Dariusz Wojtaszyn

Das deutsche Heterostereotyp der „polnischen Freiheit“

Das deutsche Heterostereotyp der „polnischen Freiheit“


Das deutsche Heterostereotyp der „polnischen Freiheit“ ist weniger prominent, da es im Schatten des Stereotyps der „polnischen Wirtschaft“ (→ polnische Wirtschaft) steht. Sein Erscheinen im deutschen Kulturkreis lässt sich auf die Zeit der polnischen Teilungen (1772–1795) zurückdatieren. Von Anfang an trat es auf zwei Konnotationsebenen auf. Ursprünglich schrieb man ihm eine positive Bedeutung zu. Seine Entstehung war mit der Verkündung der Verfassung vom 3. Mai 1791 verbunden, in der sich aufklärerische Ideale, das Erbe liberaler, republikanischer Ideen der Französischen Revolution, widerspiegelten. Im Gegensatz zu den radikalen Ereignissen in Frankreich nahmen die polnischen Reformen einen idealtypischen und friedlichen Verlauf, was von den deutschen Liberalen bewundernd zur Kenntnis genommen wurde. Ein die Verbreitung des Stereotyps begünstigender Faktor war der politische Kontext. Die europäische und deutsche Öffentlichkeit (mit Ausnahme Preußens) betrachteten die zweite und dritte Teilung Polens als moralisch und politisch verwerflich. Unter diesen Umständen war es einfacher, die positiven Eigenschaften der Polen, die ihren mächtigen Nachbarn ausgeliefert waren, wahrzunehmen, umso mehr, als sie sich zur Wehr setzten und versuchten, sich aus ihrer misslichen Lage zu befreien. Einer dieser Versuche war der Kościuszko-Aufstand, dessen Protagonist Tadeusz Kościuszko zur Verkörperung der „polnischen Freiheit“ und zur literarischen Ikone des Freiheitskampfes wurde.

Andererseits wurde die „polnische Freiheit“ bisweilen auch negativ konnotiert. An dieser Stelle sei an eine Äußerung Immanuel Kants aus der Dohna-Anthropologie von 1792 erinnert: „Unter ihrem Geschrei nach Freiheit verstehen sie nur einzelne, aber nicht Staatsfreiheit“ (Zit. nach: Orłowski 1996, S. 244). Die „polnische Freiheit“ war in diesem Kontext eine falsch verstandene Freiheit, die sich auf den engen Kreis der privilegierten Eliten beschränkte, was in evidentem Widerspruch zu den Ideen stand, die von der deutschen liberalen Bewegung vertreten wurden. Eine solche Interpretation stützte sich auf das (u. a. dank des Stereotyps von der „polnischen Wirtschaft“) sukzessiv verbreitete Bild des damaligen polnischen Staates, der als eine Adelsgesellschaft wahrgenommen wurde, die in Anarchie und Willkür versank. Dieses Bild war insbesondere für Preußen zur Zeit der Teilungen von Vorteil. Dadurch ließ sich sowohl die Beteiligung an der Zerschlagung der Rzeczpospolita als auch die Übernahme der Oberhoheit über Teile des polnischen Territoriums rechtfertigen.

Mit dem Novemberaufstand 1830 begann eine neue Epoche in der Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen, und dem Stereotyp der „polnischen Freiheit“ wurde „neues Leben“ eingehaucht. Dieses Kapitel in den bilateralen Beziehungen, das den Zeitraum vom Ausbruch des Novemberaufstandes bis zum Völkerfrühling (1830–1848) umfasst, wird von den meisten ForscherInnen als etwas Besonderes betrachtet, da es in der deutschen Geschichte und Literatur eine ähnliche „Polenbegeisterung“ – was die gesellschaftliche Relevanz und literarische Resonanz betrifft – bis dahin nicht gegeben hatte und Vergleichbares sich später auch nicht wiederholen sollte.

