Köhler, Polens neue Kartoffel, in: Die Tageszeitung vom 26.6.2006). Die deutschen Medien – nicht nur die Taz – konnten nicht verstehen, weshalb dieser Text, der, wenngleich von ausnehmend schlechtem Geschmack, doch ironisch gehalten war, viele Polen so sehr traf. Führende Meinungsblätter kritisierten die polnische Regierung für das Aufbauschen des Vorfalls. Die polnischen Medien konzentrierten sich weniger auf die Bewertung jenes Artikels als vielmehr auf das Fehlen einer angemessenen Reaktion der Bundesregierung und erwähnten auch den Aufruf der PiS zur Einleitung eines Strafverfahrens wegen Beleidigung des Staatsoberhauptes. In der Gazeta Wyborcza kommentierte Rafał Zakrzewski die „Kettenreaktion“, die der Taz-Artikel in Polen hervorgerufen habe, folgendermaßen: „Wenn wir diese Kette nicht unterbrechen, droht eine Atomexplosion, die die polnische Außenpolitik der Lächerlichkeit preisgibt. Denn man kann heutzutage auf einen satirischen Artikel, der nicht zum Lachen ist, nicht derart reagieren, ohne sich der Lächerlichkeit auszusetzen“ (Rafał Zakrzewski, Niech sobie głowa państwa głowy tym nie zawraca, in: Gazeta Wyborcza vom 4.7.2006).

Außerdem meldeten sich in der Presse Stimmen, die eine sich zuspitzende Krise in den deutsch-polnischen Beziehungen sahen. Später wurde spekuliert, weshalb Präsident Kaczyński nicht zum Gipfeltreffen des Weimarer Dreiecks fuhr, und ob der Grund dafür tatsächlich eine Erkrankung oder nicht doch der erwähnte Taz-Artikel gewesen sei. Viele Gründe, einander Seitenhiebe zu verpassen, lieferte der EU-Gipfel Ende Juni 2007 in Brüssel. Nicht nur endete mit ihm die deutsche Ratspräsidentschaft, sondern es wurde dort auch über einen neuen europäischen Vertrag abgestimmt (der die in nationalen Volksbefragungen durchgefallene EU-Verfassung ersetzen sollte) und über ein neues Stimmenzählverfahren im EU-Rat debattiert. Polen bestand zunächst auf der Beibehaltung des im Jahr 2000 in Nizza eingeführten Verfahrens, für das die polnische Delegation gar „sterben“ wollte, anschließend schlug es ein sogenanntes Wurzelverfahren vor (nach der Quadratwurzel aus der Bevölkerungszahl des jeweiligen Landes). Die übrigen EU-Länder, mit Deutschland, das die Ratspräsidentschaft innehatte, an der Spitze, sprachen sich dafür aus, die Entscheidungen im Europäischen Rat mit sog. doppelter Mehrheit zu treffen. Letztlich wurde das Problem vertagt. Ernsthafte Kontroversen löste damals das Verhalten des Ministerpräsidenten Jarosław Kaczyński aus, der in der Diskussion vor dem Gipfel auf historische Argumente zurückgegriffen hatte. In einem Interview für die Financial Times schlug er u. a. vor, bei der Stimmenzählung die Zahl der polnischen Opfer des Zweiten Weltkrieges einzubeziehen, da Polen ohne diese Verluste jetzt ca. 66 Mio. EinwohnerInnen habe. In den deutschen Zeitungen wurden diese Worte scharf kritisiert. Der Spiegel schrieb damals: „Die katholischen Zwillingsbrüder sind gefangen im Bernstein der Geschichte“, und „[v]ielen Europäern geht die aufopfernde Pose der Polen aber inzwischen auf die Nerven – vor allem, weil sie immer dann eingenommen wird, wenn es außenpolitisch klemmt“ (Claus Christain Malzahn, Gefangen im Bernstein der Geschichte, in: Der Spiegel vom 21.6.2007). Ähnliche Stimmungen durchzogen die gesamte deutsche Presse. Der Brüsseler Gipfel ging mit einem Phänomen einher, das man als „Titelbildkrieg“ bezeichnen könnte. Ausgelöst wurde er durch den Spiegel, der auf dem Titelbild einer seiner Juniausgaben eine Karikatur abdruckte, die die Brüder Kaczyński, mit hämischem Grinsen und den Flaggen Polens und der EU in Händen, auf Kanzlerin Merkels Rücken reitend zeigte; der Titel lautete: „Die ungeliebten Nachbarn. Wie die Polen Europa nerven“ (Der Spiegel 2007, Nr. 22.). Einerseits wurde dies als eine Art Vergeltung für das Wprost-Titelbild mit Steinbach und Schröder in vergleichbarer Darstellung aufgefasst, andererseits als Reaktion auf die umstrittene Europapolitik der polnischen Regierung. Die polnische Presse stand der deutschen allerdings in nichts nach: Die erwähnte Wprost brachte, ebenfalls im Juni, eine Fotomontage mit Merkel, die barbusig den Kaczyńskis die Brust gibt; der Titel dazu, in roter Schrift, lautete: „Europas Stiefmutter“ (Wprost 2007, Nr. 26). Die Angelegenheit war so ernst, dass sie vor dem polnischen Medienethikrat landete, der urteilte, dieses Titelblatt habe die Grenzen des guten Geschmacks überschritten, und es sei sträflich, Spott auf unangebrachte Weise dazu zu benutzen, die „Verbreitung“ meinungsbildender Medien „zu vergrößern“.

