Diethelm Blecking

Sport im Kontext deutsch-polnischer interkultureller Kommunikation: Vom Konflikt zur Konkurrenz

Sport im Kontext deutsch-polnischer interkultureller Kommunikation: Vom Konflikt zur Konkurrenz


Deutsch polnische Beziehungsprobleme

Die pragmatischen Voraussetzungen interkultureller Kommunikation und interkultureller Handlungsmuster sind eingebunden in ein Gewebe aus Stereotypen, die sich in der Regel durch vorwissenschaftliche Erfahrungen und vielfältig medial und mit politischem Interesse aufbereitete „Geschichte“ speisen. Die zunehmende gesellschaftliche Bedeutung des Sports hat dieses Feld schon längst durch vielfältige Akteure besetzen lassen. Die konfliktreiche deutschpolnische Beziehungsgeschichte liefert in diesem Zusammenhang reiche Argumente für die Anbindung des Sportdiskurses an den politischen. Während der Fußball-Europameisterschaften 2008 in Österreich und in der Schweiz kam es im Zusammenhang des Spiels zwischen Polen und Deutschland im österreichischen Klagenfurt am 8. Juni 2008 zu einer grotesken deutsch-polnischen Presseauseinandersetzung. Die polnische Boulevardzeitung Fakt titelte „Leo powtórz Grunwald“ (http://wyborcza.pl/dziennikarze/, 20.2.2013)  und zeigte den holländischen Coach der polnischen Mannschaft Leo Beenhakker in der Rüstung eines polnischen Ritters damit beschäftigt, dem Kapitän der deutschen Nationalmannschaft Michael Ballack – dieser als anachronistische historische Schimärenfigur mit → Kreuzrittermantel und preußischer Pickelhaube ausstaffiert – den Kopf abzuschlagen. Dass das deutsche Massenblatt Bild sich wütend gegen diese „Hetze“ verwahrte, war nicht überraschend. Erhellend für den Kontext der interkulturellen „Kommunikation“ (Über die Weiterungen des „Fußballkrieges“ vgl. https://www.wprost.pl/przeglad-prasy/131106/wojna-futbolowa-tabloidow.html, 20.2.2013) zwischen deutschen und polnischen Zeitungen waren zwei Aspekte: Zum einen wurde erst jetzt der Öffentlichkeit bewusst, dass die zwei Boulevardblätter, die sich hier anrempelten, beide im Besitz des deutschen Springer-Konzerns waren; zum anderen lieferte der Zeitungskrieg im selben Verlagshaus ein sehr schönes Beispiel, wie sich Fußball, die große Emotionsmaschine, ohne Mühe aus einem Reservoir historischer Symbole bedienen kann, um nationalistische Diskurse rund um die Events des Massensports zu initiieren. Die beiden Zivilreligionen (Das Konzept der „Zivilreligion“ stammt von Robert N. Bellah 1967) Sport und Nationalismus spielten sich die Bälle einander zu, und die konfliktreiche deutsch-polnische Beziehungsgeschichte lieferte eine Menge an Gelegenheiten und Symbolen für diese Art der auf Konflikt gestellten „Kollaboration“. Beim Dorfe Grunwald besiegte bekanntlich 1410 das polnisch-litauische Ritterheer die Phalanx der deutschen Ordensritter. Die Deutschen nennen dieses Ereignis die Schlacht bei Tannenberg und sie wetzten diese Schlappe symbolisch erst gut ein halbes Jahrtausend später aus, als während des Ersten Weltkriegs im August 1914 der Feldmarschall Hindenburg die Armee des Zaren angeblich eben bei Tannenberg schlug, obwohl der Ort der Schlacht ein anderer war (Wohl eine Idee Erich Ludendorffs, vgl. Boockmann 2002, S. 54). Im deutschen kollektiven Bewusstsein geraten der „Osten“ und die „Slawen“ leicht zu einer ununterscheidbaren Länder- oder Völkermasse, sodass diese ausgefeilte Konstruktion im Sinne deutschnationaler Geschichtsverrechnung aufging. Für Polen blieb der Sieg bei Grunwald ein singuläres Ereignis in den jahrhundertelangen kriegerischen Auseinandersetzungen mit dem schneller und effektiver modernisierenden Nachbarn im Westen (Als Klassiker für die asymmetrische Modernisierung der beiden Nachbarn sowie die Folgen für deninterkulturellen Diskurs siehe Orłowski 1996). So singulär wie der einzige Sieg einer polnischen Fußball-Nationalmannschaft ausgerechnet im Schicksalsjahr 1933, meinte das Magazin Der Spiegel zum oben beschriebenen Pressekrieg und kommentierte die Auseinandersetzung zwischen den beiden Springer-Blättern gewohnt süffisant: „Nach ihrem einzigen Sieg gegen eine deutsche Mannschaft im Jahr 1933 wollen die Polen endlich wieder gewinnen. Nur viermal erreichten sie in der Vergangenheit ein Unentschieden, elfmal musste sich die Mannschaft dem deutschen Gegner geschlagen geben“ (Annette Langer, Beenhakker köpft Ballack – Polnische Zeitung eröffnet Fußball-Medienschlacht, in: Spiegel-Online vom 4. Juni 2008 (https://www.spiegel.de/panorama), 31.5.2022. r).Abgesehen davon, dass der sich unfehlbar gerierende Spiegel hier mal wieder irrte – Polen verlor auch das Spiel 1933 mit 1:0 (Vgl. Schulze-Marmeling 2008, S. 635) – blieben auch diesmal in Österreich die Machtverhältnisse die alten: Die polnischen Fußballer gingen mit 2:0 unter, und die beiden Tore für Deutschland erzielte Lukas (Łukasz) Podolski, ausgerechnet „ein gebürtiger Pole“ (http://www.em-08.info/spielplan/gruppenspiele/gruppe_b/deutschland_polen/, 20.2.2013.r), wie die deutsche Presse schrieb. Mit Podolski und mit seinem kongenia len Sturmpartner Miroslaw Klose, beide aus dem klassischen Grenzland Schlesien stammend (Zur Herkunft der beiden Spieler und zu kurzen biographischen Skizzen siehe Urban 2011, S. 158ff), wird eine weitere Ebene der deutsch- polnischen Sportbeziehungen aufgerufen, die enge Nachbarschaft, die neben der bereits genannten säkularen Imperialen- und später Nationalitätenauseinandersetzung prägend blieb und den deutsch-polnischen Sportdiskursen eine besondere Spannung verlieh.