Der zum Scheitern verurteilte, dadurch jedoch umso heroischere Kampf der Polen im Novemberaufstand (1830–1831) sowie die anschließende „Große Auswanderung“, der Exodus Tausender polnischer Aufständischer, vor allem nach Frankreich, weckte in Deutschland Mitleid und Sympathien und vermittelte das Gefühl, eine Kampf- und Schicksalsgemeinschaft zu bilden. Der Durchzug der besiegten Aufständischen durch die deutschen Staaten verwandelte sich, sofern die lokalen Behörden es erlaubten, in einen Triumphzug. Die Aufenthalte der polnischen Aufständischen dauerten Monate und wurden von Bällen, Banketten und Konzerten begleitet. Gleichzeitig verbreiteten sich Erzählungen und Legenden vom heroischen Kampf der Polen und ihrer Freiheitsliebe. Die bekannteste Manifestation des deutschen Polenenthusiasmus war das Hambacher Fest (27.5.–1.6.1832), dessen Teilnehmer den Aufständischen ihre moralische Unterstützung zusicherten. In vielen Reden wurde auf die „polnische Freiheit“ Bezug genommen. Den Höhepunkt der deutsch-polnischen Freundschaftsbekundungen bildete Johannes Fitz’ Rede: „[…] ohne Polens Freiheit keine deutsche Freiheit! Ohne Polens Freiheit kein dauernder Friede, kein Heil für alle anderen europäischen Völker!“ (Jaroszewski 1995, S. 68).

Die damaligen Ereignisse riefen unter deutschen Dichtern, Schriftstellern und Publizisten eine überaus lebhafte Reaktion hervor. In den Jahren 1831–1834 entstanden Hunderte historischer Skizzen und Darstellungen, erschienen massenhaft Aufrufe und Korrespondenzen aus Polen und über Polen. Es wurden in einem fort Bücher verfasst, die sich mit dem Alltagsleben des geteilten Landes beschäftigten und Aspekte berührten, über die die polnische Emigration diskutierte. Polnische Freiheitsmotive sind auch in zahlreichen Anekdoten und Erzählungen von damals zu finden. Ein eigenes Kapitel bilden die „Polenlieder“, poetische Werke, die in der Zeit des Novemberaufstandes oder kurz danach entstanden und das historische Ereignis und seine Folgen zum Thema haben. Es wurden insgesamt mehr als tausend „Polenlieder“ geschrieben; ihre Autoren kamen aus nahezu allen deutschen Ländern und waren Anhänger unterschiedlicher politischer Orientierungen. Fast alle „Polenlieder“ besingen ein idealisiertes Polen und dessen BewohnerInnen. Die Liederschreiber betonen die unterschiedlichen Charakterzüge der polnischen Aufständischen, vor allem ihren Edelmut und ihre Freiheitsliebe. In den Werken, die polnischen Nationalhelden gewidmet sind, nehmen die heroischen Attribute eine exponierte Stellung ein. Mitunter gibt es eine offensichtliche Dissonanz zwischen dem intendierten Bild der historischen Figur und ihren tatsächlichen Eigenschaften, was die These bestätigt, dass manch polnischer Held nur als idealisiertes Vorbild gezeigt wird, das sich hauptsächlich auf die Fantasie des Dichters, nicht auf historische Tatsachen stützt. Die vorübergehende Popularität der „polnischen Sache“ in den deutschen Gesellschaften, die vom Heroismus ihrer Nachbarn tief beeindruckt waren, trug dazu bei, das Bild des Polen, der unter Einsatz seines Lebens um die Freiheit kämpft, zu verbreiten. Das Freiheitsmotiv erschien auf drei Bedeutungsebenen in unterschiedlichem politischem Kontext: in Verbindung mit der Auflehnung gegen die diktatorische Tyrannei der Teilungsmacht; in der nationalen Perspektive, die die Erlangung der Unabhängigkeit in den Vordergrund rückte; und im gesellschaftlichen Zusammenhang, in Anknüpfung an den Kampf mit dem rückständigen Fronsystem, um die unterdrückten Stände von der Leibeigenschaft zu befreien.

