Paweł Urbaniak

Selbstkontrolle der Medien und journalistische Ethik in Polen und Deutschland



In Deutschland wie in Polen müssen sich die Medien mit denselben ethischen Fragen auseinandersetzen. In beiden Ländern ist eine Politisierung, Boulevardisierung und sinkende Professionalität von Medien zu beobachten. Unterschiedlich ist nur das Ausmaß der Probleme, zumal im Hinblick auf die öffentlich-rechtlichen Medien. Auf beiden Seiten der Oder versucht man auf zwei Weisen, die Ethik der Medien zu stärken: Zum einen durch regulatorische Vorgaben und zum anderen durch Selbstkontrolle. Das entspricht dem Grundsatz, dass ein ethisches Handeln der Medien entweder durch externe staatliche Kontrollinstanzen gewährleistet werden kann oder aber – als bessere Lösung (bzw. effektive Ergänzung staatlicher Instanzen) – über die interne Kontrolle des journalistischen Milieus durch die Medienschaffenden selbst, das heißt durch Instrumente der Selbstregulierung.

Modelle des Journalismus

Das Mediensystem eines Landes lässt sich anhand des Grads der Autonomie und Unabhängigkeit der Medien von staatlichen Institutionen sowie des Niveaus ihrer – auch ethischen – Professionalisierung charakterisieren. Anhand dieser Kriterien unterscheiden Daniel Hallin und Paolo Mancini in ihrem Standardwerk Comparing media systems: Three models of media and politics (Hallin; Mancini 2004) drei grundlegende Modelle von journalistischen Kulturen und Mediensystemen: das mediterrane, das nord- und zentraleuropäische sowie das nordatlantische. Die den jeweiligen Modellen zuzuordnenden Mediensysteme unterscheiden sich laut Hallin und Mancini im Professionalisierungsgrad der journalistischen Kultur: Typisch für das mediterrane Modell sind ein niedriger Professionalisierungsgrad und eine starke Instrumentalisierung durch den Staatsapparat, Merkmale des nord- und zentraleuropäischen Modells sind starke Professionalisierung und institutionalisierte Selbstregulierung, charakteristisch für das nordamerikanische Modell ist ein hoher Professionalisierungsgrad bei gleichzeitigem Fehlen eines institutionellen Systems der Selbstregulierung. Das deutsche Mediensystem wird von Hallin und Mancini unter anderem wegen der langen Tradition der Selbstregulierung und der von den meisten deutschen Medien praktizierten hohen ethischen Standards dem nord- und zentraleuropäischen Modell zugeordnet. Das polnische Mediensystem fehlt in Hallins und Mancinis Klassifikation, doch die daran anschließenden Arbeiten thematisieren meist Züge dieses Systems (etwa den geringen Grad der Professionalisierung, die niedrigen ethischen Standards oder die kaum entwickelten Instrumente zur Selbstregulierung), die eine Zugehörigkeit zum mediterranen Modell nahelegen (Wyka 2008).

Traditionelle Selbstregulierungsinstrumente in Deutschland

 Eine besondere Stellung unter den institutionalisierten Instrumenten des Verantwortungssystems der Medien (Der Begriff „Verantwortungssystem der Medien“ stammt von Jean Claude Bertrand, der darunter „alle nichtstaatlichen Mittel zur Sicherung der Verantwortung der Medien gegenüber den Rezipienten“ versteht Bertrand 2000) hat in Deutschland der 1956 von Journalisten- und Verlegerverbänden gegründete Deutsche Presserat. Finanziert wird er einerseits durch den Deutschen Journalisten-Verband (DJV) und die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (DJU) sowie andererseits durch den Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) und den Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ). Dadurch ist der Rat unabhängig von staatlichen Einflüssen. Mit der Gründung des Presserats kamen die Verbände Plänen des Bundesinnenministeriums zuvor, das eine behördliche Instanz zur Presseregulierung schaffen wollte (Eberwein; Fengler; Bastian; Brinkmann 2018). Der Presserat hat zwei grundlegende Aufgaben: die Gewährleistung der Pressefreiheit in Deutschland und die Prüfung von Beschwerden über mutmaßliche Verstöße gegen den 1973 verabschiedeten Pressekodex (solche Beschwerden können von jedem eingereicht werden). Dieser Kodex enthält regelmäßig aktualisierte Richtlinien für die journalistische Arbeit (Eberwein 2011, S. 81).

Nach Auffassung deutscher Medien- und KommunikationswissenschaftlerInnen, aber auch nach den Ergebnissen vergleichender Studien zur Wirksamkeit selbstregulatorischer Instrumente hat der Deutsche Presserat nur begrenzten Einfluss auf die journalistische Praxis. In einer MediaAcT-Studie zu den Selbstregulierungssytemen in ausgewählten europäischen Ländern (Das internationale Forschungsprojekt Media Accountability and Transparency in Europe (MediaAcT) wurde im Rahmen des von der Europäischen Union finanzierten Seventh Framework Programme durchgeführt. Beteiligt waren elf Forschungszentren aus Europa und zwei aus Afrika. Für Polen beteiligte sich die Abteilung Journalismus und Öffentliche Kommunikation des Instituts fürPolitologie der Universität Warschau) bezeichneten nur 30 % der befragten deutschen Medienschaffenden den Einfluss des Presserats als groß oder sehr groß. Weitaus effektiver sind nach Einschätzung der Befragten Instrumente wie das Medienrecht oder die ethischen Richtlinien von Redaktionen und Verlagen (Fengler; Eberwein; Mazzoleni; Porlezza; Russ-Mohl 2014).