Sport und Nationalbewegungen

Im 19. Jh. entwickelte sich der Sport im kontinentalen Europa nämlich überall im Kontext nationaler Bewegungen. Die frühe deutsche Turnbewegung, eine Elite aus Studenten und Bildungsbürgertum, die in den deutschen Gebieten Front gegen die Besetzung durch das napoleonische Frankreich machte, gehörte zum Kern einer deutschen Nationalbewegung, die die deutsche Einheit verfocht und auch die Freiheit der Nation auf ihr Panier geschrieben hatte (Düding 1984). Den Begriff „Turnen“ entwickelte der notorische nationalpolitische Ideologe und politische Praktiker Friedrich-Ludwig Jahn (1778–1852). Er formulierte ihn für ein Konzept der Zusammenführung von gemeinsamen Körperübungen an Geräten und auf sogenannten Turnplätzen mit der Gemeinschaftsbildung sowie nationalkulturellen und nationalpolitischen Bestrebungen, deren nationalrevolutionäre Impulse eine steile Karriere besonders bei den kleineren Völkern Osteuropas machen sollten (Blecking 2008). Während die deutschen Turner sich nach der Herstellung der deutschen Einheit 1871 von oben staatsfromm und reichstreu entwickelten (Goltermann 1998, S. 182ff.), behielt bei den slawischen Völkern das Jahnsche Konzept seine revolutionären Perspektiven. Denn bis auf die Russen lebten sie ohne eigenen Staat unter der Herrschaft des russischen, des preußisch-deutschen sowie des Habsburger Imperiums. Schon seit der ersten Hälfte des 19. Jhs. kam es im Kontext sozialökonomischer Modernisierungsprozesse unter diesen Völkern zu einem Elitenationalismus durch Intelligenz und Adel, der mit dem Begriff der „Wiedergeburt der Nation“ (Blecking 2008, S. 12) charakterisiert werden kann. Im tschechischen Frühnationalismus wurde in diesem Zusammenhang die tschechische Sprache durch ein deutsch-tschechisches Wörterbuch systematisiert und die Geschichte aufgearbeitet. Der spätere Autor des Wörterbuches Josef Jungmann (1773–1847) übersetzte bereits 1814 Jahns strategische Schrift Deutsches Volkstum ins Tschechische (Winter 1968, S. 89 und S. 165). In Prag führte die weitere Entwicklung der tschechischen Nationalbewegung zu einer Massenbewegung, dann zur Gründung des ersten Sokol-(=Falke)Turnvereins im Jahre 1862, der das nationalkulturelle Konzept Friedrich-Ludwig Jahns für den böhmischen Raum adaptierte. Die enorm erfolgreiche tschechische Bewegung wurde zum Kern einer Massenbewegung (Zur Geschichte der Bewegung: Nolte 2002), die bald die anderen slawischen Völker erfasste und der Verkörperung der Nation in einer Sportbewegung eine steile Karriere in Osteuropa ermöglichte. Zu Recht erklärte Tomáš Garrigue Masaryk (1850–1937), der Vater der tschechischen Nation, deshalb jenes Konzept als „purely German, concept of German origins“ (Zitiert nach Nolte 2005, S. 136). Die polnischen Gebiete waren bis zum Ersten Weltkrieg unter die bereits genannten Imperien aufgeteilt. Im preußischen Teilgebiet kam es hier nach der Gründung des Deutschen Reiches zu einer nationalen Mobilisierung der polnischen Bevölkerung, als Reaktion auf die Bemühungen des Reiches um ethnische Homogenisierung, die sich besonders gegen die katholischen Polen richtete, Stichworte „Kulturkampf“ und „Sprachenkampf“. Auf der anderen Seite entwickelte sich besonders in der Provinz Posen ein ökonomischer Modernisierungsprozess mit Folgen für die Ausbildung polnischer Mittelschichten und einer zivilgesellschaftlichen Organisierung der polnischen Bevölkerung, Stichwort „organische Arbeit“ (Zu dieser Entwicklung einer Zivilgesellschaft im Nationalitätenkampf auf der Grundlage ökonomischer Modernisierung vgl. Jaworski 1986). In diesem Prozess stieß die aus Galizien bekannte Idee, im Zeichen des Sokol nach Lemberger Muster, eine Organisation zu gründen, die Körperkultur und nationalkulturelle bzw. nationalpolitische Intentionen miteinander verknüpft, auf fruchtbaren Boden. Der polnische Sokol war seit seiner Gründung in Inowrocław 1884 Teil der organischen Arbeit. Der bald gegründete Dachverband des Sokol in Posen (1893) orientierte sich politisch nach kurzem Zögern an der polnischen Nationaldemokratie mit ihren allpolnischen Losungen und richtete seine Apelle zur Mitarbeit an die Polen in den drei Teilgebieten und in der Diaspora. Dass das Fernziel die Wiederrichtung des polnischen Staates war, wurde nicht verschwiegen. Die nationalpolnische Sportbewegung organisierte sich auch in Berlin und im Ruhrgebiet sowie an kleineren industriellen Standorten im Reich, wo im Zuge von Migrationsbewegungen polnische Minderheiten entstanden waren. Aus der Sicht der preußisch-deutschen Administration etablierten sich die polnischen Sportler damit durch Selbstzuschreibung auf der Seite der so genannten „Reichsfeinde“ (Zur antipolnischen Politik im Kontext von Homogenisierung des Reiches siehe Wehler 1995, S. 961–965), also der Gruppen, die die Homogenisierungspolitik des Reiches massiv störten. Die Wegzeichen zwischen den polnischen Sportlern, den deutschen Sportlern und anderen Protagonisten im Nationalitätenkampf waren damit auf Konflikt gestellt. Auf Konflikt und einen hermetischen Separatismus, in dem es weder zu sportlichen Begegnungen, noch zu gemeinsamen Festen kam. Sport im Zeichen einer turnerischen nationalkulturellen Bewegung wirkte mit an ethnischer Anschließung und Ausgrenzung. Die Geschichte dieser schweren Auseinandersetzungen (Zum Zusammenhang der nationalistischen Konflikte im Sportkontext zwischen Polen und Deutschen vor dem Ersten Weltkrieg vgl. Blecking 2001, bes. S. 46–50), in die staatliche Institutionen – und das waren ja deutsche Institutionen – parteilich verquickt waren, reicht von Berufsverboten bis zu polizeilichem Einschreiten gegenüber Veranstaltungen sogar bei Begräbnisprozessionen. Auf der anderen Seite schaffte es die polnische „społeczeństwo“ (Gesellschaft), deren integraler Teil die Sokolbewegung war, die polnische Identität auch in der Diaspora zu bewahren und weiter zu entwickeln. Auch hier war man nicht zimperlich in der Konturierung einer Grenze der eigenen Gruppe, wenn man das Conubium zwischen Polen und Deutschen negativ sanktionierte (Blecking 2001, S. 45–46, bes. Anmerkung 109).  Die Zeit dieser Nationalitätenkonflikte hinterließ tiefe Spuren im interkulturellen Diskurs. An der Ausformung eines negativen „Polendiskurses“ (Zum Begriff „Polendiskurs“ vgl. Orłowski 1996, S. 7) wirkten dabei deutsche Sportverbände wie die mächtige Deutsche Turnerschaft (DT) mit, in Kooperation mit nationalen Kampfverbänden wie dem Deutschen Ostmarkenverein, der auf der Grundlage von Rassentheorien die zivilisatorische Überlegenheit der Deutschen gegenüber den Polen postulierte (Zum Ostmarkenverein siehe Tims 1966). Im Zentrum standen Diskursfiguren, die völkische Ängste vor Überflutung generierten und nach Bollwerken riefen, „an denen sich die Hochfluth des anstürmenden slawischen Völkerheeres brechen wird“(Deutsche Turnzeitung, 33. Jahrgang, 1888, S. 140). Die eigenen Erfahrungen mit den deutschen Turnern reflektierend, die im Freiheitskampf gegen die Napoleonische Besatzung eine Rolle gespielt hatten, wurden die polnischen Sportler als „künftiges polnisches Heer“ (Deutsche Turnzeitung, 54. Jahrgang, 1909, S. 91f.) apostrophiert und unter Militärverdacht gestellt. Die Ostmark, Zeitschrift des genannten, mit den Turnern kooperierenden nationalen Kampfverbandes, ging noch einen Schritt weiter und konstruierte einen polnischen Volkscharakter, der insbesondere bei der → Polin (Zum Topos der „schönen Polin“ und zur Funktion des Begriffs in der Diskurskonstruktion vgl. Orłowski 1996, S. 215–231 und S. 358–359) zu besonderer Vorsicht raten ließ: „Die Polin ist klug und gewandt, gefallsüchtig, ränkeliebend. […] Es lebt in ihr ein lebendiges, leidenschaftliches Nationalgefühl. Ihre Liebenswürdigkeit ist eine gefährliche Waffe, derer sie sich mit Vorliebe bedient, um polnisch-politische Interessen zu fördern“ (Die Ostmark, 5. Jahrgang, 1900, S. 26). Diese Interessen wurden auch den Sportverbänden der Polen unterstellt, die unter dem polnischen Rubrum „Sokół“ operierten. Sport war Mittel im politischen Konflikt, der Teil eines aggressiven Nationalitätenkonflikts war, sodass selbst die mit Musik unterlegten gymnastischen Übungen der Polen von den deutschen Behörden als Teil eines nationalistischen Narrativs interpretiert wurden (Blecking 2001, S. 47). Auf polnischer Seite führte der Druck zu einer Verhärtung der Wir-Gruppen-Formation, in den 10 Geboten des polnischen Sokolturners wurde in der Tat ein Programm für einen sezessionistischen Nationalismus entworfen, der den Spieß herumdrehend mit der Phrase „liebe nicht die fremde Sprache“ (Wiarus Polski, Nr. 39, 25.2.1906) zu völkischen Verengungen Zuflucht nahm. Vor dem Ersten Weltkrieg ist damit der Sportdiskurs zwischen Deutschen und Polen in der Zeit der Verkörperung der Nation (Siehe hierzu die Abteilung „Körper und Bewegung“ im Sammelband von François; Siegrist; Vogel 1995, S. 291–365) durch Sportverbände ein aggressiver auf Konflikt gestellter Ausgrenzungsdiskurs.