Ein weiteres „deutsches“ Thema, das in Polen ausgiebig kommentiert wurde, war die von Deutschland ausgerichtete Fußballweltmeisterschaft 2006. Abgesehen von der rein sportlichen Bedeutung dieses Ereignisses richtete sich die Aufmerksamkeit der polnischen Presse auf das Erwachen des deutschen Patriotismus – eines Gefühls, das, wie betont wurde, mit Blick auf die unrühmliche Geschichte des Landes im 20.Jh. bislang unterdrückt worden sei. Der wiederentdeckte deutsche Patriotismus schaffte es damals auf das Titelbild der Polityka, und zwar in Gestalt einer hübschen Blondine im Büstenhalter mit Fußballmuster, das Gesicht in den deutschen Farben bemalt, unter der Überschrift: „Während der Weltmeisterschaft hat die Welt entdeckt: Die Deutschen sind nett! Und junge Deutsche sind auf den Geschmack des Patriotismus gekommen“ (Polityka 2006, Nr. 27). Nach Ansicht von Adam Krzemiński war die patriotische Fußballaufwallung nur eine der Formen der Suche nach einer eigenen Identität, die das deutsche Volk eigentlich nie gehabt habe. Sławomir Mizerski pflichtete ihm bei, indem er scherzhaft schrieb: „Der wilde ungehobelte Fan hat sich der geordneten deutschen Fantasie bemächtigt […]. Mehr noch, der Deutsche hat den Fan in sich entdeckt und den Wunsch verspürt, auch ein echter Fan und wahrer Patriot zu sein“ (Sławomir Mizerski, Prawdziwy kibic z workiem u szyi, in: Polityka vom 8.7.2006). Wenn man bedenkt, dass gerade aus Anlass großer Sportwettkämpfe nationale Stereotype mit doppelter Macht wiederaufleben, braucht es kaum zu verwundern, dass die deutschen Pressetitel die Weltmeisterschaft zu Scherzen über Polen benutzten. Am Vorabend der Meisterschaft mangelte es nicht an sog. Polenwitzen; sie fanden sich u. a. in der Bild-Zeitung oder der Taz, wo man offenbar der Ansicht war, es sei an der Zeit, die Meinung über die Polen aufzufrischen: „Ohne Polen läuft bei uns nichts: Unsere Wohnungen wären ungeputzt, die Häuser unrenoviert, die Ernte bliebe auf den Feldern. Von polnischer Unterstützung hängt nicht nur ein großer Teil unserer Wirtschaft ab, sondern dank Poldi und Klose auch unser Nationalbewusstsein. Podolski und Klose – die Wiedergutmachung für 4 Milionen gestohlene Autos! Zum Angriff!“, zitierte später der Journalist Piotr Cywiński in der Wprost (Piotr Cywiński, I śmieszno i smutno, in: Wprost vom 18.12.2006).

Relative Stagnation

 Der Sieg der Bürgerplattform (PO) bei den Parlamentswahlen 2007 wurde in Deutschland mit Erleichterung aufgenommen. Hervorgehoben wurde vor allem, dass eine Verbesserung des Klimas zwischen Warschau und Berlin für die neue Regierung Donald Tusk ein wichtiger Schritt sei, um das Land aus der politischen Isolation herauszuführen. Auch wenn die Machtübernahme Tusks die gegenseitigen Beziehungen verbesserte, so war dies, das sei festgehalten, für beide Länder eine völlig neue Situation: Polen begann nämlich inzwischen auf dem internationalen Parkett allein klarzukommen und war der Hilfe Deutschlands nicht mehr so bedürftig wie zuvor. Auch wurde es nicht länger als Land wahrgenommen, das ständig Probleme verursacht. Womöglich deshalb bewerteten im Jahr 2010 71% der Polen die deutsch-polnischen Beziehungen als gut oder sehr gut. 

Die deutschen Medien verfolgten den damaligen Wahlkampf in Polen umfänglich und mit Interesse. Die deutsche Presse schrieb Tusks Wahlsieg übereinstimmend einem Zusammentreffen mehrerer Faktoren zu: seinem Sieg im Wahlkampfgespräch mit Jarosław Kaczyński, seinem Politikstil, der anders war (auch wenn er von den gleichen Annahmen ausging), sowie der Mobilisierung der polnischen Gesellschaft, die eine hohe Wahlbeteiligung zur Folge hatte. Tusk wurde als weltgewandter, junger und dynamischer Politiker dargestellt, der obendrein einen guten Draht zu Angela Merkel besaß. Die Ursachen für die Wahlniederlage der PiS suchten die deutschen Medien hingegen in den deutschfeindlichen und europafeindlichen Aussagen des Ministerpräsidenten Kaczyński. Die – für polnische Verhältnisse – recht hohe Wahlbeteiligung sah die deutsche Presse als Zeichen dafür, dass die Polen endlich den Wert der Demokratie begriffen und dieses System zu schätzen gelernt hätten. Deutsche JournalistInnen lobten die Polen auch für ihre symbolische Hinwendung zur Demokratie und ihre Offenheit für Europa und die Welt, die Medien hielten diese Wahlen für einen Einschnitt der polnischen Demokratie und die Stellung des Landes auf internationaler Bühne. In derlei Worten lassen sich Bestandteile des Kolonialdiskurses aufspüren: Das barbarische Polen trete endlich in die „zivilisierte“, westliche und demokratische Welt ein. Die aus deutscher Sicht positiven Veränderungen der politischen Verhältnisse in Polen schlugen sich keineswegs in einem Wandel des verfestigten Polenbildes nieder. Als Polen am 21. Dezember 2007 dem Schengenraum beitrat, was in Polen aus verständlichen Gründen als historisches Ereignis angesehen wurde, blieb man in Deutschland distanziert. Die Welt teilte unter Berufung auf die Berichterstattung der Bild-Zeitung mit, dass nach der Grenzöffnung die Versuche der illegalen Einreise aus Polen und Tschechien zugenommen hätten, und schrieb von der Furcht der EinwohnerInnen in der Grenzregion vor polnischen Kriminellen sowie den Fahrten Deutscher nach Polen, um dort preiswert einzukaufen (Mehr Kriminalität nach dem Wegfall der Grenzkontrollen?, in: Die Welt vom 2.4.2008).

Im April 2010 war die Welt schockiert von der Nachricht vom Absturz eines polnischen Flugzeugs bei Smolensk, bei dem der polnische Präsident Lech Kaczyński und seine Frau sowie 94 weitere Personen ums Leben kamen, darunter die Befehlshaber der Streitkräfte und viele bekannte Politiker und Leiter staatlicher Institutionen. Die deutschen Medien berichteten umfangreich über das Unglück. So wurde, etwa in der FAZ, darauf hingewiesen, dass die Lage nach der Smolensker Katastrophe an diejenige nach dem Tod Johannes Pauls II. erinnere, da die Polen nun erneut nach innerer Einheit strebten, was offensichtlich auf die Spaltungen in Polen verwies. In der Süddeutschen Zeitung dagegen wurde hervorgehoben, dass Jarosław Kaczyńskis Kandidatur anstelle seines Bruders in den anstehenden Parlamentswahlen den Mythos Lech Kaczyńskis zerstören könnte, insbesondere, falls sich die These bestätigen sollte, dass der Präsident persönlich den Piloten unter Druck gesetzt habe, er solle landen – so wie er es bereits zwei Jahre zuvor während der Krise in Georgien beim Anflug auf Tiflis getan hatte (Prasa w Niemczech o polskiej tragedii, in: Newsweek vom 13.4.2010). Es fehlte auch nicht an Bezugnahmen auf den Opfermythos, so in einem Interview mit dem polnischen Publizisten Adam Krzemiński in der Welt („Christus unter den Völkern?“), der u. a. von der „Liturgie der Trauerfeierlichkeiten“ sprach, die, wie er hinzufügte, „alle Register des alten polnischen Selbstverständnisses als einer »Opfernation« gezogen“ habe (Adam Krzemiński, Christus unter den Völkern?, in: Die Welt vom 24.4.2010), sowie auf die Diskussion über die Bewertung von Kaczyńskis Präsidentschaft, die in Polen aufammte, nachdem dessen Beisetzung auf dem Wawel beschlossen worden war. Die deutsche Presseberichtersttatung bildete mithin, außer der Betonung der offensichtlichen Tragweite dieses Unglücks, einen Ausgangspunkt für die Erörterung des Zustandes der polnischen Gesellschaft und ihres Staatswesens.

