Joanna Trajman

Die Erinnerung an den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg im deutschen und polnischen Film von 1945 bis 2020

Die Erinnerung an den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg im deutschen und polnischen Film von 1945 bis 2020


Die unterschiedlichen Erfahrungen von Polen und Deutschen in den Jahren 1933–1945 trugen dazu bei, dass die Erinnerung an den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg in beiden Ländern voneinander abweicht, was sich in den filmischen Bildern von der NS-Herrschaft im polnischen und deutschen Film widerspiegelt. Im vorlie­genden Beitrag wird dargestellt, wie sich diese Bilder in den mehr als siebzig Jahren seit Kriegsende verändert haben. Eine wichtige Zäsur bilden die Jahre des Umbruchs 1989/1990, denn die politische Transformation in Polen und die deutsche Wiederver­einigung ermöglichten eine Revision und Neuinterpretation der Themen, die zuvor der staatlichen Ideologie untergeordnet waren und die Funktion erfüllten, die herrschende gesellschaftspolitische Ordnung zu legitimieren. Eine besondere Rolle wird hierbei Fil­men zugeschrieben, die nach der Jahrhundertwende entstanden. In einer Zeit, in der die meisten Augenzeugen der NS-Diktatur bereits tot sind, verändert sich die Erinnerung an das Dritte Reich (→ deutsche und polnische Erinnerungskultur); die deutsch-polni­schen Beziehungen haben inzwischen einen normalen nachbarschaftlichen Charakter angenommen.

In Polen gab es in den ersten Nachkriegsjahren einen großen gesellschaftlichen Bedarf an Filmen (→ Film), die halfen, die Erfahrung des nationalsozialistischen Totalitaris­mus zu verarbeiten, aus politischen Gründen konnten jedoch viele Projekte nicht ver­wirklicht werden (zum Beispiel Der Warschauer Robinson [Robinson Warszawski] von Jerzy Zarzycki). Die Filme, die realisiert wurden, zeigten ideologisch korrekt das Marty­rium des polnischen Volkes. In der Tauwetterperiode entstand die Polnische Filmschule. Für ihre VertreterInnen, die einer neuen Generation von Filmemachern angehörten, war der Krieg eine persönliche Erfahrung gewesen, weshalb sie versuchten, die Tragödie des Individuums im Moment der historischen Katastrophe zu zeigen. Die Vergangenheit diente oft als historische Kostümierung, um sich mit nationalen Mythen, der polni­schen Tradition und der aktuellen politischen Situation auseinandersetzen zu können. Diese relative Freiheit der Filmemacher zwischen 1956 und 1962 war eingeschränkt. Die zuständigen Stellen kritisierten vor allem das fehlende ideologische Engagement der VertreterInnen der Polnischen Filmschule beim Aufbau des sozialistischen Vaterlandes, was gleichsam die Rückbesinnung auf eine „martyrologische, auf Vergeltung sinnende“ Perspektive erzwang (Das Ende unserer Welt [Koniec naszego świata] von Wanda Jakubowska, 1964), die für die zweite Hälfte der 1940er Jahre typisch gewesen war. Die Kriegsproblematik sollte dergestalt dargestellt werden, dass sie den Geschmack des brei­ten Publikums traf. In der Folge entstanden Komödien sowie Abenteuerserien (Giuseppe in Warschau [Giuseppe w Warszawie], Stanisław Lenartowicz, 1964; Wo ist der Gene­ral… [Gdzie jest generał…], Tadeusz Chmielewski, 1964; Vier Panzersoldaten und ein Hund [Czterej pancerni i pies], Konrad Nałęcki, 1966–1970; und Sekunden entscheiden [Stawka większa niż życie] Andrzej Konic und Janusz Morgenstern, 1967–1968). In der zunehmend nationalistisch geprägten Atmosphäre ab Ende der 1960er Jahre entstanden im folgenden Jahrzehnt Großproduktionen, die den heroischen Kampf der polnischen Soldaten zeigen, die zusammen mit der Roten Armee gegen die Nationalsozialisten kämpfen. Im Film thematisiert werden auch die Aktivitäten linker Partisanengruppen und die führende Rolle der Polnischen Volksarmee bei der Wiedererlangung der staatli­chen Unabhängigkeit (u. a. die Filme von Jerzy Passendorfer; Rote Ebereschen [Jarzębina Czerwona], Ewa und Czesław Petelski, 1969). Bis 1989 wurden Bilder vom Nationalso­zialismus und vom Zweiten Weltkrieg vor allem für politische Zwecke benutzt.

Was die Bilder vom Nationalsozialismus im deutschen Kino betrifft, so entstanden unmittelbar nach dem Krieg, noch vor der Gründung der Bundesrepublik Deutsch­land und der Deutschen Demokratischen Republik, die sogenannten Trümmerfilme, der erste Versuch, sich filmisch mit der Niederlage des Dritten Reiches auseinanderzu­setzen. Diese Filme profitierten vom geringen zeitlichen Abstand zu den dargestellten Ereignissen, wodurch es möglich wurde, die Stimmung in der deutschen Gesellschaft einzufangen, die Probleme des Alltags zu zeigen und mit der Aufarbeitung des Natio­nalsozialismus zu beginnen. Nach 1949 wurden Bilder von der NS-Diktatur der staatli­chen Politik in beiden deutschen Staaten untergeordnet, die sich zum Erbe des Dritten Reiches unterschiedlich positionierten, was auf die jeweiligen politischen Interessen und die sich wandelnde politische Weltlage zurückzuführen war.

Die DDR präsentierte sich als das neue Deutschland, das im Geiste des Antifaschismus seine Wurzeln hatte und die unvollendete sozialistische Revolution der Jahre 1918/1919 fortsetzte, womit die Frage nach der Verantwortung für die NS-Verbrechen sich nicht stellte. Hauptziel der Filme war es, die Existenz der DDR zu legitimieren und den antifaschistischen Gründungsmythos aufrechtzuerhalten, wozu die Bilder vom kommunisti­schen Kampf gegen den Nationalsozialismus dienten (wie zum Beispiel Ernst Thälmann – Sohn seiner Klasse, 1954, und Ernst Thälmann – Führer seiner Klasse von Kurt Maet­zig, 1955; oder Nackt unter Wölfen von Frank Beyer, 1963). Im Zusammenhang mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht wurden auch Filme gefördert, die die Kriegserlebnisse in einem positiven Licht zeigten: Die Abenteuer des Werner Holt (1965) von Joachim Kunert; Ich war neunzehn (1968) und Mama, ich lebe (1977) von Konrad Wolf.

Ein charakteristisches Merkmal der ersten Jahre der Bundesrepublik Deutschland war das Schweigen zum Thema „Nationalsozialismus“, dessen Verdrängung. Das westdeut­sche Kino der 1950er Jahre flüchtete in die idealisierte Welt des Heimatfilms. Bilder von der nationalsozialistischen Vergangenheit dienten hauptsächlich zur Stabilisierung der politischen Verhältnisse und zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung. Die Wiederbewaffnung der BRD war mitverantwortlich für das Entstehen von Produkti­onen, die den militärischen Widerstand gegen Hitler (Es geschah am 20. Juli, Georg Wilhelm Pabst, 1955; Der 20. Juli, Falk Harnack, 1955; Canaris, Alfred Weidenmann, 1954; Des Teufels General, Helmut Käutner, 1955) und die Sinnhaftigkeit der Kriegs­anstrengungen zeigen (Paul Mays Dreiteiler 08/15, 1954; Hunde, wollt ihr ewig leben, Frank Wisbar, 1958). Das Oberhausener Manifest (1962), das die Notwendigkeit eines neuen deutschen Films postulierte, und der Generationswechsel in den 1960er Jahren hatten erheblichen Anteil daran, dass die Thematik des Nationalsozialismus nichts von ihrer Aktualität einbüßte, was sich in der Suche nach entsprechenden filmischen Aus­drucksformen widerspiegelte, die eine Auseinandersetzung mit der verdrängten und verschwiegenen Vergangenheit ermöglichten (das filmische Schaffen von Rainer Werner Fassbinder, Alexander Kluge, Danièle Huillet und Jean-Marie Straub, Volker Schlön­dorff, Edgar Reitz). Die Faszination für das Phänomen „Hitler“ im westdeutschen Film der 1970er Jahre (Hitler, ein Film aus Deutschland, Hans-Jürgen Syberberg, 1977; der Dokumentarfilm Hitler – eine Karriere, Joachim Fest und Christian Herrendoerfer, 1977) fand in der Kohl-Ära seine Fortsetzung in einem verstärkten Interesse an Lokalgeschichte und Familiengeschichten aus der Zeit des Dritten Reiches. Beispiele hierfür sind: Herbstmilch (1989) von Joseph Vilsmaier; Heimat – Eine deutsche Chronik (1984) von Edgar Reitz; Die Geschwister Oppermann (1983) und Die Bertinis (1988) von Egon Monk; Deutschland, bleiche Mutter (1980) von Helma Sanders-Brahms.

Der Umbruch 1989/1990 hatte großen Einfluss auf die Darstellung des Nationalsozia­lismus sowohl im polnischen als auch im deutschen Kino. Vor allem ermöglichte er eine neue, entideologisierte Sicht auf die Zeit des Zweiten Weltkrieges. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Film aufhörte, ein Instrument zu sein, das die kollektive Erinnerung an die Zeit der NS-Diktatur prägt. Er wird weiterhin genutzt, um Mythen und Stereotype zu erschaffen, die ein positives Bild vom eigenen Volk zeichnen und damit dessen Iden­tität begründen.

Polnische FilmemacherInnen begannen nach 1989, sich mit Themen zu befassen, die bis dahin aus politischen Gründen nicht aufgegriffen werden konnten. Auf diese Weise wurden Erfahrungen verarbeitet, die lange Zeit aus dem öffentlichen Diskurs ausge­schlossen beziehungsweise stark ideologisiert waren. In diesem Zusammenhang ließe sich auf die stalinistischen Verbrechen, den Verlust der polnischen Ostgebiete und die Zwangsdeportationen verweisen. Beispiele dafür sind die Filme Das Massaker von Ka­tyn [Katyń, 2007] von Andrzej Wajda, General Nil [Generał Nil, 2009] von Ryszard Bugajski und Die Polnische Sibiriade [Syberiada Polska, 2013] von Janusz Zaorski. Eine besondere Rolle spielt der Film Wolhynien [Wołyń, 2016] von Wojciech Smarzowski, der die polnisch-ukrainischen Beziehungen während des Zweiten Weltkrieges aufleben lässt – er spielt während der sowjetischen Besatzung, dann während der deutschen und zeigt schließlich das Massaker in Wolhynien. Auch die komplizierten Beziehungen zwi­schen Polen, Deutschen und Kaschuben werden filmisch thematisiert (Der Kammerdie­ner [Kamerdyner], Filip Bajon, 2018). Mit dem Film Zgoda (2017) über das gleichna­mige Arbeitslager in Świętochłowice, in dem die neuen Machthaber nach dem Krieg eine Folterstätte für Volksfeinde – Polen, Schlesier und Deutsche – einrichteten, bricht Maciej Sobieszczański mit einem Tabu im polnischen Kino.

Darüber hinaus begann man, die polnisch-jüdischen Beziehungen neu zu bewerten und über polnische Schuld während der Okkupation nachzudenken: Korczak (1990) und Die Karwoche [Wielki Tydzień, 1995] von Andrzej Wajda, Nur noch dieser Wald [Jeszcze tylko ten las, 1991] von Jan Łomnicki, Der Daunenträger [Tragarz puchu, 1992] von Janusz Kijowski, Abschied von Maria [Pożegnanie z Marią, 1993] von Filip Zylber. Neben Narrationen, die Zeugnis ablegen vom polnischen Martyrium und Heroismus (zum Beispiel Der Ring mit dem gekrönten Adler [Pierścionek z orłem w koronie] von Andrzej Wajda, 1992) und damit die polnische nationale Identität fördern, entstehen auch Filme, die die polnische Tapferkeit entmythologisieren (wie zum Beispiel Die Ver­urteilung des Franciszek Kłos [Wyrok na Franciszka Kłosa] von Andrzej Wajda, 2000; Das Geheimnis der Westerplatte [Tajemnica Westerplatte] von Paweł Chochlew, 2013). Es sind Filme, die der allgemeinen Gefühlsstimmung und der kollektiven Erinnerung sowie der staatlichen Geschichtspolitik zuwiderlaufen. Andererseits ist in den letzten Jahren ein verstärktes Bedürfnis nach historischen Emotionen zu beobachten, das sich einspannen lässt im Dienst einer nationalen Gemeinschaft, die auf der Vorstellung von der Einzigartigkeit der Polen, ihrem Stolz und ihrer Würde gründet. Zu diesem Zweck werden im kollektiven Bewusstsein neue Helden kreiert, die „verstoßenen Soldaten“, die nach Kriegsende gegen die kommunistischen Machthaber kämpften (Rójs Geschichte [Historia Roja] von Jerzy Zalewski, 2016; das Dokudrama Pilecki von Mirosław Krzyszkowski, 2015; Der Verstoßene [Wyklęty] von Konrad Łęcki, 2017).