Moderner Sport und Konkurrenz

Während der erste „take-off“ des Sports auf dem Kontinent, in Deutschland und in den polnischen Gebieten, wie hier beschrieben, als turnerische Verkörperung der Nation Teil des Nation-Building und der Nationalitätenkonflikte war, entwickelte sich zum Ende des 19. Jhs. als Kulturtransfer aus England (Über die Aneignung der „English sports“ am Beispiel Deutschland siehe Eisenberg 1999, S. 145–209) in den genannten Gebieten der moderne Sport, dessen Triebfeder die internationale Konkurrenz und der Rekord, die Ausrichtung auf die Höchstleistung war. Symbol dieser rasant prosperierenden Bewegung waren die seit 1896 organisierten modernen Olympischen Spiele. Während in Deutschland die Hochzeit der Gründung von modernen Sportverbänden die Zeit der Jahrhundertwende zum 20. Jh. war, kam es in Polen erst mit der Gründung der Zweiten Republik, nach 123 Jahren der Nichtexistenz zu einem ähnlichen Prozess (Zu einem Überblick über die polnische Sportgeschichte siehe Gaj; Woltmann 1999, für die Entwicklung des modernen Sports in der 2. Republik siehe besonders S. 61ff.). Der moderne Sport, insbesondere die Leichtathletik und der Fußball, das „deep play“ (Clifford Geertz) der europäischen Moderne (Hier wird Geertz paraphrasierend davon ausgegangen, dass es Spiele und Wettkämpfe gibt, die einen interpretatorischen Zugang zu der Gesellschaft ermöglichen, in der sie wertgeschätzt werden.Dazu gehören Fragen der sozialen Rangordnung und der sozialen Kommunikation. Der klassische Text: Geertz 1987) wurden jetzt zu Feldern, auf denen nach der Zeit der militanten Nationalitätenkonflikte nationale Konkurrenzen friedlich ausgetragen werden konnten.

Die Wiedererrichtung des polnischen Nationalstaates führte zum Entstehen von nationalen Minderheiten besonders in den Grenzgebieten der polnischen Republik. Polen war in der Zwischenkriegszeit das multikulturelle Land in Europa. In Schlesien hatten die Ergebnisse des Ersten Weltkrieges die Teilung der Region in das polnische Ostoberschlesien, die autonome Wojwodschaft, und das deutsche Oberschlesien zur Folge. Hier ging die Grenze mitten durch eine Region, die dem Fußball zugetan war, wie kaum eine andere in Europa (Zu den Folgen der Teilung für die mischkulturelle Bevölkerung des Grenzlandes siehe Ther 2002). Im Jahre 1920 wurde in der Wojwodschaft bereits der Schlesische Fußball-Verband (Śląski Związek Piłki Nożnej) gegründet, der seinen Autonomieanspruch dadurch unter Beweis stellte, dass er schnell mit einer eigenen Auswahl die Arena des Fußballs betrat. Dienten dabei Spiele wie das erste Match gegen Czarni Lwów im Juni 1920, das 3:8 verloren wurde, der Integrationspolitik innerhalb der Zweiten Republik nach der 123-jährigen Teilung, so waren die 20 Spiele, die zwischen 1924 und 1939 gegen das deutsche Schlesien stattfanden, Ausdruck der nationalen Konkurrenz (Hierzu Paweł Czado; Marian Lubina, Wielka piłkarska rywalizacja mecze Polski Śląsk – Niemiecki Śląsk (http://katowice.gazeta.pl/katowice/2029020,35024,3414927.html), 8.9.2010). Das erste Spiel am 7. Dezember 1924 endete in Katowice (Kattowitz) 3:3. Nach dem Machtantritt der Nazis gewannen die Spiele an Brisanz, und 1934 im HindenburgStadion in Beuthen (heute: Bytom) sahen 20.000 Zuschauer ein 0:0. Herausragender Akteur im Dress des polnischen Schlesien war dann 1935 beim 3:3 im Adolf-Hitler-Stadion in Hindenburg O.S. (heute: Zabrze) der 19-jährige Ernst Willimowski mit einem Hattrick. Über diesen Akteur wird weiter unten noch zu berichten sein. Bemerkenswert war dann noch das 9:1 der „reprezentacja“ der Wojwodschaft im September 1935 in Katowice. Das letzte Spiel fand am 8. Januar 1939 im Hindenburg-Stadion in Beuthen vor nur noch 4.000 Zuschauern statt und wurde von den Polen 5:3 gewonnen. 