Der Deutsche Presserat befasst sich seit seiner Gründung mit Print- und seit 2009 darüber hinaus mit Internetmedien. Für Fernsehen und Rundfunk gibt es in Deutschland keine Institution der Selbstregulierung. Die öffentlich-rechtlichen Sender (ARD und ZDF) verfügen jedoch im Rahmen ihrer Organisationsstruktur über eigene Regulierungsorgane zur Sicherung der Qualität – auch der ethischen – ihrer Programme. Die Mitglieder dieser Kontrollorgane werden von staatlichen Subjekten berufen, weshalb sie eindeutig regulatorischen Charakter haben.

Neben den skizzierten Instrumenten sind weitere Organisationen zu nennen, die im Rahmen der Selbstregulierung bestimmte Aspekte des Medienschaffens kontrollieren. Zu nennen wäre etwa die 1949 gegründete Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK), deren Aufgabe in der Festlegung von Altersfreigaben für im Kino oder auf unterschiedlichen Trägern vertriebene Filme besteht. Die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) erteilt Altersfreigaben für Video- und Computerspiele. Der Werbesektor unterliegt der Selbstkontrolle durch den seit 1972 bestehenden Deutschen Werberat und den 1987 gegründeten Deutschen Rat für Public Relations. Nach Auf­fassung deutscher Beobachter dieser Art von Organisationen teilen beide das Problem vergleichbarer Einrichtungen in anderen Ländern: Ihre gesellschaftliche Erkennbarkeit ist gering (Eberwein; Fengler; Bastian; Brinkmann 2018).

Eine wichtige Funktion im deutschen Verantwortungssystem der Medien hat nach Ansicht deutscher Medien- und KommunikationswissenschaftlerInnen die Berichterstattung von Medien über Medien (Eberwein; Fengler; Bastian; Brinkmann 2018).  So veröffentlichen die meisten Qualitätstageszeitungen (etwa die Süddeutsche Zeitung oder die Frankfurter Allgemeine Zeitung) täglich Medienseiten mit Artikeln unter anderem zu Themen der Medienethik. Auch meinungsbildende Wochenzeitschriften wie Der Spiegel oder Die Zeit haben feste Medienrubriken. Darüber hinaus gibt es einige online erscheinende Branchenmagazine, die sich ausschließlich mit Medienthemen befassen unter anderem Journalist (journalist), M (http://www.verdi.de/mmm/) , Medium Magazin (Homepage - medium magazin). Während letztere hauptsächlich von JournalistInnen und MedienmanagerInnen gelesen werden, erreichen die Titel der Publikumspresse mit ihren Texten zu Medienthemen eine breite Leserschaft, womit sie das Bewusstsein der RezipientInnen für das Wesen des zeitgenössischen Journalismus stärken und gleichzeitig die Aufmerksamkeit auf qualitative Unterschiede im ethischen Niveau konkreter Redaktionen lenken.

Auch in Rundfunk und Fernsehen gibt es regelmäßige Sendungen zu Medienthemen. Die wichtigste Fernsehsendung, die sich ausschließlich mit Medienthemen befasst, ist die wöchentlich im NDR laufende Sendung ZAPP. Die Redaktion beschreibt sich selbst als Gruppe von „Menschen, die wöchentlich hinter die Kulissen von Zeitungen, Radio, Fernsehen und Internet schauen und die journalistische Arbeit im Auge behalten“ (https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/zapp/wir_ueber_uns/index.html, 31.10.2020).  Zu nennen sind auch einzelne Beispiele für regelmäßige Radioformate zu Medienthemen. So sendet etwa der Deutschlandfunk samstagnachmittags das Magazin Markt und Medien, auf WDR 5 läuft ebenfalls samstagsnachmittags das Programm Texte, Töne, Bilder.

Innovative Instrumente der Medienverantwortung in Deutschland

Auf der Suche nach neuen Möglichkeiten zur Gewährleistung von Verantwortung und Transparenz arbeiten viele deutsche Medien seit Beginn des Jahrtausends mit zusätzlichen redaktionsinternen Instrumenten. Ein Beispiel ist die Wiederbelebung der Instanz des für die Kontrolle der Ethik und Professionalität der MitarbeiterInnen einer konkreten Redaktion zuständigen Ombudsmanns (Eberwein; Fengler; Bastian; Brinkmann 2018).  Einer der aktivsten ist derzeit Anton Sahlender, stellvertretender Chefredakteur der Regionalzeitung Main-Post und zugleich Pressesprecher der 2014 gegründeten Vereinigung der Medien-Ombudsleute, die alle vierzehn derzeit in Deutschland tätigen Redaktionsombudsleute versammelt.

