Izabela Surynt

Deutsche Ordensritter/Kreuzritter (Stereotyp)

Deutsche Ordensritter/Kreuzritter (Stereotyp)


Unter den polnischen Vorstellungen von den Deutschen ist das Stereotyp des deutschen Ordensritters/Kreuzritters zweifellos das bekannteste, beständigste und zudem fast ausschließlich negativ konnotiert. Das häufig für populärer gehaltene Stereotyp des NaziDeutschen ist – entgegen der gängigen Meinung – im Hinblick auf das KreuzritterStereotyp nicht etwas völlig Eigenständiges oder Neues, sondern lediglich ein durch die Erfahrung des Krieges und der Okkupation radikalisiertes Feindbild, dessen Fundamente bereits während der Herausbildung der polnischen Kreuzritter-Narration zu Beginn des 19.Jhs. gelegt wurden. Folglich lässt sich das Stereotyp des Nazi-Deutschen als eine eigentümliche „Verlängerung“ beziehungsweise spezifische Reinkarnation älterer Vorstellungen vom bösen Nachbarn, der es nur auf das Land und Vermögen der Polen/ Slawen abgesehen hat und rücksichtslos nach Osten „drängt“ (→ Osten), interpretieren. Die enge semantische Beziehung zwischen dem Kreuzritter-Deutschen und dem NaziDeutschen im polnischen Diskurs über die Deutschen wird nicht nur rückblickend sichtbar, wenn man nachträglich nach Ähnlichkeiten oder Analogien sucht, sondern vor allem in der Rhetorik, die reich ist an Vergleichen und Parallelen zwischen dem Dritten Reich und dem Ordensstaat, sowie in konkreten Handlungen. Tomasz Szarota weist in diesem Zusammenhang auf die Fortführung der Kreuzritter-Narration aus der Zwischenkriegszeit und früher hin, auf Bücher – Henryk Sienkiewiczs Kreuzritter (Krzyżacy) und den gleichnamigen Roman von Józef Ignacy Kraszewski –, die im okkupierten Polen fast schon zur Pflichtlektüre gehörten, und auf Auszeichnungen mit Kreuzritter-Semantik, wie z.B. das Grunwald-Kreuz, das im Februar 1944 vom Landesnationalrat (Krajowa Rada Narodowa, KRN) gestiftet wurde. Die deutlichsten Bezüge zum Deutschen Orden finden sich jedoch in Texten aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges. Für die Autoren des Aufrufes der Polnischen Arbeiterpartei (Polska Partia Robotnicza, PPR) vom Januar 1942 bestand kein Zweifel, dass die Nationalsozialisten die „Erben“ der Kreuzritter sind:

Die modernen Kreuzritter im Zeichen des Hakenkreuzes quälen das polnische Volk auf grausame Weise […]. Gemeinsam mit dem großen russischen Volk nehmen wir alle den heiligen Kampf auf, um die Slawen vom Kreuzritter-Joch zu befreien ( Zit. nach Szarota 1996, S. 151).

 Szarota, der die Lexik analysiert, die in polnischen Schriften der Besatzungszeit benutzt wurde, um die Deutschen zu charakterisieren, verweist – neben beleidigenden Ausdrücken wie „Ratte“, „Häscher“, „Mörder“ oder „blutiger Henker“ – auch auf die Bezeichnungen „Kreuzritter“ und „Preuße“ (Szarota 1996, S. 156), die ähnlich wie der „germanische Barbar“ einen Bezug zur Vergangenheit der deutsch-polnischen Beziehungen herstellen. Ordnet man die Etikettierungen der deutsch-polnischen Vergangenheit in chronologischer Reihenfolge an – „Germane – Kreuzritter – Preuße – Militarist – Nazi“ –, so spiegelt diese historische Vision einerseits die „Lebendigkeit“ des Stereotyps vom Deutschen als dem „ewigen Feind“ in seinen „neuzeitlichen“ Varianten wider und verfestigt andererseits die Narration von den gegenseitigen Kontakten als einer nicht enden wollenden Kette von Konflikten und Kämpfen (bezeichnend für dieses Denken ist der Titel von Zygmunt Wojciechowskis Buch Polen – Deutschland. Zehn Jahrhunderte Kampf Polska – Niemcy Dziesięć wieków zmagania], Poznań 1945, sowie die in Wrocław 1948 gezeigte „Ausstellung der Wiedergewonnenen Gebiete“ [Wystawa Ziem Odzyskanych] → Wiedergewonnene Gebiete, die ursprünglich in Großpolen unter einem ähnlichen Namen präsentiert werden sollte). Eben deshalb sollten die erwähnten, mit den Deutschen gleichgesetzten Figuren eher als (Re-)Inkarnationen oder Spielarten desselben Feindbildes angesehen werden, das sich immer wieder – in Abhängigkeit von den herrschenden Bedingungen, Bedürfnissen und Wünschen sowie den Erfahrungen der jeweiligen Epoche – in neuem Kostüm offenbart, denn als Neuschöpfungen. Der Modifizierungsprozess kollektiver Vorstellungen vom Anderen unterliegt den gleichen Mechanismen wie Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses (→ Erinnerungskultur).

Die Dichotomie des polnischen Bildes vom Deutschen und Diskurse über die Zivilisation

 Für den polnischen Diskurs über die Deutschen (und Deutschland) ist eine weitere Gesetzmäßigkeit charakteristisch, die Wojciech Wrzesiński als „dualistische Haltung“ der Polen gegenüber den Deutschen bezeichnet, also als eine spezifische Ambivalenz in der Wahrnehmung des westlichen Nachbarn, die darauf beruht, dass man ihm sowohl negative als auch positive Eigenschaften zuschreibt (Wrzesiński 2007). Auch Szarota unterstreicht die Dichotomie des polnischen Bildes vom Deutschen und stellt fest, dass diese Zweiwertigkeit erst durch den Zweiten Weltkrieg aufgehoben wurde:

Obwohl die Bezeichnung ,Deutscher‘ stets viele negative Assoziationen weckte, ging sie fast immer mit der Überzeugung einher, dass die Deutschen auch viele positive, nachahmenswerte Eigenschaften besitzen. […] Während des Krieges und der nationalsozialistischen Besatzung wurden die positiven Elemente ihres Stereotyps vernichtet (Szarota 1996, S. 141).

 Eine der üblichen Praktiken, die Deutschen als Fremde zu definieren, bestand bis dahin darin, dass man ihnen einen konkreten und relativ konstanten Katalog an Eigenschaften zuordnete. Die Vorzüge des deutschen „Nationalcharakters“ waren immer mit Überlegungen zur Kultur und Zivilisation verbunden, die auf dem historiosophischen Denken des 18. und 19.Jhs. gründeten – diese Geschichtsphilosophie erfreute sich in den letzten zwei Jahrhunderten in Europa großer Beliebtheit, unabhängig von den politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Überzeugungen der einzelnen Diskursteilnehmer. Zudem hat die (vulgarisierte) Historiosophie immer noch Konjunktur, wovon nicht zuletzt die heutige Rhetorik im Zusammenhang mit den „Entwicklungsländern“ oder der „neuen Union“, insbesondere im Bereich „Modernisierung und nachhaltige Entwicklung“, zeugt. Dagegen wurden die als „typisch deutsch“ angesehenen negativen Eigenschaften traditionell mit Ethik, Moral und Emotionalität in Verbindung gebracht. Die Bewunderung für die „hohe“ Kultur und Zivilisation sowie die Anerkennung der deutschen Überlegenheit in diesem Bereich wurden durch die Kritik ihrer vermeintlichen Gefühllosigkeit, ihres Egoismus, ihrer Arroganz und ihrer Prahlerei abgeschwächt. Die Kombination der Vorzüge und Charakterfehler, d.h. die Dominanz der einen Kategorie von Eigenschaften über die andere beziehungsweise die Akzentuierung der einen auf Kosten der anderen, hing vor allem vom jeweiligen politischen Umfeld, von den Erfahrungen, Interessen und Bedürfnissen sowie von der Lebenssituation ab – die BewohnerInnen des preußischen oder österreichischen Teilungsgebietes schauten anders auf die Deutschen als die BewohnerInnen des russischen Teilungsgebietes. Überdies legten die polnischen Diskursteilnehmer, die an deutschen Universitäten studiert hatten oder für deutsche Auftraggeber arbeiteten, eine andere Sichtweise an den Tag, als jene, die den deutschen Staat ausschließlich für eine Gefahr und einen Feind des polnischen Volkes hielten, ohne selbst persönliche Erfahrungen mit ihm gemacht zu haben, also in keiner Weise an seinem Funktionieren beteiligt waren. In den letzten Jahrzehnten des 19.Jhs. wurde das Verhältnis zu den Deutschen am stärksten von der Weltanschauung sowie politischen und wirtschaftlichen Zielen bestimmt, weshalb die relativ monolithische Wahrnehmung der Deutschen (dem das beharrliche, doch wenig erfolgreiche Bemühen vorausging, die Preußen von den übrigen Deutschen, z.B. Sachsen, Badenern usw., zu unterscheiden) nicht selten einer differenzierteren Rezeption des westlichen Nachbarn Platz machte, z.B. nach dem Klassen- oder Konfessionskriterium, um dann in einer Krisensituation, wie während des Ersten Weltkrieges, wieder homogenisiert zu werden (Wrzesiński 2007). Diese Ambivalenz, Dualität oder Dichotomie der polnischen Wahrnehmung der Deutschen ist jedoch nichts in sich Widersprüchliches oder Aporetisches. Im Gegenteil, die Zweiwertigkeit des Stereotyps vom Deutschen in all seinen Ausprägungen leitete sich von einem viel allgemeineren Diskurs – über die Entwicklung der Menschheit, den Fortschritt und die Zivilisation – ab, der sich intensivierte ab dem 18.Jh., das aufgrund der genauen Erforschung der Erde (Reisen um die Welt) und der Entdeckung neuer Kontinente (insbesondere Australiens) auch „das zweite Jahrhundert der Entdecker“ genannt wurde. Der Fortschrittsgedanke, der als geschichtliches Prinzip verstanden wurde und sich in dieser Zeit zu verbreiten begann, offenbarte gleichzeitig die Spannungen aufgrund der ungleichzeitigen und differenzierten Entwicklung in verschiedenen menschlichen Lebensbereichen. Vor allem registrierte man das Missverhältnis zwischen der wissenschaftlichen Entwicklung und dem menschlichen Streben nach moralischer Vervollkommnung einerseits und der ethischen Praxis andererseits. Diese Asymmetrie wird zur Grundlage für die meisten Fortschrittsdiskurse im 19. und 20.Jh., und auch zum Ausgangspunkt der polnischen Kritik am deutschen Egoismus und Materialismus sowie an der Geringschätzung der Anderen (Schwächeren), also an jenen Eigenschaften, die dauerhaft Eingang finden in das polnische Stereotyp vom Deutschen als Feind. Der wichtigste Bestandteil der Weltkonzepte, die unter dem Einfluss von Modernisierungserfahrungen entstanden, ist jedoch die Vorstellung von „fortschrittlichen“, also „entwickelten“, und von „rückständigen“ Kontinenten, Staaten, Völkern/Nationen und sozialen Ständen. Die Wahrnehmung der „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ (Koselleck 1975, S. 391) ab Ende des 18.Jhs. weckte in den nachfolgenden Generationen ein spezifisches Selbstbewusstsein, das auf der Überzeugung gründete, man sei in bestimmten Bereichen – im Vergleich zu anderen sozialen Schichten, Nationen oder gesellschaftlichen und staatlichen Strukturen – „führend“, also den anderen „voraus“, oder aber „zurückgeblieben“. 