Doch im Grunde kam es nach 2009 im Diskurs über die deutsch-polnischen Beziehungen zu einer Art „Stagnation“. Da es zu jener Zeit an bedeutenden Konflikten über die Geschichte sowie lauten Auseinandersetzungen um das historische Gedächtnis fehlte, waren die deutsch-polnischen Beziehungen nun weniger „attraktiv“ für geschichtspolitische Spielchen, aber auch für den medialen Diskurs, was sich auch in einer im Vergleich zu den Vorjahren rückläufigen Zahl von Publikationen darüber niederschlug.

Laut CBOS-Umfrageergebnissen befanden damals mehr als die Hälfte der Polen (52%), die Beziehungen zu Deutschland seien unter allen westlichen Ländern die besten, während diejenigen zu Russland von 79% der Befragten negativ beurteilt wurden. In der Bundesrepublik wurde nun mehr über die deutsche Besatzung Polens gesprochen – wofür eine Ausstellung in Berlin zum 70. Jahrestag des Warschauer Aufstandes, die vom polnischen und deutschen Präsidenten gemeinsam eröffnet wurde, ein Beleg ist –, während das Stereotyp „polnische Wirtschaft“ immer öfter durch Feststellungen über die fleißigen Polen ersetzt wurde, die mit den wirtschaftlichen Problemen Europas gut zurechtkämen. Eine Bestätigung fand diese Entwicklung auch im medialen Diskurs, als nach der Öffnung des Arbeitsmarktes für Polen im Jahr 2011 polnische ArbeiterInnen als begehrt dargestellt wurden, insbesondere in Berufen mit niedrigen Qualifikationen wie PflegerInnen oder ErntehelferInnen- oder BauarbeiterInnen. Zudem beschrieben die damaligen Artikel die Polen als solide und kompetente Arbeitskräfte. Auch wenn nach wie vor Ängste durchschnittlicher Deutscher sichtbar waren, etwa vor Dumpinglöhnen, so war der allgemeine Tonfall der Artikel doch beruhigend, und die Redaktionen erinnerten daran, dass Deutschland nicht so sehr ein Überangebot an billigen Arbeitskräften drohe, sondern vielmehr ein Zustrom von oft benötigten und auf dem Arbeitsmarkt gesuchten Kräften bevorstehe. Als der deutsche Arbeitsmarkt dann für die EinwohnerInnen ausgewählter Länder Ostmitteleuropas geöffnet war, hieß es, Deutschland habe diesen Schritt zu spät vollzogen und eine Chance vertan. Auch festigte sich das Bild der Polen als gute und ehrgeizige physische ArbeiterInnen. In der polnischen Presse dagegen wurde noch vor der Öffnung des deutschen Arbeitsmarktes für Polen darauf hingewiesen, dass die von Deutschland vielbeschworene deutsch-polnische Partnerschaft erst dann vollwertig sei, wenn der westliche Nachbar den Polen die Arbeit zu denselben Bedingungen ermögliche, wie sie für die BürgerInnen der übrigen EU-Länder gelten. Als es dazu kam, konzentrierte sich die polnische Presse vorwiegend auf die Tatsache der Öffnung, die Zahl der ArbeitsmigrantInnen und Ratschläge für ihre Arbeit in Deutschland. Somit war der Ton der Presseberichte beiderseits der Grenze ausgewogen und eher positiv: Den größten Nachdruck legte man auf den Nutzen der Öffnung des deutschen Arbeitsmarktes für Polen. Das Bild Polens in Deutschland änderte sich bedeutend mit der Verbesserung der polnischen Wirtschaftslage. In der Bundesrepublik wurden vor allem die riesigen Investitionen wahrgenommen, insbesondere für die Fußballeuropameisterschaft, die Polen zusammen mit der Ukraine im Juni 2012 ausrichtete. 

Im Spiegel hieß es damals, Polen, ein einst rückständiges Agrarland, erlebe derzeit einen Wirtschaftsboom, was u. a. aus den Möglichkeiten resultiere, die sich für Polen mit dem Beitritt zur Europäischen Union eröffnet hätten (Jan Puhl, Die ehrgeizige Nation, in: Der Spiegel vom 20.2.2011). Gelobt wurde im Spiegel auch die polnische Außenpolitik, besonders für ihre Vorhersehbarkeit, wie JournalistInnen immer wieder betonten. Zu schätzen wusste man die Verbesserungen der Beziehungen zu Berlin und den gemäßigten Ton gegenüber Moskau. Auch an (positiven) Verweisen auf die polnische Literatur fehlte es nicht; im Spiegel hieß es, der Erfolg von Marek Krajewskis Büchern, die in Breslau vor dem Krieg spielen, belege, dass die Polen sich endlich mit ihrer Geschichte aussöhnten (Ebenda). Auch als Polen in der zweiten Jahreshälfte 2011 die EU-Ratspräsidentschaft übernahm, kam es nicht zu größeren Spannungen in den beiderseitigen Beziehungen, sondern Polen wurde ausnahmsweise für seine ehrgeizigen Ziele gelobt. Bei den Parlamentswahlen im Herbst 2011 jedoch gelangte Polen trotz eines relativ ruhigen Wahlkampfes wieder in die deutsche Presse. Der Grund dafür war eine Äußerung Jarosław Kaczyńskis, der in seinem damals erscheinenden Buch sowie in einem Interview für die Wochenzeitschrift Newsweek Polska suggerierte, Merkel sei durch die Vermittlung ehemaliger Stasifunktionäre an die Macht gekommen (Mariusz Cieślik; Andrzej Stankiewicz; Piotr Śmiłowicz; Jarosław Kaczyński, Wolę PO od Palikota, in: Newsweek vom 1.10.2011). Derartige Unterstellungen riefen scharfe Reaktionen der deutschen Presse hervor. In der Welt meinte Gnauck, Jarosław Kaczyński wolle durch deutschfeindliche Äußerungen einer drohenden Wahlniederlage entgegenwirken (Gerhard Gnauck, Warum Kaczynski die bösen Deutschen ins Feld führt, in: Die Welt vom 5.10.2011, https://www.welt.de/politik/ausland/article13642815/Warum-Kaczynski-die-boesen-Deutschen-ins-Feld-fuehrt.html, 8.6.2022). Ähnlich äußerten sich auch andere deutsche Meinungsmedien. Als sich jedoch herausstellte, dass der Ministerpräsident für die kommende Amtszeit Tusk sein würde, änderten die deutschen Medien das Narrativ und lobten die Polen für ihren proeuropäischen Kurs und ihre Unempfänglichkeit für antideutsche Rhetorik. Während der polnischen Ratspräsidentschaft erregte auch eine Rede des polnischen Außenministers Sikorski im November 2011 in Berlin die deutsche Öffentlichkeit. Sikorski rief die Deutschen damals zu stärkerem Einsatz für die Rettung der in einer tiefen Wirtschaftskrise steckenden EU auf und sprach sich für die Idee eines föderativen Europas aus. Die polnische Opposition betrachtete diese Äußerungen als Hochverrat und Versuch, Deutschland die Souveränität über Polen zu geben, und warnte vor der Entstehung eines „Vierten Reiches“. Die deutschen Medien indes, insbesondere die der Regierung Merkel gegenüber kritischen, sahen darin eine wichtige Stimme der ganzen EU, die große Erwartungen gegenüber Deutschland hege.