In der polnischen Diaspora des Reiches war indessen der polnische Sport in Deutschland während der Weimarer Republik auf dem Weg zur Assimilation. Die multiethnische Dimension des Fußballsports gewann nach dem Ersten Weltkrieg besonders im Ruhrgebiet, dem alten Zentrum der polnischen Arbeitsmigration und der polnisch-nationalen Sokolbewegung, an Bedeutung. Mitglieder und Aktive mit polnischen Namen finden sich jetzt in vielen Vereinen des Reviers, so z. B. bei Rot-Weiß Essen. Dem Verein traten seit 1919 Mitglieder mit polnischem Namen bei und sie wirkten auch als Funktionsträger bzw. als Angestellte. Bis 1939 stellten sie ca. 10% der Mitgliedschaft. Seit 1931 wirkte für den Verein der Platzwart Hermann Greszick, der seinen Namen 1932 in Kress änderte. Die Namensänderungen sind ein deutliches Zeichen für die jetzt alternativlose Ent wicklung zur sozialen Assimilation. So auch bei Schalke 04, wo Zurawski zu Zurner wurde, Regelski zu Reckmann, Czerwinski zu Rothardt und Zembrzyki zu Zeidler. Etwa 240.000 polnisch- bzw. masurischstämmige Menschen sollen auf diese Weise bis 1937 im Ruhrgebiet ihre Namen „germanisiert“ haben. Für die Forschung zu den multiethnischen Dimensionen des Sports nach dem Ersten Weltkrieg bleibt das Problem, das allein auf Grund der Namen keine Differenzierung zwischen „Polen“ und „Masuren“ möglich ist. Jedoch finden sich jetzt auch im sozialistischen Arbeitersport Mitglieder mit polnischen Namen. So im Essener Arbeiter-Turn- und Sportverein Schonnebeck sogar durchgehend im Vorstand. Für die Zeit der Weimarer Republik ist damit von einem Nebeneinander von polnischen Sportverbänden bzw. Vereinen und Mitgliedschaften in den anderen Verbänden bis hin zum Arbeitersport auszugehen. Eine Quantifizierung ist nur für die ersteren möglich (Eine ausführliche Darstellung der Verhältnisse in Essen und ein Hinweis auf die Problematik der Identifikation polnischer Zuwanderer über ihre Namen bei Lenz 2006.). Die Zeichen standen aber schon in der Weimarer Republik auf Inklusion der polnischen Minderheit. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahre 1933 setzte diesen Prozess mit massiver Repression fort. Das Ende der letzten polnischen Sportvereine kam in diesem Zusammenhang durch die Nationalsozialisten wenige Tage nach dem deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939. Es geschah im Zusammenhang mit dem Verbot aller Organisationen der polnischen Minderheit und der Beschlagnahme ihres Vermögens. Damit war die Geschichte der ersten Sportorganisation einer nationalen Minderheit in Deutschland zu Ende. Im Fußballsport bleibt die Inklusion der nachfolgenden Generation der polnischen und masurischen Migranten in den deutschen Vertragsfußball und in den Kreis von Schlüsselspielern der deutschen Nationalmannschaft gerade durch die Namen von Nationalspielern wie Tilkowski, Szymaniak und Libuda nach dem Zweiten Weltkrieg manifest (Die deutsche Fußballnationalmannschaft versammelte in ihrer Geschichte Dutzende von Spielern, deren Namen ihren Migrationshintergrund belegen und eine deutliche Dominanz von Spielern polnischer bzw. masurischer Herkunft belegen. Siehe Schulze-Marmeling 2008, S. 576–583). Umso erstaunlicher, dass im kollektiven Bewusstsein der Nation die Zeit vor dem Zivilisationsbruch durch das Dritte Reich und damit die Zeit ethnischer Sportklubs kaum erinnert wurde und deshalb auch kein Narrativ existierte, das Erklärungen für die „fremden“ Namen in der deutschen Nationalmannschaft geboten hätte. Auch auf dem Feld des Sports dominierte die „Suggestion der Geschichtslosigkeit“ (Vgl. Herbert 1995, S. 218).

Noch erstaunlicher als die schlesischen Duelle waren seit 1933 die fünf Länderspiele zwischen Deutschland und Polen, die bis 1938 dreimal in Deutschland (Berlin 1933, Breslau [heute: Wrocław] 1935, Chemnitz 1938) und zweimal in Polen (Warszawa [Warschau] 1934, 1936) stattfanden, vor bis zu 60.000 Zuschauern – in Warschau musste sogar das Stadion von 32.000 Plätzen auf 40.000 erweitert werden. Mit vier Siegen und einem Unentschieden war die deutsche Bilanz sportlich positiv, aber noch bemerkenswerter waren die Fairness auf dem Rasen und die Fairness bei der Berichterstattung. Auch bei diesen Spielen fiel auf polnischer Seite der blutjunge Wunderstürmer Ernst Willimowski aus Oberschlesien auf (Zu Willimowski vgl. Urban 2011, S. 28–48). 