Der Zweite Weltkrieg wurde auch für das Unterhaltungskino zu einem attraktiven The­ma. Das Ergebnis waren Komödien, Action- und Abenteuerfilme: Das Gold der Deser­teure [Złoto dezerterów, 1998] von Janusz Majewski, Hans Kloss – Spion zwischen den Fronten [Hans Kloss. Stawka większa niż śmierć, 2012] von Patryk Vega, Die Botschaft [AmbaSSada, 2013] von Juliusz Machulski, Der Kurier – Sein Leben für die Freiheit [Kurier, 2019] von Władysław Pasikowski und der Kriminalfilm Der schwarze Mercedes [Czarny mercedes, 2019] von Janusz Majewski. Ein Film, der die Attraktivität des Gen­rekinos mit der unheroischen Darstellung des Kampfes verbindet, ist „die größte polnische Superproduktion nach 1989“ Warschau’44 [Miasto 44, 2014] von Jan Komasa, der sich am Mythos des → Warschauer Aufstandes abarbeitet. Dieser von eigenen Kriegs­erfahrungen unbelastete Regisseur der jungen Generation schuf eine filmische Darstel­lung der Apokalypse Warschaus, die, wie der Filmkritiker Janusz Wróblewski schrieb, „das Gegenteil eines ausgewogenen, asketischen Dramas ist, das den Sinn des Aufstan­des und die ,polnische Sache‘ hinterfragt“. Komasa scheut sich nicht, unterschiedliche Genres zu mischen, um „eine romantische Geschichte vom Wahnsinn der Gefühle inmitten des Krieges“ zu erzählen (Polityka 2014 r., Nr. 38).Die Darstellung des Aufstandes ohne Heroisierung, der Naivität und des Draufgängertums der Figuren, die vom Willen, zu überleben, und vom Wunsch, ein Abenteuer zu erleben, getrieben werden, erwies sich als Erfolgsrezept: den Film sahen 1.772.840 KinobesucherInnen (https://lumiere.obs.coe.int/movie/49371, 18.9.2020). Das, was beim Publikum für positive Resonanz sorgte, u. a. die Liebesabenteuer der Helden, war auch beim Film Steine für die Barrikade [Kamienie na szaniec, 2014] von Robert Gliński 837.540 Kinobesuche­rInnen (https://lumiere.obs.coe.int/movie/49375, 18.9.2020) der Hauptkritikpunkt der Filmrezensenten.

Im deutschen Kino nach 1989 gibt es nur wenige Filme, die die Anfänge des Nationalso­zialismus zeigen, eine deutsche Bevölkerung, die die neue Ordnung begrüßt, fasziniert vom „schönen Schein“, der sich in Fackelmärschen, in Albert Speers Lichtdomen oder in geometrischen, als Huldigung an den perfekten arischen Körper inszenierten Formatio­nen ausdrückt. Manche FilmemacherInnen nutzen die nationalsozialistische Ästhetik à la Leni Riefenstahl, um dem heutigen Betrachter das Verführungspotenzial des Natio­nalsozialismus vor Augen zu führen, so zum Beispiel Volker Schlöndorff in Der Unhold (1996), Dennis Gansel in Napola – Elite für den Führer (2004) und Jutta Brückner in Hitlerkantate (2005). Ein Gegengewicht zu dieser Sichtweise sind Filmproduktionen mit deutschen Helden. Dabei handelt es sich sowohl um Ikonen des Widerstands, wie Claus Schenk Graf von Stauffenberg in Stauffenberg (2004) von Jo Baier, Sophie Scholl in Sophie Scholl – Die letzten Tage (2005) von Marc Rothemund und Georg Elser in Elser – Er hätte die Welt verändert (2015) von Oliver Hirschbiegel, als auch um „Widerstands­kämpfer des Alltags“ (Edelweißpiraten, Niko von Glasow, 2005; Rosenstraße, Margare­the von Trotta, 2003). Dazu zählen auch der Luxemburger Priester Henri Kremer aus Volker Schlöndorffs Film Der neunte Tag (2004), der für seine oppositionelle Tätigkeit ins KZ Dachau deportiert wird, sowie die Verschwörer im KZ Buchenwald in Philipp Kadelbachs Neuverfilmung von Bruno Apitz’ Roman Nackt unter Wölfen (2015), die ei­nen Aufstand planen. Ein ungewöhnlicher Held ist der deutsche Kaufmann John Rabe, dessen Geschichte – die Rettung von etwa 250.000 Chinesen nach der Einnahme von Nanjing durch die Japaner 1937 – in dem nach ihm benannten Film von Florian Gal­lenberger (2009) erzählt wird. Der Regisseur, der das Schicksal des NSDAP-Mitglieds verfilmte, schuf ein Heldenepos mit einem guten Nazi als Hauptprotagonisten.

Besondere Erwähnung verdienen jene Filme, die Deutsche zeigen, die während des Krieges Juden retteten, denn, wie eine der Heldinnen von Claus Räfles Dokudrama Die Unsichtbaren – Wir wollen leben (2017) zu Protokoll gibt, nicht jedem ist bewusst, dass es im Dritten Reich auch Personen gab, die ihren verfolgten jüdischen Mitbürgern halfen. Einer dieser stillen Helden war Otto Weidt, ein blinder Berliner Unternehmer, der eine Besen- und Bürstenbinderei besaß, in der er Juden beschäftigte, die er auf diese Wei­se vor der Deportation schützte. Seine Geschichte erzählt Kai Christiansen in seinem Film Ein blinder Held – Die Liebe des Otto Weidt (2014). Filme dieser Art dienen dazu, ein neues Bild von den deutsch-jüdischen Beziehungen zu zeichnen (→ Antisemitismus; → Holocaust) – die sich nicht nur auf die Erfahrung von Gewalt stützen, sondern auch auf Menschlichkeit und Solidarität.

Ein Thema, das bei der Erörterung deutscher Filmproduktionen, die dem Nationalsozialismus gewidmet sind, nicht fehlen darf, sind Filme, die Hitler porträtieren: Ge­spräch mit dem Biest (1996) von Armin Mueller-Stahl, Der Untergang (2004) von Oliver Hirschbiegel, Mein Führer – Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler (2007) von Dani Levy. Zur triumphalen Rückkehr des Führers und dessen Versuch, sich im Deutschland von heute zurechtzufinden, kommt es in David Wnendts Film Er ist wie­der da (2015). Auch andere NS-Größen wurden zu Filmhelden – zum Beispiel Joseph Goebbels in Goebbels und Geduldig (2002) von Kai Wessel und in Jud Süß – Film ohne Gewissen (2010) von Oskar Roehler; Albert Speer (der Dreiteiler Speer und Er, Heinrich Breloer, 2005); Adolf Eichmann (Eichmanns Ende Liebe, Verrat, Tod, Raymond Ley, 2010); Josef Mengele (Nichts als die Wahrheit, Roland Suso Richter, 1999) und Her­mann Göring (Der gute Göring, Kai Christiansen, 2016).

In der filmischen Narration dominiert vor allem der Blick auf das Dritte Reich aus der Perspektive der letzten Jahre des Krieges, als die Deutschen am eigenen Leib dessen zerstörerischen Charakter zu spüren bekamen – Beispiele dafür sind im deutschen Kino Produktionen, die den alliierten Luftangriffen auf Dresden (Dresden, Roland Suso Rich­ter, 2006), der Flucht aus Ostpreußen (Die Flucht, Kai Wessel, 2007), dem Untergang der „Wilhelm Gustloff“ (Die Gustloff, Joseph Vilsmaier, 2008) oder den Vergewaltigun­gen deutscher Frauen durch Rotarmisten (Anonyma – Eine Frau in Berlin, Max Färber­böck, 2008) gewidmet sind. Diese Filme zeigen das Leid der Zivilbevölkerung, für die der Krieg eine Katastrophe war. Die Wahrnehmung des Zweiten Weltkrieges als eine Naturkatastrophe, die plötzlich und unerwartet über Deutschland hereinbrach, als eine Fügung des Schicksals und nicht als Ergebnis der nationalsozialistischen Aggression, erlaubt es, die Deutschen als Opfer Hitlers und seiner Politik darzustellen, was charakte­ristisch ist für die deutsche Erinnerungskultur im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts.

Die Verbrechen des Nationalsozialismus werden vor allem mit dem Holocaust gleichge­setzt, obwohl – bemerkenswerterweise – die Vernichtung der Juden nicht auf der Lein­wand erscheint – es ist in der Regel nur ein Hintergrundrauschen, etwas Unausgespro­chenes, das sich am Rande der Filmerzählung abspielt. Allerdings finden nach und nach auch andere Opfergruppen Platz in der deutschen Erinnerung, was sich in Filmproduk­tionen widerspiegelt. Eike Besuden beispielsweise erinnert in Gibsy – Die Geschichte des Boxers Johann Rukeli Trollmann (2012) an den Boxer Johann „Rukeli“ Trollmann, ein Opfer des Porajmos – der Vernichtung der Roma und Sinti. Symbolisches Gedenken an geistig und körperlich behinderte Menschen, die ermordet wurden, kommt im Film Ne­bel im August (2016) von Kai Wessel zum Ausdruck. Dieses Thema wird, ebenso wie die Zwangssterilisation „lebensunwerter“ Personen, in Florian Henckel von Donnersmarcks Film Werk ohne Autor (2018) aufgegriffen, wobei die Tötung der Heimbewohner durch ihre Symbolik – Figuren mit tätowierten Nummern auf den nackten Körpern werden vergast –, die bis dahin ausschließlich Holocaust-Filmen vorbehalten war, in Deutsch­land Kontroversen auslöste. Kritisiert wurde vor allem die Parallelmontage mit den Bil­dern sterbender Menschen während der Bombardierung Dresdens am 13. Februar 1945 und fallender deutscher Soldaten an der Front.

Ein gewisses Novum ist, dass Krieg und Nationalsozialismus nur den Hintergrund abgeben für Kommentare zur heutigen Situation. In Christian Petzolds Werk Transit (2018) wird die Flucht vor den Nazis, die Frankreich besetzen, in die Gegenwart verlegt, was sofort, da von der Vertreibung aus der Heimat, dem Verlust des Vaterlandes und dem Versuch, sich in der Fremde zurechtzufinden, die Rede ist, an die Flüchtlingskrise denken lässt, mit der Europa zu kämpfen hat. Die Zeitlosigkeit und Universalität dieser Thematik wird auch in Caroline Links Film Als Hitler das rosa Kaninchen stahl (2019) deutlich. Gleichzeitig zeigt der Film das NS-Regime aus der Perspektive eines Kindes, ähnlich wie Christian Schwochows Deutschstunde (2019).