Die Parlamentswahlen weckten zwar beiderseits der Grenze ein vorübergehendes Interesse der Medien an deutsch-polnischen Themen, doch in Wirklichkeit war dies eine Zeit der Stagnation und relativen Ruhe, was etwa Wawrzyniec Smoczyński in der Polityka beschrieb, als er festhielt, beide Länder verbinde mehr als je zuvor. Dank einer vergleichbaren Finanzpolitik und wirtschaftlichen Mentalität investierten die Deutschen seiner Meinung nach zunehmend in Polen, was die Polen wiederum durch aktive Zusammenarbeit honorierten. „Vor 20 Jahren hätten die Deutschen nicht einen müden Pfennig auf Polen gesetzt. Ihre Schützlinge in Europa waren nach dem Zusammenbruch des Kommunismus Ungarn und Tschechien […]. Zudem geisterte natürlich noch immer das Stereotyp der polnischen Wirtschaft herum, das Bild einer hinterwäldlerischen und schlampigen Wirtschaft ohne Hand und Fuß“, schrieb er und betonte auch, die Deutschen „sehen in Polen den Unternehmergeist, den sie selbst in den fünfziger Jahren hatten und in der ehemaligen DDR nicht wiederzubeleben vermochten, trotz hunderter Milliarden Euro, die in die neuen Länder gepumpt wurden“ (Wawrzyniec Smoczyński, Ile Niemca w Polaku, in: Polityka vom 18.4.2012). In ähnlichem, positivem Ton waren auch die Äußerungen zur Ausrichtung der Fußballeuropameisterschaft 2012 in Polen und der Ukraine gehalten. Das Interesse der Deutschen an diesem Sportereignis lässt sich auf mehrere Gründe zurückführen. Der wichtigste war sicher die Teilnahme der deutschen Mannschaft, die als einer der Favoriten galt. Doch die Deutschen sahen auch die Bauvorhaben vor der Europameisterschaft (darunter die Vollendung der Berlin und Warschau verbindenden Autobahn A2) als wichtigen Bestandteil des polnischen Wirtschaftswunders. Wesentlichen Einfluss auf das Ansehen Polens hatte zudem der Konflikt zwischen Deutschland und den ukrainischen Machthabern um die Haftstrafe für die ehemalige ukrainische Ministerpräsidentin Julia Tymoschenko. Vielleicht nannte die Welt deswegen, als sie beide Gastgeberländer der Europameisterschaft 2012 auf ihrer Internetseite vorstellte, Polen einen der „letzten Optimisten des Kontinents“ (Gerhard Gnauck, Polen – Die letzten Optimisten des Kontinents, in: Die Welt vom 7.6.2012) und die Ukraine „Das hässliche Entlein der Euro“ (Gerhard Gnauck, Ukraine – Das hässliche Entlein der Euro, in: Die Welt vom 7.6.2012). Gnauck schrieb damals, für viele Polen sei schon allein die Möglichkeit, diese Meisterschaft auszurichten, eine Auszeichnung für die beeindruckende Entwicklung ihres Landes nach 1989, und fügte hinzu, Polen sei dadurch das Herz des neuen Europas. Einerseits wurde, worauf vor allem deutsche Publizisten im Zusammenhang mit der Situation in Polen hinwiesen, der Weg, den das Land seit der Wende zurückgelegt hatte, gesehen und gewürdigt, andererseits aber auch die besondere Mentalität hervorgehoben, die zumal auf dem Land in Polen herrschte, wo, wie etwa Konrad Schuller in der FAZ schrieb, die Kirche regierte und die Entwicklung viel langsamer verlief als in der Metropole (Konrad Schuller, Glaube, Aufschwung, Schweineschnitzel, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 26.5.2012). Ähnliche Stimmen kamen im Spiegel zu Wort, wo deutschen Fans, die zur Meisterschaft nach Polen reisten, nahegelegt wurde, Geschichte und Religion als Tabuthemen zu behandeln und ganz besonders darauf zu achten, jegliche Kritik am nationalen „Superstar“, dem im Jahr 2005 gestorbenen Papst Johannes Paul II., zu vermeiden (Denis Krick, Knigge für Polen und die Ukraine: Zehn Dinge, die EM-Touristen nicht tun sollten, in: Der Spiegel vom 25.5.2012). Als Fazit schrieb der Spiegel jedoch über die Meisterschaft in Polen und der Ukraine, dass sie sich zwar sportlich durch nichts hervorgetan, die Gastgeberländer jedoch für eine großartige Stimmung gesorgt hätten. Mit dem Verlauf der Meisterschaft weitaus mehr zufrieden waren die Gastgeber (auch wenn die Nationalmannschaft in den Spielen schwach abschnitt), wie durch CBOS-Umfrageergebnisse bestätigt wurde, wonach 89% der Polen die Organisation der Euro 2012 als gut bewerteten. Nach Ansicht der Befragten war die Fußballeuropameisterschaft 2012 ein Erfolg für das Ansehen Polens, und das Land sei dadurch bekannter und erkennbarer geworden.