Während ethische Richtlinien auf Redaktionsebene in Deutschland traditionell eher selten sind, haben im 21. Jh. einige Medienorganisationen entsprechende Dokumente implementiert, darunter der Axel Springer Verlag (2003) und die Funke Mediengruppe (2007). Auch das öffentlich-rechtliche ZDF hat für seine journalistischen Mitarbeiter Leitlinien und einen Ethikkodex verabschiedet, der vor allem die Vermeidung aggressiver Berichterstattung betrifft. Der Axel Springer Verlag und die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ, Funke Mediengruppe) haben überdies Leserbeiräte gegründet, deren Rolle darin besteht, die Redaktionen auf vernachlässigte Themen hinzuweisen und professionelle oder ethische Schwächen in der Berichterstattung zu benennen. Andere Zeitungen, die diesem Beispiel folgten und ebenfalls Leserbeiräte installierten, sind die Regionalzeitungen Braunschweiger Zeitung und die Neue Osnabrücker Zeitung.

Die meisten deutschen Redaktionen sind nicht sonderlich offen für die Mitgestaltung des redaktionellen Rahmens und der Inhalte durch LeserInnen. Es gibt jedoch einige erwähnenswerte Ausnahmen: So lud die Tageszeitung (taz) ihre LeserInnen in den vergangenen Jahren mehrfach via Facebook zur Teilnahme an Redaktionssitzungen ein. Der öffentlich-rechtliche Sender Radio Wissen hat die Sendung Redaktionskonferenz im Programm. Sie läuft von Montag bis Donnerstag abends und bietet HörerInnen die Möglichkeit, mit den ModeratorInnen über konkret ausgestrahlte Beiträge zu sprechen.

Immer größere Bedeutung erlangen in Deutschland Projekte, die von den traditionellen Formen der Selbstregulierung abweichen. Ein Beispiel dafür sind Blogs zu Medienthemen. Seit 2004 existiert etwa die Seite Bildblog (https//bildblog.de/), die systematisch Beiträge zur Verletzung ethischer Standards durch Redaktionen und Medienschaffende veröffentlicht. Anfangs befasste sie sich ausschließlich mit der Boulevardzeitung Bild, seit 2009 analysiert sie die gesamte deutsche Medienlandschaft. Ein bekannter Medienblog ist auch blog. tagesschau.de. (Antworten rund um ARD-aktuell: Häufige Fragen zur tagesschau | tagesschau.de),  Mitarbeiter der wichtigsten ARD-Nachrichtensendungen (Tagesschau und Tagesthemen) nutzen diesen Blog, um ihre redaktionellen Strategien mit den Usern zu diskutieren. Auf der Seite Pottblog (https://www.pottblog.de/) wiederum kommentieren MediennutzerInnen aus dem Ruhrgebiet die Arbeit der Medien ihrer Region, insbesondere Beiträge der Tageszeitung WAZ.

Medienblogs als Form der Medienkritik haben sich im vergangenen Jahrzehnt sehr dynamisch entwickelt und geben Anlass zur Hoffnung, dass sie dazu beitragen können, dass Medien sich aus der „Falle der Selbstbeobachtung“ (Eberwein 2008) befreien. Untersuchungen zeigen nämlich, dass die Medienkritik in Blogs potenziell ein effektives Mittel zur Kontrolle von Inhalt und Form journalistischer Berichterstattung darstellen, zumal auf dem Feld des Boulevardjournalismus (Schönher 2008), und dass Blogs zu Medienthemen zur Reflexion über Praktiken guten Journalismus anregen können. (Mayer et al. 2009).

Das Verantwortungssystem der Medien in Polen

 Das in Polen bestehende Modell des Wirkens der Massenmedien impliziert die Einhaltung der Grundsätze der vom Gesetzgeber bestimmten gesellschaftlichen Aufgaben durch die Medienorganisationen. Diese Aufgaben sind meist durch Gesetze oder Vorschriften in Konzessionen definiert. Diese legen das Profil sowie die Sendereichweite von Radio- und Fernsehsendern fest, womit diese von der in Polen betriebenen Medienpolitik abhängig sind. Den größten Einfluss auf die Gestalt des polnischen Medienmarkts haben das Gesetz vom 26. Januar 1984 – Presserecht (Ustawa z 26 stycznia 1984 roku – Prawo prasowe) sowie das Gesetz vom 29. Dezember 1992 über Rundfunk und Fernsehen (Ustawa z 29 grudnia 1992 roku o radiofonii i telewizji).

Das polnische Medienrecht sieht auch Institutionen vor, die für die Sicherung von Meinungsfreiheit und Medienpluralismus sowie für die Kontrolle der auf dem Medienmarkt aktiven Sender und Verlage verantwortlich sind. Zu ihnen gehört etwa der Nationale Rundfunk- und Fernsehrat (Krajowa Rada Radiofonii i Telewizji, KRRiTV), der laut Gesetzestext „die Meinungsfreiheit in Rundfunk und Fernsehen, die Unabhängigkeit der Medien und die Interessen der RezipientInnen schützt sowie den offenen und pluralistischen Charakter von Rundfunk und Fernsehen garantiert“ (Ustawa z dnia 29 grudnia 1992 o radiofonii i telewizji, Art. 6).

Die Selbstregulierung des polnischen Medienmarkts befindet sich im Anfangsstadium der Entwicklung. Deshalb kann nur auf grundlegende Instrumente hingewiesen werden: auf Journalistenverbände, Ethikrichtlinien, rudimentäre medienbezogene Medien und den seit 1995 existierenden Rat für Medienethik.