Die polnischen Produktionen Bleib weg vom Fenster [Daleko od okna] (2000), Joanna (2010), In Darkness – Eine wahre Geschichte [W ciemności] (2011) sowie die deutschen Filme Anonyma – Eine Frau in Berlin (2008), Laconia (2011) und Am Ende kommen Touristen (2007) entstanden nach dem Jahr 2000 und greifen das Thema „Zweiter Welt­krieg“ auf unterschiedliche Art und Weise auf. Die Zäsur um die Jahrtausendwende steht symbolisch für den Wandel der Erinnerung, was mit dem Ableben der unmittelba­ren Zeugen der Ereignisse, die sich in den 1930er und 1940er Jahren abspielten, und der Umwandlung des kommunikativen Gedächtnisses in ein kulturelles Gedächtnis verbunden ist. An der Schwelle zum Generationswechsel verschärft sich das Problem der Erinnerung, worauf die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann hinweist. Die Jahrtausendwende zeichnet sich beiderseits der Oder durch intensive Geschichtsdebatten über die Formen des Erinnerns, die Bedeutung der Vergangenheit für heutige und zukünftige Generationen und die Aufnahme neuer Themen in die Erinnerungskultur aus. Die Veröffentlichung von Jan Tomasz Gross’ Buch Nachbarn. Der Mord an den Juden von Jed­wabne [Sąsiedzi. Historia Zagłady żydowskiego miasteczka, 2000] gab in Polen Anlass zu Diskussionen über die polnisch-jüdischen Beziehungen während des Krieges. Die deutschen Gemüter erhitzte die Walser-Bubis-Debatte über die Bedeutung des Holo­caust für die deutsche Identität (1998) sowie die Kontroversen rund um die Bücher Im Krebsgang (2002) von Günter Grass und Der Brand. Deutschland im Bombenkrieg 19401945 (2002) von Jörg Friedrich, die zum Diskurs über die Deutschen als Kriegs­opfer gehörten. In die ersten Jahre des neuen Jahrtausends fiel auch die Diskussion zum Thema → Vertreibung und Bau eines Zentrums gegen Vertreibungen (→ Museen), die das kollektive Gedächtnis in beiden Ländern wesentlich mitbestimmte. Das verstärkte Interesse am Dritten Reich und am Zweiten Weltkrieg spiegelte sich auch in der Filmproduktion wider. Zwischen 2000 und 2020 stieg die Zahl der Filme, die sich mit dieser Thematik beschäftigten, in beiden Ländern im Vergleich zum vorhergehenden Jahrzehnt um das Dreifache – in Polen von 12 auf 38 nach den offiziellen Angaben der Agentur für Filmproduktion, des Ministeriums für Kultur und nationales Erbe, des Polnischen Filminstituts und des Verbands der polnischen Filmemacher sowie den Informationen der Datenbank für Filmproduktionen (https://www.sfp.org.pl/2016/baza_wiedzy,287,1695,0,1,Listy-polskich-filmow-1990-2009.html, 18.9.2020)  und in Deutschland von 27 auf 73 (Vgl. https://www.filmportal.de/).

Die ausgewählten Filmproduktionen zeigen, dass die Beziehungen zwischen den einst im Konflikt miteinander befindlichen Völkern (Polen, Deutsche, Juden, Russen, Eng­länder), trotz der mehr als siebzig Jahre, die seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges vergangen sind, immer noch durch die Geschichte belastet sind. Diese Filme kennzeichnet der Geist der Versöhnung; sie öffnen sich für die Kriegserfahrung des „Anderen“, was dazu führt, dass man das eigene Leid und Unrecht zeigt, wie auch sich zur Schuld be­kennt. Sie sind Teil eines Prozesses, in dessen Rahmen die nationale Identität, angesichts der veränderten gesellschaftspolitischen Umstände in beiden Ländern, neu definiert wird, und des internationalen Wandels, der zu einer Globalisierung des historischen Gedächtnisses beiträgt. Jeder der präsentierten Filme ist gewissermaßen auch ein neuer Ansatz für die hier erörterte Problematik, sei es aufgrund der Themenwahl oder der Darstellungsweise.

Die polnische Sicht auf den Nationalsozialismus wird von der Erfahrung des Zweiten Weltkrieges und der Okkupation, von Massenverhaftungen und Konzentrationslagern, vom „Polenfeldzug“ und dem Warschauer Aufstand bestimmt. Die Handlung der aus­gewählten Filme spielt zwar während des Krieges, doch die NS-Herrschaft im besetzten Land bildet nur den historischen Hintergrund. Ein verbrecherischer Repressionsapparat, der zur Schaffung einer Atmosphäre der allgemeinen Bedrohung beiträgt. Im Vorder­grund stehen die im Kontext des Holocaust gezeigten polnisch-jüdischen Beziehungen, was, meiner Meinung nach, auf ein echtes Bedürfnis hindeutet, ebendiese Kriegser­fahrung zu verarbeiten. Die analysierten deutschen Filme beschäftigen sich hingegen mit den Beziehungen der Deutschen zu ihren ehemaligen Feinden: den Russen (Ano­nyma – Eine Frau in Berlin), den Engländern (Laconia, deutsch-britische Koprodukti­on) und den Polen (Am Ende kommen Touristen). Besondere Aufmerksamkeit verdienen darüber hinaus zwei Produktionen, die in deutsch-polnischer Zusammenarbeit entstan­den – Unser letzter Sommer (2015) von Michał Rogalski und Der Überläufer (2020) von Florian Gallenberger –, da sie den Besatzungsalltag und die Kriegswirklichkeit aus der Perspektive beider Konfliktparteien zeigen und zudem das Motiv der unmöglichen Liebe aufgreifen.

Der Film Bleib weg vom Fenster (2000) von Jan Jakub Kolski, der auf Hanna Kralls Er­zählung Die aus Hamburg basiert, ist ein Kammerspiel über die Beziehungen zwischen dem Maler Jan und seiner Frau Barbara sowie der Jüdin Regina, die bei ihnen Zuflucht findet. Obwohl die Handlung des Films während des Krieges spielt, sind die deutschen Soldaten fast nicht zu sehen, und die Verbrechen, die sie verüben, kaum wahrnehmbar. Die jüdischen Opfer leiden und sterben in Einsamkeit. Ihr Verschwinden bleibt unbe­merkt. Obwohl im Städtchen deutsche Soldaten stationiert sind, sind nicht sie, sondern die Polen für die sich versteckende Jüdin Regina die größte Bedrohung. Diese Gefahr verkörpert im Film die Figur des polnischen „blauen“ Polizisten Jodła, der bereitwillig – und ganz eigennützig – mit dem Besatzer kollaboriert. Die beiläufige Thematisie­rung der NS-Herrschaft erlaubt es, die polnisch-jüdischen Beziehungen in den Fokus zu rücken, deren Charakter das symbiotische Zusammenleben der drei Hauptfiguren reflektiert. Der Holocaust bildet nur den Hintergrund, vor dem ihre komplizierten Be­ziehungen untereinander dargestellt werden. Das Städtchen hat in der Filmadaption kei­nen Namen. Es werden auch keine historischen Ereignisse dargestellt, anhand derer die Handlung einer konkreten Zeit zugeordnet werden kann. Dies dient dazu, bestimmte Verhaltensweisen der Protagonisten zu verallgemeinern. Es bedeutet jedoch nicht, dass den Autoren des Filmes der historische Kontext unwichtig ist.

Jans Malleidenschaft nimmt den Zuschauer mit in die Welt der Farben und Farbtöne, mit deren Hilfe er versucht, die ihn umgebende Wirklichkeit zu beschreiben. Diese Far­benvielfalt wird durch die Dunkelheit des Schrankes, in dem sich Regina versteckt hält, und dessen klaustrophobische und stickige Atmosphäre kontrastiert. Die Dunkelheit des Schrankes wird gebrochen durch Reginas Visionen, in denen das Schtetl wiederer­steht, eine Welt, die es nicht mehr gibt. Das Symbol des jüdischen Schicksals.

Das Außergewöhnliche und Neue an diesem Film ist, dass der Holocaust nicht von außen, durch die Figur eines Beobachters oder Kommentators dargestellt wird, sondern von innen, aus Reginas Perspektive, die sich im Schrank versteckt – einem Schrank, der Zeuge ihres Leids, ihrer Scham, Verlegenheit und Erniedrigung ist. Kolski zeigt in seinem Film, welcher psychischer Belastung Menschen in Extremsituationen ausgesetzt sind und wie die Vergangenheit auf den Überlebenden lastet. Wie soll man in einer Welt nach dem Holocaust leben? Regina ist – in Anlehnung an den Titel von Irit Amiels Erzählband – eine „Gezeichnete“ [Osmaleni, 1999]. Sie hat überlebt und versucht so zu leben, als hätte es nie eine Vergangenheit gegeben, dennoch ist sie beständig in ihr gefangen. Der Krieg war auch für die Polen eine Grenzerfahrung. Nach dem Ende der Kriegshandlungen ändert sich bei Jan und Barbara nichts, sie leben weiter von ihrer Umgebung isoliert zu Hause, sie haben nicht einmal die Vorhänge vor den Fenstern zurückgezogen (Kino 2000, Nr. 11). Sie sind eingesperrt in ihrem Kriegstrauma, das zum Zerfall der familiären Bindungen führt, und müssen mit ihren Schuldgefühlen Regina gegenüber leben, die sie erniedrigen und der sie die Tochter wegnehmen, quasi als Bezahlung für die Rettung eines jüdischen Menschenlebens.

Die komplizierten Beziehungen zwischen Jan, Barbara und Regina spiegeln die ver­wickelten polnisch-jüdischen Bindungen und die unterschiedlichen Kriegserfahrungen beider Völker wider. Kolskis Versuch, die Kriegswirklichkeit sowohl aus polnischer als auch aus jüdischer Perspektive zu zeigen, stellt die Frage nach der polnischen und der jüdischen Identität. Helusias Geburt während des Krieges ist ein Symbol für das Über­leben des jüdischen Volkes, das die Chance erhält, das wiederaufzubauen, was getötet wurde. Das Kind der jüdischen Mutter wegzunehmen und es taufen zu lassen, versinn­bildlicht jedoch die Vernichtung der jüdischen Identität sowie das Ende der jüdischen Präsenz in Polen. Die Auslöschung des jüdischen Lebens ermöglicht zu vergessen, dass man den Blick abgewandt hat vom Leid der anderen. Von symbolischer Bedeutung ist auch das Bild von der Jungfrau Maria mit dem noch ungemalten Gesicht des Kindes, dessen „Leerstelle“ mit Helusias Geburt gleichsam ausgefüllt wird. Das von einer jü­dischen Mutter und einem polnischen Vater gezeugte Kind hätte zum Erneuerer der vernichteten Welt und zum Bindeglied zwischen den ehemaligen Nachbarn werden können. Die Verhandlungen zwischen Regina und dem polnischen Ehepaar über die Rückgabe des Mädchens enden mit einem Fiasko, was die Chancen auf eine polnisch-jüdische Versöhnung begräbt.

In Bleib weg vom Fenster wird die Besatzungswirklichkeit in den Hintergrund gedrängt. Gäbe es nicht die deutschen Soldaten, flatterten nicht Hakenkreuzflaggen statt weiß-ro­ter Fahnen im Wind und wäre das Hauptmotiv des Films nicht eine verfolgte Frau, die sich verstecken muss, man hätte Schwierigkeiten gehabt, irgendwelche Veränderungen im Leben des Provinzstädtchens, in dem der Film spielt, wahrzunehmen. Völlig anders verhält sich die Situation in Feliks Falks Film Joanna (2010), in dem das okkupierte Kra­kau porträtiert wird. Die Titelheldin hilft – aus einem Impuls heraus – einem kleinen jüdischen Mädchen, das während einer Verhaftungsaktion in einer Kirche Schutz sucht. Sie versteckt das Kind bei sich. Das in der Wohnung eingeschlossene Mädchen weiß, dass es den Verdacht der Nachbarn nicht erregen darf. Joanna übernimmt die Last der Verant­wortung für einen anderen Menschen, allerdings ganz allein. Różas Anwesenheit in ihrer Wohnung bleibt ein Geheimnis, das sie selbst vor ihren engsten Angehörigen verbirgt. Es bleibt unklar, ob sie ihre Familie nicht in Gefahr bringen will, oder ob sie weiß, dass diese kein Verständnis für ihre Tat aufgebracht hätte. Joannas Mutter zeigt sich traurig, angesichts der dramatischen Situation der Juden im Krakauer Ghetto, aber ihre Worte sind lediglich leere Floskeln, heucheln Anständigkeit und zeugen nicht von echtem In­teresse für das, was mit den Nachbarn geschieht. Obwohl sie sich Sorgen um die eigene Tochter macht, rät sie ihr, den Sohn von Freunden in ihrer Wohnung aufzunehmen, der im Untergrund kämpft. Die Unterstützung polnischer Freiheitskämpfer erscheint ihr wünschens- und lobenswerter als das reale Engagement zugunsten von jüdischen Flücht­lingen aus dem Ghetto. Ähnlich wie in Bleib weg vom Fenster sind auch in Falks Film die Nachbarn und nicht der Besatzer die größte Bedrohung für diejenigen, die sich entschei­den, den Juden zu helfen. Die Gestapo durchsucht Joannas Wohnung, nachdem ein Be­wohner des Mietshauses sie bei der Geheimpolizei denunziert. Der deutsche Offizier, der die nächtliche Aktion leitet, entdeckt das jüdische Mädchen; Joanna opfert ihren Stolz und ihre Würde und gibt sich ihm hin, um das Kind zu retten. Bezeichnend ist, dass bei Falk der deutsche Offizier die Wahl hat und eigenständig entscheiden kann. Dies ist eine Abkehr von der schematischen Darstellung der Soldaten als willenlose Befehlsempfänger, die im Namen dieser Befehle Verbrechen begehen. Stattdessen haben sie einen gewissen Handlungsspielraum, es hängt nur von ihnen ab, wie sie sich verhalten. Der Offizier lässt Róża am Leben, er meldet das von Joanna versteckte jüdische Mädchen nicht. Vielmehr zeigt er Empathie, beschafft für Joanna notwendige Medikamente und findet für sie heraus, dass ihr Mann in einem deutschen Oflag gestorben ist. Überraschenderweise er­hält sie vom deutschen Offizier Unterstützung (auch wenn dieser ihr nicht uneigennützig hilft), nicht aber von der eigenen Familie. Wobei ein Gespräch auf Französisch zwischen den beiden die entscheidende Rolle spielt, dass der Offizier sich von seiner menschlichen Seite zeigt. Dadurch dass er die Sprache verlässt, in der Befehle erteilt werden, macht er es möglich, eine gemeinsame Ebene der Verständigung zu finden, einen spezifischen Raum der Kommunikation, in dem Joanna und der Offizier nur Frau und Mann sind, nicht Polin und Deutscher, keine feindlichen Konfliktparteien.