Sucht man nach den Ursachen für das große deutsch-polnische Gemeinschaftsgefühl und die allgemeine Glorifizierung der „polnischen Sache“, der polnischen Freiheit, kommt man nicht umhin, auf die naheliegenden politischen Motive zu verweisen. Die Deutschen, die im zersplitterten Deutschen Bund lebten, betonten den Mut, den Kampfgeist und die Freiheitssehnsucht, um ebendiese Eigenschaften in der eigenen Gesellschaft zu wecken. Indem man den aufopferungsvollen Befreiungskampf des polnischen Volkes verherrlichte, versuchte man, die Sehnsucht nach einer verfassungsmäßig garantierten Freiheit zu nähren, was indirekt zur Märzrevolution in Deutschland 1848 beitrug. Neben den hehren Idealen der Liberalen hatte der deutsche Polenenthusiasmus auch pragmatische Gründe. Man nahm nicht Bezug auf die grundsätzlichen Ziele des polnischen Freiheitsaufstandes, sondern instrumentalisierte ihn, sah darin die Chance, Russlands Hegemonie in Mitteleuropa zu brechen. Die Etablierung eines unabhängigen polnischen Staates zielte darauf ab, eine Art Puffer zu schaffen, der einen zukünftigen deutschen Staat vor einer potenziellen russischen Bedrohung schützen sollte.

Die Erweckung des „deutschen Nationalgeistes“ führte zu zwei gegensätzlichen Tendenzen: einerseits zum Streben nach Unabhängigkeit und zur Forderung, die Souveränität Polens wiederherzustellen; andererseits zur Verteidigung deutscher Territorialinteressen. Als deutlich wurde, dass sich beides nicht gut miteinander verbinden ließ, kühlte die Polenbegeisterung der deutschen Liberalen rasch ab. Nur wenige Schriftsteller und Dichter, die sich bis dahin als Polenenthusiasten zu erkennen gegeben hatten, blieben ihren Idealen treu. In der überwiegenden Mehrheit wurden sie mit der Zeit zu Konservativen, die sich vor allem von deutschen Nationalinteressen leiten ließen und Polen das Recht auf Selbstbestimmung absprachen. Das eklatanteste Beispiel für die deutsche Kehrtwende war die Polendebatte in der Nationalversammlung, die in der Frankfurter Paulskirche tagte. Der frühere Enthusiasmus für den Freiheitskampf Polens in den Reihen der deutschen Liberalen wurde kategorisch geleugnet, stattdessen wurde zu einem „gesunden Volksegoismus“ und zur Anerkennung „der deutschen Eroberungen in Polen“ als einer „Naturnotwendigkeit“ aufgerufen.

Die deutschen Bemühungen, sich zu vereinigen, veränderten die Wahrnehmung Polens, sein Bild verschlechterte sich. Dies hatte zur Folge, dass die „polnische Freiheit“ aus dem öffentlichen Diskurs verdrängt wurde. Die bisherigen Sympathien für den Unabhängigkeitskampf der Polen wurden als Schwäche ausgelegt und mit Romantik, Theatralität, spontanem und impulsivem Verhalten ohne politischen Realismus assoziiert. Unter dem Einfluss der sich in den folgenden Jahren verändernden politischen Situation verschwand das Stereotyp in Deutschland fast vollständig aus dem öffentlichen Raum.

Seine Wiedergeburt erfolgte erst rund hundert Jahre später in einem neuen politischen Kontext. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Deutschland in zwei Staaten geteilt – in die DDR und die BRD –, was zu einer dichotomischen Wahrnehmung Polens und dessen BewohnerInnen durch die staatlichen Institutionen beider Länder und zu einer Spaltung der deutschen Gesellschaft führte. Die sich in der DDR etablierenden kommunistischen Machthaber versuchten, das negative Polenbild im Bewusstsein der Bevölkerung zu verändern. Zu diesem Zweck bediente man sich des Stereotyps der „polnischen Freiheit“, das in Abhängigkeit von der aktuellen politischen Situation instrumentalisiert wurde. Anfangs berief man sich auf den Polenenthusiasmus des Völkerfrühlings mit all seinen Komponenten. Fehlende Kenntnisse der Fakten und historische Ressentiments konterkarierten die ergriffenen Maßnahmen. Aufgrund der mangelhaften historischen Bildung waren die Bemühungen zum Scheitern verurteilt. In Westdeutschland hingegen war der Diskurs zum Thema Polen durch dessen Zugehörigkeit zu einem anderen politischen System und die Existenz des Eisernen Vorhangs bestimmt, das heißt, er stieß – mit Ausnahme der Grenzfrage – auf allgemeines Desinteresse.