In Polen existieren gegenwärtig mehrere journalistische Berufsverbände. Die drei wichtigsten sind der Verband Polnischer Journalisten (Stowarzyszenie Dziennikarzy Polskich, SDP), der Verband der Journalisten der Republik Polen (Stowarzyszenie Dziennikarzy Rzeczypospolitej Polskiej, SDRP) sowie der Katholische Journalistenverband (Katolickie Stowarzyszenie Dziennikarzy, KSD). Die beiden erstgenannten Verbände haben jeweils einen eigenen Berufskodex. Für die Mitglieder des SDP gilt der 2001 verabschiedete Kodeks etyki dziennikarskiej (Kodex der journalistischen Ethik), Angehörige des SDRP sind zur Einhaltung der Bestimmungen des 1992 beschlossenen Dziennikarski kodeks obyczajowy (Journalistischer Sittenkodex) verpflichtet. Über die Einhaltung der in diesen Kodexen formulierten Regeln wachen verbandsinterne Disziplinarkommissionen. Für die JournalistInnen der drei genannten Verbände ist überdies die 1995 verabschiedete Karta etyczna mediów (Medienethik-Charta) verbindlich. Sie ist ein besonders wichtiges Dokument der journalistischen Selbstregulierung in Polen, weil sie von allen Berufsverbänden sowie von einigen Rundfunk- und Fernsehsendern und Veragen anerkannt wird (Die Medienethik-Charta wurde unterzeichnet von den Vorsitzenden von SDRP, SDP und KSD,der Vorsitzenden des Syndikats Polnischer Journalisten (Syndykat Dziennikarzy Polskich), demVorsitzenden der Journalistengewerkschaft (Związek Zawodowy Dziennikarzy), den Intendanten von TVP und Polskie Radio, Vertretern von Telewizja Polsat, dem Vorsitzenden der Union der Presseverleger (Unia Wydawców Prasy), dem Vorsitzenden des Verbands Unabhängiger Film- und Fernsehproduzenten (Stowarzyszenia Niezależnych Producentów Filmowych i Telewizyjnych), dem Vorsitzenden des Verbands des Polnischen Privatrundfunks (Stowarzyszenie Polskiej Prywatnej Radiofonii), dem Seelsorger der Kunstschaffenden, dem Vorsitzenden des Gewerkschaft der TVJournalisten (Związek Zawodowy Dziennikarzy Telewizyjnych) sowie zwei Jahre später vom Vorsitzenden des 1995 noch nicht existierenden Nationalen Reportageklubs (Krajowy Klub Reportażu).  Sie verpflichtet die Unterzeichner zur Achtung der Grundsätze der Wahrheit, Objektivität, Trennung von Information und Meinung, Ehrlichkeit, des Respekts und der Toleranz, der Wahrung des Rezipientenwohls sowie der Freiheit und der Verantwortlichkeit für Inhalt und Form der Berichterstattung.

Zeitgleich mit der Verabschiedung der Medienethik-Charta schufen die beteiligten Verbände und Organisationen die Konferenz Polnischer Medien (Konferencja Mediów Polskich), deren bislang wichtigste Entscheidung im Jahr 1996 die Gründung eines Medien-Ethikrats war (Wojciechowski 1998).  Zu den satzungsmäßigen Aufgaben des Ethikrats gehören Stellungnamen hinsichtlich der Einhaltung der Medienethik-Charta. Der Rat kann keine Sanktionen verhängen, sondern lediglich Verstöße benennen, Meinungen äußern, in konkreten Fällen Stellung beziehen und appellieren. Und obwohl die Verdikte des Rats von Teilen des journalistischen Milieus als maßgeblich angesehen werden und verschiedene Institutionen, darunter auch Gerichte, seine Meinung anhören, so hat der Rat insgesamt nur geringen Einfluss auf das Wirken der Medien in Polen. Nur ein kleinerer Teil der Medienschaffenden erkennt ihn als Autorität an.

Über Mechanismen der Selbstregulierung verfügen auch die polnischen öffentlichrechtlichen Medien. Seit 2006 existiert im TVP eine siebenköpfige Ethikkommission (Komisja Etyki). Sie prüft die Übereinstimmung der Aktivitäten von Journalisten mit den Vorgaben, die 1996 in einem senderinternen Grundsatzpapier mit dem Titel Zasady etyki dziennikarskiej w TVP S.A – informacja, publicystyka, reportaż, dokument, edukacja (Prinzipien der journalistischen Ethik bei TVP S. A. – Information, Publizistik, Reportage, Dokument, Bildung) formuliert wurden. Die Kommission verhängt keine Strafen, sondern bewertet konkrete Beiträge unter ethischen Aspekten. Die Verhängung von Disziplinarmaßnahmen obliegt den Vorgesetzten, denen die Bewertungen übermittelt werden. Die Ethikkommission befasst sich mit Klagen und Beschwerden sowohl von TVP-Angestellten und -MitarbeiterInnen als auch von ZuschauerInnen, außerdem kann sie aus eigener Initiative tätig werden. Angesichts des Vorgehens des polnischen öffentlichen Fernsehens in den letzten Jahren scheint es allerdings, als sei die Kommission nur auf dem Papier ein Organ, das die Verantwortlichkeit der Medien stärken soll. De facto hat sie keinen größeren Einfluss, was sich nicht zuletzt darin zeigt, dass die journalistischen Praktiken von TVP ethisch zunehmend fragwürdig werden.