Die gegenseitige Wahrnehmung beider Länder hing und hängt nach wie vor jedoch vom Zustand der beiderseitigen Beziehungen ab, der hauptsächlich von der politischen Linie der jeweils regierenden Parteien beeinflusst wird. Während also die PiS-Regierung in den Jahren 2005–2007 besonders häufig für Spannungen zwischen Warschau und Berlin sorgte, war die Regierungszeit der Bürgerplattform verhältnismäßig ruhig. Eine Ausnahme waren die hohen Wogen gesellschaftlicher Emotionen in Polen anlässlich der Ausstrahlung der historischen ZDF-Fernsehserie Unsere Mütter, unsere Väter (→ Gedächtnis). Die in einer Seitenhandlung berührte Frage des → Antisemitismus in Polen (besonders unter den SoldatInnen der Heimatarmee) sowie die Tatsache, dass in der Serie der Krieg nicht 1939, sondern erst mit der Schlacht bei Stalingrad 1942/43 begann, lösten viele Kontroversen aus. In der polnischen Presse erschienen viele Kommentare zur Geschichtsrelativierung durch die Deutschen und dem vermeintlichen Versuch, die Verantwortung für die Verbrechen des Zweiten Weltkrieges auf andere abzuwälzen. Unter den empörten Stimmen waren indes auch solche zu finden, die den deutschen Standpunkt wiedergaben. In der Newsweek erschien ein Artikel, in dem deutsche Historiker einerseits den Vorwurf bezüglich der Darstellungsweise der Heimatarmee für berechtigt hielten, andererseits aber auch darauf hinwiesen, dass der Film gut zeige, wie das nationalsozialistische System in das Leben der gewöhnlichen BürgerInnen eingriff („Nasze matki, nasi ojcowie“: Niemieccy historycy przyznają rację polskim, in: Newsweek vom 22.6.2013). Begleitet wurde der mediale Sturm von einer grundsätzlichen Diskussion über das unzureichende Interesse der deutschen Gesellschaft an der polnischen Geschichte sowie, was selbstverständlich die deutsche Seite hervorhob, die besondere Kultivierung ihrer eigenen Opfergeschichte durch die Polen. Anlässlich des Urteils eines Krakauer Gerichts im März 2021 (Im März 2021 verurteilte das Krakauer Gericht die Autoren der Serie rechtskräftig zu einer Entschuldigung beim Weltverband der Soldaten der Heimatarmee für die Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte) schrieb der Spiegel-Journalist Jan Puhl, den meisten Polen sei schon lange bewusst, dass sich die Erzählung, man sei ausschließlich Opfer gewesen, schlicht nicht aufrechterhalten lasse. ( Zit. nach: https://wiadomosci.dziennik.pl/historia/aktualnosci/..., 12.5.2022).

Doch bereits das Jahr 2014 – mit vielen wichtigen Jahrestagen (u. a. dem 100. Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs, dem 10. Jahrestag des EU-Beitritts Polens, dem 75. Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs, dem 25. Jahrestag der ersten freien Wahlen in Polen und des Falls der Berliner Mauer) – zeigte, dass Politiker beider Länder imstande sind, mit einer Stimme über die „deutsch-polnische Verantwortungsgemeinschaft“ (Diese Formulierung benutzte der polnische Staatspräsident Bronisław Komorowski in seiner Ansprache vor dem Bundestag am 10. September 2014 zum 75) zu sprechen, auf die der damalige polnische Staatspräsident Bronisław Komorowski bei seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag einging. Angesichts des Krieges in der Ostukraine bekam diese Ansprache zusätzliche Bedeutung. Und obwohl deutsche Medien Komorowski vorhielten, er habe bei seiner Rede nicht die Millionen sowjetischer Opfer im Zweiten Weltkrieg erwähnt, (Marcel Fürstenau; Barbara Cöllen, Imponujące wystąpienie we właściwym miejscu, 14.6.2022) wurde seine Ansprache sehr positiv aufgenommen. Bundestagsabgeordnete betonten allerdings in der Zeitschrift Das Parlament, der Prüfstein für die beiderseitigen Beziehungen werde der Konflikt in der Ukraine sein (Jacek Stawiski, Bundestag o relacjach z Polską: Ukraina problemem, historia już nie, in: TVN24 vom 13. August 2014), der etwa die unterschiedliche Haltung Polens und Deutschlands zu Russland und dessen Platz auf der internationalen Bühne hervortreten lasse. Und auch wenn man den Stellenwert von Symbolen nicht überschätzen darf, so darf doch ebenfalls nicht vergessen werden, dass sie es sind, die ein Klima herstellen, das die Stärkung der gegenseitigen Beziehungen begünstigt. Trotz gewisser Differenzen in der Beurteilung der Lage sprachen Polen und Deutsche in der Ostukrainekrise mit einer Stimme, und die Wahl Donald Tusks zum EU-Ratsvorsitzenden bestätigte, dass Polen damals von Berlin als ernstzunehmender Gesprächspartner auf internationalem Parkett behandelt wurde.