Die Erfahrung zivilisatorischer Unterschiede (die in manchen Fällen geradezu als kulturelle Kluft empfunden wurden) wurde zu einem Leitmotiv aller komplexen historiosophischen Darstellungen des 19.Jhs. Dadurch erlangten die Differenzierung, Bewertung und daraus resultierende Hierarchisierung aller gleichzeitig auf der Erde lebenden Völker/Nationen fundamentale Bedeutung und wurden zu einem Maßstab, wie man Verschiedenartigkeit wahrnahm. Die Funktionalisierung des modernen Fortschrittsbegriffs als historiosophische Kategorie führte zu einem neuen Blick auf die gesamte Menschheit. Obwohl sie weiterhin als Ganzes betrachtet wurde, konnte man aus europäischer Sicht mit Hilfe dieses Instrumentariums hierarchische Zuordnungen vornehmen: „Die Triade der fortschrittlichen Europäer, der stagnierenden Chinesen und der rückständigen Primitiven ist im ganzen 18. und 19. Jahrhundert geläufig“ (Koselleck 1975, S. 397). Im Übrigen ist das eurozentrische Denken über die Welt bis heute ein beliebtes Interpretationsmuster der Wirklichkeit.

Der Fortschritt der Menschheit (die Geschichte) als zivilisatorischer und kultureller Fortschritt wurde anhand eines evolutionären Entwicklungsmodells der Kultur dargestellt. Seine in sich hierarchisierte Struktur führte die ungleichmäßige und unzusammenhängende Entwicklung der Menschheit vor Augen und ordnete die „primitiven“ (Natur-)Völker/Nationen – durch Infantilisierung und Exotisierung – früheren Entwicklungsstadien der Menschheit zu, die dem Erreichen des „Erwachsenenalters“, also, nach damaliger Überzeugung, der europäischen Zivilisierung („Kulturnationen“) vorausgingen. Gleichzeitig diente dieses Schema dazu, die Beziehungen zwischen den europäischen Nationen deutlich zu machen und sie in ein exakt festgelegtes System gegenseitiger Abhängigkeiten einzuteilen. Die Klassifizierung der zeitgleich lebenden menschlichen Gemeinschaften in einzelne Entwicklungsstufen entsprechend ihren zivilisatorischen Leistungen, durch den Vergleich und die Bewertung ausschließlich aus (west-)europäischer Perspektive – d.h. die eigenen Eigenschaften und Verhaltensweisen wurden als Norm zugrunde gelegt –, spornte einerseits dazu an, den Wettbewerb anzunehmen, um die als besser organsiert geltenden Nationen „einzuholen“ daher die Forderungen nach „Beschleunigung“ (Sosnowska 2004), und diente andererseits als Vergleichsmaßstab, um den eigenen Fortschritt und damit auch die kulturelle Überlegenheit gegenüber anderen Gemeinschaften hervorheben und unter Beweis stellen zu können. In diesem Zusammenhang hieß es häufig, „zurückgebliebene“ Gesellschaften müssten ihre zivilisatorischen Rückstände wettmachen, oftmals in Verbindung mit den unterschiedlichsten Projekten für eine Zivilisierung von außen. Die menschliche Gattung, die bis dahin in ihrer Gesamtheit das hypothetische Subjekt des Fortschritts war, wurde demnach, der wahrgenommenen zivilisatorischen Unterschiede entsprechend, in Gruppen eingeteilt und hierarchisiert. Der Teil der Menschheit, der aufgrund ihrer vermeintlichen kulturellen „Unterlegenheit“ als rückständig und wild galt, wurde diskursiv (und faktisch) zu einem Objekt degradiert, das Adressat „erzieherischer“ und zivilisatorischer Programme war, womit dem Wunsch Ausdruck verliehen wurde, Macht über die Unzivilisierten auszuüben, und dieser zugleich legitimiert wurde.

Der Begriff der „Kulturnation“ enthielt die dogmatische Überzeugung von der Überlegenheit der westlichen Zivilisation über andere Zivilisationen. Die „cultivirten Völker“ werden für den „eigentlichen Kern der Geschichte“ (Becker 1836, Bd. 1, S. 15) gehalten und bilden „ohne irgend eine Unterbrechung gleichsam den Kern der Menschheit und den Angelpunkt, um welchen sich die ganze Weltgeschichte dreht“ (Schlosser 1844, Bd. 1, S. 4). Dementsprechend stehen die Westeuropäer auf der obersten Sprosse der Leiter der Menschheitsentwicklung, unmittelbar unter ihnen befinden sich die „Weißen“ aus der Mitte des Kontinents und noch niedriger (auf der niedrigsten Stufe in Europa) die Osteuropäer (die Slawen, die ebenfalls hierarchisiert werden, z.B. werden im polnischen Diskurs die Polen höher eingestuft als die Ruthenen oder die Russen). Die wiederum trennt eine Kluft von den Nicht-Europäern, vor allem von den „schwarzen“ Afrikanern, die in dieser rassistischen Ordnungsstruktur ganz unten angesiedelt sind. Entsprechend der Logik des evolutionären Entwicklungsmodells der Menschheit standen die Slawen (d.h. auch die Polen) auf einer niedrigeren Entwicklungsstufe als die Engländer und Franzosen, aber auch als ihre direkten Nachbarn, die Deutschen. Die Übernahme dieses Denkens durch die polnische Wissenschaft des 19.Jhs. führte zu einer Aporie: Einerseits war es „bequem“, denn es wertete einen im Hinblick auf die östlichen Nachbarn auf und beförderte so die Schaffung kolonialer Narrationen gegenüber der Ukraine beziehungsweise abfällige Äußerungen über das „barbarische“ Russland; andererseits versetzte es die Polen in dasselbe Abhängigkeitsverhältnis (kulturelle „Überlegenheit“ der Deutschen), da man im Vergleich zu den westlichen Kulturen, einschließlich der deutschen, nun selbst als unzivilisierte „Wilde“ dastand.

Das Dilemma, das sich aus der Anwendung dieser Geschichtsauslegung ergab, die die deutsche Germanisierungspolitik gegenüber den Polen praktisch als zivilisatorisches Handeln legitimierte, versuchte man, auf unterschiedliche Weise aufzulösen. Wobei die effektivste Methode darin bestand, den moralischen Aspekt der zivilisatorischen Mission der Deutschen im Osten (→ Osten) zu entwerten, dadurch dass man ihr diskursiv ihre ethischen Grundlagen entzog. Man stellte die Rechtmäßigkeit des deutschen Vorgehens im preußischen Teilungsgebiet und in Schlesien (→ Schlesien in der Literatur) sowie anschließend auch im vereinten Deutschland in Frage, indem man die unmoralischen Motive des Handelns aufzeigte. Man argumentierte, die deutsche Polenpolitik würde nicht das humanitäre Ziel verfolgen, das Niveau der Kultur und Zivilisation einer „rückständigen“ Gesellschaft zum Wohle der Allgemeinheit anzuheben, da sie ausschließlich auf das Streben nach Gewinn, die Ausweitung des Herrschaftsbereiches und die militärisch-expansionistischen Ambitionen des preußischen Staates und der deutschen Nation ausgerichtet sei. Deshalb häuften sich in den polnischen Beschreibungen der Deutschen im 19.Jh. Vorwürfe des Egoismus, des Materialismus, der Bequemlichkeit, der Arroganz, des Militarismus, der Selbstgefälligkeit sowie fehlender Empathie für die Schwächeren und „weniger“ Entwickelten. Der als unmenschlich kritisierte Umgang der deutschen Kolonisatoren mit der polnischen Bevölkerung wurde als Ausdruck des deutschen „Nationalcharakters“, dem die Grundwerte der Menschlichkeit fehlen, angeprangert. Die bereits erwähnte Ambivalenz beziehungsweise Dualität der polnischen Wahrnehmung der Deutschen bestand daher nicht darin, dass dem westlichen Nachbarn Vorzüge und Charakterfehler zugeschrieben wurden (das geschieht in der Regel in jedem Bild vom Anderen, wenn auch in unterschiedlichen Proportionen), sondern darin, dass man bei aller Anerkennung der Überlegenheit der westlichen Zivilisation die Motive und Methoden der Deutschen ablehnte und ihnen gewöhnliche Habgier, Bequemlichkeit (man lässt andere für sich arbeiten), Größenwahn, Aggressivität, Sadismus und fehlendes Empathievermögen unterstellte. In dieser Konstellation beschränkten sich die Kultur und Zivilisation, die die Deutschen mitbrachten, lediglich auf den materiellen und technologischen Fortschritt, da diese humanitärer Werte beraubt waren. Sie verdienten daher nicht die Bezeichnung „wahre Kultur“ und „wahre Zivilisation“, und der erzielte Fortschritt schien nur ein vorgeschobener Grund für die territoriale und wirtschaftliche Expansion der Deutschen zu sein. Die ideale Verkörperung dieser Anschauungen war die Figur des Kreuzritters – einerseits war er ein Vertreter der (vor allem materiell) „höheren“ Kultur, andererseits ein brutaler Eroberer und Aggressor.

 Den Wert der als „höher“ erachteten Kultur zu mindern, indem man ihr eine ethische Dimension abspricht, ist keinesfalls eine originäre Idee polnischer Intellektueller, sondern ein Argument, das viel älteren zivilisationskritischen Debatten entlehnt wurde. Bereits in Tacitus’ Germania erscheint das zivilisatorisch hochentwickelte Rom als Brutstätte der Ausschweifung und moralischen Verdorbenheit im Gegensatz zu den „wilden“, von der Hochkultur „unbefleckten“, also zurückgebliebenen und rückständigen, dafür aber natürlichen und hochmoralischen Germanen. Ähnliche Denkkonstrukte finden sich auch in der Rousseau’schen Zivilisationskritik des 18.Jhs., für die Natürlichkeit und Moral (Menschlichkeit) eng miteinander verbundene Werte waren. Diese Art von Binarität erscheint auch in den stereotypen Narrationen von Ost und West (kognitive Karten): der reiche, entwickelte, aber verdorbene und dehumanisierte Westen versus dem armen, rückständigen, aber guten und menschlichen Osten. In Anlehnung an diese Denkweise wird eine Opposition gebildet, die den polnischen Diskursen zum Thema deutsch-polnische Beziehungen entstammt: Der Pole ist zwar „zurückgeblieben“ und „unzivilisiert“, dafür aber edel, während der Deutsche (Kreuzritter) „zivilisiert“, aber moralisch verdorben ist, und deshalb keinen Respekt verdient.