Ein weiterer für die JournalistInnen des polnischen öffentlichen Fernsehens verbindlicher Verhaltenskodex ist das 2005 verabschiedete Papier Zasady postępowania dziennikarzy TVP S.A. w czasie kampanii wyborczej i w czasie wyborów (Arbeitsgrundsätze für Journalisten von TVP S. A. für die Zeit von Wahlkampf und Wahlen). Er verpflichtet die TVP-Angestellten zum Verzicht auf politische Parteinahmen in Kommentaren im Rahmen von Nachrichten- und Informationssendungen.

Auch das Polnische Radio (Polskie Radio, PR) hat seit 1997 eine eigene Ethikkommission. Ihre Hauptaufgabe besteht in der Bewertung der Praxis der journalistischen MitarbeiterInnen. Die Grundlage bildet das 2004 vom Vorstand verabschiedete Papier Zasady etyki zawodowej w Polskim Radiu – Spółce Akcyjnej (Grundsätze der Berufsethik bei Polskie Radio – Aktiengesellschaft). Gemäß den Prämissen dieses Papiers ist es das oberste Ziel des Polnischen Radios, dem Allgemeinwohl durch die Bereitstellung eines Programms zu dienen, das folgende Kriterien erfüllt: Pluralismus, Überparteilichkeit, Ausgewogenheit und Unabhängigkeit, Innovativität und hohe inhaltliche Qualität.

Eine selbstregulatorische Initiative auf ethischem Gebiet war 1999 auch die Unterzeichnung des Dokuments Porozumienia Polskich Nadawców Telewizyjnych „Przyjazne media“ (Übereinkunft der Polnischen Fernsehsender „Freundliche Medien“) durch Vertreter der acht damals größten auf dem polnischen Markt aktiven Fernsehsender (Es handelte sich um die Stationen: TVP, Polsat, TVN, Nasza Telewizja, Telewizja Niepokalanów, CANAL+, Polska Telewizja Kablowa und Wizja TV).  Diese Übereinkunft zielt auf effektive Maßnahmen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Programmen, die ihrer Entwicklung schaden könnten. Eine Konsequenz der Übereinkunft war etwa die Einführung eines einheitlichen Systems zur Kennzeichnung potenziell schädlicher Sendungen nach Altersgruppen.

Für die Selbstregulierung im Bereich der unter anderem in Medien platzierten Werbung ist in Polen vor allem der Werberat (Rada Reklamy) zuständig. Er setzt sich aus Vertretern von Auftraggebern, Werbeagenturen und Medien zusammen. Das System der Selbstregulierung basiert auf dem Kodeks Etyki Reklamy (Kodex der Werbeethik), über die Einhaltung der darin formulierten Regeln wacht die Kommission für Werbeethik (Komisja Etyki Reklamy). Der Kodex verbietet unter anderem die Diskriminierung nach Geschlecht, Glauben oder Nationalität, die Verwendung gewaltverherrlichender Inhalte und den Missbrauch des Vertrauens sowie der Unerfahrenheit oder Unwissenheit der RezipientInnen.

Schwach entwickelt ist in Polen der Sektor der medienbezogenen Medien. Auf dem Pressemarkt findet sich nur ein Titel, der sich ausschließlich mit Medienthemen befasst: das zweimonatlich erscheinende Magazin Press, das seit 1996 konsequent die öffentliche Debatte über den Zustand des polnischen Journalismus belebt und neben der kritischen auch eine motivierende Funktion erfüllt. Die Kritik manifestiert sich hauptsächlich in Artikeln zu Verstößen gegen ethische Prinzipien des Journalismus. Motivierend sind insbesondere die von der Zeitschrift vergebenen Journalistenpreise: die in mehreren Kategorien ausgeschriebenen Preise Grand Press und Grand Press Photo sowie der Titel Journalist des Jahres (Dziennikarz Roku).

Press stößt regelmäßig Debatten zu ethisch fragwürdigen Praktiken in der polnischen Medienlandschaft an. Die Artikel des Magazins lassen sich in Themenkomplexe gruppieren, die den in den einschlägigen Kodexen erfassten wichtigsten ethischen Problemen der journalistischen Praxis entsprechen. Thematisiert werden unter anderem das Recht auf Aufnahme einer politischen Tätigkeit für Medienschaffende, der Grad der verpflichtenden Loyalität von JournalistInnen gegenüber ihren Redaktionen oder das Primat der Menschenwürde über das Streben nach publikumswirksamen Schlagzeilen.

Innovative Instrumente der Selbstregulierung in Polen

Es lässt sich nicht genau bestimmen, wie viele polnischsprachige Blogs unterschiedlicher AutorInnen der Medienkritik gewidmet sind, weil die zur Erstellung von Blogs genutzten Dienste keine Kategorie „Medienblogs“ ausweisen, obwohl sie ansonsten zur Orientierung durchaus nach thematischen Kategorien unterscheiden. Ein Teil der Blogs, betrieben sowohl von BerufsjournalistInnen als auch von nicht professionell mit Medien befassten Personen, behandelt Medienthemen. Auch die sozialen Netzwerke, die ihren NutzerInnen die Möglichkeit zum Mikrobloggen geben, können als Werkzeuge des Medienmonitorings angesehen werden. Portale wie Facebook oder Twitter werden nicht selten zum Schauplatz von Diskussionen zu den unterschiedlichsten Themen. Die Medien sind Gegenstand derartiger Debatten, die insbesondere dann intensiv geführt werden, wenn die Medien eines Landes ethisch fragwürdig agieren.

