Dominik Pick
Der deutsch-polnische Geschichtsdialog Die Entwicklung der Schulbuchkommission zwischen Politik und Zivilgesellschaft (Wissenschaft)
Die Anfänge des deutsch-polnischen Schulbuchdialogs
Bei der Darstellung der Geschichte der Schulbuchkommission wird manchmal auf die ersten deutsch-polnischen Schulbuchgespräche von 1937‒1938 verwiesen (Ruchniewicz 2005, S. 237ff.). Sie hatten jedoch keine großen Auswirkungen auf den späteren Dialog zwischen den beiden Ländern, obwohl sie das Interesse einer kleinen Gruppe von Wissenschaftlern auf beiden Seiten weckten. Unter den Historikern war vermutlich schon in den 1930er Jahren die Bereitschaft zum Dialog vorhanden, konnte aber unter den damaligen politischen Bedingungen keinen Erfolg feiern. Dies ist symptomatisch auch für den späteren Dialog, der immer von der aktuellen politischen Situation abhängig bleibt.
Der nächste Schritt wurde in den 1950er Jahren getan. Diesmal ging die Initiative nicht von professionellen Historikern aus, sondern von einem westdeutschen (Der Begriff „deutsch“ bezieht sich in diesem Aufsatz ausschließlich auf die Bundesrepublik).Lehrer Dr. Enno Meyer, der, konfrontiert mit seinen eigenen Kriegserfahrungen und dem Fehlen von polenbezogenen Materialien für den Geschichtsunterricht an deutschen Schulen, 47 Thesen zur Darstellung der deutsch-polnischen Beziehungen verfasste (Meyer 1956). Meyer gelang es damit, eine lebhafte Diskussion unter deutschen Historikern anzustoßen. Eine besonders wichtige Rolle in dieser Diskussion spielte Georg Eckert, Gründer und erster Direktor des Instituts für Schulbuchforschung in Braunschweig (Heute Leibnitz-Institut für Bildungsmedien – Georg-Eckert-Institut (GEI)),der die Veröffentlichung von Meyers Thesen und weitere Diskussion ermöglichte. Auch in Polen fanden die Thesen ein Echo. Die polnische Seite behandelte sie jedoch kritisch, stand aber gleichzeitig einer weiteren Diskussion positiv gegenüber.
Meyers Thesen stießen bei den deutschen HistorikerInnen jedoch nicht nur auf Interesse. Viele von ihnen, vor allem diejenigen, die mit dem Herder-Institut in Marburg verbunden waren, kritisierten sie und sahen in diesen Thesen eine Untergrabung ihres eigenen Monopols, über die Geschichte des Ostens des Kontinents zu sprechen. Auch auf politischer Ebene gab es keine Möglichkeit der Einigung. Ein Beweis dafür sind u. a. die zur gleichen Zeit von der Kultusministerkonferenz (KMK) veröffentlichten Empfehlungen für den Ostunterricht. Über den europäischen → Osten sollte fächerübergreifend unterrichtet werden, wobei der Schwerpunkt auf der deutschen Geschichte und Kultur lag. Die mittel- und osteuropäischen Staaten wurden dagegen völlig ausgeklammert (Olschowsky 2019; Ruchniewicz 1994).
Die Initiative von Enno Meyer gibt Anlass zur Frage, wie der Dialog zwischen den Völkern zustande kommt. Denn der Dialog beruht auf den Aktivitäten Einzelner, die sich eigentlich nur in seltenen Fällen ‒ wie bei Meyer – zu einem größeren Unternehmen entwickeln können. Trotzdem gehen die wichtigsten Fortschritte in dem Dialog zwischen den Nationen sehr oft von Einzelinitiativen aus (Pick 2017). Diese „Leader“, wie wir heute sagen würden, sind aber keine zufälligen Personen. Sie müssen auf ihrem Gebiet ausreichend kompetent und offen sein ‒ sei es als LehrerIn, PfadfinderführerIn oder KünstlerIn. Denn die Bereitschaft zum Dialog ist entscheidend. Auch die Kenntnis der Sprache des anderen Landes macht es viel einfacher. Meyer beherrschte die polnische Sprache so gut, so dass er auch in der Lage war, polnischen Diskussionen gut folgen zu können. In den 1950er war es aber aus politischen Gründen nicht möglich, einen richtigen Dialog zu entwickeln. Dennoch ist auf diese Weise eine Basis für zukünftige Gespräche entstanden.
Zwischen 1969 und 1970 wurde die Kommunikation, wiederum auf Initiative einer Einzelperson, erneut aufgenommen. Pfarrer Günter Berndt, Leiter der Evangelischen Akademie in West-Berlin, organisierte im November 1969 die Konferenz Polen im Unterricht. Deren TeilnehmerInnen verabschiedeten eine Resolution, in der die Einrichtung einer deutsch-polnischen Schulbuchkonferenz gefordert wurde. Im Laufe der nächsten Monate wurden zwei weitere, diesmal bereits bilaterale deutsch-polnische Treffen in Zusammenarbeit mit dem West Institut (Instytut Zachodni) in Posen organisiert (Ruchniewicz 2005, S. 251f.). Diese Veranstaltungen sind im breiteren Kontext der Entspannungspolitik in Europa zu sehen. Die Schulbuchgespräche waren einer der Bereiche, die auf reges Interesse stießen. Gleichzeitig begannen aber auch Gespräche über die ersten Städtepartnerschaften, Zusammenarbeit zwischen Universitäten, Entwicklung des kulturellen Austauschs wie z. B. Organisation von Polnischen Tagen in Westdeutschland und deutschen Kulturtagen in der Volksrepublik. Ein Durchbruch auf politischer Ebene war der Besuch von Bundeskanzler → Willy Brandt in Warschau im Jahr 1970. Das Normalisierungsabkommen eröffnete den Weg auch für einen gesellschaftlichen Dialog zwischen der Bundesrepublik und Polen (Pick 2016).