Der polnische Diskurs über die Deutschen ist ebenso stark mit den Debatten über universelle Geschichte, Menschheitsentwicklung und zivilisatorischen Fortschritt verflochten wie der deutsche Polendiskurs. Die in beiden kommunikativen Gemeinschaften funktionierenden nationalen Stereotypen sind deren Essenz, das verdichtete Bild kultureller Verschiedenheit, das von unterschiedlichen Positionen aus definiert wird: aus der Sicht dessen (des Deutschen), der sich für einen Repräsentanten der „höheren“ Kultur hält, oder dessen (des Polen), der diese zivilisatorische Überlegenheit anerkennt. Es ist daher kein Zufall, dass das am weitesten verbreitete deutsche Makrostereotyp der „polnischen Wirtschaft“ semantische Bereiche enthält, die sich zur Figur des IndianerPolen, des ungehobelten Wilden zusammensetzen, der es zwar versteht, heldenhaft zu kämpfen, aber unter den Bedingungen einer beschleunigten zivilisatorischen Entwicklung handlungsunfähig ist (Surynt 2006). Im Stereotyp des Kreuzritter-Deutschen wiederum wird der Zusammenklang von Lob und Kritik an der westlichen Zivilisation sichtbar.

Im 19.Jh. versucht man immer häufiger, die Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen, die in erster Linie als eine Kette nicht enden wollender, vom westlichen Nachbarn provozierter Konflikte dargestellt wird, mit Hilfe von Kategorien der Völkerpsychologie zu interpretieren. Laut dieser sind die Kreuzritter (in manchen Texten bereits die Germanen) „die psychischen Urahnen der modernen Preußen“ (Wrzesiński 2007, S. 39), später auch der deutschen Bürger des Wilhelminischen Kaiserreiches, der Weimarer Republik und des Dritten Reiches, und in der Propaganda der polnischen Volksrepublik auch der BRDDeutschen (für großes Aufsehen sorgte Ende der 1950er Jahre das Bild von Bundeskanzler Konrad Adenauer im Kreuzritterumhang, als dieser 1958 zum Ehrenritter des Ordens geschlagen wurde). Polnische Autoren des 19.Jhs. betonten häufig die Kontinuität des deutschen „Nationalcharakters“, also der deutschen Psyche, die – von Generation zu Generation vererbt – in seiner Unveränderlichkeit den Polen feindlich gesonnen blieb. Sie zeichnete sich aus durch:

[…] brutale Herrschaft, Respekt vor Stärke, keine Rücksicht auf die Rechte und Interessen anderer Völker, Ausnutzung von Verrat, Demagogie und Lügen. […] Zur neuen deutschen nationalen Gemeinschaft […] steuerten die Kreuzrittertraditionen für die Polen besonders gefährliche Elemente bei: Feindseligkeit und Grausamkeit gegenüber Fremden, insbesondere bei politischen Interessengegensätzen, Durchtriebenheit und Bereitschaft zum Verrat, Verschleierung der eigenen Ziele, Suche nach einfachen materiellen Erfolgen, Nichtbefolgung christlicher ethischer Normen, falls diese den egoistischen nationalen Eigeninteressen im Wege stehen (Wrzesiński 2007, S. 39).

 Die lange Liste der negativen Eigenschaften des Kreuzritter-Stereotyps scheint auf den ersten Blick das Positive völlig zu verdecken. Um es zu erkennen, muss man zwischen den Zeilen das Lob auf die perfekte Organisation des Staates, die Modernisierungsarbeit in den besetzten Gebieten, die Architektur, das militärische Handwerk oder auf die Verwaltung herauslesen. Die hervorgehobenen Unzulänglichkeiten konzentrieren sich hingegen – entsprechend der bivalenten Logik der polnischen Wahrnehmung der Deutschen – auf ethische Fragen.

Popularität des Kreuzritter-Stereotyps

 Entgegen der heute allgemein verbreiteten Ansicht, die Figur des Kreuzritters sei „immer schon“, d.h. seit Anbeginn des kreuzritterlich-polnischen Konflikts, im polnischen Kulturgedächtnis präsent gewesen, fanden der Deutsche Orden wie auch die Schlacht bei Grunwald (→ Erinnerungskultur) erst im 19.Jh. in ihm ihren festen Platz. Natürlich wurden den Beziehungen zwischen Kreuzrittern und Polen in der polnischen Geschichtsschreibung bereits in den frühesten Berichten Beachtung geschenkt und die damaligen Ereignisse ausführlich kommentiert, man konzentrierte sich jedoch vor allem auf die „moralisch-theologischen“ Aspekte (Przybyła 2006, S. 158) und nicht auf nationale Fragen, die seinerzeit einen völlig anderen Charakter hatten. Auch die schöne Literatur (z.B. die Werke von Jan Kochanowski) bedienten sich der Kreuzritterthematik, gaben dieser jedoch keine nationale Bedeutung im modernen Sinne, die sich erst im 19.Jh. vollständig herausbildete. Bis in die 1840er Jahre wurde des Grunwald-Sieges nur in Form eines religiösen Rituals gedacht, d.h. durch die alljährlich stattfindende Dankprozession, was das identitätsstiftende Potential der Kreuzritternarration hauptsächlich auf den kirchlichen Raum beschränkte. Erst in der zweiten Hälfte des 19.Jhs. machte die polnische Historiografie den Kampf der Polen mit dem Ordensstaat zu einem zentralen Ereignis, um das herum die polnische nationale Identität aufgebaut wurde (Przybyła 2006, S. 158). Die Stilisierung des Kreuzritters zu einem universellen Symbol des Bösen – der „ewigen“ Bedrohung und Feindseligkeit – ist folglich nicht das Werk der polnischen Geschichtsschreiber, sondern der romantischen Dichter (Adam Mickiewicz und Juliusz Słowacki), die die „über die Jahrhunderte verblasste Erinnerung an diese Konflikte im nationalen Gedächtnis und in der Literatur auffrischten (und zwar nachhaltig, wie sich herausstellen sollte) [… ]“ (Zybura 2006, S. 145). Dass das Stereotyp des Kreuzritters als erbarmungsloser Feind Eingang in den Kanon der polnischen Erinnerungskultur fand, dafür ist allerdings eher die Rezeptionsgeschichte der Werke der polnischen Dichterpropheten verantwortlich als deren dichterische Intentionen.

Adam Mickiewiczs Grażyna (1823) und Konrad Wallenrod (1828) sind Versepen über die Kreuzritterthematik, die das literarische Modell des Kreuzritters etablierten und dieses in der kollektiven Vorstellung der Polen verankerten. Obwohl die in beiden Werken aufgegriffenen Probleme ethischer Natur waren (wie kämpft man mit dem Feind, ohne gegen die moralischen Rechte zu verstoßen, zu denen man sich bekennt?), ging ihre Lösung auf Kosten des Anderen – des Kreuzritters. Der moralische Rigorismus Grażynas, der Titelheldin der gleichnamigen Verserzählung, d.h. der Kampf auf Leben und Tod mit dem Feind ohne jeden Kompromiss, und der selbstzerstörerische Machiavellismus Alfs/Wallenrods (des Protagonisten des zweiten Epos) gewannen dadurch an Kraft, dass die moralischen Dilemmata der Hauptfiguren in den entsprechenden Kontext gesetzt wurden: die Bedrohung durch einen tödlichen Feind – einen brutalen Aggressor. Marek Zybura beschreibt Mickiewiczs literarisches Verfahren so: „Unabhängig vom Konflikt der widerstreitenden ethischen Positionen beider Werke verarbeitete Mickiewicz die ihnen zugrunde liegenden Ideen literarisch, indem er das Bild des Deutschen Ordens entwertete. Um einerseits Grażynas moralische Integrität zu begründen und andererseits Alfs Machiavellismus glaubwürdig erscheinen zu lassen, schreckt er auch nicht vor der Dämonisierung der Ordensritter zurück, die in beiden Werken die Verkörperung des absoluten Bösen und von ebensolcher Niederträchtigkeit sind“ (Zybura 2006, S. 147). Und auch das suggestive Bild des Ungeheuers, das alles ringsum verschlingt, maß- und erbarmungslos, der Hydra, deren Kraft durch den Widerstand der Unterjochten nur verstärkt wird, lässt keinen Zweifel, dass der Deutsche Orden ein Feind par excellence ist:

Jedoch der Orden, diese Natternbrut,
Wird niemals satt. Masowien hat gefressen
Er wie das Preußenland mit Hab’ und Gut,
Mit Land und Leuten, Geld nicht zu vergessen.
Nicht Bitten, Gastfreundschaft, nicht reiche Gaben
Stopfen das Maul ihm, Alles will er haben. […]
Vergeblich ists, ziehn einzeln wir ins Feld.
Was hilfts, daß manche seiner festen Stätten
Erstürmen wir, des Drachen Haupt selbst fällt:
Gleich wachsen dieser Ausgeburt der Hölle
Zehn neue an des abgehaunen Stelle.
[…] ganz vergebens
Wär der Versuch, uns friedlich zu vereinen.
In Litauen, und suchtest Du zeitlebens
Gibts keinen Fürsten, keinen Knecht, nicht einen,
Der ihre Falschheit, Hinterlist nicht kennte
Und Angst, wie vor dem Pesthauch, drob empfände.
Der lieber nicht sein Leben würde lassen
Eh einen Deutschen je er Freund genannt,
Und dem, rotglühend Eisen anzufassen
Nicht lieber wär, als eines Deutschen Hand (Mickiewicz 1989, S. 29f.).

 Was hat Mickiewicz wohl dazu bewogen, ein derart düsteres Bild vom Orden zu zeichnen? Die Überzeugung vom „angeborenen“ Bösen der Deutschen, ihrem unveränderlichen „Nationalcharakter“ oder von der Gier und Grausamkeit der katholischen Kirche, deren Vertreter sie waren? Unter Mickiewicz-Kennern herrscht Einigkeit, dass er nicht die Deutschen meinte, als er über die Kreuzritter schrieb, sondern die Russen: „Anders [als im preußischen Teilungsgebiet, Anm. d.A.] sah die Situation im russischen Teilungsgebiet aus, wo die Russen von Anfang an eine konsequente Russifizierungspolitik betrieben. Beide Werke Mickiewiczs stellten in historischem Gewand die damalige Situation der Polen unter russischer Knechtschaft dar. Sie richteten sich in stark emotionalem Ton politisch eindeutig gegen Russland“ (Zybura 2006, S. 149).