Zu den innovativen Instrumenten zur Stärkung der Verantwortlichkeit der Medien finden sich auch von MedienexpertInnen geschaffene Fachportale. Zu den einschlägigen polnischen Internetseiten gehören unter anderem portalmedialny.pl (https://www.portalmedialny.pl/) oder wirtualnemedia.pl (https://www.wirtualnemedia.pl/). Neben anderen werden hier auch medienethische Fragen aufgegriffen. Die Portale bieten Artikel, die ethisch modellhafte journalistische Praktiken propagieren, und bilden eine wichtige Plattform zur Verbreitung von Wissen über ethische Standards. Darüber hinaus erfüllen diese Branchenportale eine Kontrollfunktion hinsichtlich anderer Medien, sowohl traditioneller wie auch virtueller, indem sie unethisches Verhalten von polnischen Journalisten oder Verlegern kritisieren.

Selbstregulierung und Ethik

 Die Systeme der Selbstregulierung in Polen und Deutschland setzen sich aus ähnlichen Komponenten zusammen. Wie in allen anderen europäischen Medienlandschaften sind sie von eher geringer Wirksamkeit, wie die Ergebnisse des Forschungsprojekts MediaAct belegen. Im Rahmen dieses Projekts wurden Umfragen unter JournalistInnen aus allen beteiligten Ländern durchgeführt. Abgefragt wurden unter anderem die Einschätzungen der Medienschaffenden hinsichtlich der Effektivität der jeweiligen Instrumente zur Regulierung und Selbstregulierung der Medien sowie ihres Einflusses auf die journalistische Praxis. Die höchste Bewertung (auf einer Skala von 1 bis 5) erhielten in allen Ländern zwei Instrumente: die Firmenrichtlinien zur Ethik (Durchschnitt: 3,74) und das Medienrecht (3,70), (Alsius; Rodriguez-Martinez; Mauri de los Rios 2014, S. 103). Die Wirkung von allgemeinen journalistischen Ethikkodexen wurde im Schnitt mit 3,44 bewertet, noch niedriger fiel die Bewertung unter anderem für Presseräte aus. Medienkritik in den Medien erhielt eine durchschnittliche Bewertung von 2,73, die Instanz des Ombudsmanns 2,32, Branchenmagazine 2,22. Deutsche JournalistInnen bewerten die Effektivität der einzelnen selbstregulatorischen Instrumente nur etwas höher als ihre polnischen KollegInnen. Man kann also für beide Länder eine relativ niedrige Effektivität des Verantwortungssystems der Medien annehmen. Die Beobachtung der journalistischen Praxis zeigt allerdings ein signifikant höheres Niveau der ethischen Standards in deutschen Medien. Insbesondere die öffentlich-rechtlichen Medien sind bestrebt, grundlegende ethische Normen hinsichtlich der Objektivität der Berichterstattung oder der Trennung von Information und politischer Meinung zu wahren. Ein ganz anderes Bild bieten die heutigen Medien in Polen. Ihnen ist es nicht gelungen, nach dem politischen Umbruch von 1989 hohe Standards in Bezug auf Professionalität und journalistische Ethik zu entwickeln. Doch in den letzten Jahren haben die wichtigsten Medien in Polen in bislang ungekanntem Maße ihre Objektivität und Neutralität aufgegeben. Dies gilt insbesondere für die Zeit nach der Machtübernahme durch Prawo i Sprawiedliwość (Recht und Gerechtigkeit, PiS) im Jahr 2015. Besonders offensichtlich zeigt sich diese Entwicklung am Niveau des politischen Diskurses und den sehr dezidierten politischen Sympathien der einzelnen Pressetitel, Rundfunk- und Fernsehsender.

Das gilt für die öffentlich-rechtlichen Medien ebenso wie für die privaten. Bestimmte JournalistInnen bezeichnen klar umrissene und öffentlich propagierte politische Präferenzen von Medienschaffenden sogar als richtig oder gar notwendig. Zu ihnen gehört Jacek Żakowski, Publizist des Wochenmagazins Polityka und des Radiosenders Tok FM. Seiner Ansicht sollten JournalistInnen das Recht haben, ihre politischen Ansichten öffentlich zu äußern und den RezipientInnen sachlich zu begründen. Dies ist freilich ein neues Verständnis von der Rolle der Medien in Polen, deren grundlegendes Merkmal bis vor kurzem noch weltanschauliche Neutralität und Überparteilichkeit waren. Heute gilt das nicht mehr, und niemand in Polen hat Zweifel, auf welcher Seite führende Pressetitel (etwa die oppositionelle Gazeta Wyborcza oder das Wochenmagazin Newsweek und die regierungsfreundliche Gazeta Polska oder das Wochenmagazin Sieci), Fernsehsender (zumal das regierungsfreundliche öffentlich-rechtliche Fernsehen TVP und der regierungskritische Privatsender TVN) und Radiostationen (darunter die eindeutig PiS-affinen Sender des öffentlich-rechtlichen Polnischen Radios oder Radio Maryja und der dezidiert oppositionelle Privatsender Tok FM) stehen. Wenngleich sich auch in den ersten beiden Jahrzehnten nach 1989 in Polen ideologische Medien mit klarem weltanschaulichen Profil herausbildeten, so hat sich heute ein signifikanter Teil von ihnen in Parteimedien verwandelt, die nicht nur eine bestimmte Weltanschauung, sondern immer offensichtlicher die Interessen bestimmter politischer Formationen vertreten.