Rückkehr der Geschichtspolitik

 Ein tiefer Einschnitt in den gegenseitigen Beziehungen war jedoch das Jahr 2015, als es erneut zu einem Machtwechsel in Polen kam. Sowohl bei der Präsidentschafts- als auch den Parlamentswahlen errang die Partei Recht und Gerechtigkeit den Sieg, so dass sich die bevorstehende Wende zur historischen Politik und die Rückkehr zur deutschfeindlichen Rhetorik der Jahre 2005–2007 bereits abzeichnete. Recht bald machte sich in der deutschen Presse Skepsis gegenüber der neu, genauer gesagt erneut gewählten politischen Richtung in Polen bemerkbar. In den Kommentaren fehlte es nicht an Kritik daran, dass allgemeine Vorwürfe gegen Deutschland mit dem Regierungswechsel hoffähig geworden seien ((Mehr dazu siehe: Barbara Cöllen, Prasa niemiecka: Powrót straznego Niemca, https://www.dw.com/pl/prasa-niemiecka-powr%C3%B3t-strasznego-niemca/a-19496369), 16.5.2022). Umso mehr, als die Migrationskrise eine große Rolle als Wahlkampfthema gespielt hatte, in deren Behandlung Polen und Deutsche weit auseinanderlagen (bzw. die Unterschiede in der Haltung der Polen und Deutschen zutagetreten ließ). In der Hochphase wurden Geflüchtete als InvasorInnen, TerroristInnen und VerbreiterInnen von Krankheiten bezeichnet, während man versuchte, Angela Merkel nach ihrer Entscheidung, die Grenzen für die Geflüchteten zu öffnen, als Hauptverantwortliche der entstandenen Lage darzustellen. Die Immigrationskrise sorgte für große Erregung in Europa, so auch in Polen. Die vorherrschende Rhetorik in Polen wich bedeutend von dem ab, was zumindest teilweise in Deutschland gesprochen wurde. Deutschlands Standpunkt, von dem Merkel die ganze EU zu überzeugen versuchte, beruhte auf einer Verteilung der Geflüchteten auf alle Mitgliedsländer, doch damit erklärte sich u. a. Polen nicht einverstanden. Im medialen und gesellschaftlichen Diskurs überwog sowohl gegenüber den Geflüchteten (sog. „ArbeitsimmigrantInnen“) als auch gegenüber Merkel und ihrer Regierung eine „ablehnende“ Haltung. Im zeitlichen Rückblick auf diese Krise schrieb Adam Krzemiński in der Polityka, jener Zeitraum habe sich als weitere Zäsur in den deutsch-polnischen Beziehungen erwiesen. Während die bilateralen Beziehungen bis dahin hauptsächlich um die Vergangenheit gekreist hätten, um „Erbfeindschaft“ und Versöhnung, sei es damals auch zu einer mentalen Trennung gekommen, da die Deutschen, im Gegensatz zu den Polen, durch ihre Öffnung für die neue „Völkerwanderung“ an grundlegenden zivilisatorischen Prozessen in Europa beteiligt gewesen seien (Adam Krzemiński, Pięć lat później, Na ile Niemcy dali sobie radę z uchodźcami, in: Polityka vom 11.9.2020). Polens Standpunkt in der Migrationskrise wurde in den führenden meinungsbildenden Blättern, etwa der Süddeutschen Zeitung, kritisiert. In einem Artikel mit der Überschrift Nationalismus ist Idiotie schrieb einer der beliebtesten deutschen Politiker, Norbert Blüm, es gehöre „zu den Paradoxien der Zeitgeschichte, dass ausgerechnet Staaten wie Polen und Ungarn am lautesten die Aussperrung der Flüchtlinge verlangen. Sie haben doch selbst noch vor ein paar Jahren erfahren, was es bedeutet, von Europa ausgesperrt zu sein, hinter einem Eisernen Vorhang zu leben“. Und der Christdemokrat kommentiert weiter: „Polen zerstört so die Erinnerung an die Befreiungsbewegung Solidarność“ (Norbert Blüm, Nationalismus ist Idiotie, in: Süddeutsche Zeitung vom 10.8.2016).

Als im Jahr 2018 in Europa das Ende des Ersten Weltkrieges hundert Jahre zuvor begangen wurde, gehörten die deutsch-polnischen Beziehungen daher sicherlich nicht zu den vorbildlichen. Obwohl drastische Interessenkonflikte fehlten, kennzeichneten sie sich, wie Piotr Buras in der Polityka schrieb, durch eine „erstaunliche Stummheit“ (Piotr Buras, Stosunki polsko-niemieckie pod rządami PiS, in: Polityka. Pomocnik historyczny vom 11.12.2018). Gründe für wechselseitig fehlendes Verständnis gab es damals viele: einerseits die immer öfter von der Europäischen Union und Deutschland infrage gestellte Rechtsstaatlichkeit in Polen, andererseits die Gasleitung Nord Stream 2. Diese Fragen sorgten beiderseits der Grenze für Emotionen, während in Polen das Ausspielen der antideutschen Karte zu einem wichtigen Bestandteil der Innenpolitik wurde. Außer der Geschichte, die von Zeit zu Zeit wie ein Bumerang zurückkam, etwa in Gestalt der Frage nach Kriegsreparationen, trennte Polen und Deutsche zunehmend auch die Einstellung zu Werten wie Rechtsstaatlichkeit (→ juristische Rich Points), Menschenrechte oder der offenen Gesellschaft, was den medialen Diskurs zusätzlich anheizte. Infolgedessen wurde auf der polnischen Seite „Der Deutsche als Erbfeind“ (Robert Traba, Gra w „Niemca – wiecznego wroga“. Trzy strategie polityczne, in: Kultura Liberalna vom 16.11.2021) gespielt, während man sich auf der deutschen Seite fragte, ob die Polen überhaupt noch an Deutschland und die EU glaubten. Immer öfter wurden in der deutschen Presse Meinungen laut, die polnische Regierung führe keine inhaltliche Diskussion über die Gasleitung oder Migrationsprobleme, sondern setze gezielt rhetorische Figuren ein, die durch ihre Verwurzelung im kollektiven Gedächtnis der Polen für Entzweiung sorgen und das Ansehen Deutschlands beschädigen sollten. 

So verhielt es sich sowohl 2017 als auch 2021, als die Diskussion (eher Forderung) von Kriegsreparationen von großangelegten Medienkampagnen mit stark deutschfeindlicher Botschaft begleitet wurde. Der Warschauer Korrespondent der Welt, Philipp Fritz, kommentierte eine Plakataktion in Warschau, bei der führende deutsche PolitikerInnen wie Frank-Walter Steinmeier oder Angela Merkel neben deutsche NaziverbrecherInnen gestellt und die Forderung nach einer Zahlung von Kriegsreparationen durch Deutschland erhoben wurden, mit der Feststellung, dies sei Teil der Manipulation der öffentlichen Meinung in Polen zu Zwecken im Innern. Auch wenn diese Manipulation in den meisten Fällen von deutschen PolitikerInnen ignoriert würde, um die Beziehungen zwischen Warschau und Berlin nicht weiter zu belasten, so vergifte sie dennoch die gegenseitigen Beziehungen, schrieb Fritz ( Jacek Lepiarz, Die Welt: Polska gra nienawiścią przeciwko Niemcom, https://www.dw.com/pl/die-welt-polska-gra-nienawi%C5%9Bci%C4%85-przeciwko-niemcom/a-60394860 17.5.2022 ). Eine weitere Bestätigung dafür, dass die antideutsche Karte (deutschfeindliche Ressentiments) vom Regierungslager und den ihm nahestehenden Medien für die Innenpolitik ausgenutzt wurde, war ein weithin diskutiertes (und kritisiertes) Titelblatt der Gazeta Polska vom März 2017 mit einer grafischen Darstellung von Donald Tusk in Wehrmachtuniform und Angela Merkel, die aus einer Straßenbahn mit der Aufschrift „nur für deutsche Fahrgäste“ aussteigen. Die Aussage dieses Titelbildes war offensichtlich. Nachdem Donald Tusk zum zweiten Mal zum EU-Ratspräsidenten gewählt worden war (und Polen als einziges Land dagegen gestimmt hatte – das berüchtige Abstimmungsergebnis „27:1“), sei die Botschaft dieses Titels simpel, wie Krzemiński damals in der Polityka schrieb: Die EU habe nicht einen Polen zum Ratspräsidenten gewählt, sondern einen „deutschen Söldner“ (Adam Krzemiński, Czy Polacy wciąż się boją zachodnich sąsiadów, in: Polityka vom 28.3.2017). Nicht unbemerkt blieben auch Jarosław Kaczyńskis Worte über den Aufbau eines „Vierten Reiches“, was in Deutschland als erneute Verschärfung in den gegenseitigen Beziehungen aufgefasst wurde. Gerhard Gnauck schrieb damals in der FAZ, Kaczyńskis Äußerung diene der Ablenkung vom Streit zwischen Polen und den EU-Institutionen um die Rechtsstaatlichkeit ( Gerhard Gnauck, „Deutschland will den Aufbau eines IV. Reiches“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 2.12.2021). Als Vorwand für die Äußerung diente ein Punkt des Koalitionsvertrages der neugebildeten Bundesregierung, in dem die Ausarbeitung einer Verfassung der EU als Föderation gefordert wurde, was angeblich ein Streben Deutschlands nach Hegemonie in Europa anzeige. Zu den kritisch gegen Polen gerichteten Artikeln zählten auch jene, in denen auf den Streit zwischen Warschau und Brüssel unter der Parole „Geld gegen Rechtsstaatlichkeit“ Bezug genommen wurde, ebenso wie jene übrigens, in denen die immer umfänglicheren Eingriffe der polnischen Regierung in die öffentlichen Angelegenheiten kommentiert wurden.