Ein ebenso teuflisches, geradezu monströses Bild vom Deutschen Orden zeichnete in seinen Werken Juliusz Słowacki (Hugo, eine Kreuzritterlegende [Hugo, legenda krzyżacka], 1830; Mindowe. Der Litauerkönig [Mindowe. Król litewski], 1832). Ähnlich wie Mickiewicz identifizierte auch Słowacki die von ihm geschaffenen Kreuzritterfiguren nicht mit den Deutschen und schon gar nicht mit der deutschen Nation. Für ihn waren die Ordensritter in erster Linie Repräsentanten der päpstlichen Herrschaft, Vertreter der Kirche und Verfechter des Christentums. Hochmut, Verlogenheit, das Missachten von Regeln, Arroganz, Egoismus und Gewalt, all diese Eigenschaften und Verhaltensweisen, die Słowacki den Kreuzrittern zuschrieb, dienten dazu, die Doppelmoral der römischen Kirche anzuprangern sowie das Christentum als eine – seiner Ansicht nach – den slawischen Kulturen fremde Ideologie zu kritisieren, die das natürliche Leben der polnischen Vorfahren zerstörte. Es ist eine Ironie des Schicksals, dass das Kreuzritterkostüm, das Mickiewicz benutzte, um das Vorgehen der Russen zu verdammen, und Słowacki, um die katholische Kirche anzuklagen, im Laufe der Rezeption als Verkörperung des Deutschtums ein Eigenleben entwickelte, völlig im Widerspruch zum Entstehungskontext der Werke und entgegen den Intentionen ihrer Autoren. Nachfolgende Generationen, die immer weiter von Mickiewiczs und Słowackis Erfahrungsraum entfernt waren, „lasen“ ihre eigenen Erlebnisse und Kämpfe mit dem preußischen/deutschen Staat in die Kreuzritterstaffage hinein und verliehen ihren Überzeugungen vom deutschen „Nationalcharakter“ als einer Sammlung überwiegend negativer Eigenschaften zusätzliches Gewicht, indem sie auf die von den polnischen Dichterpropheten verkündete „Wahrheit“ über die Deutschen verwiesen. Die unweigerliche Legitimierung antideutscher Ansichten unterlag dem Rhythmus der deutsch-polnischen Beziehungen – in Phasen gemeinsamer Ziele und Interessen, wie z.B. während der „Polenbegeisterung“ der 1830er und 1840er Jahre, schwächten sie sich ab, wohingegen sie sich in Zeiten von Konflikten intensivierten.

Dagegen begann die Kreuzritterthematik in polnischen Historikerkreisen, die sich immer intensiver mit der Geschichte Polens, Litauens und des Deutschen Ordens beschäftigten, an Bedeutung zu gewinnen. Unter den historiografischen Werken, die nach allen Regeln der Geschichtsschreibungskunst verfasst wurden, wie z.B. die Arbeiten von Teodor Narbutt (Die Geschichte der litauischen Nation [Dzieje narodu litewskiego], 1839) oder Karol Szajnocha (Jadwiga und Jagiełło [Jadwiga i Jagiełło], 1861), finden sich auch Abhandlungen, die das Kreuzritter-Stereotyp verstärken, da sie einen Katalog von Eigenschaften enthalten, der später dauerhaft Eingang in den Kreuzritterkanon findet: Arroganz, Verlogenheit, Habgier, Aggression und die Neigung zu Gewalt und Verrat.

Ein solches Porträt der Ordensbrüder zeichnet z.B. der Autor der 1845 anonym erschienenen Arbeit Die Kreuzritter und Polen [Krzyżacy i Polska], die von Stanisław Kaczkowski verfasst wurde (Przybyła 2006, S. 161). Aber auch in den Werken angesehener polnischer Historiker (z.B. in der Geschichte Polens nach neuesten Forschungen [Dzieje Polski podług ostatnich badań], 1862, von Józef Szujski) lassen sich unschwer Verweise auf Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen finden, die das düstere Bild der Kreuzritter abrunden. Szujski war von der Kontinuität der kollektiven Psyche der Deutschen überzeugt und suchte nach Verbindungen zwischen dem Verhalten der Germanen sowie den Einstellungen der Kreuzritter, der Preußen und – allgemein – der Deutschen im 19.Jh. Seiner Ansicht nach „waren die Deutschen ethischer Beschränkungen beraubt, sie begingen Verrat, griffen zur List, sobald dies einen Nutzen versprach“ (Wrzesiński 2007, S. 100). Infolgedessen betrachtete Szujski die Kreuzritter als Ausdruck des „germanischen Geistes“, geradezu als Inbegriff des deutschen „Nationalcharakters“, als Träger von Charakterzügen, die sie an die späteren Deutschen weitergaben. Szajnocha wiederum identifizierte die Ordensbrüder nicht eindeutig mit den Deutschen und bemühte sich um ein ausgewogenes Urteil. Dennoch ging auch er mit den Kreuzrittern streng ins Gericht und glaubte in ihrem Verhalten gewisse deutsche Züge zu erkennen: „Szajnocha sah im Deutschritterorden eine Synthese aus Spenden sammelndem Mönch und plünderndem Landsknecht, eine Einheit aus verdorbener Geistlichkeit und demoralisierter Ritterschaft, bei gleichzeitiger Übernahme der dauerhaft deutschen Eigenschaften“ (Wrzesiński 2007, S. 102).

Das Jahr 1848, das als symbolische Zäsur in den deutsch-polnischen Beziehungen gilt und einen Schlusspunkt unter die deutsche „Polenschwärmerei“ setzte, brachte nicht sofort eine Flut von „Kreuzrittertexten“ hervor – es erschien nicht ein einziges Werk, das diese Symbolik sichtbar gemacht hätte. Erst in den folgenden Jahrzehnten, insbesondere in den 1870er Jahren (Kulturkampf), entstanden eine Reihe von Werken, die den Kampf mit dem Deutschen Orden im polnischen kulturellen Gedächtnis festschrieben. Die wichtigsten Vertreter der polnischen Historienmalerei – Jan Matejko (Die Schlacht bei Grunwald [Bitwa pod Grunwaldem], 1878), Wojciech Gerson (Die Kreuzritter in Polen. Kreuzritterlicher Frauenraub [Krzyżacy w Polsce. Branka krzyżacka], 1875), Wojciech Kossak (Wie die Kreuzritter das Evangelium predigten [Apostolstwo krzyżackie], 1909; Zwei Schwerter [Dwa miecze], 1909; Grunwald, 1931) – verewigten sowohl den glanzvollen Sieg bei Grunwald als auch die Gräueltaten der Kreuzritter. Mit Józef Ignacy Kraszewskis bereits erwähntem Roman Die Kreuzritter (1874) erreichte die Kreuzritterthematik die breiten Leserschichten, was blitzschnell zu ihrer Popularisierung beitrug. Der spektakuläre Erfolg der Kreuzritter (1900) von Henryk Sienkiewicz verstärkte endgültig die düstere Kreuzritter-Legende und verfestigte das Bild des Deutschen als ewigen Feind der Polen – als Aggressor, Mörder, Räuber und gemeiner Lügner. Die ungeheure Popularität von Sienkiewiczs Romanen zeigte und befreite das enorme identitätsstiftende Potential seiner literarischen Schöpfungen, u. a. auch der Kreuzritterthematik. 

Nicht ohne Grund fanden gerade Sienkiewiczs Kreuzritter auf Dauer Eingang in den Schulkanon – und sind bis heute Pflichtlektüre. Marek Zybura verweist darauf, dass der Roman lediglich während des Nichtangriffspaktes in den Jahren 1934–39 von der Lektüreliste genommen wurde, nachdem Friedrich von Oertzens antipolnisches Pamphlet Das ist Polen (1931) im Dritten Reich aus dem Leseverkehr gezogen worden war (Zybura 2001). Nach 1945 waren Die Kreuzritter das erste in Polen veröffentlichte Buch, was wiederum die Aktualität des Kreuzrittermythos nach dem Zweiten Weltkrieg sowie die Bedeutung der Literatur beim Aufbau einer kollektiven Identität bestätigte. Aber auch die schönen Künste, Ausstellungen, die Presse, verschiedene Vereine sowie die katholische Kirche, das Hauptopfer des Bismarck’schen Kulturkampfes, prägten in hohem Maße den Kreuzritterdiskurs in den letzten Jahrzehnten des 19.Jhs. Und obwohl das Interesse an der Grunwald-Thematik ständig wuchs, machten die polnischen Historiker – im Gegensatz zu ihren deutschen (hauptsächlich „borussischen“) Kollegen – aus ihrem Forschungsgegenstand (noch) keinen Kampfplatz um eine polnische nationale Identität, die auf dem Stereotyp vom Kreuzritter-Deutschen als dem ewigen Feind aufbaute (Przybyła 2006). Dagegen bleibt der Beitrag von Sienkiewiczs Kreuzrittern bei der Popularisierung des negativen Bildes der Deutschen unübertroffen.

Die Bedeutung, die Henryk Sienkiewiczs Bestseller für das allgemeine Wissen über die Schlacht bei Grunwald und damit auch über das moderne Stereotyp vom Deutschen hatte, ist kaum […] zu überschätzen. Es scheint, dass die Beliebtheit des zuerst als Fortsetzungsroman veröffentlichten Werkes einer der Gründe war, weshalb das Interesse an Grunwald nach 1900 explodierte, und dieses Interesse einerseits in den öffentlichen Raum getragen wurde, und andererseits der polnische historische Diskurs zu einem Teil der nationalen Programmatik aufstieg. Zusätzlich stimuliert wurde diese Entwicklung durch Ereignisse in Deutschland 1901 und 1902: die Errichtung eines Denkmals auf den Feldern von Grunwald zum Andenken an den Hochmeister Ulrich von Jungingen und der antipolnische Auftritt Kaiser Wilhelm II. auf der Marienburg (Przybyła 2006, S. 172–173).

 Das öffentliche Feiern der Helden, die zu Nationalheiligen erhoben wurden, die Errichtung monumentaler Denkmäler ihnen zu Ehren und die Organisation von Massendemonstrationen mit einem parasakralen Zeremoniell zielten einerseits darauf ab, das öffentliche Leben zu nationalisieren, und hatten andererseits die Funktion, zu integrieren und zu mobilisieren, weil dadurch die Probleme des Alltags in Vergessenheit gerieten und sich gesellschaftliche Spannungen entluden. Es sei daran erinnert, dass die Diskussionen über die zentralen Orte der deutsch-polnischen Vergangenheit eine spezifische Wechselwirkung entfalteten: Die polnische Öffentlichkeit reagierte auf die deutschen Debatten, genauso wie die deutschen Diskurse auf polnische Ereignisse und Stimmen Bezug nahmen. 1901 stiftete Rudolf von Brandt, der unweit von Grunwald ein Gut besaß, das erste Grunwald-Denkmal, das an den Kampf für das deutsche Recht auf Gebiete im Osten und den Heldentod des Hochmeisters Ulrich von Jungingen erinnerte. Doch erst im Jahr darauf, als Kaiser Wilhelm II. bei einer Gedenkfeier zu Ehren des Deutschen Ordens auf der Marienburg sich in seiner Rede einige gehässige und abfällige Bemerkungen an die Adresse der Polen erlaubte, ging ein Aufschrei der Empörung durch die polnische Presse. Vergleiche zwischen dem Deutschen Reich und dem Ordensstaat sowie die Diskreditierung der gesamten deutschen Gesellschaft, indem diese als direkte Erbin der Kreuzritter dargestellt wurde, waren fortan an der Tagesordnung, während das negative Bild in der Literatur eine Eigendynamik entwickelte und fast vollständig die kollektive polnische Vorstellungskraft erfasste.