Die veränderte gegenseitige Wahrnehmung in den offiziellen Beziehungen zwischen der Volksrepublik Polen und der DDR und die gleichzeitige Wiederbelebung einzelner Komponenten des Stereotyps der „polnischen Freiheit“ wurde 1972 durch die Öffnung der Grenze und durch einen visa- und passfreien Reiseverkehr zwischen beiden Staaten herbeigeführt. Diese politische Entscheidung ermöglichte eine authentische Annäherung beider Gesellschaften und wurde von den BewohnerInnen beider Länder begrüßt, wovon der touristische Verkehr in bisher ungekanntem Ausmaß zeugte. Bei den meisten TouristInnen, insbesondere bei den VertreterInnen der jüngeren Generation, überwogen wohlwollende, freundliche und positive Einstellungen, sie waren auch bereit, persönliche Kontakte zu knüpfen. Dadurch kam es zu persönlichen Freundschaften, gar zu Eheschließungen. Offenheit und Gastfreundschaft der Polen wurden hochgeschätzt, was in Kommentaren, wie „In Polen lässt es sich leben“ oder „Wir fühlen uns hier wie zu Hause“ (Olschowsky 2001, S. 59), Ausdruck fand. Man begann bei den Polen positive Charakterzüge zu entdecken, die sich auf einzelne Aspekte des Stereotyps der „polnischen Freiheit“, wie Romantik und Ungezwungenheit, bezogen. Einen nicht geringen Einfluss auf diese Wahrnehmung hatte die damalige kulturelle Atmosphäre in Polen. Für die DDRBürgerInnen war gerade der Kontrast in diesem Bereich besonders auffällig. Die polnische Kultur wurde mit einer gewissen Protesthaltung in Verbindung gebracht, was in der DDR mitnichten der Fall war. Auch die Mentalität der Polen ermutigte zu Offenheit und Ehrlichkeit, bei einer gleichzeitigen Neigung zur Ironie und Selbstironie. Für viele TouristInnen war Polen eine Art freiheitliches Refugium.

Bald darauf traten in den bilateralen Beziehungen erste Irritationen auf. Ab 1975 nahmen die gegenseitigen Kontakte allmählich ab, Grund dafür war die unzulängliche touristische Infrastruktur, die Preisunterschiede und die mangelnde Verfügbarkeit bestimmter Waren. Auf Seiten der DDR war man sich bewusst, einem derart großen Ansturm polnischer BesucherInnen nicht gewachsen zu sein. Die zunehmenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten in Polen erhöhten, durch Einkaufstouristen aus dem Osten, den Druck auf den DDR-Markt. Die immer zahlreicheren polnischen Reisegruppen waren ein Problem für die Organisation des Handels und die Versorgung der DDR-BürgerInnen mit Waren gewesen, woraufhin die deutsche Seite mit Beschränkungen reagierte. Dies führte zu zahlreichen Konflikten, die die gegenseitigen Vorurteile verstärkten. Die Polen wurden von der ostdeutschen Gesellschaft, die selbst mit Versorgungsengpässen zu kämpfen hatte, hauptsächlich als Konkurrenten beim Kauf rationierter und defizitärer Waren betrachtet. In dieser Atmosphäre entstanden Polenwitze, die sich großer Beliebtheit erfreuten. Hatten die DDR-BewohnerInnen noch wenige Jahre zuvor die Polen für ihren Freiheitsdrang bewundert, wurde dieser in der veränderten sozioökonomischen Situation negativ assoziiert und auf → Romantik, Theatralität und mangelnden Pragmatismus reduziert. In diesem Kontext erschien die „polnische Freiheit“ als Pflichtvergessenheit, die sich ausschließlich auf geistige Erlebnisse konzentrierte und die materielle Sphäre des menschlichen Zusammenlebens ignorierte.