Die Länderspiele hatten im Grunde auf beiden Seiten eine eminent politische Bedeutung, und dies war der Grund für die fast jährliche Begegnung: In der Stabilisierungsphase der Nazi-Herrschaft in Deutschland war das Regime an einer Entspannungspolitik gegenüber Polen interessiert, um ein außenpolitisches Zusammenspiel zwischen Frank reich und Polen in der Phase seiner Aufrüstung und seiner militärischen Schwäche zu vermeiden. Das Ergebnis war der bilaterale Gewaltverzicht, den beide Seiten 1934 auf 10 Jahre abschlossen und der auch der polnischen Seite eine scheinbare Ruhe zusicherte. Die sportlich einwandfreie Haltung der beteiligten Akteure, Verbände und Medien ist in diesem Lichte zu beurteilen. Dabei mangelte es aber auch hier nicht an deutschem Überlegenheitsgefühl gegenüber dem so spät zur eigenen modernen Staatlichkeit gekommenen Nachbarn: Im Jahre 1935 trug man zwei Länderspiele gleichzeitig aus und zwar gegen Polen (1:0) und gegen Estland (5:0), schickte also zwei Mannschaften auf den Platz! (Hertz-Eichenrode 2012, S. 20). Auf der anderen Seite bemerkten polnische Journalisten „einen Mangel an Siegestradtion“ (Gazeta Polska, zitiert nach Hertz-Eichenrode 2012, S. 20), ein psychologisches Momentum, das die tiefe Verunsicherung des langen Modernisierungsverlierers Polen auch beim „deep play“ der Moderne aufrief. Bereits Ende Mai 1939 im Vorfeld des heraufziehenden Krieges verbot der Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten den Start deutscher Sportler in Polen. 

Nach der Besetzung Polens im Jahre 1939 befahl der Reichsführer SS Heinrich Himmler für die Bevölkerung des Generalgouvernements, jenes Teils von Polen, den Deutschland nicht annektiert hatte, als kulturelle Obergrenze „einfaches Rechnen bis höchstens 500, Schreiben des Namens, eine Lehre, dass es ein göttliches Gebot ist, den Deutschen gehorsam zu sein und ehrlich, fleißig und brav zu sein“ (Zitiert nach Urban 2011, S. 78). Lesen hielt die Besatzungsmacht als Kulturtechnik für Polen nicht für erforderlich. Zur Bekämpfung jeglicher Kulturregung unter der polnischen Bevölkerung gehörte das Verbot des Sports (Urban 2011, S. 78). Aus Konflikt und Konkurrenz war im Zeichen des integralen Nationalismus der Nazis Vernichtung geworden. Zahlreiche Spieler der polnischen Fußballligen und der Nationalmannschaft fielen dem NS-Besatzungsterror zum Opfer. Erst in letzter Zeit wurde ermittelt, dass trotzdem Spiele im Untergrund stattfanden und dass auch die deutschen Besatzer Fußball organisierten. Doch bleibt dieser Zusammenhang ein Desiderat der Forschung (Erste Ergebnisse: Urban 2011, S. 76–79).

Roman Polanskis Film Der Pianist über die Rettung des jüdischen Komponisten und Musikers Władysław Szpilman durch den deutschen Oberleutnant Wilm Hosenfeld brachte in ein breiteres Bewußtsein, dass Hosenfeld als Warschauer Sportoffizier seine Möglichkeiten zur Rettung benutzte (Wette 2012.), ebenso wie der ehemalige Kapitän der polnischen Nationalmannschaft Fritz Scherfke seine Rolle als volksdeutscher Wehrmachtssoldat in Posen zur Rettung polnischen Lebens einsetzte (Urban 2011, S. 59–75). In den von Deutschland annektierten Teilen des ehemaligen Polen ging der Sportbetrieb weiter. So wurde aus dem bereits mehrfach genannten Starstürmer der polnischen Nationalmannschaft Ernst Willimowski ein deutscher Stürmerstar, der bis 1942, dem Ende der Länderspiele im Zeichen des totalen Krieges, neben dem später legendären Fritz Walter für Deutschland Tore am laufenden Band erzielte. In Willimowskis Leben, das 1997 in Karlsruhe endete, sind die schwierigen Phasen der deutsch-polnischen Zeitgeschichte verdichtet. Den Grabstein auf dem Karlsruher Friedhof schmücken heute die Fans seines ehemaligen Klubs Ruch Chorzów. Symbolhaft für die ungeheuren Zerstörungen, die der Zweite Weltkrieg in der Infrastruktur Polens hinterließ, war die fast totale Auslöschung der Hauptstadt Warszawa (Warschau). Sechs Millionen Polen verloren ihr Leben im Vernichtungskrieg und in den Konzentrationslagern, dazu kam die Ost-West-Verschiebung des gesamten Staates. Polen war in den fünfziger Jahren mit dem gesellschaftlichen Wiederaufbau und der Rekonstruktion auch der sportlichen Infrastruktur beschäftigt, die teilweise bis zu 50% und 60% zerstört war (Gaj; Woltmann 1999, S. 182f.). Das Jahr 1957 stellte sportlich dann einen ersten emotionalisierenden Höhepunkt dar, als im schlesischen Stadion in Katowice (Kattowitz) die sowjetische Nationalmannschaft geschlagen wurde. Gegen die russische Torwartlegende Lew Jaschin punktete dabei zweimal der Oberschlesier Gerard Cieślik (Zu Cieślik siehe Dom Współpracy Polsko-Niemiekiej 2006, S. 49–51). Sein Vater war beim deutschen Angriff 1939 getötet worden, sein Bruder war zwangsweise zur deutschen Wehrmacht eingezogen worden und wurde im Zweiten Weltkrieg getötet. Die politische Zeitgeschichte war somit auch im Familienschicksal dieses oberschlesischen Fußballsymbols präsent.