Dass im Dezember 2021 ein Vertreter der deutschen Sozialdemokratie, Olaf Scholz, Bundeskanzler wurde, stieß bei den Medien in Polen auf großes Interesse. Nach 16 Regierungsjahren von Angela Merkel, die stets die Bedeutung der deutsch-polnischen Beziehungen betont hatte, musste ein Wechsel in dieser herausgehobenen Stellung neugierig machen. Es erschienen nun in der polnischen Presse allerhand resümierende Berichte über die Regierungszeit der Bundeskanzlerin, auch wurde die Frage gestellt, wie der Machtwechsel sich wohl auf die bilateralen Beziehungen auswirken würde. Als echter „Prüfstein“ für das Ansehen des neugewählten Bundeskanzlers sollte sich die Invasion Russlands in der Ukraine im Februar 2022 erweisen, die das internationale Politikgefüge grundlegend verändert hat. Der russische Überfall löste in Deutschland eine Debatte über die deutsch-russischen Beziehungen sowie die Ostpolitik aus, was auch in den polnischen Medien kommentiert wurde. Als Vertreter der SPD wird Olaf Scholz mit anderen Bundeskanzlern dieser Partei verglichen, so auch mit Gerhard Schröder, der wegen seiner Beziehung zu Wladimir Putin und seines Postens im Gazpromaufsichtsrat der Kritik ausgesetzt war. Adam Krzemiński schrieb in der Polityka, es habe unter den Politikern im SPD-Milieu noch nie an „Putin-Verstehern“ gefehlt, was an den allzu diensteifrigen, aber auch komplizierten Beziehungen zu Russland liege (Adam Krzemiński, „Rozumiejący Rosję i Putina“ w Niemczech kajają się lub milczą, in: Polityka vom 2.4.2022). Deswegen riefen auch die von Olaf Scholz verkündete „Zeitenwende“ in der Sicherheitspolitik, die u. a. zu gesteigerten Rüstungsausgaben und einer militärischen Betätigung an der Ostflanke der Nato führen soll, sowie die Einstellung der Tätigkeit der NordStream-2-Aktiengesellschaft in Polen großes Erstaunen hervor. Einerseits wurde davon gesprochen, dass dies vielleicht „einer der wichtigsten Augenblicke in der Nachkriegsgeschichte Europas“ (Adam Krzemiński, Niemcy: Wielki zwrot, in: Polityka vom 15.3.2022) sei, andererseits wurde Deutschland recht bald auch kritisiert und als „Bremser“ (Siehe dazu ausführlich: Adam Krzemiński, Niemcy na cenzurowanym. Echa niedoszłej wizyty Steinmeiera w Kijowie, in: Polityka vom 16.4.2022) bezeichnet, weil die Bundesregierung sich in Schlüsselfragen konservativ äußerte, etwa in Bezug auf eine Einfuhrsperre für Erdöl aus Russland oder Waffenlieferungen an die Ukraine. In den deutschen Medienberichten über die Kriegslage in der Ukraine dominierte verständlicherweise das Thema der deutsch-russischen Beziehungen. Unter den wenigen Stimmen, die sich in dieser Zeit auf Polen bezogen, waren jedoch auch solche, die – neben wiederkehrenden Berichten zum Thema der Rechtsstaatlichkeit – Polen für das Bezeigen europäischer Werte lobten (vor allem bei der Hilfe für Ukraineflüchtlinge sowie bei der Militärhilfe für die Ukraine). Im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg erscheint Polen in der deutschen Presse in deutlich besserem Licht als Ungarn, das sonst in einem Atemzug mit Polen genannt wird, wenn es um die Länder geht, die die EU-Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit verletzen. Wobei jedoch, was wichtig ist, deutlich betont wird, dass Polens Haltung angesichts der Lage in der Ukraine keinen Einfluss auf die Entscheidungen haben solle, die die EU vor dem 24. Februar 2022 getroffen hat. Bemerkenswert ist, dass auch in der deutschen Presse wahrgenommen wurde, dass die konservative Haltung der Bundesregierung zum Ukrainekrieg Auswirkungen auf das Ansehen Deutschlands in Polen hat. Gabriele Lesser schrieb in der Taz, „vom »verlässlichen Partner, guten Nachbarn und Freund Polens« ist seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine keine Rede mehr“, sondern alle Polen sähen „mit wachsendem Entsetzen, dass deutsche Politiker unfähig sind, schnelle Entscheidungen zugunsten der Opfer in diesem Krieg zu fällen“ (Gabrielle Lesser, Deutschlands Image in Polen. Der Ruf ist ruiniert, in: TAZ vom 30.5.2022).