In Feliks Falks Film ist nichts so, wie es zu sein scheint. Die Wahrheit versteckt sich hinter dem trügerischen Schein, und niemand macht sich die Mühe, sie aufzudecken. Der polnische Untergrund verurteilt Joanna wegen angeblicher Kollaboration mit dem Besatzer. Das Urteil ist falsch, doch das Gewissen der wahren Patrioten beruhigt. Die Schuldige erhält ihre Strafe. Der kahlgeschorene Kopf wird zu einem Stigma, einem Symbol für Verrat und Ausgrenzung. Der Film bietet keine Schwarz-Weiß-Einteilung in die Guten und die Bösen, in „unsere Leute“ und den Feind. Falk zeigt die Mehrdeutig­keit menschlicher Haltungen während des Krieges und verweist auch auf niederträch­tiges Verhalten von polnischer Seite, was zur Folge hat, dass nicht nur die Deutschen der Feind sind. Laut dem Publizisten Piotr Zaremba lebt die Bevölkerung des besetzten Krakaus in einer klaustrophobischen Welt, in der die Angst allgegenwärtig ist, die im unberechenbaren Verhalten der eigenen Landsleute und in dem vom Untergrund aufer­legten Regime ihre Ursache hat (Rzeczpospolita vom 13.7.2011). Falk stellt den Mythos vom heroischen Kampf gegen den Okkupanten in Frage: Stattdessen zeigt er die Anpassung der Gesellschaft an die Zwänge der Besatzungszeit, in der nur das Überleben zählt. Außerdem verletzt er den national-katholischen Mythos, der ein wichtiger Teil der polnischen Identität ist, was in der symbolischen Szene zum Ausdruck kommt, in der die Familie Joanna von der Teilnahme an Heilig Abend ausschließt. Sie wird zur „Fremden“.

Joanna ist ein besonderer Film, weil er sich erstens auf das Motiv des „guten Nazis/Deut­schen“ bezieht, und zweitens den polnischen Untergrund entglorifizert, Vertreter des Widerstandes zeigt, die Urteile auf der Grundlage von Gerüchten und Verleumdungen fällen. Bei Falk wird deutlich, welcher psychischer Belastung Personen ausgesetzt sind, die sich entscheiden, die Mauer der Gleichgültigkeit zu durchbrechen und verfolgten Juden zu helfen – der Preis für ihr moralisches Handeln ist Stigmatisierung und ge­sellschaftliche Ausgrenzung. Der Film zeigt exemplarisch den Konflikt zwischen dem Individuum und dem Kollektiv, das vorschnell Urteile fällt, die sich leicht instrumenta­lisieren lassen. Falk ergreift Partei für die individuellen Entscheidungen und setzt sich damit über das Primat der nationalen Bindungen hinweg. Die Erzählung von Joanna hat universellen Charakter, weshalb einige Rezensenten die Verortung der Handlung nur als historische Staffage betrachten. Nach Ansicht von Paweł T. Felis veranschaulicht der Film „unsere nationale Neigung, nach Verrätern und Helden zu suchen“ (Co jest grane. Warszawa vom 26.11.2010). Ähnlich äußert sich Tadeusz Sobolewski, der schreibt, Joanna „entstand als Reaktion auf die heutige Situation, in der Fragen der Moral und des Glaubens auf die Fahnen geschrieben und mit dem Kollektiv, dem Volk und der Partei verbunden werden“ (Gazeta Wyborcza vom 27.11.2010).

Beide Filme fanden in Deutschland keinen Verleih. Für den deutschen Kinobesucher wäre das Bild vom Zweiten Weltkrieg, das in Kolskis und Falks Werken gezeichnet wird, wahrscheinlich eine große Überraschung, vor allem die Darstellung des Besatzers und des Holocaust sowie die nicht eindeutig zu bewertenden Verhaltensweisen der Polen während der Okkupation. Aus den gleichen Gründen sind die Filme für den polnischen Zuschauer nur schwer zu akzeptieren: Sie erzählen nicht die heroische Geschichte des Volkes im Kampf gegen die skrupellosen Nazis und bedienen dadurch auch nicht die Vorstellungen, die das kollektive Bewusstsein bestimmen und die nationale Identität stärken. Die geringe Zahl der Zuschauer von Bleib weg vom Fenster (6.188 Besucher) und Joanna (25.635 Besucher) ändert sicherlich nichts an der vorherrschenden Sicht auf die NS-Herrschaft in Polen ( https://lumiere.obs.coe.int/movie/40289, https://lumiere.obs.coe.int/movie/35928, 18.9.2020).

In den beiden zuvor behandelten Filmen bildet die Besatzungswirklichkeit den histo­rischen Hintergrund für die Darstellung der polnisch-jüdischen Beziehungen. Ähnlich geht Agnieszka Holland in ihrem Film In Darkness – Eine wahre Geschichte (2011) vor, um das Drama der jüdischen Bevölkerung während der NS-Besatzung in Lemberg zu zeigen. Die Problematik der deutsch-polnischen Beziehungen hat lediglich episodischen Charakter – sie beschränkt sich auf die Hinrichtung zufällig ausgewählter Lemberger Bürger als Vergeltungsmaßnahme für die Tötung eines deutschen Soldaten sowie auf das Verhältnis zwischen einem Jungen aus der Hitlerjugend und einem polnischen Mäd­chen, das seinen Partner auffordert, die beim Diebstahl erwischten Landsleute zu er­schießen. Das, was Hollands Film von den beiden anderen Produktionen unterscheidet, ist die schonungslose Darstellung des Verbrechens an den Juden – die Hinrichtungen von Frauen im Wald von Lesienice, die Auflösung des Lemberger Ghettos, die Morde im Arbeitslager Janowska. Die ethnische Vielfalt der Lemberger Bewohner und die un­terschiedlichen Besatzungserfahrungen der einzelnen Bevölkerungsgruppen tragen zum transnationalen Charakter des Filmes bei, seine Protagonisten sind nicht nur Juden aus verschiedenen Milieus, die sich, um zu überleben, in der Kanalisation verstecken, wo sie versuchen, in Gesellschaft von Ratten und Abwässern zu existieren, sondern auch Polen und Ukrainer (nicht nur bei der Handlung und der Sprache wird der nationale Rahmen verlassen, auch auf der Ebene der Produktion; der Film ist eine deutsch-polnisch-fran­zösisch-kanadische Koproduktion). Ein gemeinsames Merkmal der besprochenen Filme ist der bewusste Einsatz von Licht und Schatten. Die titelgebende Finsternis ist nicht nur ein Verweis auf die in den Lemberger Kanälen herrschende Dunkelheit, sondern auch eine Metapher für die bestialischen Zeiten. Eine der Hauptaufgaben bestand da­rin, eine „Dramaturgie der Beleuchtung“ zu schaffen, die sich dem Zuschauer mitteilt. Eine Figur, die immer von Licht begleitet wird, ist der gleichsam aus einer anderen Welt kommende polnische Kanalarbeiter Leopold Socha, der den sich versteckenden Juden hilft. Das Spiel von Licht und Schatten bringt auch eine verkehrte Werteordnung zum Ausdruck. Lichte Figuren, die gespenstergleich durch den Wald laufen, erweisen sich als nackte Frauen, die im nächsten Augenblick erschossen werden. Die Verbrechen werden am helllichten Tage begangen. Licht bedeutet Tod, wohingegen die Dunkelheit der Ka­näle Rettung bringt. Dieser axiologische Dualismus spiegelt sich in der auf zwei Ebenen stattfindenden Narration wider – in der vom Tod gezeichneten Stadt, deren Symbole das Ghetto und das Konzentrationslager sind, und in den Kanälen, die eine einigerma­ßen sichere Zuflucht bieten. Das Labyrinth der städtischen Kanalisation wird also zu einem Symbol, auch aufgrund der intertextuellen Bezüge. In Andrzej Wajdas Film Der Kanal [Kanał, 1957] ist der Kanal ein Ort der Katastrophe, eine Falle, aus der es kein Entkommen gibt. Bei Holland ist das Verlassen der Kanalisation für die Protagonisten gleichbedeutend mit der Rettung – ohne Leopold Sochas Hilfe hätten sie allerdings nicht überlebt.

Socha ist keine eindeutige Figur. Er ist kein Held, aber auch kein Schuft. Er ist Katholik, was ihn aber nicht daran hindert, seinen Lebensunterhalt als Plünderer zu bestreiten. Obwohl er selbst antisemitischen Stereotypen anhängt, entscheidet er sich, Juden zu helfen, wenngleich er dies anfänglich nicht uneigennützig tut. Seine Tat lässt ihn reifen, er übernimmt Verantwortung für das Leben derjenigen, die auf Gedeih und Verderb seiner Gnade ausgeliefert sind. Im Film gibt es keine klare Einteilung in Gute und Böse, in uns und die anderen, denn in Zeiten, in denen nur das individuelle Überleben zählt, ist das Gebot der Solidarität mit dem eigenen Volk aufgehoben. Jede Seite pflegt ihre ste­reotypen Vorstellungen über den anderen, diese werden jedoch allmählich überwunden, und es entsteht gegenseitiges Vertrauen.

Im Unterschied zu den jüdischen Protagonisten, die Holland auf differenzierte Art und Weise darstellt, ist das Bild der Deutschen im Film recht stereotyp. Die Schüsse während der Auflösung des Lemberger Ghettos werden von den Klängen des Radetzkymarsches begleitet, und das Orchester in Janowska spielt zu Ehren des Kommandanten, der zu Pferd ins Lager einreitet, einen Wiener Walzer. Die nationalsozialistischen Schikanen, denen die im Ghetto eingepferchten Juden ausgesetzt sind, werden in den Archivalien jener Zeit dokumentiert. Holland betont ausdrücklich, dass die Verbrechen das Werk des deutschen Volkes sind, das stolz auf die eigene Kultur ist; ein Volk, das die Barbarei über die Zivilisation stellte, so dass Goethes Sprache zur Sprache der Täter wurde. Beim Porträtieren der Besatzungswirklichkeit Lembergs schreckt Holland nicht davor zurück, die Komplizenschaft der Ukrainer zu zeigen, die mit den Nationalsozialisten kollabo­rieren, in der Hoffnung, ihren eigenen Staat gründen zu können, oftmals aber auch, weil man Karriere machen will oder sich finanzielle Vorteile davon verspricht. Dadurch kann der Film als Beitrag zur Diskussion um die Verstrickung anderer Völker in den Holocaust, die mit einem „Spiegel“-Artikel losgetreten wurde (Der Spiegel 2009, Nr. 21), interpretiert werden.