Fußball: Bern 1954, Wembley 1973 und die „Ostpolitik“

Aus anderen Gründen war die Rückkehr der deutschen Sportler in die internationale Arena problematisch. Als Nachfolgestaat des für den Zweiten Weltkrieg und den Mord an den europäischen Juden verantwortlichen Nazi-Reiches war die Bundesrepublik international geächtet und kehrte erst bei den Olympischen Spielen 1952 in Helsinki auf die Weltbühne zurück. Das Jahr 1954 war dann das annus mirabilis des deutschen Fußballs. Die Mannschaft wurde in der Schweiz als Außenseiter Weltmeister. Zwar bedeutete dies nicht, wie so oft plakatiert, die eigentliche Gründungsurkunde der Bundesrepublik, aber es war ein Ereignis von großer emotionaler Wucht, das die Bevölkerung klassenübergreifend, in Ost- und Westdeutschland ja sogar die deutsche Minderheit in Polen erfasste (Blecking 2012, S. 418). In verschiedenen Etappen wurde das Wunder von Bern ein deutscher Erinnerungsort im Sinne Pierre Noras, als Anker für gesellschaftliche Identität. Eine ähnliche Nobilitierung zum Erinnerungsort erfuhr knapp 20 Jahre später das Unentschieden der polnischen Elf in Wembley gegen England, das die Qualifikation des Außenseiters für die Weltmeisterschaft in Deutschland 1974 bedeutete und die Dekade des Dreamteams einläutete, das bis 1982 große Erfolge nicht nur für den polnischen Fußball, sondern für die ganze Nation, einfuhr (Blecking 2012, S. 422–426). In der Wasserschlacht von Frankfurt 1974 wurde sogar ein gemeinsamer deutsch-polnischer Erinnerungsort samt Mythen und Verschwörungstheorien begründet (Für das Folgende siehe Urban 2011, S. 118–129). Im letzten Gruppenspiel der Zwischenrunde während der Weltmeisterschaft 1974 in Deutschland trafen der Gastgeber und die polnische Mannschaft zum entscheidenden Spiel um den Einzug ins Finale zusammen. Kurz vor Spielbeginn ging in Frankfurt ein veritabler Wolkenbruch nieder, der das Spielfeld praktisch unbespielbar machte. Das Spiel wurde trotzdem mit einer halbstündigen Verspätung angepfiffen und die polnischen Hochgeschwindigkeitsfußballer konnten auf dieser Unterlage ihr Spiel nicht entfalten. Polen verlor trotz drückender Überlegenheit auch unter diesen Umständen mit 1:0, und die Empörung in Polen über das groteske Spiel war groß. Das gegen den späteren Weltmeister verlorene Spiel und der gesamte glanzvolle Auftritt der polnischen Mannschaft in Deutschland, die das Turnier als dritte beendete und dabei sogar Brasilien schlug, sorgte in Deutschland für große Sympathien. Selbst die Bildzeitung lobte die dynamischen Polen, und Kanzler Schmidt lud die Mannschaft zu einem Bankett ein. Schmidt setzte damit die Politik seines Außenministers Scheel fort, der den Polen nach Wembley persönlich gratuliert hatte (Blecking 2012, S. 423). Die „Ostpolitik“, konkretisiert im Warschauer Vertrag von 1970, trug Früchte. Trotzdem blieb das Echo in Polen zwiespältig: Die Stimmung zwischen Polen und Deutschen im Kalten Krieg, der auch den Sportverkehr dominierte, brachte der Sportreporter Stefan Szczepłek retrospektiv auf den Begriff: „Wir fuhren in das Land des Feindes und entgegen all dem, was uns zuvor gesagt worden war, sahen wir auf der Straße keine Kreuzrittter, und niemand sagte uns ‚Raus‘. Dennoch war eine Sphäre gegenseitiger Verdächtigungen spürbar. Wir fühlten uns als Menschen zweiter Klasse aus dem Osten, als die kleinen Polacken, die zufällig den Krieg gewonnen haben. Und nur dank Kazimierz Górski und seiner Spieler wussten wir, dass wir nicht zweitklassig waren“ (Blecking 2012, S. 128). Der Kalte Krieg hatte als Leitdiskurs inzwischen den Nationalismusdiskurs und die historische Auseinandersetzung über die deutsche Vernichtungspolitik gegenüber Polen im Zweiten Weltkrieg abgelöst und überwölbt. Dennoch hielt die polnische Sportberichterstattung Distanz zu Systemloyalitäten und vermied in ihren Texten jede „Verbrüderung“ mit der Mannschaft der DDR, die auch im Turnier von 1974 antrat und den späteren Weltmeister Bundesrepublik in der Vorrunde spektakulär 1:0 bezwang (Wiederkehr 2014).

Wege aus dem „Kalten Krieg“

Der Kalte Krieg leitete dagegen die westdeutsche Presse in den Auseinandersetzungen über die polnische Leichtathletin Ewa Kłobukowska, einen Star der internationalen Sportszene in den sechziger Jahren, an. Die Sprinterin, Olympiasiegerin von 1964 und Europameisterin von 1966, bestand im September 1967 als erste Frau den Geschlechtertest bei einer internationalen Sportveranstaltung während des Europacups in Kiew, nicht (Für die folgenden Ausführungen vgl. Wiederkehr 2007). Die ethische und sexualmedizinische Problematik dieser Tests, die bis 1998 durchgeführt wurden und heute im Kontext moderner Diskussionen über Transsexualität und Gender anachronistisch erscheinen, kann hier nicht diskutiert werden. Interessant war die Reaktion der westdeutschen Presse, die den Vorfall als Betrug gegenüber den Mitstreiterinnen in der Leichtathletik brandmarkte, aber die Schuld nicht national verortete, sondern dem kommunistischen System unterstellte. Der Kalte Krieg forderte seinen Tribut und generierte einen Generalverdacht gegenüber Sportlerinnen und Sportlern aus dem sozialistischen Lager, während die eigene Seite in bemerkenswerter Semantik als prinzipiell „sauber“ vorgestellt wurde: „Unsere Mädchen sind alle einwandfrei!“ (Wiederkehr 2007, S. 279.). Während die Presse so stetig auf der Ebene des Elitesports Diskurse generierte, blieb die wissenschaftliche Beschäftigung im sozialwissenschaftlichen Feld mit den Problemen des Nachbarn zwischen Polen und der Bundesrepublik, aber auch zwischen Polen und der DDR mager. Erst seit dem Völkerfrühling 1989/90 und seit der Wiedervereinigung sind organisierte Versuche erkennbar, die Sprachbarriere zu überwinden und Dialoge zu konstruieren. Die Europameisterschaft der Elitefußballer 2012 in Polen und in der Ukraine hat der Forschung einen neuen Schub gegeben. In einer Konferenz in Berlin (Konflikt und Konkurrenz, Deutsch-polnische Beziehungsgeschichte im Fußball, Ein Symposium aus Anlass der Euro 2012 in Polen und in der Ukraine, Berlin 29.–31. Mai 2012) wurde die deutsch-polnische Fußballgeschichte aufgerollt und u. a. die Namen Willimowski, Scherfke, Cieślik, Klose und Podolski durchdekliniert. Alle verwoben mit der politischen Geschichte beider Nationen. Andere Forschungsinitiativen nahmen die Namen Kusociński, Lokajski, Czech und Marusarz ins Visier. In Deutschland völlig unbekannte Leichtathleten und Wintersportler, die im Widerstand gegen die Nazis kämpften (Vgl. die einschlägigen Artikel in Blecking; Peiffer 2012).