Einer besonders starken Politisierung unterlagen nach 2015 die öffentlich-rechtlichen Medien. Die Folge sind ein stetiger Vertrauensverlust und daraus resultierend immer niedrigere ZuschauerInnen- und ZuhörerInnenquoten. Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts CBOS vom April 2021 bewerten die Polen die öffentlichen Medien so schlecht, dass erstmals seit Durchführung derartiger Studien der Anteil der kritischen Stimmen (44 %) die Zahl der positiven Meinungen (40 %) überwiegt (https://www.cbos.pl/PL/home/home.php, 14.5.2021).  CBOS-Studien belegen einen sich eindeutig vertiefenden Vertrauensverlust der Polen in die öffentlich-rechtlichen Medien. In den Jahren 2017–2019 äußerten noch mehr als 50 % der Befragten eine positive Meinung zum öffentlich-rechtlichen Fernsehen, im Jahr 2016 waren es mehr als 60 %. Zum Vergleich: Im März 2014 lag der Anteil der positiven Bewertungen bei über 80 %. Negativ über das öffentliche Fernsehen äußerten sich 2014 etwas mehr als 10 % der Befragten, zwei Jahre später etwas mehr als 20 %. In den folgenden Jahren wuchs der Anteil systematisch.

Die sinkende Objektivität der Medien in Polen manifestiert sich auch in den immer schlechteren Platzierungen Polens im Pressefreiheitsranking von Reporter ohne Grenzen. Für das Jahr 2021 liegt Polen weltweit nur auf dem 64. Platz (Deutschland belegt Platz 13). Das ist das schlechteste Ergebnis in der 19-jährigen Geschichte des Rankings. Begründet wird die Einstufung mit der offenen Parteinahme des öffentlichen Fernsehens für den Amtsinhaber Andrzej Duda vor den Präsidentschaftswahlen 2020 sowie mit Zensurabsichten hinter der angestrebten „Repolonisierung“ von Medien.

Im Hinblick auf den ersten Vorwurf veranschaulichen die Berichte von Nichtregierungsorganisationen wie dem Institut für Diskurs und Dialog (Instytut Dyskursu i Dialogu), der Journalistischen Gesellschaft (Towarzystwo Dziennikarskie) oder der Stiftung Verantwortliche Politik (Fundacja Odpowiedzialna Polityka) einige zentrale Aspekte der Verletzung des Gebots der Chancengleichheit für die Präsidentschaftskandidaten. So verweist der Bericht der Journalistischen Gesellschaft auf ein signifikantes Ungleichgewicht der Sendezeiten zu Andrzej Duda im Verhältnis zu den übrigen Kandidaten in öffentlichen Medien. Darüber hinaus wurde der Kandidat der Regierungspartei ausschließlich positiv dargestellt, die oppositionellen Kandidaten und insbesondere Dudas schärfster Rivale Rafał Trzaskowski hingegen ausschließlich negativ. Unmittelbar vor der Wahl (in der Zeit vom 15.–26. Juni 2020) brachte die TVP-Hauptnachrichtensendung Wiadomości laut Bericht der Journalistischen Gesellschaft 110 Beiträge mit einer Gesamtlaufzeit von 23 Minuten zu Andrzej Duda. An zweiter Stelle lag Rafał Trzaskowski mit knapp 9 Minuten. Die übrigen Kandidaten erhielten jeweils rund eine Minute Sendezeit, die fast ausschließlich negative Einschätzungen zu Trzaskowski enthielten. Dieses Missverhältnis ist Symptom der Verletzung der Prinzipien des Pluralismus, der Überparteilichkeit und der Unabhängigkeit – und damit von Standards, die nach Art. 21 Punkt 1 des Gesetzes über Rundfunk und Fernsehen für öffentlich-rechtliche Sender verpflichtend und überdies in allen journalistischen Ethikkodexen enthalten sind.

In den letzten Jahren finden sich zahlreiche Beispiele für Verstöße gegen die Grundprinzipien journalistischer Ethik. Ein spektakuläres Beispiel ist der Eingriff der Leitung des Dritten Programms des Polnischen Radios in die Hörer-Hitparade im Mai 2020. Kraft einer Entscheidung der Direktion wurde das Lied Mój ból jest większy niż twój (Mein Schmerz ist größer als deiner) der Gruppe Kult aus der Liste gestrichen, weil der Liedtext den PiSVorsitzenden Jarosław Kaczyński kritisiert. Als die Sache öffentlich wurde, verließen zahlreiche bekannte und teils legendäre JournalistInnen und ModeratorInnen den Sender.

Auch der Medienethik-Rat äußerte in den letzten Jahren mehrfach negative Einschätzungen zu Beiträgen der öffentlichen Medien. Kritikpunkte waren die Politisierung der Sender, der manipulative Charakter einzelner Beiträge sowie mangelnde Professionalität. In einer der kritischsten Stellungnahmen des Rats hieß es im Februar 2021 unter anderem: „Wir teilen […] die Ansicht, dass TVP für die Spaltung der polnischen Gesellschaft verantwortlich ist“ (https://www.rem.net.pl/data/20210215.pdf, 13.5.2021).