Resümee

 Es besteht kein Zweifel, dass der in der Ukraine geführte Krieg das internationale Politikgefüge verändern und dadurch unmittelbar die deutsch-polnischen Beziehungen und deren Sichtweise beeinflussen wird. Der Ukrainekrieg wirkt sich auf die internationale Politik aus, und vor dem Hintergrund des russisch-ukrainischen Konflikts wird besonders deutlich, wie lebendig die alten Auseinandersetzungen sind, die ihren Ursprung in der Geschichte und dem Erinnern haben. Die aus den unterschiedlichen Kriegserfahrungen und -erinnerungen herrührende Asymmetrie kennzeichnet immer noch die deutsch-polnischen Beziehungen, was nicht selten das gegenseitige Verständnis behindert. Allerdings haben die Bilder Deutschlands in der polnischen und Polens in der deutschen Presse im Laufe der letzten Jahrzehnte eine Entwicklung durchgemacht. Die Vergangenheit, die seit langem negative Stereotype verfestigt hatte, gab vor kurzem den Anstoß zur Zusammenarbeit – gemeint sind hier selbstverständlich die Beseitigung des Kommunismus und Polens EU-Beitritt (bei dem Deutschland Polen sehr half). Ein Wandel der gegenseitigen Wahrnehmung war daher in gewissem Sinne unausweichlich. Im deutschen Pressediskurs, besonders in der meinungsbildenden Presse, war Polen nun nicht länger lediglich das Land der religiösen Frömmigkeit und der AutodiebInnen, sondern wurde zwischenzeitlich zu einem sich beeindruckend rasant entwickelnden Land der Europabegeisterten (was paradoxerweise durch die Wirtschaftskrise befördert wurde), um dann wieder zum Bild des Landes zurückzukehren, „das Probleme verursacht“. In der polnischen Presse hingegen trat an die Stelle der deutschen Angreifer und Besatzer des fast dreihundert Jahre alten Stereotyps vorübergehend das Bild der Deutschen als vertrauenswürdige PartnerInnen in der EU, solide ArbeitgeberInnen und großzügige TouristInnen. Die deutsch-polnischen Beziehungen, die gegenwärtig vor allem um die EU-Politik kreisen, können als Beispiel einer einigermaßen gelungenen bilateralen Zusammenarbeit dienen. Gelegentlich auftretende Meinungsverschiedenheiten beeinträchtigen die Stabilität der Beziehungen nicht nachhaltig. Zu bedenken ist jedoch, dass der Versuch, das Ansehen zu verändern, nicht gleichzeitig eine Überwindung negativer Stereotype bedeutet, so wie er auch nicht identisch ist mit einer Änderung des Denkens der DurchschnittsbürgerInnen, denen die große Politik und die Standpunkte der Meinungsmedien fremd sein mögen. 

Nicht selten werden negative Stimmungen, zumal in Polen, durch politischen Populismus befeuert. Stereotype zu dekonstruieren, ist ein langwieriger Prozess; deswegen wird es noch viele Jahre und ungeheure Anstrengungen auf sehr vielen Ebenen der internationalen Beziehungen, vielleicht auch noch einige Generationenwechsel brauchen, damit das positive Bild von einem vorläufigen Zustand zur Regel wird. Umso mehr, als der allgemeine Charakter der gegenseitigen Beziehungen, wie auch die Analyse des Pressediskurses bestätigt, vor allem von der jeweiligen aktuellen politischen Lage abhing und nach wie vor abhängt, also auch von der Linie der jeweils regierenden Parteien.

Aus dem Polnischen von Hans Gregor Njemz

 

Literatur:

Dolińska, Xymena; Fałkowski, Mateusz: Polska – Niemcy. Wzajemny wizerunek, in: Obraz Polski i Polaków w Europie, hg. von Lena Kolarska-Bobińska, Warszawa 2003.

Fałkowski, Mateusz: Polacy i Niemcy. Wzajemny wizerunek po rozszerzeniu Unii Europejskiej, in: Polska – Niemcy – Francja. Wzajemne postrzeganie w po rozszerzeniu UE, hg. von Lena Kolarska-Bobińska und Mateusz Fałkowski, Warszawa 2008.

Górajek, Anna: Wydarzenia społeczno-polityczne w Polsce w niemieckiej literaturze i publicystyce lat osiemdziesiątych (1980–1989), Wrocław 2006.

Kolarska-Bobińska, Lena, Łada, Agnieszka (Hg.): Polska – Niemcy. Wzajemny wizerunek i wizja Europy, Warszawa 2009.

Lebioda, Tadeusz: Wybory w Polsce w 2007 roku w świetle prasy niemieckiej, in: Niemcoznawstwo (2008), Nr. 16.

Łada, Agnieszka: Dwadzieścia lat minęło. Polacy i Niemcy o zjednoczeniu Niemiec i stosunkach polsko-niemieckich w dwudziestą rocznicę zjednoczenia, Warszawa 2010.

Łada, Agnieszka; Fałkowska-Warska, Małgorzata: Obraz polskiej migracji zarobkowej do Niemiec w prasie polskiej i niemieckiej rok po całkowitym otwarciu rynku pracy, Warszawa 2012.

Ociepka, Beata: Polacy i Niemcy w obrazie mediów, in: Polacy – Niemcy. Sąsiedztwo z dystansu, hg. von Anna Wolff-Powęska und Dieter Bingen, Poznań 2004.

Szymańska, Agnieszka: Wizerunek Polski w Spieglu w latach 1990–1999, in: Zeszyty Prasoznawcze (2000), Nr. 3–4 (163–164).

Traba, Robert: Gra w „Niemca – wiecznego wroga“. Trzy strategie polityczne, in: Kultura Liberalna (2021), Nr. 671 (46/2021).

Wojtaszyn, Dariusz: Obraz Polski i Polaków w prasie i literaturze Niemieckiej Republiki Demokratycznej w okresie powstania Solidarności i stanu wojennego, Wrocław 2007.

 

Rodzeń, Ilona, Mag., verfasste die Beiträge „Polnische und deutsche Popkultur – gegenseitige Wahrnehmung in der Satire“ und „Das gegenseitige Bild Polens und Deutschlands in der Presse“. Sie studierte Journalismus an der Universität Wrocław und arbeitete in den Bereichen Deutsche und Polnische Massenmedien, Stereotype und Popkultur.

Dec-Pustelnik, Sylwia, Dr., ist zusammen mit Peter Klimczak, Christer Petersen, Izabela Surynt und Arkadiusz Lewicki Mitherausgeber des vorliegenden Handbuchs der deutsch-polnischen Kommunikation und verfasste die Beiträge „Das gegenseitige Bild Polens und Deutschlands in der Presse“, „Der Brief der Bischöfe als Beitrag zur deutsch-polnischen Versöhnung“ und „Willy Brandts Kniefall vor dem Ehrenmal für die Helden des Warschauer Ghettos als Beitrag zur deutsch-polnischen Versöhnung“. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Wrocław und arbeitet in den Bereichen Interkulturelle Kommunikation, Erinnerungskultur und Mediendiskurse.

 

 

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