Die Massentauglichkeit des negativen Kreuzritter-Stereotyps ging einher mit einer neuen Art, die Stärke des polnischen Nationalismus zu demonstrieren – mit Feiern zum Jahrestag der Schlacht bei Grunwald in bisher ungekannter Größenordnung: zeitgleich in mehreren Städten (hauptsächlich im österreichischen Teilungsgebiet), mit heiligen Messen, Märschen mit Fahnen, Kranzniederlegungen vor Denkmälern, Gesängen und Gebeten sowie Jubiläumspublikationen, was ihnen den Charakter von Nationalfeiertagen verlieh. Höhepunkt der Grunwald-Märsche war die 500-Jahr-Feier der Schlacht bei Grunwald in Krakau. Laut Przybyła wurden zu diesem Anlass mehr (populär)wissenschaftliche, publizistische und literarische Werke veröffentlicht als in den vorangegangenen einhundertzwanzig Jahren zusammen (Przybyła 2006, S. 177). Man feierte Gottesdienste im Namen der polnischen Sache, organisierte künstlerische Veranstaltungen – Theateraufführungen, Vorträge, patriotische Auftritte – und enthüllte ein Denkmal für König Władysław Jagiełło, das von Ignacy Jan Paderewski gestiftet wurde. Obwohl die groß angelegten Feierlichkeiten vor allem an den Grunwald-Sieg erinnern und zur Erbauung der Polen beitragen sollten, festigten sie in erster Linie das negative Kreuzritter-Stereotyp. Selbst die Historiker, die sich normalerweise vor allzu einfachen Urteilen hüteten, zeigten sich überzeugt vom bösartigen, grausamen und habgierigen Charakter der Ordensbrüder, die sie als direkte Vorfahren der modernen Deutschen darstellten. Die Zahl der Publikationen (Wrzesiński 2007, Przybyła 2006), die diese negativen Ansichten wiederholten, war derart groß, dass sie erstmals die deutschsprachige „Kreuzritter-Produktion“ überstieg, die von Beginn des 19.Jhs. an stetig wuchs. Das Jahr 1910 war deshalb zentral für die Herausbildung des stereotypen Bildes vom KreuzritterDeutschen: Es bestätigte dessen Wirkungskraft, Massentauglichkeit und Attraktivität als sprichwörtlicher „schwarzer Hintergrund“ für das Selbstbild.

Die Kreuzritternarrationen folgten immer dem gleichen Schema: Die bösen, grausamen, arroganten, habgierigen, aber zivilisatorisch höher stehenden, reicheren und stärkeren Kreuzritter raubten den friedlichen Polen ihr Land, plünderten und zerstörten es, um es anschließend auf ihre Weise zu bewirtschaften – nach einem fremden Muster, wobei sie die lokale Bevölkerung ausbeuteten und aus der deutschen Heimat Bauern und Handwerker anlockten, um durch ihre Ansiedlung die Eroberung zu besiegeln. Die Darstellungen der Kriege mit dem Deutschritterorden wurden zunehmend mit patriotischer Rhetorik unterfüttert und als nationale Befreiungsaufstände gezeigt. Dadurch konnte eine historische Kontinuität des Konflikts mit Germanen – Kreuzrittern – Preußen – Deutschen konstruiert und diesen der Part des Aggressors zugeschrieben werden, während die Polen die Rolle des unschuldigen Opfers übernahmen, was zugleich den in polnischen Unabhängigkeitskreisen verbreiteten, zum heroisch-patriotischen Befreiungskampf aufrufenden Mythos befeuerte. Der immer stärker akzentuierte preußische/ deutsche Militarismus wurde ebenfalls im Kreuzritter-Stereotyp verarbeitet – die Militarisierung des gesellschaftlichen Lebens im Wilhelminischen Kaiserreich interpretierten polnische AutorInnen als Vermächtnis preußischer Militärtraditionen („preußischer Drill“), die wiederum als Erbe der Kreuzritter betrachtet wurden, dessen Wurzeln bis in germanische Zeiten zurückreichten (Wrzesiński 2007, u. a. S. 164, 316). Aus ebendieser historischen Perspektive wurde die besondere Neigung der Deutschen zur Gewalt, die Anwendung des Grundsatzes „Macht vor Recht“ und die Herzlosigkeit gegenüber Schwächeren abgeleitet. In den letzten Jahren vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges verschärften sich diese den Deutschen stereotyp zugeschriebenen Eigenschaften noch weiter. Damals verbreitete sich im polnischen öffentlichen Diskurs der Vergleich zwischen der deutschen Nation und der Armee sowie zwischen dem Alltag im Deutschen Reich und dem Leben in einer Kaserne. Aus diesen Vorstellungen resultierte die Überzeugung, dass den Deutschen gleichsam „von Natur aus“ der Wunsch nach Freiheit fremd sei, sie sich allein vom absoluten Kadavergehorsam und der blinden Ausführung von Befehlen leiten lassen. Obwohl das Mischungsverhältnis der Vorzüge und Charakterfehler des deutschen „Nationalcharakters“ stets von der weltanschaulichen Orientierung sowie vom Umstand, ob man die Staatsbürgerschaft der jeweiligen Teilungsmacht besaß, abhängig war, verstärkten die Ereignisse des Ersten Weltkrieges das Stereotyp vom brutalen deutschen Aggressor zusätzlich, insbesondere in den zu Russland gehörenden und von der deutschen Armee besetzten Gebieten. Bereits während des Ersten Weltkrieges zeigte sich die Öffentlichkeit schockiert von der deutschen Grausamkeit gegenüber der Zivilbevölkerung, dies umso mehr, als die Verbrechen von Personen begangen wurden, die – wie man glaubte – „eine hohe Zivilisation repräsentierten und nicht in der Hitze des Gefechts, sondern kalt berechnend und vorsätzlich handelten. Man fand sich leichter mit der unbeherrschbaren Rohheit der Russen ab als mit der kühlen, durchdachten deutschen Gewalt, die als die viel größere Bedrohung für die polnische nationale Existenz angesehen wurde“ (Wrzesiński 2007, S. 418). Die tragischen Ereignisse des Zweiten Weltkrieges und der Besatzung bewirkten, dass dieser Umstand die Wahrnehmung der Deutschen über Jahrzehnte hinaus prägte.

Das Ende des Ersten Weltkrieges und die Bestimmungen des Versailler Vertrages hatten die vollständige Zerstörung der bestehenden politischen Ordnung in Europa – und dadurch u. a. die Entstehung der Weimarer Republik und das Wiedererstehen eines souveränen polnischen Staates – zur Folge. Die deutschen Gebietsverluste an Polen und die deutsch-polnische Staatsgrenze (die in deutschen oberschlesischen Texten „blutende Grenze“ genannt wurde) waren Punkte, an denen sich in den beiderseitigen Beziehungen immer wieder Streit entzündete, was die Wiederbelebung und Verbreitung von Stereotypen begünstigte. Obwohl sich viele politische Milieus (von den Konservativen und Nationaldemokraten bis hin zu den Sozialisten und Kommunisten) um einen Neuanfang in den deutsch-polnischen Beziehungen bemühten, waren die Interessen beider Staaten jedoch derart grundverschieden, geradezu gegensätzlich, dass neue Konflikte vorprogrammiert waren. Dennoch suchten die Konservativen die Verständigung mit dem westlichen Nachbarn, gaben sich der Hoffnung hin, Deutschland würde als „einer der zivilisiertesten Staaten der Welt“ die Richtung seiner Expansion ändern und der → Drang nach Osten endgültig der Vergangenheit angehören. Der konservative Politiker und Publizist Jan Bobrzyński schrieb von der Notwendigkeit nachbarschaftlicher Koexistenz:

Trotz des Kampfes, trotz all seiner Brutalität, trotz der begründeten Animositäten, die wir gegenüber den Nachkommen der Kreuzritter unweigerlich empfinden, dürfen wir in unseren realen politischen Kalkulationen nicht vergessen, dass Deutschland einer der zivilisiertesten Staaten der Welt ist, dessen Wissenschaft und Technik uns bereits großen Nutzen gebracht hat, dessen vorbildliche Organisation und Lebenskraft als Nation uns in mancherlei Hinsicht als Beispiel dienen sollten und mit dem man früher oder später einen nachbarschaftlichen Modus Vivendi finden muss (Bobrzyński 1928, S. 157).

 Vor solchen Hoffnungen warnte wiederum der Jurist und Publizist Kazimierz Kierski, der in den Deutschen der Zwischenkriegszeit weniger die Nachfahren der Kreuzritter sah, wie Bobrzyński, als vielmehr deren neue Verkörperung:

Trotz Dressur und langer zivilisatorischer Evolution unterscheidet sich der heutige Deutsche im Grunde in nichts vom antiken Germanen, oder vom späteren Kreuzritter. Deshalb lässt die Deutschen das Schicksal Europas völlig gleichgültig, der Weltfrieden interessiert sie nicht. Sie sind bereit, von Neuem blutigen Streit vom Zaun zu brechen, sobald sie darin einen Nutzen für sich sehen (Kierski 1930, Bd. 2, S. 287).

 Die Aktualität des Stereotyps vom Kreuzritter-Deutschen verdeutlicht am besten ikonografisches Material, wie z.B. Wahlplakate aus der Zeit der Volksabstimmung in Schlesien (1921), die häufig auf die Kreuzrittersymbolik Bezug nahmen, oder satirisches und kabarettistisches Schaffen. Hier feierten die Kreuzritter ungefährdete Triumphe: Man spottete über den deutschen „Drang nach Osten“, der mit einem „zweiten Grunwald“ enden würde (diese Metapher taucht erneut 1945 auf, im Zusammenhang mit der Einnahme Berlins durch die Rote Armee, die dabei von polnischen Truppen unterstützt wurde). Im Grunde genommen wurde die Kreuzritternarration nur während des Nicht angriffspaktes (1934–39) etwas entschärft, insbesondere in der regierungsfreundlichen Presse (→ Presse).