Ulrich Kriest kritisiert in seiner Rezension des Filmes, dass die deutschen Verbrechen nur am Rande thematisiert werden, die einzigen richtig negativen Figuren seien die uk­rainischen Milizionäre, die Jagd auf Juden machen. Der Rezensent betont, Holland tau­che zwar tief ein in die dunklen Regionen des Holocaust, will aber zugleich Hoffnung geben, die in der menschlichen Solidarität wider alle Klassengrenzen und Konfessionen gründet. „So steht ihr Film in der Tradition der Holocaust-Kolportage à la Schindlers Liste (1993) und Der Pianist (2002), die entschuldende Märchen vom Überleben des Genozids wider alle Wahrscheinlichkeit erzählen“ ( https://filmgazette.de/2017/07/10/in-darkness-eine-wahre-geschichte/, 18.9.2020). Die Kritik betrifft auch die Be­mühungen der Macher des Filmes, das Leben in der Kanalisation möglichst realistisch darzustellen, was ein weiteres Mal die Frage nach den Grenzen der filmischen Repräsen­tation des Holocaust aufwirft.

Allerdings steht Kriest mit seinem Urteil allein dar. Kein anderer deutscher oder polni­scher Journalist hat dem Film vorgeworfen, die nationalsozialistischen Verbrechen nicht in ausreichendem Maße dargestellt zu haben. Die polnischen Kritiker konzentrieren sich eher auf die polnisch-jüdischen Beziehungen und die damit verbundenen Stereoty­pe. Die deutschen Besprechungen von In Darkness – Eine wahre Geschichte beschränken sich in der überwiegenden Mehrzahl auf die historischen Ereignisse, vor deren Hinter­grund der Film spielt, auf die schauspielerische Leistung von Robert Więckiewicz und gewisse dramaturgische Unzulänglichkeiten. Die Deutsche Film- und Medienbewertung verlieh Hollands Film das Prädikat „wertvoll“, betonte dabei, dass die Darstellung des Geschehens in der Kanalisation dem Zuschauer erlaube, das entsetzliche Leid der ver­folgten Menschen zu erfahren und sich emotional zu engagieren. Die Tragik authenti­scher Ereignisse reichte jedoch nicht aus, um das deutsche Publikum für den Film zu interessieren (7.204 KinobesucherInnen), (https://lumiere.obs.coe.int/movie/40289, 18.9.2020). Die Tatsache, dass die Juden am Ende des Films ihr Versteck in der Kanalisation verlassen können, ist ein Happy End, dennoch gibt sich Holland nicht der Illusion einer positiven Entwicklung der polnisch-jüdischen Beziehungen hin: Im Abspann heißt es, dass Sochas tragischer Tod von vielen als Strafe für das Verstecken der Juden interpretiert wurde. Dies untergräbt die Selbstzufrieden­heit der Polen und zerstört die imaginäre polnisch-jüdische Gemeinschaft, die im filmi­schen Raum entsteht.

Ein Beispiel für einen deutschen Film, der von den deutschen Opfern erzählt, ist Max Fäberböcks Produktion Anonyma – Eine Frau in Berlin (2008), der erste Spielfilm, der vollständig den Vergewaltigungen deutscher Frauen durch Rotarmisten gewidmet ist. Die Abwesenheit dieses Themas im öffentlichen Raum beruhte nicht auf einem poli­tischen Tabu, sondern hatte mit der Scham und Erniedrigung der Frauen zu tun, die nicht über ihre Erlebnisse sprechen wollten. Fäberböck zeigt den Pakt des Schweigens zwischen den Frauen, die sich nicht danach erkundigen, was ihre Ehemänner an der Front erlebt haben, und den Männern, die nicht fragen, was ihren Ehefrauen im Krieg widerfahren ist. Auch in der DDR wurde dieses Thema nicht aufgegriffen, da die von den Sowjetsoldaten begangenen Vergewaltigungen nicht in das Bild von der Armee pas­sen, die das deutsche Volk von der Naziherrschaft befreit hat.

Die Erfahrungen der Protagonistin des Films sind derart tragisch, dass sie keine Form findet, sie auszudrücken. Also beschließt sie, Tagebuch zu schreiben – eine Chronik von Hunger, Angst, Vergewaltigung und Erniedrigung (Marta Hillers Erinnerungen, auf denen das Drehbuch des Films beruht, wurden 1959 unter dem Pseudonym „An­onyma“ veröffentlicht). Anonyma – Eine Frau in Berlin ist kein revanchistischer Film, der schockieren will, der das Leid der deutschen Opfer überhöht, das durch die „wilden Bestien aus dem Osten“ verursacht wurde. Das Bild von den Russen ist differenziert; die Rote Armee ist ethnisch, aber auch charakterologisch heterogen. Und obwohl der Einmarsch sowjetischer Truppen in Berlin für die deutschen Frauen vor allem mit Leid verbunden ist, kommt es am Tag der Kapitulation zu einem gemeinsamen Festmahl, Trinksprüche auf die deutsch-russische Freundschaft werden ausgebracht. Der Publi­zist Adam Krzemiński stellt fest, dass „der Regisseur des Films in den Kitsch abglei­tet, wenn er seinen Figuren während des Trinkgelages ideologische Äußerungen über die deutsch-sowjetische Freundschaft in den Mund legt, die in die DDR-Zeit oder zu Schröder’schen Putinaden passen“ (Gazeta Wyborcza vom 12.11.2008). Ein Symbol der Versöhnung ist auch die Beziehung zwischen der Anonyma und ihrem „Beschützer“ Andrej, einem sowjetischen Major. In der literarischen Vorlage ähnelt diese Beziehung einem Arrangement, aus dem beide ihren Nutzen ziehen, wohingegen bei Fäberböck ihre Trennung einer unerfüllten Lie­besgeschichte gleichkommt. Die melodramatische Form trägt dazu bei, die Radikalität des Buches abzuschwächen und führt im Ergebnis zu einem Kompromiss bei der Dar­stellung des Leids der deutschen Frauen. Thematisiert werden nämlich auch die Verbre­chen der deutschen Soldaten – denn dem Regisseur lag vermutlich nichts ferner, als die kollektive Erinnerung der Deutschen von der Schuld des Zweiten Weltkrieges entlasten zu wollen. Der Journalist Andrian Kreye fasst dies wie folgt zusammen: „Die russischen Soldaten rächen nur, was die Deutschen ihren eigenen Familien angetan haben, die deutschen Heimkehrer zerbrechen doch nur an der Quittung für die Grausamkeiten ihrer Kameraden, und den Frauen bleibt letztlich kein Ausweg“ (Süddeutsche Zeitung vom 22.10.2008).

Die Thematisierung des Leids der deutschen Frauen löste auch in Polen eine Diskussion aus, weil man sich fragte, ob diese Ereignisse in einem angemessenen historischen Kon­text gezeigt werden. Die Kritiker sind geteilter Meinung. Adam Krzemiński versichert, dass „der Film, entgegen den Befürchtungen, nicht ein weiteres Beispiel für ,Geschichts­klitterung‘ seitens der Deutschen oder ,Selbstbemitleidung‘ ist. Vielmehr setzt er dem Überlebenswillen, der Anpassungsfähigkeit und dem instinktiven Opportunismus der Frauen ein Denkmal“ (Gazeta Wyborcza vom 12.11.2008). Anderer Meinung ist Konrad Zarębski, der den Machern des Filmes vorwarf, sich, durch die Darstellung vergewaltigter Frauen als Kriegsopfer und Vergewaltigungen als Kriegsverbrechen, ganz bewusst aus der Verantwortung stehlen zu wollen, die wegen der Schuld am Zweiten Weltkrieg auf den Deutschen lastet (Kino 2009, Nr. 5.). Beim polnischen Publikum stieß der Film nur auf geringes Interesse; er hatte lediglich 14.456 Kinobesucher (https://lumiere.obs.coe.int/movie/30515, 18.9.2020). Zum Vergleich, in Deutschland sahen 166.603 Kinobesucher den Film (https://lumiere.obs.coe.int/movie/30515, 18.9.2020), während die Erstausstrahlung im ZDF etwa 3,22 Millionen Zuschauer vor die Fernseher lockte (https://www.tittelbach.tv/programm/mehrteiler/artikel-714.html, 18.9.2020).

Im deutschen Kino ist das Bemühen um eine ausgewogene Darstellung der Ereignisse des Zweiten Weltkrieges erkennbar. Die FilmemacherInnen versuchen, die Sichtweisen verschiedener Konfliktparteien zu präsentieren und die nationale Perspektive der Ge­schichtsschreibung zu überwinden. Zu diesem Zweck werden ausländische Partner in die Produktion mit einbezogen und Themen aufgegriffen, die für andere Länder wich­tige Erfahrungen berühren. Ein hervorragendes Beispiel dafür ist der deutsch-britische Fernseh-Zweiteiler Laconia (2011) über die Versenkung des gleichnamigen britischen Dampfers durch das U-Boot U-156 unter dem Kommando von Werner Hartenstein am 12. September 1942. Uwe Jansons Film könnte man als Reaktivierung des Mythos der „sauberen Wehrmacht“ (in diesem Fall der „sauberen Kriegsmarine“) interpretie­ren, denn er ist eine Erzählung vom Heldentum und der Ehre der deutschen Soldaten. Sie kämpfen für ihr Vaterland und torpedieren Schiffe des Feindes; zugleich handeln sie aber nach ihrem Gewissen und dem ungeschriebenen Gesetz der Seefahrt, wonach die Rettung von Menschenleben stets oberste Priorität genießt, selbst in Kriegszeiten.

Hartenstein befiehlt, den Schiffbrüchigen des von ihm versenken Dampfers Hilfe zu leisten, wodurch er gleichsam zu ihrem Retter wird. Dieser in nationalsozialistischen Diensten stehende Kapitän rettet menschliches Leben, nicht die Alliierten: Das engli­sche Oberkommando interessiert sich nicht für seine Bürger, während ein amerikani­scher Bomber das U-Boot, trotz einer an Deck ausgelegten Rot-Kreuz-Flagge, angreift. Auf besondere Weise werden in diesem Film die polnischen Soldaten charakterisiert, die die Aufgabe haben, die mehr als 1.800 italienischen Kriegsgefangenen auf der „Laconia“ zu bewachen. Im Film sind es brutale Schlägertypen, die die Gefangenen schikanieren. Nach Ansicht des Publizisten Wojciech Pięciak werden sie dargestellt, wie es früher üblich war, KZ-Aufseher zu porträtieren (Tygodnik Powszechny 2011, Nr. 46). Während des Sinkens des Schiffes hindern sie die Italiener daran, den Frachtraum zu verlassen, und tragen so zu ihrem Tod bei. Das „polnische Motiv“ hat episodischen Charakter und dient dazu, die Selbstlosigkeit und Tapferkeit der Deutschen hervorzuheben. Es kommt zu einem Rollentausch, nicht die polnischen Soldaten, die an der Seite der Engländer gegen den Nationalsozialismus kämpfen, sind hier die Helden, sondern die deutschen Soldaten, die ihre Feinde ehren­haft behandeln, was deutlich wird in der Stilisierung Hartensteins zum „Ritter ohne Fehl und Tadel“. Pięciak betrachtet den Film Laconia als ein Beispiel für historischen Revisionismus. Allerdings löste der Film in Polen keine Debatte aus, was angesichts der Kontroversen rund um die ZDF-Produktion Unsere Mütter, unsere Väter (2013), unter der Regie von Philipp Kadelbach, die vor allem dafür kritisiert wurde, dass sie die Sol­daten der Heimatarmee als Antisemiten zeigte, verwundern mag.

Die deutschen FilmemacherInnen können die großen Siege der deutschen Armee nicht verfilmen, wollen sie sich nicht dem Vorwurf aussetzen, den Angriffskrieg zu verherrli­chen, trotzdem versuchen sie, Tapferkeit, Ehre und Heroismus darzustellen – nachah­menswerte Haltungen, die dem Zuschauer die Identifikation erleichtern. Nicht zufällig fällt in dem Film gleich mehrfach der Satz: „Vergiss nicht, dass du ein Deutscher bist“, Ausdruck des Stolzes, dem deutschen Volk anzugehören. Das außerordentlich positive Bild der Deutschen wird durch die Protagonistin Hildegard noch verstärkt. Ihre nächs­ten Angehörigen, die im Widerstand aktiv waren, fielen dem Naziterror zum Opfer, während sie aus Furcht vor Repressalien aus Deutschland floh. Ihre Liebe zu einem englischen Offizier der „Laconia“, der bei einem deutschen Luftangriff seine Familie verlor, ebnet den Weg zur deutsch-englischen Aussöhnung und ist zugleich eine Art ausgleichende Gerechtigkeit für das erlittene Leid auf beiden Seiten.