„Gesellschaft des Spektakels“ und neue Nachbarschaf

Als Fazit der Überlegungen zum Feld Sport im deutsch-polnischen Kontext bleibt die enorme Wirkungsmächtigkeit der historischen Erfahrungen, beispielhaft ausgedrückt durch den „Kreuzritter-Diskurs“, der offensichtlich jederzeit aufgerufen werden kann. Zu diesen Erfahrungen gehört auch der ambivalente Umgang mit der Geschichte der Beziehungen zwischen einer dominanten, im 19. und 20. Jh. rasant und rücksichtslos modernisierenden „Großmacht“ wie Deutschland und einer benachbarten „kleineren“ Nation, die Überlegenheits- und Unterlegenheitsgefühle gerade im modernen Sport, dem wichtigen Begleiter der politischen und sozialen Modernisierungsprozesse hervorbrachte: Von der nationalen Konkurrenz, ausgedrückt in der Verkörperung der Nation durch Turner und Sokoln zur sportlichen Konkurrenz, die aber immer auch diese Hierarchien transportierte. In Deutschland verkörperten Podolski und Klose das Modell des „guten Polen“ zumindest des sympathischen Polen, ähnlich wie „Schimanski“ (Der von Götz George gespielte hauptsächlich im Ruhrgebiet wirkende Ermittler „Schimanski“, Held einer gleichnamigen Fernsehserie, spielt mit dem Image des polenstämmigen, trinkfesten, anarchistisch lebenden Bohemien und wird vom deutschen Publikum positiv wahrgenommen. Walter Siebel hat allerdings zurecht darauf hingewiesen, dass es 100 Jahre bzw. drei Generationen gedauert hat, bis mit dem Namen „Schimanski“ nicht mehr das pejorative Wort „Polacke“, sondern der Publikumsliebling assoziiert wurde. Vgl. Walter Siebel, Fremde in der Stadt, in: Die Zeit vom 19.11.1998, S. 59) die Kunstfigur des ActionTV. In der Spektakularisierung des Sports, eben in der Gesellschaft des Spektakels, (Gemeint ist die immer mehr dominierende Darstellung gesellschaftlicher Macht- und Herrschaftsverhältnisse durch Bilder und Symbole, in der Gesellschaft des Spektakels gewinnt der Sport nicht nur als Werbeträger immer mehr an Bedeutung. Siehe Gebauer 2002. Grundlegend: Debord 1996. Siehe auch Anmerkung 58) lieferte das Feld mit dem Schispringer Adam Małysz oder dem Formel-1-Rennfahrer Robert Kubica sowie wieder einem Schispringer, nämlich Kamil Stoch, den Weltmeister, Olympiasieger und glanzvollen Sieger der Vierschanzentourneen 2016/17, 2017/18 und 2020/21 polnische Projektionsfiguren, die transnational positiv rezipiert wurden. Dies galt ganz sicher auch schon früher für „Polonia Dortmund“ (https://www.bundesliga.com/de/bundesliga/news/, 16.5.2022). Beim deutschen Meister der Jahre 2011 und 2012 spielte das polnische Trio Łukasz Piszczek (derzeit in Polens 3. Liga), Jakub Błaszczykowski, der heute bei Wisła Kraków spielt, und der inzwischen für Bayern München auflaufende Weltklassestürmer  Robert  Lewandowski, eine überragende Rolle. Die Übernahme der semantischen Figur „Polonia Dortmund“ schloss an die großen Zeiten des Ruhrgebietsklubs Schalke 04 mit seinen vielen Spielern aus dem Bergarbeitermilieu mit polnisch klingenden Namen an, die im Übrigen in der Regel Masuren waren. „Polacken- und Proletenklub“ wurde Schalke deshalb genannt (Zu Schalke und seinen Masuren vgl. Goch 2010). Derartige sozialromantische Konnotierungen deuteten auf eine positive Belebung des deutsch-polnischen Gespräches im Sport. Die drei Spieler, allesamt zeitweise Leitfiguren der polnischen Nationalmannschaft, waren seit dem Februar 2013 auch Teil der ersten Werbekampagne des angeschlagenen deutsch-amerikanischen Automobilkonzerns Opel auf dem polnischen Markt (https://www.wirtualnemedia.pl/artykul).