Dass Polen ins Bewusstsein breiter Kreise der deutschen Gesellschaft rückte, sowohl in der DDR als auch in der BRD, hatte mit den politischen Krisen der Jahre 1956, 1970 und vor allem mit der Entstehung der „Solidarność“ 1980/1981 zu tun. Charakteristisch war das ambivalente Verhältnis zu den Manifestationen des polnischen Volkswillens – Musterbeispiele des Stereotyps der „polnischen Freiheit“. Einen Sonderfall bildete die Rezeption der „Solidarność“ und der mit ihr verbundenen großen Freiheitsbewegung der polnischen Gesellschaft. Beide deutsche Regierungen waren – ungeachtet ihrer unterschiedlichen Reaktionen – an einer „Normalisierung“ und Beruhigung der politischen Situation in der Volksrepublik Polen interessiert. Die sozialliberale Bundesregierung betrachtete die Gründung der „Solidarność“ und die Forderungen der polnischen Gesellschaft nach Freiheit als eine Störung ihrer Ostpolitik. Die Bonner Regierenden unterschätzten die Rolle und politische Bedeutung der neuen, unabhängigen Gewerkschaft in Polen. Für die SED-Führung waren die polnischen Freiheitsbekundungen hingegen eine unmittelbare Bedrohung ihrer staatlichen Existenz. Die „polnische Freiheit“ wurde in diesem Zusammenhang mit politischem Abenteurertum gleichgesetzt und als Gefährdung des Weltfriedens und Beeinträchtigung des internationalen Entspannungsprozesses betrachtet – von dem beide deutsche Staaten Nutznießer waren.

Der Umgang mit der Gewerkschaft „Solidarność“, die die Ideale der „polnischen Freiheit“ verkörperte, war in Ost- und Westdeutschland unterschiedlich. Die Haltung der DDR-BewohnerInnen hing von ihrem individuellen Freiheitsverständnis ab. Einfluss darauf hatten sowohl die Unterordnung und Anpassung an die herrschenden Verhältnisse als auch die marxistisch-leninistische Ideologie, wonach Freiheit nur infolge des revolutionären Kampfes der Arbeiterklasse erreicht werden konnte. Aus diesem Grund wurden die Forderungen der polnischen Arbeitnehmerschaft, die demokratische Freiheiten wie Rede-, Presse- oder Versammlungsfreiheit für sich beanspruchten, als Manifestationen eines „bourgeoisen“ Freiheitsbegriffs zurückgewiesen. In Kombination mit einer intensiven antipolnischen Propaganda, wobei die ökonomischen Aspekte der „Solidarność“-Forderungen betont wurden, führte dies in der DDR-Bevölkerung zu einem verzerrten Bild der polnischen Gewerkschaft und einer überwiegend ablehnenden Haltung. Im Unterschied dazu nahmen DDR-BürgerrechtlerInnen die freiheitlichen Aspekte der polnischen Gewerkschaftsbewegung wahr. Ähnlich wie zur Zeit der Polenbegeisterung 1830–1832 machte man sich jene Forderungen zu eigen, die elementare Bürgerfreiheiten betrafen, und versuchte diese, auf die ostdeutschen Realien zu übertragen. Auf diese Weise wurde die „Solidarność“ zu einer Inspirationsquelle für oppositionelle Kreise in der DDR.

Auch in der BRD war das Verhältnis zur polnischen Freiheitsbewegung uneinheitlich. Ein Teil der Bevölkerung teilte die distanzierte Haltung der Regierung von Helmut Schmidt, was sich in zahllosen Karikaturen in den viel gelesenen Wochenzeitschriften niederschlug, die (auf spöttische und ironische Weise) das polnische Freiheitsgefühl aufs Korn nahmen. Andererseits sah man das Aufbegehren der Polen als aufopferungsvollen Kampf um die wahre Unabhängigkeit des Volkes sowie als Symbol für den Befreiungskampf des gesamten Ostblocks vom Joch des Kommunismus. Ausdruck dieser Haltung war eine breite gesellschaftliche Bewegung, die Sammelaktionen und Spendentransporte in das krisengeschüttelte Polen organisierte. Eine wichtige Rolle spielten dabei die überall im Land entstehenden Solidaritäts-Komitees, die sich bemühten, das Interesse der westdeutschen Gesellschaft an den Ereignissen in Polen wachzuhalten, indem sie eine öffentliche Diskussion initiierten und moderierten, die Motive der „polnischen Freiheitsliebe“ in den Vordergrund rückte.