Ein deutscher Regisseur und ein britischer Drehbuchautor (Alan Bleasdale) sollten für einen ausgewogenen Blick auf die Geschichte sorgen; beide Seiten wollten jedoch un­terschiedliche Akzente setzen, was dazu führte, dass auf BBC und ARD verschiedene Schnittfassungen des Films zu sehen waren. Nichtsdestotrotz findet die deutsch-engli­sche Versöhnung auf Kosten der Polen statt, die in einem ausgesprochen negativen Licht erscheinen.

Was für eine Herausforderung es ist, transnationale Geschichte zu schreiben, zeigt Robert Thalheim in seinem Film Am Ende kommen Touristen (2007). Die Geschichte von Sven, den es als Zivi nach Oświęcim (Auschwitz) verschlägt, wo er sich um einen ehemaligen KZ-Häftling kümmern soll, dient dem Regisseur als Vorwand, um über die Bedeutung der nationalsozialistischen Vergangenheit für die deutsche Identität und über die Symbolik von Auschwitz als einem Erinnerungsort für Deutsche und Polen nachzudenken. Das Motiv der Begegnung zwischen einem Nachfahren der Täter und einem Opfer kommt im deutschen Kino recht selten vor, schon deshalb ist dies ein außerge­wöhnlicher Film. Thalheim wollte keine historischen Ereignisse rekonstruieren, es ging ihm vielmehr darum, den Alltag im heutigen Oświęcim zu zeigen, einem Ort, der von der leidvollen Geschichte gezeichnet ist. Auschwitz ist das Symbol für die planmäßige und industrielle Vernichtung von Menschen. Die südpolnische Kleinstadt Oświęcim wurde zu einer Ikone des Holocaust, zum größten Friedhof der Welt, aber auch zu einer Touristenattraktion. Die Begegnung zwischen Sven, einem Vertreter der jungen Gene­ration Deutscher, und Krzemiński, einem ehemaligen KZ-Häftling, symbolisiert das Aufeinandertreffen zweier Welten: auf der einen Seite die schmerzhaften Erfahrungen der Vergangenheit, die nicht vergessen werden dürfen, auf der anderen Seite das in die Zukunft gerichtete Handeln, für das vor allem das „Hier und Jetzt“ zählt. Thalheim fragt: Ist eine gemeinsame Erinnerung möglich? Für die Deutschen ist Auschwitz ein Symbol der kollektiven Scham und Schande; die deutschen Touristen, die das Muse­um Auschwitz besuchen, wecken bei den Bewohnern der Stadt möglicherweise negative Assoziationen und tragen dazu bei, historische Stereotype lebendig zu halten, was auf den illusionären Charakter der deutsch-polnischen Versöhnung hinweist. Der Regisseur versucht, eine Antwort zu finden auf die Frage nach der richtigen Form der Erinnerung und verzichtet zu diesem Zweck auf die konventionellen Mittel, die für gewöhnlich in Holocaustfilmen benutzt werden. Er bedient sich nicht des Pathos und benutzt auch keine Schwarz-Weiß-Bilder aus dem Fundus der klassischen Auschwitz-Fotografien. Thalheim zeigt, dass die Erinnerung an die Verbrechen auf einige wenige Gesten und Formeln reduziert wurde. Kann eine solche Form des Erinnerns die Wunden der Ver­gangenheit heilen?

Die Rezensentin Agnieszka Jakimiak gibt zu bedenken, dass ein deutscher Regisseur allein schon durch eine solche Themenwahl sich auf dünnem Eis bewegt (Kino 2008, Nr. 6). Doch dank Thalheims persönlicher Erfahrung – er war selbst anderthalb Jahre Zivildienstleistender in Auschwitz – ist seine filmische Reflexion über das Aufeinanderprallen der polnischen und der deutschen Erinnerung frei von ideologischem Ballast, der oft die politischen Auseinandersetzungen über die Bedeutung der Vergangenheit für die Gesellschaften heute begleitet. Am Ende kommen Touristen ist ein untypischer Film über Auschwitz. Das heutige Oświęcim wird zu einem konkreten Ort, der durch die dort lebenden Men­schen gezeigt wird, wohingegen die Stätte des Leidens und der Verbrechen auf eine abstrakte Idee reduziert wird, auf die Metapher des Holocaust. Die Filme Anonyma – Eine Frau in Berlin und Laconia präsentieren eine optimistische Vision der Vergangenheit, in der Versöhnung möglich ist. Im Gegensatz dazu ist die Vergangenheit bei Thalheim kein abgeschlossenes Kapitel, sondern eine noch immer nicht verheilte Wunde in den deutsch-polnischen Beziehungen. Was kein Hindernis für gegenseitige Kommunikation sein sollte, denn trotz der historischen Hypothek ist – wie Thalheim zeigt – ein Dialog möglich. Am Ende kommen Touristen ist auch deshalb ein besonderer Film, weil er nicht das Leid der Juden darstellt, sondern sich auf die Erfahrungen eines polnischen Auschwitz-Häftlings konzentriert. Eine Reverenz vor jenen Opfern der NS-Diktatur, die im Schatten der Erinnerung an den Holocaust allzu oft in Vergessenheit geraten Opfer der Aktion T4, Homosexuelle, Sinti und Roma, politisch und religiös Verfolgte sowie Opfer der nationalsozialistischen Besatzungspolitik. Der außergewöhnliche Charakter des Films wurde vom polnischen Publikum jedoch nicht honoriert 1.149 Kinobesucher in Polen, 75.882 in Deutschland (https://lumiere.obs.coe.int/movie/28366, 18.9.2020). Dies hängt womöglich auch damit zusammen, dass Thalheim das geltende Narrativ über die nationalsozialistische Herrschaft ignoriert, sowie mit der fehlenden Bereitschaft der polnischen Gesellschaft, mit den Deutschen in einen Dialog zu treten über eine mögliche gemeinsame Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg.

Ein hervorragendes Beispiel für einen Film, der die Kluft zwischen den beiden Völkern, was die Wahrnehmung des Zweiten Weltkrieges betrifft, überbrücken sollte, ist die 2020 entstandene deutsch-polnische Koproduktion Der Überläufer, die Verfilmung des Bu­ches von Siegfried Lenz. Der Hamburger Verlag Hoffmann und Campe lehnte den 1951 geschriebenen Roman über einen Wehrmachtssoldaten, der zur Roten Armee überläuft, aus politischen Gründen ab – die ersten Jahre der Bonner Republik waren gekennzeich­net vom Schweigen über die Zeit des Nationalsozialismus und von der gesellschaftlichen Integration der ehemaligen Nazis. Das gesellschaftliche Klima war für Überlegungen zum Thema „Schuld“, wie sie der Held des Romans anstellt, eher hinderlich. Zudem war ein Deserteur, der als Verräter galt, keine Figur, mit der man sich damals identifizieren konnte. Als man 2016, zwei Jahre nach Lenz’ Tod, das Manuskript wiederentdeckte und veröffentlichte, wurde der Roman zu einem Bestseller – ein prägnantes Beispiel für den Wandel der deutschen Erinnerung. Die pazifistische Grundaussage des Buches sowie die politische und juristische Rehabilitierung der Deserteure (ein entsprechendes Gesetz trat 2002 in Kraft) entschieden mehr als sechzig Jahre nach der Entstehung des Romans über seinen Erfolg.

Auf positive Resonanz stieß auch der zweiteilige Fernsehfilm unter der Regie von Florian Gallenberger. Der im April 2020 in der ARD ausgestrahlte Film lockte über vier Milli­onen Zuschauer vor die Bildschirme den ersten Teil sahen 4,68 Millionen Zuschauer, den zweiten 4,22 Millionen ( https://www.tittelbach.tv/programm/mehrteiler/artikel-5528.html, 18.9.2020). In Polen wurde er einem breiteren Publikum bisher noch nicht gezeigt; am 12. September 2020 feierte er im Fernsehsender Epic Drama Premiere. Der Film gibt recht getreu die Botschaft des Romans wieder und zeigt den Zwiespalt des Soldaten Walter Proska, der sich im Sommer 1944 entschließt, von seinem Heimaturlaub auf dem Hof seiner Schwester in Pommern an die Front zurückzukehren. Der Ausgang des Krieges steht bereits fest, es sind die letzten Monate des Kampfes, und Walters Familie drängt ihn, zu Hause zu bleiben. Dieser macht sich jedoch, aus Pflicht­gefühl seinen Waffenkameraden gegenüber, auf den Weg zu seiner Einheit. Unterwegs begegnet er der Polin Wanda, in die er sich verliebt. Was er nicht weiß: Das Mädchen gehört der Partisanengruppe an, die den Zug sprengt, mit dem er reist. Er überlebt den Anschlag und schlägt sich zu einer kleinen deutschen Einheit durch, die in der Nähe von Grajewo stationiert ist.

Der Film beginnt mit Siegfried Lenz’ Sentenz „Krieg: das ist das grausam-lächerliche Abenteuer, in das sich Männer einlassen, wenn sie der Hafer des Wahnsinns sticht“, die den Alltag der Soldaten unter dem Kommando des sadistischen Willi Stehauf, die einen von Sümpfen umgebenen Bunker im Wald bewohnen, hervorragend beschreibt. Die Bilder der Landschaft, des Moors und der umgestürzten Bäume, spiegeln die psychische Verfassung der Protagonisten wider, die sich am Rande des Wahnsinns befinden – sie sind auf sich allein gestellt und müssen in jedem Augenblick damit rechnen, von den polnischen Partisanen angegriffen zu werden. Ihre Isolation lässt an der Sinnhaftigkeit des Krieges zweifeln, was am Beispiel von Wolfgang Kürschner, einem Mitglied der Ein­heit, der zur Roten Armee überläuft, gezeigt wird. Walter tut es ihm nach. Er gelangt in sowjetische Gefangenschaft, die er dank der Hilfe seines alten Freundes übersteht. Um zu überleben, ist er gezwungen, in den Dienst der Roten Armee einzutreten: Er erhält die Aufgabe, kämpfende Wehrmachtssoldaten über Lautsprecher dazu zu bewegen, ihre Waffen niederzulegen und sich dem Feind anzuschließen.

Walters Entscheidung, die Seiten zu wechseln, ist nicht wie bei Wolfgang Ergebnis in­tellektueller Überlegungen, sondern Ausdruck seines Lebenswillens und der Liebe zu Wanda, die sagt: „Es gibt keine richtige Seite, es gibt nur überleben oder nicht überle­ben“. Ihre Wege kreuzen sich mehrmals während des Krieges; die Begegnungen lassen beide für kurze Zeit die Wirklichkeit um sie herum vergessen. Die Liebesszene im Ge­treidefeld, die eine Bildsequenz von Walters nacktem Kameraden begleitet, der im Fluss beim Baden getötet wurde, hat utopischen Charakter, ähnlich wie das Pläneschmieden der Liebenden für die Zeit nach dem Krieg und deren Sehnsucht nach Normalität, die in dem Lied Irgendwo auf der Welt zum Ausdruck kommt, das Wanda singt.

Walter und Wanda begehren sich, doch auch zwischen ihnen ist die Spannung zu spü­ren, denn sie sind sich bewusst, dass dies eine unmögliche Liebe ist. Beide sind hin- und hergerissen zwischen dem Pflichtgefühl gegenüber „ihren Leuten“ und der aufkeimen­den Leidenschaft. Die Wahl für die Liebe, und damit für den Feind Partei ergreifen, hieße, den während des Krieges geleisteten Eid zu brechen, Verrat. Der innere Konflikt der Helden dient dazu, Fragen zu stellen nach der Identität, der Rolle des Individuums in Kriegszeiten und der Möglichkeit, anständig zu bleiben.

Walter betrachtet den Krieg nicht aus der Perspektive der NS-Ideologie. Er kämpft nicht für den Führer und ist auch kein Held. Er wird vielmehr von den Ereignissen getragen, an denen er beteiligt ist. Auf diese Weise räumen die Macher des Filmes mit dem My­thos auf, dem Vaterland dienen zu müssen, selbst wenn es eine verbrecherische Diktatur ist, und ermöglichen dem Betrachter, sich mit dem Protagonisten zu identifizieren. Sie stellen seine Reifewerdung dar, den Wandel vom Mitläufer zum Überläufer, der nach dem Krieg, als er am Aufbau des neuen Deutschland in der sowjetischen Besatzungs­zone teilnimmt, erkennt, dass der neue Staat keineswegs auf Gerechtigkeit und Freiheit gründet, sondern sich in fast nichts vom vorherigen Totalitarismus unterscheidet. Also beschließt er, in den Westen zu fliehen.