Das Jahr 2014 schenkte dem polnischen Fußball dann endlich den historisch ersten Erfolg im Fußball über den frisch gebackenen Weltmeister Deutschland. Das 2:0 am 11.10.2014 in Warschau war für die polnischen Fans das Ende einer langen Durststrecke. Bei der schmerzhaften Niederlage des frischgebackenen Weltmeisters im Warschauer Stadion hinterließen dann sächsische Hools in Polen ihre Visitenkarte in Form vandalisierter Toiletten. Einige Augenzeugen berichteten auch vom Hitlergruß. Der Rasensport ruft eben immer wieder unkontrollierte nationalistische und identitäre Emotionen auf und trägt in der Hitze der aktuellen Auseinandersetzung wenig zum völkerverbindenden Diskurs bei. Dies war am Vortag des Spieles ganz anders. Als Begleitveranstaltung zum genannten Qualifikationsspiel für die Fußball-Europameisterschaften fand in der Deutschen Botschaft in Warschau ein Symposium statt. Leitendes Thema waren eben die historischen Beziehungen zwischen beiden Ländern, die ihren Niederschlag gerade auch im Fußball fanden und horribile dictu aktuelle Entwicklungen in den „Fankulturen“. Bei der Begrüßung der Teilnehmer rief der deutsche Botschafter Rolf Nikel die völkerverbindende Kraft des Sports auf und betonte die politische Verantwortung, die sich für den organisierten Fußballsport aus seiner immer weiter gewachsenen gesellschaftlichen Rolle ergibt. Wolfgang Niersbach, der damalige Präsident des Deutschen FußballBundes, nahm diese Vorlage auf und akzentuierte u. a. die Unterstützung des DFB für Fanbewegungen, die sich in Deutschland und Europa gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus im Fußball aufstellen und die in Warschau Mitveranstalter sowie federführend in der Organisation waren. Der Vertreter des polnischen Fußballverbandes, Sportdirektor Stefan Majewski, der in Deutschland als Mentor des StarStürmers Miro Klose einen guten Namen hat, nahm diese Einschätzungen in seinem freundlichen Grußwort auf (Für die Warschauer Veranstaltung vgl. Diethelm Blecking, Warschauer Dialog – Gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus im Fußball https://www.dosb.de/sonderseiten/news/, 28.1.2022). Im September 2015 fand dann anlässlich des Rückspiels in Frankfurt, das die Polen 3:1 verloren, die Folgeveranstaltung des Warschauer Dialogs aus dem Jahr 2014 statt. Mitveranstalter der kleinen Konferenz war diesmal das Zentrum für Historische Forschung der Polnischen Akademie der Wissenschaften Berlin. Angeleitet wurde die Konferenz einmal mehr durch die Denkwelt der Erinnerungsorte, die von dem bereits genannten französischen Historiker Pierre Nora entwickelt wurde. In Erinnerungsorten, die auch Menschen, Bilder, Ereignisse, Texte sein können, verdichtet sich Geschichte, wird spürbar und wirkungsmächtig für Gruppen, Großgruppen wie Nationen, aber auch für Einzelne. In ihrer Einleitung wies die Historikerin Anna Labentz auf den Konstruktionscharakter und den Gegenwartsbezug von Erinnerungsorten hin und zeigte dies plastisch am Bespiel des bereits genannten historischen Sieges der polnischen Nationalmannschaft über die deutsche vom vergangenen Oktober 2014 in Warschau, der – wie nicht anders zu erwarten – wieder öffentlich mit dem Sieg des polnisch-litauischen Heeres über den Deutschen Orden bei Tannenberg (Grunwald) 1410 verglichen wurde (Bericht über die Veranstaltung „‚Polen deutsche Fußballmeister?‘ – Deutsch-polnische Erinnerungsorte im Fußball – Frankfurt am 3. September 2015“ https://www.niewieder.info/aktivieren/download/archiv/, 28.1.2022), eben jenem polnischen Erinnerungsort par excellence, der schon 2008 (s.o.) auf dem Titel der Zeitschrift Fakt eine Rolles spielte. Die Schlussdiskussion des Symposiums wurde auf dieses Verhältnis von Sport, Geschichte und Politik zugespitzt. Die Rolle der öffentlichen Bilder, die durch die Allianzen bzw. Mesallianzen von Funktionären, Politikern, Spielern und Journalisten entworfen werden, und immer wieder in dieselben Sackgassen führen, wurde kontrovers und lebendig diskutiert. Das ungewöhnliche Begleitprogramm zu den beiden Länderspielen zeigte deutlich auf, wie groß das Bedürfnis bei den Interessierten in Polen und Deutschland war, über den Rand er Wettkampfstätten hinaus zu diskutieren. Die wirkungsmächtige Bundesanstalt für politische Bildung publizierte auf ihrer Internetplattform Beiträge zur Rolle polnischer Fußballer für die Entwicklung des organisierten deutschen Fußballs und widmete sich auch den deutsch-polnischen Fußball-Begegnungen (Blecking 2016 und Blecking 2014).  Sogar die Laufzeitschrift German Road Races gedachte in diesem intensiven Jahr deutsch-polnischer Sport-Gespräche der Sportler im Warschauer Aufstand (Diethelm Blecking, Sportler im Warschauer Aufstand am 1. August 1944 (https://germanroadraces.de/?p=34918), 29.1.2022.). Im Jahre 2016 jährte sich der hundertste Geburtstag des bereits mehrfach genannten schlesischen Ausnahmeathleten im Fußball Ernst Willimowski (Zu Willimowski vgl. zuletzt Blecking 2018). Der Spieler, der für Deutschland und für Polen in der Nationalmannschaft spielte, verkörpert einen weiteren gemeinsamen deutsch-polnischen Erinnerungsort. Zahlreiche Ausstellungs-, Buch- und Rundfunkprojekte (Vgl. u. a. Blecking; Huhn 2021, S. 195–203)  wurden kooperierend in Polen und in Deutschland auf den Weg gebracht. Nach Jahren zwischen Konflikt und Konkurrenz generierte der Sport im Zeitalter der Globalisierung auch an dieser Stelle ein Feld, auf dem sich deutsche und polnische Interessen genauso überkreuzen und mischen konnten, wie die Interessen der Subsysteme Sport und Ökonomie. Im Zeichen zunehmender Konflikte während der krisenhaften Entwicklung der Europäischen Union seit der Flüchtlingsmigration 2015, und im Zeichen einer nationalkonservativen Regierung in Polen ebenfalls seit 2015, muss von einer Verschlechterung des deutsch-polnischen Verhältnisses auf verschiedenen Ebenen gesprochen werden, die aber eher das Rechtssystem bzw. das ökonomische und politische System betrafen, weniger die Zivilgesellschaft (Agnieszka Lada; Peter Oliver Loew, Konstruktiv, aber nicht unkritisch, Die Beziehungen zwischen Polen und Deutschland sind viel besser als viele meinen, in: Frankfurter Rundschau vom 20.6.2021). Im Ruhrgebiet ist die Erinnerung an die Bedeutung der polnischen Migranten für die Zivilgesellschaft der Region institutionalisiert (Vgl. hierzu ausführlich die Informationen der in diesem Kontext gegründeten digitalen Plattform „Porta Polonica“ (https://www.porta-polonica.de/de/seite/porta-polonica), 29.1.2022) und ständig präsent. Der Sport spielt eine herausgehobene Rolle. Zum 700-jährigen Jubiläum der Stadt Bochum, die ein organisatorisches Zentrum der polnischen Zuwanderung war, erschien im Jahre 2021 auf der Plattform der Minderheit ein Beitrag, der genau diese Zusammenhänge aufwies (Diethelm Blecking,29.1.2022). Die Präsenz der zwei Millionen „Unsichtbaren“ (Loew 2014), so eine Chiffre für die in Deutschland lebenden Menschen mit polnischer Familienbiographie, garantiert eine Fortsetzung der Bemühungen um eine kritische Erinnerungskultur. Als wichtiger Teil der Zivilgesellschaft kann der Sport sich sowohl an den neuen Formen des Dialogs – wie in Warschau 2014 und Frankfurt 2015 – ausrichten, aber auch die Erfahrungen der polnischen Zuwanderer und die Reaktionen der deutschen Gesellschaft in verschiedenen historischen Formationen reflektieren. Immer in der Gewissheit, dass (Sport-) Geschichte, Sportbeziehungen und sportliche Events immanent auch als Beschleuniger von kulturellen Konflikten aufgerufen werden können. Die brückenbildende Kraft (bridging) des Sports ist kein Selbstläufer, die nationale und identitäre Bindekräfte (bonding) enfesselnde Kraft steht ständig bereit und lässt sich relativ leicht bei emotiona lisierten Begegnungen im historischen Rekurs auf Stereotypen und „Erfahrungen“ aktivieren.

 

Literatur:

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Blecking, Diethelm; Huhn, Daniel: Hybride Identitäten. Ernst Willimowski – Der doppelte Nationalspieler, in: Sport divers: Arbeitersport – Ethnischer Sport – Sport und Migration, hg. von Diethelm Blecking, Baltmannsweiler 2021, S. 195–203.

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Blecking, Diethelm, Prof. Dr., verfasste den Beitrag „Sport im Kontext deutsch-polnischer interkultureller Kommunikation: Vom Konflikt zur Konkurrenz“. Er ist außerplanmäßiger Professor an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg i. Breisgau und arbeitet in den Bereichen Sportgeschichte und Sportsoziologie.

 

 

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