Die Ereignisse des Zweiten Weltkrieges und vor allem die Erfahrung der Okkupation verliehen dem Stereotyp vom Kreuzritter-Deutschen als ewigen Todfeind eine neue Dynamik und verstärken noch einmal seine negative Bedeutung. Laut Szarota wurde dadurch die Bivalenz des polnischen Bildes vom westlichen Nachbarn aufgelöst, da es sämtlicher positiver Eigenschaften beraubt wurde. Je nach der Region und der damit verbundenen spezifischen Erfahrung der (deutschen oder sowjetischen) Besatzung konnte die Intensität des Stereotyps vom Nazi-Deutschen im Nachkriegspolen variieren. Von grundlegender Bedeutung war hingegen die Tatsache, dass Eigenschaften, die bis dahin eine überwiegend positive Konnotation hatten (und auch heute wieder positiv konnotiert werden), wie z.B. Modernität, effiziente Organisation, Diszipliniertheit (Pünktlichkeit, Sauberkeit, Sparsamkeit, Fleiß), Gesetzestreue, Vermögen usw., umgewertet wurden. Angesichts der Unermesslichkeit des Bösen und Leids, das man von den Deutschen erfahren hatte, und der Grausamkeit, der viele Polen Zeugen geworden waren, wurde der Katalog der deutschen Tugenden in eine Liste von Eigenschaften konvertiert, die mit Minuszeichen versehen wurden: Die deutschen Massenverbrechen („Todesfabriken“, industrielle Tötung von Menschen) waren gekennzeichnet durch „Modernität“; effizient organisiert waren die Vernichtungslager und andere Hinrichtungsorte, in denen sich die Deutschen durch Fleiß, Sparsamkeit, Pünktlichkeit und Sauberkeit auszeichneten; und ihre Diszipliniertheit verwandelte sich in unbedingten Gehorsam und blindes Befolgen (nationalsozialistischen) Rechts, das sich im Übrigen als völlige Gesetzeslosigkeit erwies, da es den Völkermord legalisierte; Vermögen wiederum wurde mit Diebstahl, Raub und Plünderung von Hab und Gut in bisher ungekanntem Ausmaß in Verbindung gebracht. Zu den negativen Eigenschaften der Kreuzritter fügte man folglich jene Charaktermerkmale hinzu, die früher – als Zeichen einer „höheren“ Kultur und Zivilisation – den deutschen Wertekatalog gebildet hatten. Verwundert waren die Polen jedoch vor allem, dass die deutschen Besatzer – wie bereits erwähnt – mit den moralischen Grundprinzipien brachen, was im Gegensatz stand zu der allgemein verbreiteten Überzeugung von der kulturellen Überlegenheit der Deutschen. Ludwik Hirszfelds Feststellung, dass das Volk der Dichter und Denker noch lange Jahre in der Erinnerung Europas das Volk der Mörder, Räuber und Verbrecher bleiben werde (Zitiert nach Szarota 1996, S. 146), wurde zu einem zentralen Diktum, das nicht nur in der polnischen Öffentlichkeit, sondern auch in anderen Ländern, z.B. im geteilten Deutschland, breit diskutiert wurde. Dass die damalige Wahrnehmung des Stereotyps vom Nazi-Deutschen (der erste Teil des Kompositums kann je nach Variante „Nazi“, „Hitler“, „Gestapo“, „SS“, „Faschisten“ usw. lauten) als eine neue Verkörperung des Kreuzritter-Deutschen, diesmal emotional jedoch völlig negativ konnotiert, seine Berechtigung hatte, bestätigt Szarota, der schreibt:

Nie zuvor war man ähnlich überzeugt von der Richtigkeit und dem Wahrheitsgehalt des bekannten Sprichwortes ,Solange die Welt besteht, wird ein Deutscher nie eines Polen Bruder sein‘ wie während des Zweiten Weltkrieges. Die Kriegsjahre schienen der Kulminationspunkt einer jahrhundertelangen deutschpolnischen Auseinandersetzung zu sein, wobei das Nazi-Regime von der Mehrheit der polnischen Gesellschaft schlicht als Fortsetzung der Eroberungspolitik der brandenburgischen Markgrafen, der Komture des Deutschen Ordens, des preußischen Staates, des Deutschen Kaiserreiches und der Weimarer Republik betrachtet wurde. Häufig sah man die Zeit des Krieges und der Okkupation in einem breiteren Zusammenhang als einen tödlichen Kampf zwischen dem germanischen ,Drang nach Osten‘ und dem Slawentum (Szarota 1996, S. 150).

 Die Grunwald-Metapher – die Einnahme Berlins 1945 durch die Rote Armee mit Hilfe polnischer Einheiten als „neues“/„zweites“ Grunwald – bestimmte das weitere Schicksal des Stereotyps vom Kreuzritter-Deutschen in der Volksrepublik Polen, zumal die „Brüderschaft“ zwischen der Polnischen Volksarmee (Ludowe Wojsko Polskie, LWP) und der Roten Armee zu einer Allianz der Slawen (Polen und Russen) gegen den germanischen Aggressor – in Analogie zum polnisch-ruthenisch-litauischen Bündnis gegen die Kreuzritter – hochstilisiert wurde. Diese politische Konstellation legitimierte nicht nur die „unverbrüchliche“ polnisch-sowjetische Freundschaft, sondern wurde auch zu einem Gründungsmythos der Volksrepublik Polen. Eben deshalb wurden bereits am 15. Juli 1945 auf den Feldern von Grunwald Feierlichkeiten anlässlich des Sieges über den Deutschritterorden organisiert, an denen auch Soldaten der LWP teilnahmen. 1953 wurde an dortiger Stelle ein Obelisk errichtet, der an den Triumph von Grunwald erinnern, zugleich aber auch die kommunistische Armee ehren sollte, die ihr zehnjähriges Bestehen feierte. In den 1950er Jahren kam es zu einer wahren Flut von Grunwald-Neubenennungen: Es gibt in Polen wahrscheinlich keine Stadt ohne eine Grunwald-Straße, einen Grunwald-Platz oder ein exponiertes architektonisches Objekt, das nach der siegreichen Schlacht gegen die Kreuzritter benannt wurde, wie z.B. die Grunwald-Brücke (Most Grunwaldzki) in Wrocław, die zu deutschen Zeiten Kaiserbrücke oder Freiheitsbrücke hieß. Darüber hinaus begann man Denkmäler zu errichten, die an den Sieg über den Deutschen Orden erinnerten und zugleich eine Verbindung zur Zerschlagung des Dritten Reiches herstellten. Bereits 1945 wurde in Erinnerung an das 1910 errichtete Denkmal von König Władysław Jagiełło, das von den Deutschen während der Okkupation zerstört worden war, eine Gedenktafel gestiftet. Sie trug folgende Inschrift: „Die niederträchtigen Kreuzritter wollten die Zeugnisse ihrer historischen Niederlage beseitigen, und damit auch den Ruhm der polnischen Armee“. Für den polnischen Rezipienten gab es keinen Zweifel, dass mit den „niederträchtigen Kreuzrittern“ die Nazi-Deutschen gemeint waren.

Die Wirkung des Stereotyps vom Kreuzritter-Deutschen wurde durch die modernen Medien, vor allem das Kino, verstärkt. Die Verfilmung des Sienkiewicz-Romans durch Aleksander Ford, die 1960 in die Kinos kam (die Premiere fand in Olsztyn statt, also unweit von Grunwald), nimmt bis heute, was die Zuschauerzahlen anbelangt, unangefochten den ersten Platz ein (bis 1987 hatten 32 Millionen KinobesucherInnen den Film gesehen). Wie viele ZuschauerInnen Die Kreuzritter bis heute gesehen hatten, lässt sich schwer sagen, allein schon deswegen, weil der Film fester Programmbestandteil vieler Fernsehsender ist und im Grunde genommen das ganze Jahr über ausgestrahlt wird. Die Ford-Verfilmung war auch die erste, die digital rekonstruiert wurde. Das Jahr 1960 ist von entscheidender Bedeutung für die Funktionalisierung des KreuzritterStereotyps in der Volksrepublik Polen. Der 550. Jahrestag des Sieges bei Grunwald sollte auf besondere Weise begangen werden: Neben der bereits erwähnten enorm aufwendigen Filmproduktion wurde ein Denkmal mit einem Amphitheater erbaut und das Museum der Schlacht bei Grunwald in Stębark gegründet, wo fortan die staatlichen Feiern stattfanden (die ersten in Anwesenheit von Władysław Gomułka). Auch die Rekonstruktion der Ordensburg in Malbork (Marienburg) steht mit dem Jubiläumsjahr in Verbindung – damals fiel die Entscheidung, sie als Sitz eines zukünftigen Museums wiederaufzubauen. Sienkiewiczs Kreuzritter als Pflichtlektüre, die Verfilmung des Romans und die Schulausflüge zur Marienburg (neben dem Auschwitz-Museum eines der häufigsten Ausflugsziele) gehören zu den Trägern der kollektiven Erinnerung, die in der Volksrepublik das Stereotyp des Kreuzritter-Deutschen am stärksten prägten.

Bereits vor 1989 war die Kreuzritterthematik in der Popkultur präsent. Dabei handelte es sich anfänglich vor allem um Bearbeitungen des Sienkiewicz-Romans – das KreuzritterStereotyp wurde nicht nur filmisch, sondern auch in Form von Comics, Postkarten, Briefmarken, Standbildern der Schauspieler, die die Hauptrollen im Kultfilm spielten, und Bildbänden verbreitet. Kabaretts (→ Popkultur) griffen ebenfalls die Figur des Kreuzritters auf und machten sich lustig über die Gleichsetzung der mittelalterlichen Ordensritter mit den heutigen Deutschen sowie über die Propaganda der Volksrepublik, die sich des „deutschen Schreckgespenstes“ bediente, wobei sie sämtliche negativen Stereotype aktualisierte, vor allem das des Kreuzritter-Deutschen – des unmenschlichen Aggressors, der zurückkehrt, um polnisches Land zu rauben (die Nichtanerkennung der Westgrenze Polens durch die BRD wurde dazu benutzt, um das stereotype Bild vom Drang nach Osten wiederzubeleben). Je länger das Ende des Zweiten Weltkrieges zurücklag, desto mehr verloren die Kreuzritternarrationen als integrierende und mobilisierende Strategie an Bedeutung, schwand folglich auch ihr identitätsstiftendes Potential, und desto häufiger waren sie Gegenstand von Karikaturen und satirischen Texten. Nach 1989 verstärkte sich diese Tendenz noch und lieferte Themen und Motive für kommerzielle Produkte – Spielzeug, Computerspiele, Restaurant- und Hotelnamen, Werbespots, Gadgets und andere Reklamematerialien. Kreuzritter verkaufen sich heutzutage gut. Das Stereotyp vom Kreuzritter-Deutschen wird auch bei Sportveranstaltungen wiederbelebt, z.B. bei Fußballspielen (→ Sport). So zeigten polnische Boulevardzeitungen während der Fußball-Europameisterschaft 2008 Fotomontagen von deutschen Nationalspielern, die in Kreuzritterumhänge gehüllt und mit den entsprechenden Requisiten versehen waren, dazu Schlagzeilen in Großbuchstaben, die das sportliche Duell mit den großen „deutsch-polnischen“ Schlachten verglichen, einschließlich der Schlacht bei Grunwald (→ Presse). Die Kreuzrittersymbolik tauchte erneut während der von Polen und der Ukraine ausgerichteten Europameisterschaft 2012 auf: Diesmal als Anspielung auf den erhofften polnischen Triumph. Der fußballerische Kampf endete jedoch mit einer Niederlage der polnischen Mannschaft.

Die großen historischen Nachstellungen beziehungsweise Inszenierungen der Schlacht bei Grunwald, die jedes Jahr – das Grunwald-Museum hat inzwischen die Schirmherrschaft über diese Veranstaltung übernommen – auf den Feldern von Grunwald stattf­inden, ähneln Happenings (https://grunwald1410.pl/,
14.10.2022). Laut der Webseite des Museums nehmen an diesem historischen Schauspiel etwa 2000 Ritter aus Polen und dem Ausland teil, u. a. aus Deutschland, Italien, Frankreich, Finnland, Tschechien, der Slowakei, Ungarn, Russland, Belarus, der Ukraine und den USA. Das Grunwald-Schauspiel erfreut sich großer Beliebtheit, alljährlich zieht es bis zu 100.000 ZuschauerInnen an. Es ist eine Massenveranstaltung mit einem ungeheuren Vermarktungspotential und enormer kommerzieller Bedeutung für die Region. Der Unterhaltungscharakter des Schauspiels zeigt deutlich, wie sehr sich die Kreuzritternarration gewandelt und vor allem wie sehr sich ihre Funktion verändert hat: von einer identitäts- und nationstiftenden Funktion, die eine Gemeinschaft über die Grenzen der Teilungsgebiete hinweg schuf, die polnische Nation integrierte und mobilisierte, sich (im Zweiten Weltkrieg) gegen den Feind zur Wehr zu setzen, über eine spottende, die offizielle Erinnerungspolitik der Volksrepublik und deren Kreuzritterpropaganda untergrabende Funktion, bis hin zu einer unterhaltenden und kommerziellen Funktion, die heute dominiert.