Voraussetzung für eine Annäherung zwischen den Völkern ist ein partnerschaftlicher Dialog, was die Autoren des Projekts dadurch zu erreichen versuchten, dass sie Filmschaffende aus beiden Ländern involvierten. „Wir wollen weder die deutsche noch die polnische Perspektive darstellen. Wir machen das, was wir für richtig halten. Wir be­mühen uns, eine bestimmte Situation von innen zu zeigen – dadurch vermeidet man Klischees und Stereotype, und es besteht die Chance, eine Debatte anzustoßen“ (https://kultura.onet.pl/film/wiadomosci/dezerter/.., 18.9.2020), sagte der Produzent Jan Mojto. Ähnlich äußerte sich der zweite Produzent des Filmes Stefan Raiser, für den die Verfilmung des Stoffs ungeheuer wichtig war, gerade wegen der po­pulistischen Tendenzen, Rechts- und Linksradikalismus und der Feindschaft gegenüber der Europäischen Union. Der Film sollte daran erinnern, dass uns Frieden, Freiheit und Prosperität nicht für immer geschenkt wurden, und es wichtig ist, um diese Errungenschaften zu kämpfen ( https://www.daserste.de/unterhaltung/film/der-ueberlaeufer/interviews-statements/interview-stefan-raiser-produzent100.html, 18.9.2020). Dies zeigt, dass die Macher des Filmes bemüht waren, der Geschichte eine europäische oder gar universelle Note zu geben, den Rahmen der nati­onalen Erzählung über den Zweiten Weltkrieg zu verlassen.

Diese Perspektive fand jedoch, wie sich herausstellte, nicht die Zustimmung der polni­schen Seite; die Liebesgeschichte zwischen Walter und Wanda, wie auch die Darstellung der Partisanen wurde kritisch bewertet. Wie man sieht, garantiert die Zusammenarbeit polnischer und deutscher FilmemacherInnen sowie die Konsultation von HistorikerIn­nen aus beiden Ländern keineswegs, dass die Vergangenheit so dargestellt wird, dass sie von beiden Seiten akzeptiert wird. Zumal Liebesbeziehungen zwischen Polen und Deut­schen während des Krieges ein stark emotionalisiertes Thema sind – freiwillige Kontakte mit dem Besatzer verletzten damals geltende Verhaltensnormen – und ihnen bis heute das Stigma des nationalen Verrats anhaftet.

Auf ähnliche Weise erzählt Michał Rogalskis Film Unser letzter Sommer [Letnie Przesilenie, 2015] vom Krieg – nicht durch die historisch getreue Rekonstruktion der Er­eignisse, sondern durch die Emotionen der Protagonisten, die auf gegenüberliegenden Seiten der Barrikaden stehen. Die Handlung des Films spielt im Sommer 1943 in einer Kleinstadt im Südosten Polens. Die deutsche Besatzung wird aus der Perspektive zweier Jungen gezeigt – Guido, Angehöriger der Sicherheitspolizei, die für die Absicherung einer Bahnstrecke zuständig ist, auf der Juden ins Konzentrationslager transportiert werden, und Romek, Gehilfe des Lokführers, der diese Strecke befährt. Obwohl die pol­nischen Bewohner des Städtchens und die deutschen Besatzer in zwei getrennten Welten leben, sind gegenseitige Begegnungen unvermeidlich – im Falle der beiden Hauptfigu­ren werden dabei ihre Ähnlichkeiten sichtbar. Guido ist Swing-Liebhaber, der für das Hören von entarteter Musik zwangseingezogen wurde. Er ist der sensible Typ, wovon die Beziehung zu seinem Hund zeugt, den er liebevoll behandelt, anstatt ihn darauf abzurichten, Feinde aufzuspüren. In seinem militärischen Alltagstrott sucht er nach ein bisschen Normalität; er hört heimlich verbotene Musik und beginnt eine Liebesbezie­hung zu Franka, der Tochter eines örtlichen Bauern. In das Mädchen hat sich auch Romek verguckt, der versucht, sich ihr zu nähern. Die Kriegswirklichkeit sorgt dafür, dass beide Jungen vorzeitig erwachsen werden, ihre erste Liebe und den Verlust eines geliebten Menschen erfahren, schwierige Entscheidungen treffen und Verantwortung für ihre eigenen Taten übernehmen müssen. Die Ähnlichkeit ihrer Erlebnisse scheint zu suggerieren, dass sie unter normalen Umständen hätten Freunde werden können, doch die zerstörerische Kraft des Krieges macht dies unmöglich.

Eine solche Wahrnehmung der Besatzungswirklichkeit, in der Brutalität und Gewalt nur den Hintergrund abgeben, erklärt Rogalski wie folgt: „Bei der Durchsicht alter Familienfotos stieß ich auf Bilder, die meine Großeltern, meinen Vater und Freunde zeigen, die sich unbeschwert im flachen Wasser eines Flusses vergnügen. Die Fotografien stammten aus dem Jahr 1943. Die Bilder machten mir bewusst, wie oberflächlich und stereotyp wir die Zeit des Zweiten Weltkrieges betrachten. Die Erinnerungen an die Gräuel verdecken oft die Tatsache, dass die Menschen auch damals versuchten, normal zu leben. Und normal zu leben, bedeutet, zu lieben, sich zu vergnügen und sich an der Jugend zu erfreuen“ ( https://kultura.onet.pl/film/wiadomosci/letnie-przesilenie-w-kinach-od-22-kwietnia/yhs2t9s, 18.9.2020). Der deutsche Titel des Filmes deutet darauf hin, dass es der letzte sorglose Sommer der Protagonisten ist. Beide verlieren ihre Unschuld und treffen Entscheidungen, die ihr Leben verändern werden. Ein Initiationserlebnis für Romek ist die erste Fahrt in die Nähe der Rampe, wo Koffer und Kleidungsstücke, die den Juden gehörten, verstreut herumliegen, und anschließend die Begegnung mit dem jüdischen Mädchen Bunia, das aus dem Transport geflohen ist. Obwohl es anfangs so aussieht, als wäre das Schicksal der Juden ihm gleichgültig, denn die Aneignung der zurückgelasse­nen Gegenstände löst bei ihm keinerlei Reflexion aus, riskiert er für Bunia sein Leben und bemüht sich, sie zu retten. Überdies denunziert er den Lebensgefährten seiner Mut­ter, den Lokführer Leon, jüdisches Eigentum gestohlen zu haben, und erhält auf diese Weise dessen Stelle. Auch Guido wurde befördert, wenngleich er einen hohen Preis da­für zahlt – als sein Truppführer ihn beim Sex mit Franka erwischt, erhält er den Befehl, sie zu erschießen. Diese Erlebnisse bewirken, dass die Jungen aus ihrer Routine gerissen werden und begreifen, was Krieg bedeutet. Aufgrund der Erzählweise lässt sich der Film dem Genre des Coming-of-Age-Films zuordnen, was auch für Wolfgang Panzers Remake (2008), von Bernhard Wickis Die Brücke aus dem Jahr 1959 und den Film Napola – Eli­te für den Führer von Dennis Gansel gilt.

Guido, der Romek beim Diebstahl erwischt und ihn laufen lässt, repräsentiert das Ste­reotyp des „guten Deutschen“ (→ Stereotype). Auch identifiziert er Romek nicht als den­jenigen, der seine Waffe gestohlen hat, da er sich der möglichen Folgen für den Polen bewusst ist. Er unterscheidet sich darin von den anderen deutschen Soldaten, vor allem von dem Befehlshaber der Einheit, einem sadistischen, gefühlskalten Überzeugungs­täter. Sowohl die Darstellung Guidos – der nicht wegen seines ideologischen Eifers, sondern wegen seiner „Charakterschwäche“ im Militär gelandet ist, der nicht töten, sondern normal leben will – als auch seines Vorgesetzten erinnert an die Figuren in Der Überläufer. Sie lassen sich in einer Erzähltradition verorten, die typisch ist für den westdeutschen Kriegsfilm der 1950er Jahre, aber auch in Joseph Vilsmaiers Stalingrad (1993) anzutreffen ist: Nicht die einfachen Wehrmachtssoldaten sind für die Verbrechen verantwortlich, sondern die befehlshabenden Offiziere. In neueren Filmen sind die Haltungen nuancierter, und die jungen Soldaten übernehmen – zumindest auf der emotio­nalen Ebene – Verantwortung für ihr Handeln.

In Rogalskis Film spielt die Natur, ähnlich wie bei Gallenberger, eine wichtige Rolle. Herrliches sonniges Wetter spiegelt die Unbeschwertheit der Protagonisten und deren Streben nach Normalität wider. Diese Darstellungsweise folgt dem Konzept, Grausam­keiten nicht explizit zu zeigen – sie werden lediglich angedeutet (Bunia, die in einer Scheune von einem sowjetischen Partisanen vergewaltigt wird; Frankas Erschießung). Gleiches gilt für den Holocaust. Das Dasein der Juden wird auf die Gegenstände redu­ziert, die sie zurückgelassen haben, doch auch diese materiellen Beweise ihrer Existenz werden vernichtet – die Familienfotos verbrannt, die Sachen finden neue Besitzer. Der Film thematisiert auch das Verhältnis der Polen zum Holocaust, das unterschiedliche Formen annimmt. Romek und der Lebensgefährte seiner Mutter sammeln die entlang der Bahngleise verstreuten Gegenstände der ins Lager transportierten Juden ein. Sie stehen ihrem tragischen Schicksal gleichgültig gegenüber. Einer der Eisenbahner zeigt sich sogar dankbar, dass Hitler Polen von den Juden befreit, während sich ein Bauer entschließt, Bunia zu verstecken.

Obwohl Rogalskis Film eine deutsch-polnische Koproduktion ist, und man meinen sollte, dass die doppelte Perspektive auf den Krieg den Bedürfnissen beider Seiten ge­recht wird, stieß die universalisierende Erzählung nur auf geringes Zuschauerinteresse – lediglich 21.980 KinobesucherInnen sahen den Film (in Polen 14.059, in Deutschland 7.921 ( https://lumiere.obs.coe.int/movie/64862, 18.9.2020). Das Fehlen makelloser polnischer Helden und die geglättete filmische Erzäh­lung, indem die Brutalität seitens der deutschen Soldaten nicht exponiert wird, wurde als politische Korrektheit interpretiert. Łukasz Adamski, Publizist des Portals wPolityce.pl, polemisiert, dass „der mit deutschem und polnischem Geld finanzierte Ökumenismus sich gleich einem Tsunami aus dem Bildschirm ergießt. Alles ist berechnend, brav und auf den Geschmack des in einer Diktatur der Toleranz aufgewachsenen ,europäischen Zuschauers‘ zugeschnitten“ ( https://wpolityce.pl/kultura/291287-letnie/.., 18.9.2020). Diese Interpretation zeigt, wie tief das Bedürfnis nach ei­ner nationalisierten Erinnerung verwurzelt ist. Jede Abweichung vom üblichen Schema wird als ein Infragestellen der nationalen Interpretation der Vergangenheit betrachtet.