Der zweite im Pressefreiheits-Ranking von Reporter ohne Grenzen formulierte Vorwurf betrifft die sogenannte „Repolonisierung“ der Presse, die zensurhaften Charakter hat. Kritisiert wird vor allem der Kauf der zuvor zum deutschen Konzern Verlagsgruppe Passau gehörenden Mediengruppe Polska Press durch den Staatskonzern Orlen im Jahr 2021. Polska Press verlegt 20 Regionalzeitungen und betreibt mehrere Internetportale. Mit der Kontrolle über den riesigen Sektor regionaler Medien erhielt der von der PiS-Regierung kontrollierte Orlen-Konzern Zugang zu mehreren Millionen LeserInnen vor allem in kleineren Städten und auf dem Land, das heißt zur Hauptwählerschaft der Regierungspartei. Auch private Medien in Polen weisen im Hinblick auf die journalistische Ethik zahlreiche Schwächen auf. Eine davon ist der Mangel an Objektivität. Der am stärksten oppositionell eingestellte private TV-Sender TVN etwa thematisiert auf offensichtliche Weise die Schwachpunkte der gegenwärtigen Regierung. Dies entspricht jedoch der Ausübung der Kontrollfunktion gegenüber den Organen der staatlichen Administration.

Zusammenfassung

 Selbstregulierung kann regulatorische Lösungen nicht ersetzen, weil ihr die Möglichkeit fehlt, über Sanktionen Druck auf Medienschaffende auszuüben, die gegen ethische Standards verstoßen. Damit ist sie unwirksam im Kampf für professionelle und verantwortliche Medien. Gleichwohl kann sie die gesetzlichen Rahmensetzungen für den Medienmarkt ergänzen. In Polen wie in Deutschland werden viele traditionelle Instrumente der Selbstregulierung für ineffektiv gehalten und deshalb skeptisch betrachtet. Tatsächlich ist der faktische Einfluss der eingesetzten Mittel kaum messbar. Ein entscheidender Faktor für die Wirksamkeit selbstregulatorischer Lösungen ist das Maß ihrer Akzeptanz im journalistischen Milieu, die wiederum stark von der Autorität der Personen abhängt, die die jeweilige Instanz repräsentieren. Die mangelnde Effektivität etwa des polnischen Medienethik-Rats oder des Deutschen Presserats lässt sich mit dem Fehlen profilierter und allgemein angesehener Persönlichkeiten in den letzten Zusammensetzungen erklären.

Trotz der geringen Wirksamkeit der Selbstregulierung der Medien in beiden Ländern bewegen sich die deutschen Medien eindeutig auf einem höheren ethischen Niveau. Eine Erklärung dafür ist sicher die längere Tradition unabhängiger, unter demokratischen Bedingungen entstandener Medien. Wohl auch aufgrund dieser Tradition besitzen deutsche Medienschaffende ein stärkeres Gefühl der Verantwortlichkeit für die Verwirklichung der den Medien anvertrauten Aufgabe. Vor allem aber verdankt sich der längeren Tradition unabhängiger Medien ein höherer Reflexionsgrad ihrer NutzerInnen, die weniger Nachsicht mit ethisch fragwürdig agierenden Medien üben und diese gegebenenfalls nicht mehr nutzen. In Polen ist das Niveau der medialen Bildung dagegen recht niedrig, was zweifellos einen Einfluss auf die geringere Bereitschaft polnischer MediennutzerInnen hat, sich von JournalistInnen abzuwenden, die offensichtlich gegen professionelle und ethische Standards verstoßen.

Aus dem Polnischen von Bernhard Hartmann

 

Literatur:

Alsius, Salvador; Rodriguez-Martinez, Ruth; Mauri de los Rios, Marcel: Traditional instruments of self-regulation, in: Journalists and Media Accountability. An International Study of News People in the Digital Age, hg. von Susanne Fengler, Tobias Eberwein, Gianpietro Mazzoleni und Colin Porlezza, New York 2014.

Bertrand, Claude Jean: Media Ethics and Accountability Systems, New Brunswick 2000.

Dobek-Ostrowska, Bogusława; Głowacki, Michał; Kuś, Michał: Poland. Accountability in the making, in: The European Handbook of Media Accountability, hg. von Tobias Eberwein, Susanne Fengler und Matthias Karmasin, New York 2017.

Eberwein, Tobias: Germany: Model without Value?, in: Mapping Media Accountability in Europe and Beyond, hg. von Tobias Eberwein, Susanne Fengler, Epp Lauk und Tanja Leppik-Bork, Köln 2011.

Eberwein, Tobias: Raus aus der Selbstbeobachtungsfalle! Zum medenkritischen Potenzial der Blogosphäre. In: Neue Gegenwart (2008), Nr. 56.

Eberwein, Tobias; Fengler, Susanne; Bastian, Mariella; Brinkmann, Janis: Germany. Disregarded diversity, in: The European Handbook of Media Accountability, hg. von Tobias Eberwein, Sussane Fengler und Matthias Karmasin, New York 2018.

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Urbaniak, Paweł, Dr., verfasste den Beitrag „Selbstkontrolle der Medien und journalistische Ethik in Polen und Deutschland“. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Wrocław. Zu seinen Forschungsinteressen gehören die Analyse der europäischen Systeme der Medienverantwortung und der journalistischen Genealogie.

 

 

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