Im deutschen Sprachraum waren das Erscheinen und die Verbreitung des Heterostereotyps der „polnischen Freiheit“ eng mit konkreten historischen Geschehnissen verbunden. Es funktionierte in Abhängigkeit von bestimmten geschichtlichen Fakten, in denen es wurzelte, was jedoch eine vom situativen Kontext losgelöste Existenz nicht ausschloss. Mit Hilfe dieses Begriffs versuchte man, die Reaktionen der polnischen Gesellschaft auf bestimmte historische Ereignisse zu erklären. Die historischen Begebenheiten, anlässlich derer man – zumeist nicht explizite – auf einzelne Komponenten des Stereotyps der „polnischen Freiheitsliebe“ hinwies, beweisen dessen erstaunliche Lebendigkeit und Wandlungsfähigkeit. Die „polnische Freiheit“ lässt sich drei Bedeutungsbereichen zuordnen. Seine internationalistische, politische Dimension nimmt auf aufklärerische Ideale und Schlüsselbegriffe des Liberalismus Bezug und wird mit den Menschen- und demokratischen Grundrechten in Verbindung gebracht, vor allem mit der Gedankenund Pressefreiheit. Eine weitere Deutung betont den Topos des verlorenen Vaterlandes und des nationalen Befreiungs- und Unabhängigkeitskampfes. Die dritte Bedeutungsebene des Stereotyps konzentriert sich auf Eigenschaften wie Würde, Stolz, Selbstlosigkeit und Mut im Freiheitskampf, die für die individuelle Freiheit stehen. In dieser Form ist sie ein Gegenbild zum deutschen Autostereotyp und kann – im Gegensatz zum Heterostereotyp der „polnischen Wirtschaft“ – als Inbegriff der positiven Komponenten (Spontaneität, Romantik usw.) interpretiert werden, die dem unkritischen Huldigen des protestantischen Arbeitsethos und Effizienzzwangs gegenübergestellt werden.

Die „polnische Freiheit“ hat aufgrund ihrer großen Komplementarität zu deutschen Autostereotypen zwei konnotative Varianten – eine positive und eine negative. Ihre Interpretation ist abhängig von der Intention der Personen, die den Begriff benutzen, sowie von der Rezeption des jeweiligen historisch-politischen Kontexts. Sie kann sich auf den Heroismus der Polen beziehen, in Form von Anerkennung oder Bewunderung für ein Handeln, das die (individuelle oder nationale) Freiheit an die erste Stelle setzt. Sie kann aber auch das von vornherein zum Scheitern verurteilte, unüberlegte und sinnlose Vorgehen kritisch unter die Lupe nehmen. Gegenwärtig funktioniert die „polnische Freiheit“ im öffentlichen Diskurs nicht als eigenständiges Stereotyp, obwohl einzelne seiner Elemente in der Medienberichterstattung über die Proteste von Teilen der polnischen Zivilgesellschaft gegen die Regierungspolitik der Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) auftauchen. Folglich kann das Stereotyp, sofern bestimmte gesellschaftspolitische Bedingungen gegeben sind, im Bewusstsein der deutschen Gesellschaft wiedererstehen, wie dies in der Vergangenheit bereits mehrfach der Fall gewesen ist, und den Diskurs über den östlichen Nachbarn prägen.

Aus dem Polnischen von Andreas Volk

 

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Wojtaszyn, Dariusz, Dr. habil., verfasste die Beiträge „Das deutsche Heterostereotyp der ‘polnischen Freiheit‘“ und „Deutsche Geschichte in polnischen Geschichtslehrbüchern“. Er ist Professor am Willy Brandt Zentrum für Deutschland- und Europastudien der Universität Wrocław. Er arbeitet in den Bereichen: deutsch-polnische Beziehungen nach dem 2. Weltkrieg, internationale Schulbuchforschung und Sportgeschichte.

 

 

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