Charakteristisch für die polnische und deutsche Filmproduktion, die sich nach 1989 mit dem Thema der NS-Herrschaft beschäftigt, ist das Abrücken von den gängigen Schemata bei der Darstellung der Kriegswirklichkeit sowie der Verzicht auf eine vorherrschende Erzählung. Dies kann als Zeichen der Demokratisierung der Erinnerung inter­pretiert werden. Beiderseits der Oder spielt die Erfahrung des Holocaust in Filmen eine wichtige Rolle, obgleich diese Problematik in polnischen und deutschen Produktionen vollkommen unterschiedlich verhandelt wird. In den polnischen Filmen wird mit der Vergangenheit abgerechnet, es werden unterschiedliche Haltungen der Polen gegenüber ihren jüdischen Mitbürgern gezeigt – auch wenn die besprochenen Filme diesbezüglich ein gewisser Konservatismus kennzeichnet. Sie untergraben nicht die bestehende Ord­nung. Obwohl sie auch niederträchtiges Verhalten der Polen zeigen, konzentrieren sie sich auf positive Helden, Menschen, die Juden retten. Die Schmalzowniks, die Juden er­pressten und an die Deutschen auslieferten, und die Verstrickung der besetzten Länder in die nationalsozialistische Maschinerie des Holocaust sind für HistorikerInnen weder neue noch unbekannte Themen, dennoch lösen sie Kontroversen aus, aufgrund der un­bequemen Wahrheiten. Anna Wolff-Powęska, eine ausgewiesene Expertin auf dem Ge­biet der deutsch-polnischen Beziehungen, schreibt: „Je weiter der Zweite Weltkrieg zu­rückliegt, desto mehr wird über das eigene Leid geschrieben, desto unwilliger akzeptiert man Schuld und Scham“ (Wolff-Powęska 2018, S. 144). Der polnische Staat war 1939 das erste Ziel der nationalso­zialistischen Aggression, was die Polen dazu prädestiniert, die Rolle des Opfers zu über­nehmen. Doch das, was von der polnischen Erinnerung verdrängt und ausgeklammert wird, findet nach und nach seine filmische Repräsentation. Bestes Beispiel dafür sind die Filme aus den letzten Jahren, die sich mit der polnisch-jüdischen Thematik befassen: Nachlese [Pokłosie, 2012] von Władysław Pasikowski, Das Geheimnis [Sekret, 2012] von Przemysław Wojcieszek, Der Gerechte [Sprawiedliwy, 2016] von Michał Szczerbic und der 2014 mit einem Oscar ausgezeichnete Film Ida (2013) von Paweł Pawlikowski. Die Bildung einer nationalen Identität besteht nicht nur darin, die Errungenschaften zu zeigen, auf die man stolz sein kann, sondern auch in der Pflicht, Verantwortung zu über­nehmen für die Schandtaten, die wir begangen haben. In Polen ist eine solche Haltung immer noch wenig populär, während in Deutschland nach Jahren des Bekennens der eigenen Schuld das Leid in die deutsche Erinnerungskultur eingebunden wird, was die Grundlage für den Aufbau einer neuen Identität ist.

Der Holocaust ist für die Deutschen der Kern ihrer negativen Identität, auch wenn im deutschen Film Bilder vom organisierten Völkermord fehlen. Die Juden werden ver­folgt, Schikanen ausgesetzt, zur Flucht getrieben, zu einer Existenz im Verborgenen, zu einem Leben in ständiger Angst gezwungen. Selbst der Transport ins Vernichtungslager wird in allen Einzelheiten geschildert (Der letzte Zug, 2006, Regie: Joseph Vilsmaier und Dana Vávrová), die Öfen in den Krematorien sind auf der Leinwand jedoch nicht zu sehen (eine Ausnahme ist hier der B-Movie-Regisseur Uwe Boll mit seinem Film Auschwitz, 2011). Die Verbrechen kommen in der visuellen Sphäre nicht vor, während das Leid der jüdischen Bevölkerung eher den Hintergrund für melodramatische Ge­schichten bildet. Beim deutschen Film lässt sich allerdings von einem Perspektivwechsel sprechen; man nimmt mehr und mehr Abstand davon, die Deutschen als Täter darzu­stellen und wendet sich den eigenen Opfern zu. Dies ist jedoch kein neues Thema, es war vielmehr typisch für die westdeutsche Filmproduktion der 1950er Jahre. Das Leid der einfachen Deutschen zu zeigen und sie als verführte Opfer Hitlers darzustellen, diente dazu, die Gesellschaft vom Odium der Schuld zu befreien und den Architekten des Dritten Reichs die gesamte Verantwortung für die Verbrechen aufzubürden. Dies war das Fundament für den Bau eines neuen demokratischen Staates. Nach dem Un­tergang der DDR befand sich Deutschland erneut an einem Neuanfang. Die Wende 1989/1990 war mit der Notwendigkeit verbunden, West- und Ostdeutschland zusam­menzubringen, und dies erforderte positive Vorbilder, die einem ein Gefühl des Stolzes vermitteln. Die eigenen Opfer und positiven Verhaltensmuster in extremen Situationen in die Erinnerungskultur aufzunehmen, erleichtert die Identifikation mit dem eigenen Volk. Sich nur auf eine negative Erinnerung zu beziehen, auf die Erinnerung an die Verbrechen, ist unmöglich, denn dies würde, worauf der Politikwissenschaftler und His­toriker Arnulf Baring hinweist, kein Volk auf Dauer überleben. Für die Deutschen ist die Zeit der Buße bereits vorbei, die unmittelbaren Täter weilen nicht mehr unter uns, und die Nachkriegsgeneration trägt keine Schuld, sondern die Last der Verantwortung für die Vergangenheit. Diese besondere Verantwortung bedeutet jedoch nicht, dass die Vergangenheit ständig der Bezugspunkt für die aktuelle Politik sein muss. Symbolischer Ausdruck, mit diesem Kapitel der nationalen Geschichte abschließen, Harmonie zwi­schen den Deutschen und seinen ehemaligen Feinden herzustellen zu wollen, sind die besprochenen Filme. Sie haben alle einen transnationalen Charakter, denn sie sind inter­nationale Koproduktionen und bemühen sich, die Erfahrung des Nationalsozialismus nicht nur aus der deutschen Perspektive, sondern auch aus russischer (Anonyma – Eine Frau in Berlin), polnischer (Am Ende kommen Touristen, Der Überläufer, Unser letzter Sommer) und britischer Sicht (Laconia) zu zeigen. Verlässt man den Rahmen der natio­nalen Erfahrung, so besteht die Chance, eine gemeinsame Erinnerung aufzubauen, eine Erinnerung, die die ehemaligen Feinde vereint und Verständigung ermöglicht, was sich in der Liebe zwischen VertreterInnen der entzweiten Völker symbolisch widerspiegelt. In Anbetracht der kritischen Bewertungen der Filme sowie des geringen Zuschauerinte­resses an dem für die andere Seite wichtigen Thema muss festgestellt werden, dass dieses Ziel jedoch verfehlt wurde.

Für die Polen ist die Vergangenheit immer noch eine Aufgabe, mit der sich auch kom­mende Generationen auseinandersetzen müssen. Veranschaulicht wird dies treffend durch die offenen Enden der besprochenen polnischen Filme sowie die jüngsten Produktionen, die die komplexen polnisch-jüdischen Beziehungen thematisieren, Ausdruck des Bestrebens, verdrängte Erinnerungen und Tatsachen ins Bewusstsein zu bringen. Nichtsdestotrotz kann die Tendenz, deutsches Leid während des Zweiten Weltkrieges zu zeigen – in Deutschland ist dies angesichts des Normalisierungsprozesses der deut­schen Politik ein verständlicher Vorgang –, vom polnischen Betrachter als Zeichen eines historischen Revisionismus interpretiert werden, als ein Versuch, die Geschichte neu zu schreiben, was sich negativ auf die deutsch-polnischen Beziehungen auswirkt. Dies ver­anschaulicht die polnische Rezeption der deutschen Filme, die den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg thematisieren. Piotr Cywiński resümiert: „Gut, dass sich deutsche Filmemacher mit der dramatischen Geschichte ihres Volkes auseinanderset­zen. Schlecht, dass diese für viele mit dem Jahr 1944 beginnt. Infolgedessen überwiegen auf der Leinwand Märchen von guten Nazis und von der Tragödie, die die Deutschen aus der Hand derjenigen erfahren, die von ebendiesen Deutschen kurz zuvor noch besti­alisch, effektiv und ohne Skrupel bombardiert, ermordet, vergewaltigt, vergast und verbrannt wurden“ (Wprost 2009, Nr. 22). Auch Konrad Zarębski schrieb von dem Versuch, sich aus der Verantwortung für die Verbrechen zu stehlen. Auf der Grundlage der Filme, die in polnischen Kinos zu sehen waren, zog er den Schluss, dass „das deutsche Kino, das die Deutschen ausschließlich als Kriegsopfer darstellt und unerwähnt lässt, wer diesen Krieg angezet­telt hat, die Geschichte zu relativieren versucht“ (Kino 2009, Nr. 5).

Das Leid unter der deutschen Besatzung und die an den Polen begangenen nationalso­zialistischen Verbrechen definieren die polnische Identität, deshalb muss aus Sicht des polnischen Betrachters die fehlende Darstellung von polnischen Opfern in deutschen Spielfilmen verwundern (Ausnahmen sind: Das Heimweh des Walerjan Wróbel von Rolf Schübel, 1990; und Wintertochter von Johannes Schmid, 2011, in dem das Motiv der Zwangsarbeiter vorkommt). Womöglich ist dies Ausdruck der Überzeugung, dass die deutsch-polnische Versöhnung bereits stattgefunden hat. Robert Thalheim zeigt in sei­nem Film Am Ende kommen Touristen jedoch deutlich, dass die Vergangenheit auch weiterhin auf den Beziehungen zwischen Polen und Deutschen lastet. Aufgrund der unterschiedlichen Erfahrungen erscheint es unmöglich, einen gemeinsamen Nenner für die Darstellung der Kriegswirklichkeit zu finden. Schwer zu sagen, ob die Tatsache, dass es kaum deutsche Filme gibt, in denen die am polnischen Volk begangenen NS-Verbrechen gezeigt werden, Ausdruck der Unsicherheit ist, die polnische Erfahrung angemessen darzustellen, oder eher ein Zeichen des Desinteresses an diesem Thema beziehungsweise der Unwissenheit, was die Verluste betrifft, die Polen infolge des Besatzungsterrors erlitt. Ein positiver Impuls wäre der Bau eines Denkmals für die polnischen Opfer des Krie­ges, denn dadurch würde diese Problematik ins Bewusstsein der deutschen Gesellschaft rücken. Ein solcher Ort des Gedenkens könnte helfen, in der deutschen Öffentlichkeit die Lücken im Geschichtswissen, was den deutschen Überfall auf Polen sowie die Op­fer der Besatzung und des Vernichtungskrieges betrifft, zu schließen. Der seit einigen Jahren geführte Streit über den Sinn eines solchen Ortes und über die richtige Form des Erinnerns der Opfer verdeutlicht, welche Bedeutung für das Selbstbild beider Länder die Interpretation der Vergangenheit hat und was für ein mühsamer Prozess die „Suche nach den Berührungspunkten der Erinnerungswellen“ ist (Wolff-Powęska 2018, S. 53).

Filme ermöglichen nicht nur, zwei Erinnerungen miteinander zu konfrontieren, sondern schaffen auch eine Ebene des Dialogs. Leider ist die deutsch-polnische Kommunikation in diesem Bereich nicht nur wegen der unterschiedlichen Erinnerungen beider Völker, sondern auch wegen der Asymmetrie im Filmvertrieb begrenzt. Nur wenige polnische Filme gelangen in die Kinos des westlichen Nachbarn, der deutsche Zuschauer hat da­her keine Möglichkeit, sich mit der polnischen Sicht auf das Thema „Nationalsozialismus“ vertraut zu machen. Die polnische Rezeption deutscher historischer Filme neigt wiederum dazu, diese als revisionistisch abzustempeln, was oft der Unkenntnis der deutschen Erinnerungskultur und ihrer zahlreichen Wandlungen geschuldet ist. Die Botschaft der Filme, gegenseitig Vergebung zu üben, ohne die Vergangenheit zu verges­sen, bleibt auf polnischer Seite unverstanden. Der Film könnte zu einer Ebene der Ver­ständigung werden, allein schon aufgrund gewisser Ähnlichkeiten der polnischen und deutschen Filmproduktionen, die dem Nationalsozialismus gewidmet sind, wie zum Beispiel der Emotionalisierung, der Personalisierung der Ereignisse und der Privatisie­rung der Erfahrungen. Doch es scheint unmöglich zu sein, die Filme außerhalb eines nationalen Kontexts zu betrachten – als Erzählungen über das Leid als universelle Er­fahrung beziehungsweise über bestimmte allgemeine Wahrheiten über die menschliche Verfassung. Denn dies hieße, die Grenze zwischen der Erinnerung an die Opfer und die Täter zu verwischen.

Aus dem Polnischen von Andreas Volk

 

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Trajman, Joanna, Dr., verfasste den Beitrag „Die Erinnerung an den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg im deutschen und polnischen Film von 1945 bis 2020“. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Wrocław und arbeitet in den Bereichen Frauenpolitik, Frauengeschichte und Filmgeschichte.

 

 

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