Nichtsdestotrotz gab und gibt es nach wie vor Versuche, das Kreuzritter-Stereotyp zu politisieren. Besonders in rechten Kreisen ist die Abneigung gegenüber dem westlichen Nachbarn weiterhin spürbar, und auch das „deutsche Schreckgespenst“ kommt in der politischen Auseinandersetzung – ähnlich wie der ruhmreiche Sieg bei Grunwald (vor allem im Wahlkampf) – immer mal wieder zur Anwendung. Lech Kaczyński wählte nicht nur das Werk Jan Matejkos als Hintergrund für seine Wahlwerbespots im Präsidentschaftswahlkampf, sondern machte dann im Amt die Feiern zum 600. Jahrestag der Schlacht bei Grunwald zur Chefsache. Der tragische Tod bei einem Flugzeugabsturz verhinderte die Umsetzung seiner Pläne. Dennoch beteiligten sich staatliche Institutionen, regionale, lokale, zivilgesellschaftliche und private Initiativen in großem Umfang an der Organisation der Feierlichkeiten. Die Jubiläumsfeier zum Gedenken an die Schlacht fand auf den Feldern von Grunwald unter der Schirmherrschaft des Präsidenten der Republik Polen Bronisław Komorowski und der Präsidentin der Republik Litauen Dalia Grybauskaitė statt. Die Polnische Nationalbank gab aus diesem Anlass eine silberne Zehn-Zloty-Münze sowie ein rundes Zwei-Zloty-Stück heraus, und mit staatlichen Mitteln wurde eine Reihe von Projekten zum Thema „Kreuzritter“ finanziert, u. a. Schlachteninszenierungen und historische Nachstellungen des Durchmarsches von Władysław Jagiełłos Truppen an verschiedenen Orten in Polen, Publikationen, Wettbewerbe, Konzerte, Pleinairs, Festivals, Ausstellungen, Konferenzen, Vorträge, Fernsehprogramme, Rosen- und Baumpflanzungen sowie eine grenzüberschreitende Fahrradtour, „Puszcza Białowieska – Grunwald – Malbork“. Eine der spektakulärsten privaten Aktionen im Zusammenhang mit den Jubiläumsfeiern war eine Kreuzstickerei von Jan Matejkos Gemälde Die Schlacht bei Grunwald im Format 920x 405 cm (https://warszawa.naszemiasto.pl/bitwa-pod-grunwaldem-haftowany-obraz/ar/c13-2529120, 14.10.2022). Die Realisierung des Projekts dauerte mehr als zwei Jahre, an seiner Ausführung waren fast dreißig Stickerinnen aus Działoszyn beteiligt. Im Museum für Technik und Industrie im Kultur- und Wissenschaftspalast in Warschau wiederum zeigte man ein Modell der Schlacht bei Grunwald aus Legosteinen, das ebenfalls von Matejkos Gemälde inspiriert worden war. An dasselbe Werk wurde am Viadukt der Obrońców-Lwowa-Hochstraße in Krakau in grafischer Form erinnert, wo ausgewählte Szenen als Mural zu sehen waren. Auch das Original wurde gebührend geehrt – das Nationalmuseum ließ Matejkos Gemälde restaurieren, die Kosten dafür trug das Ministerium für Kultur und nationales Erbe. Das Museum zeigte darüber hinaus eine dreidimensionale Rekonstruktion des Gemäldes, die vom Animator Tomasz Bagiński stammte. Die feierliche Atmosphäre anlässlich des Jubiläums teilte sich auch polnischen Künstlern mit, wie z.B. dem Sänger Paweł Kukiz, der zum Jahrestag der Schlacht bei Grunwald in der Rockoper Die Kreuzritter (Krzyżacy), nach Motiven des Romans von Henryk Sienkiewicz, den Part des Konrad von Jungingen übernahm.

Die Kreuzritternarrationen und der Mythos des Grunwald-Sieges machten sich noch an anderer Stelle im polnischen öffentlichen Raum bemerkbar – polnische PolitikerInnen benutzten sie immer wieder als Vorwand, um unter dem Deckmantel historischer Debatten politischen Streit über aktuelle Fragen zu provozieren. Meistens ging es um das Verhältnis zum polnischen Nationalismus, zur nationalen Geschichte, also um die Erinnerungspolitik in der Dritten Polnischen Republik oder um die gegenwärtigen Beziehungen zwischen Polen und seinen Nachbarn (Deutschland und Russland) sowie zwischen Polen und der Europäischen Union. In einem Text in der Wochenzeitung Polityka aus dem Jahr 2009 nahm deren Chefredakteur Jerzy Baczyński am Beispiel der 600-Jahr-Feiern der Schlacht bei Grunwald den politischen Umgang mit der Geschichte auf die Schippe. Er zeigte, wobei er Abgeordneten verschiedener Parteien Äußerungen in den Mund legte, die auf lustige Weise den Mechanismus des Kampfes um die Erinnerung und deren spontane politische Aneignung aufdeckten, wie die Vergangenheit in der aktuellen Politik instrumentalisiert wurde (Polityka vom 19.9.2009, S. 4). Die Rhetorik eines solchen Geschichtsdenkens knüpft bewusst an die Narration des 19.Jhs. an, deren Aufgabe es war, die Figur des „ewigen Feindes“ zu kreieren, der eine ideologische Vereinigung der in drei Teilungsgebiete gespaltenen polnischen Gesellschaft ermöglichte und den nationalen Befreiungskampf förderte. In Baczyńskis spöttischem Text bedienen sich die polnischen Rechtskonservativen des 21.Jhs. historischer Wahrnehmungsmuster aus vergangenen Zeiten, indem sie das Stereotyp vom Kreuzritter-Deutschen als „barbarischen Aggressor“ aktualisieren. Das Verhältnis zu den Nachbarn und zur EU war in der polnischen Politik tatsächlich häufig das entscheidende Unterscheidungskriterium: Auf der rechten Seite des politischen Spektrums führte die starke Abneigung und das große Misstrauen dazu, dass die traditionellen Wahrnehmungsmuster des Deutschen als Feind wiederbelebt wurden, auf der linken Seite hingegen ging die volle Zustimmung zur weitreichenden europäischen Integration und Internationalisierung Polens mit dem Bemühen einher, Stereotype und nationale Mythen des 19.Jhs. zu dekonstruieren. In der von Baczyński beschriebenen Szene, die eine Sitzung des polnischen Parlaments darstellt, klingen die Schilderungen von Sejmik- und Sejm-Tagungen während der Ersten Polnischen Republik an, und durch die von den Abgeordneten gezogenen historischen Parallelen zwischen der Kreuzritterarmee und den EU-Staaten knüpft die parlamentarische Diskussion an aktuelle Debatten an: über das Verhältnis Polens zur EU, die Frage der nationalen Souveränität sowie Polens Stellung in Europa. Der Autor des satirischen Textes spottet über die in rechtskonservativen Kreisen immer noch verbreitete Tendenz, Kampf und Heldentum glorifizierende Traditionen zu pflegen (Opferkonkurrenz), und die Vergangenheit zu benutzen, um aktuelle Wahlen und politische Maßnahmen zu (de) legitimieren. Polnisch-polnische Kriege („die polnische Hölle“) können also jederzeit ausbrechen, wobei die traditionellen Narrationen über den Feind Gewehr bei Fuß stehen und historische Ereignisse lediglich als Vorwand dienen. Auch Michał Tomaszek, der mit einer Zeichnung den internationalen Satirewettbewerb Grunwald mit Humor [Grunwald na wesoło] gewann, den das Museum in Malbork anlässlich des 600. Jahrestages der Schlacht ausgelobt hatte, gibt diese politische Praxis hervorragend wieder ( https://zamek.malbork.pl/wydarzenia/wystawa-pokonkursowa-grunwald-na-wesolo-24, 15.10.2022). Auf dem Bild sieht man auf dem Schlachtfeld ineinander verknäulte Ritter in weißroten Farben, die heftig miteinander kämpfen, während im Vordergrund eine Gruppe von Kreuzrittern mit völlig entgeisterten Mienen zu verstehen versucht, was hier vor sich geht. Einer der verblüfften Ordensritter, der schließlich die Situation erfasst, stellt lakonisch fest: „Die scheinen ohne uns angefangen zu haben“.

Dass das Stereotyp vom Kreuzritter-Deutschen nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat, zeigen auch die Ereignisse der letzten Jahre, seit die Rechtskonservativen (die PiS und ihre Verbündeten) in Polen an der Macht sind. Verweise auf die Schlacht bei Grunwald und den Kampf des polnischen Königreichs mit dem Deutschen Orden sind für die heutigen PolitikerInnen zwar nicht mehr ausreichend attraktiv als Fundus an Symbolen und narrativen Mustern (viel besser eignen sich dazu – analysiert man die Propaganda in den Regierungsmedien und die Aussagen von PiS-Politikern, wie z.B. Jarosław Kaczyńskis Einlassungen über das Vierte Reich, Parallelen zum Nationalsozialismus und zu den Nationalsozialisten), dennoch haben die früher praktizierten Rituale (jeden Jahrestag der Schlacht auf unterschiedlichste Weise zu feiern) auch heute nichts von ihrer Bedeutung verloren. Im Übrigen bestimmt das Bild vom Deutschen als ewigen Feind – das oft auf den Diskurs über die Europäische Union übertragen wird (EU = Deutschland) – immer noch beziehungsweise erneut die öffentlichen Äußerungen der Regierungspartei und ihrer Anhänger über den westlichen Nachbarn. Robert Traba behauptet, dass „das Spiel ,Der Deutsche – der ewige Feind‘ für die jetzige Regierungskoalition auch weiterhin ein Erfolgsrezept ist“ (Robterta Traba: Gra w „Niemca – wiecznego wroga“. Trzy strategic polityczne, https://kulturaliberalna.pl/2021/11/16/gra-w-niemca-wiecznego-wroga-trzy-strategie-polityczne/ 12.1.2022). Und tatsächlich erweckt es den Eindruck, als würde die jetzige Regierung in Polen versuchen, viele ihrer Misserfolge und fatalen Entscheidungen zu überspielen, indem sie die öffentliche Meinung gegen Deutschland mobilisiert. Solche propagandistischen Winkelzüge funktionieren immer noch, was die Wirksamkeit und Aktualität der polnischen Vorstellungen über den westlichen Nachbarn bestätigt. Dies ist der unumstößliche Beweis dafür, dass es sich bei dem Deutschen als Feind (Kreuzritter, Nazi usw.) um ein polnisches Stereotyp „der langen Dauer“ handelt, das man jederzeit nach politischem Belieben aktivieren kann, da es dauerhaft in das polnische kulturelle Gedächtnis eingeschrieben ist.

Inzwischen haben die Kreuzritter sowie Reminiszenzen an die Schlacht bei Grunwald ihren festen Platz im polnischen Internet, vor allem in Form von Memes. Die Fülle mag auf den ersten Blick überraschen, doch dies ist ein weiterer Beleg dafür, wie verbreitet und aktuell das Kreuzritter-Stereotyp ist. Aber auch wie flexibel und vieldeutig, denn das Kreuzritter-Ambiente scheint den AutorInnen der Memes dazu zu dienen, unterschiedlichste (keineswegs nur deutsch-polnische) Themen aufzugreifen. In den „Kreuzritter-Memes“ macht man sich u. a. lustig über das negative Verhältnis der derzeit Regierenden zur LGBT+-Bewegung (die Reaktion der Kreuzritter, auf die Nachricht, dass in der Gemeinde Grunwald zwei Lesben leben: „Mein Gott!“), die DatenschutzGrundverordnung (nach der Überreichung zweier Schwerter, in Kreuzritterzeiten Symbol einer Kriegserklärung, bitten die Ordensritter um die Zustimmung, die Daten verarbeiten zu dürfen; in einer anderen Version bittet ein Kurier, die Sendung zu quittieren), illegale Praktiken im polnischen Parlament, wie z.B. die „Wiederholung“ von Abstimmungen, die von der Regierungspartei verloren wurden (der Hochmeister sagt, die Schlacht müsse annulliert werden, sonst verliere man – auf polnischer Seite seien zu viele Personen/Stimmen), die Verunglimpfung von Oppositionspolitikern, insbesondere von Donald Tusk, durch PiS-Funktionäre (die Nachrichtensendung des staatlichen Fernsehsenders mit der Laufschriftanzeige „Tusks Vorfahre kämpfte 1410 auf Seiten des Deutschen Ordens. Nach bestätigten Informationen“), aber auch einfache in Photoshop oder anderen Programmen erstellte Fotomontagen, auf denen wir z.B. Jan Matejkos Schlacht bei Grunwald bewundern können, in die Jarosław Kaczyński in weiß-rotem Regencape mit goldgekröntem Adler auf der Brust eingefügt wurde. Auf diesem Meme wird die Komik nicht nur durch den Anachronismus erzeugt (ein zeitgenössischer Politiker auf einem Gemälde des 19.Jhs., das eine Schlacht des 15.Jhs. darstellt), sondern allein schon durch die Gestalt des Politikers, der ein zu großes, aber dafür umso patriotischeres Regencape trägt (ähnliche Fotomontagen gibt es z.B. zu einzelnen Filmaufnahmen von den Kreuzrittern). Das Foto, auf dem mehrere PiS-Politiker in derartigen Regencapes zu sehen sind, ist im Übrigen ein beliebtes Motiv für Memes, auch außerhalb des Kreuzritter-Kontexts.

Der narrative Rahmen des Deutschen Ordens und der Schlacht bei Grunwald wird auch benutzt, um sich über ganz andere Phänomene lustig zu machen, wie z.B. das ideologische Profil von Netflix-Produktionen. Eines der witzigsten Memes ist beispielsweise ein Ausschnitt des bereits mehrfach erwähnten Matejko-Gemäldes mit der Figur des polnischen Ritters Zawisza Czarny. Diesen Ritter „ohne Fehl und Tadel“ kennt jedes polnische Schulkind, da Sienkiewiczs Roman Die Kreuzritter in polnischen Schulen weiterhin Pflichtlektüre ist und Reproduktionen von Matejkos Gemälde nicht nur Schulbücher zieren, sondern auch Unterrichtsräume, Postkarten, Lesezeichen und andere Gadgets. Zawisza Czarny ist in der polnischen Kultur ein Symbol für Treue und Verlässlichkeit („sich auf jemanden wie auf Zawisza verlassen können“), der Inbegriff ritterlicher Tugenden, ein der Sache treu ergebener Ehrenmann. Die Herkunft des Beinamens „Czarny“ („der Schwarze“) ist unklar, es wird angenommen, dass dieser mit seinem dunkleren Haar und Teint oder seiner schwarzen Rüstung zu tun hatte. Auf Memes, die auf Matejkos Schlachtengemälde basieren, wurde Zawisza Czarny durch einen dunkelhäutigen Menschen ersetzt (häufig durch einen der afroamerikanischen Schauspieler, die in Netflix-Produktionen auftreten; es gibt auch Memes zu Filmszenen, die überhaupt nichts mit diesem Helden zu tun haben, aber mit demselben oder einem ähnlichen Kommentar versehen sind: „Das ist Netflix’ Zawisza Czarny“) – eine direkte Anspielung auf die Hautfarbe („Rasse“). Den Kontext bilden hier sicherlich die Diskussionen (nicht nur) in polnischen Medien über die „paritätische“ Besetzung von Netflix-Produktionen – u. a. die dunkelhäutigen Charaktere in der Serie The Witcher oder Frauen in traditionell männlichen Rollen in anderen Produktionen. Der Vorwurf der „politischen Korrektheit“ nimmt meistens die Form von Fotomontagen an – und auf den Memes im Zusammenhang mit dem dunkelhäutigen Zawisza Czarny liest man Kommentare wie z.B. „Wenn Netflix die Schlacht von Grunwald verfilmen würde“.

Unter der Unzahl von Memes, die im Internet zirkulieren und deren Vielfältigkeit im vorliegenden Text nicht einmal angedeutet werden kann, sticht noch eine weitere Sorte hervor: die der historischen Memes. Meistens stehen sie in Verbindung zum Zweiten Weltkrieg, aber ein Teil bezieht sich auch auf den Deutschritterorden. Zwei Motive scheinen in den satirischen Geschichtsdarstellungen zu dominieren: das Thema der Kriegsreparationen und der Schuld des deutschen Volkes für die im Laufe der Jahrhunderte begangenen Verbrechen. In beiden Fällen liegt derselbe Mechanismus vor: die von den Deutschen vermeintlich verdrängte Verantwortung für die eigenen Taten an den „anderen“. Besonders deutlich wird dies in einem dreiteiligen Meme, das vom ikonografischen Kontext her sich aus einem Bild von Kreuzrittern sowie Fotos von preußischen Soldaten im Krieg und Wehrmachtssoldaten, die einen Schlagbaum an einer polnischen Grenzkontrollstation zerbrechen (das Foto kennt jedes polnische Kind aus dem Schulunterricht), zusammensetzt. Alle drei Bilder sind analog beschriftet: „Das waren nicht die Deutschen, sondern die Kreuzritter“; „Das waren nicht die Deutschen, sondern die Preußen“; „Das waren nicht die Deutschen, sondern die Nazis“. Darunter der Kommentar: „Die Deutschen, das unschuldigste Volk der Welt“. Es gibt von diesem historischen Meme viele Varianten, doch die Aussage bleibt immer die gleiche. Es ist ein seit Jahrzehnten bekanntes Motiv, das je nach politischem Bedarf von der Volksrepublik Polen aktiviert wurde. Es verlor auch nach 1989 nichts von seinem Wert, wurde aber von den demokratischen PolitikerInnen nur selten benutzt, und wenn, dann hauptsächlich auf der rechten Seite des politischen Spektrums. Ab etwa 2000 tauchte in Polen jedoch immer häufiger der gegen die Deutschen gerichtete Vorwurf auf, sie würden die Vergangenheit verfälschen („die Geschichte neu schreiben“), sich als Nation reinwaschen, die eigene Schuld auf andere abwälzen: wobei sie für ihre Verbrechen sogar die Opfer, die erfundenen und real existierenden Anderen, verantwortlich machen (→ Erinnerungskultur). Ähnlich verhält es sich mit den Memes zum Thema Kriegsreparationen – auch hier findet der Satz: „Das waren nicht wir, sondern die Kreuzritter“ beziehungsweise: „Das waren nicht wir, sondern die Nazis“ Anwendung, womit suggeriert wird, der deutschen Gesellschaft fehle der Wille, sich mit der Vergangenheit, den Verbrechen und der Verantwortung für die unmenschlichen Taten ihrer Vorfahren auseinanderzusetzen.

Die Popularität des Stereotyps vom Kreuzritter-Deutschen könnte eine Art Teleologie nahelegen: von der Konstruktion zur Dekonstruktion. Dieser Eindruck täuscht jedoch, denn der Aufbau einer polnischen nationalen Identität wurde von Anfang an von der Demontage dieses Stereotyps und der Grunwald-Mythologie begleitet, wenn auch in unterschiedlicher Intensität. Während Tausende Polen bei der ersten Massenfeier des Grunwald-Sieges 1910 ihren Patriotismus, aber auch ihren Hass auf die Kreuzritter/ Deutschen demonstrierten, protestierten Bolesław Prus und Dutzende andere Intellektuelle gegen antideutsche Phobien und riefen zur Mäßigung und zu einer nüchternen Beurteilung der Wirklichkeit auf. Ähnlich reagierte man auf das Kreuzritter-Stereotyp, das in der Volksrepublik Polen wiederbelebt wurde. Auch heute fällt es schwer, von einer vollständigen Überwindung des stereotypen Bildes vom Deutschen zu sprechen – in bestimmten Milieus und gesellschaftlichen Kreisen in Polen begegnet man den Deutschen noch immer mit Furcht und Misstrauen, was häufig in der Familienerinnerung begründet liegt. Deshalb zahlt sich der Einsatz des „deutschen Schreckgespenstes“ auch heute noch politisch aus – man kann auf diese Weise den Gegner diskreditieren oder zumindest dessen Glaubwürdigkeit in Frage stellen und mit dem Versprechen, vor der deutschen Gefahr Schutz zu bieten, auf Stimmenfang gehen. Als Stereotyp „der langen Dauer“ (Hubert Orłowski) wird es in den „Archiven“ des polnischen kulturellen Gedächtnisses aufbewahrt und kann als solches jederzeit reaktiviert und gegen jedermann verwendet werden.

Aus dem Polnischen von Andreas Volk

 

Literatur:

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Schlosser, Friedrich Christoph: Weltgeschichte für das deutsche Volk, Frankfurt a.M. 1844, Bd. 1.

Sosnowska, Anna: Zrozumieć zacofanie. Spory historyków o Europę Wschodnią (1946–1994), Warszawa 2004.

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Surynt, Izabela, Prof. Dr. habil., ist zusammen mit Sylwia Dec-Pustelnik, Peter Klimczak, Arkadiusz Lewicki und Christer Petersen Mitherausgeberin des vorliegenden Handbuchs der deutsch-polnischen Interaktionen und verfasste die Beiträge „Wie Polen und Deutsche miteinander kommunizieren. Oder: Über Unterschiede in den Kommunikationskulturen“, „Deutsche Ordensritter/Kreuzritter (Stereotyp)“ und zusammen mit Ilona Rodzeń den Beitrag „Polnische und deutsche Popkultur – gegenseitige Wahrnehmung in der Satire“. Sie ist Professorin an der Universität Wrocław und arbeitet in den Bereichen Interkulturelle Kommunikation, Deutsche Literaturwissenschaften und Deutsche Kulturgeschichte.

 

 

 

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