In politischem Kontext war die Thematik der Schulbuchrevision bereits bei einem Gespräch zwischen Willy Brandt und Władysław Gomułka im Dezember 1970 zur Sprache gekommen. Die Politiker waren sich einig, dass WissenschaftlerInnen beider Länder einen solchen Dialog führen sollten. Die Formalisierung solcher Gespräche musste jedoch bis zur Ratifizierung des Normalisierungsvertrags warten (Bundestag ratifizierte den Vertrag am 17. Mai 1972). Deshalb war die erste Schulbuchkonferenz, die vom 22. bis 26.2.1972 in Warschau stattfand, noch ein halbinformelles Treffen ohne ein bestehendes Kooperationsabkommen. Genau wie die folgenden Konferenzen: die in Braunschweig im April und die in Warschau im September (Strobel 2015, S. 115).
Da sowohl die polnischen als auch die deutschen Behörden ihren Einfluss auf die Gestaltung des Schulbuchdialogs nicht aufgeben wollten, war es offensichtlich, dass für die Fortsetzung der Gespräche irgendeine Form von Vereinbarung erforderlich sein würde. Die polnische Außenpolitik ging davon aus, dass jeder Dialog mit Deutschland einen offiziellen Rahmen haben müsse, denn nur so sei es möglich, den Verlauf der Gespräche zu kontrollieren und zu lenken. Dies war weitgehend ein Irrglaube, denn die bloße Tatsache, dass Initiativen einen offiziellen Rahmen erhalten, ist nicht gleichbedeutend mit deren Kontrolle (Pick 2016, S. 331ff). Das bedeutete natürlich nicht, dass die Schulbuchgespräche frei und unabhängig geführt wurden. Sowohl die polnischen – aber im gewissen Grad auch die deutschen ‒ Kommissionsmitglieder mussten die politische Situation berücksichtigen. Viele Themen wie z. B. Katyń oder der Ribbentrop- Molotow-Pakt konnten damals nicht behandelt werden, und die Positionen der polnischen Seite mussten zumindest teilweise die offiziellen Ansichten der polnischen Behörden widerspiegeln.
Der offizielle Rahmen wurde durch eine Vereinbarung geschaffen, die am 17. Oktober 1972 zwischen den nationalen UNESCO-Komitees unterzeichnet wurde: „Mit dem Tage der Unterzeichnung dieser Vereinbarung wird ein Ausschuß polnischer und deutscher Experten gebildet, der die Arbeit auf dem Gebiet der Schulbuchrevision fortsetzt“(Eckert, Markiewicz 1972/73, S. 266f). Der Begriff „Schulbuchkommission“ wurde am Anfang nicht verwendet. Man sprach von einer Schulbuchkonferenz oder Schulbuchgesprächen. Erst mit der Veröffentlichung der Empfehlungen von 1976 tauchte der Name Gemeinsame Deutsch-Polnische Schulbuchkommission auf (Strobel 2005, S. 253). Die UNESCO war aus mindestens zwei Gründen eine geeignete Plattform für diese Art der Zusammenarbeit. Erstens spielten die beiden ersten Kommissionsvorsitzenden Georg Eckert (Präsident der deutschen Sektion der UNESCO) und Władysław Markiewicz (Vizepräsident der polnischen Sektion der UNESCO) nicht nur innerhalb der UNESCO eine wichtige Rolle, sondern sie waren auch an den früheren, ersten Versuchen eines Schulbuchdialogs beteiligt. Zweitens hatte die UNESCO bereits seit den 1950er Jahren bilaterale Schulbuchgespräche unterstützt, so dass die polnisch-deutsche Zusammenarbeit Teil eines bestehenden Trends in Europa war.
Schulbuchempfehlungen und wissenschaftlicher Dialog – Historikerkommission
In ihrer ersten Tätigkeitsperiode bis 1976 untersuchte die Kommission die Darstellung historischer und geographischer Inhalte in polnischen und deutschen Schulbüchern und erarbeitete Empfehlungen für deren Änderung. Die ersten Schulbuchempfehlungen, die 14 Themen umfassten, wurden bereits auf der Konferenz in Warschau im Februar 1972 erarbeitet, drei weitere folgten im April 1972 in Braunschweig (Empfehlungen - Deutsch-Polnische Schulbuchkommission, 24.06.2023). Obwohl die Empfehlungen in einem raschen Tempo ausgearbeitet wurden, gab es aufgrund der langwierigen Debatte über die Ratifizierung des Abkommens von 1970 erhebliche Bedenken, ob sie überhaupt umgesetzt werden könnten. Die wichtigsten Themen, die in dieser Zeit behandelt wurden, waren der Deutsche Orden, die Zwischenkriegszeit und Bevölkerungsverschiebungen. Die Empfehlungen waren ein wichtiger Schritt für die Verständigung zwischen den beiden Nationen, sie stießen aber sowohl in Polen als auch in Deutschland auf heftige Kritik.
Die in der Kommission anwesenden Geographen spielten auch eine wichtige Rolle bei der Ausarbeitung der Empfehlungen. Hauptthemen waren der Grenzverlauf und die Ortsnamen. Die Geographen sind auch heute noch in der Kommission vertreten, aber ihre Aktivität ist derzeit eher gering.
Bis 1976 wurde intensiv an der endgültigen Fassung der Empfehlungen gearbeitet. Die politische Lage war jedoch nicht einfach und die Art und Weise, wie die Empfehlungen wahrgenommen wurden, ist ein guter Hinweis auf die Grundannahmen der auswärtigen Kulturpolitik beider Länder, da die Kommission von beiden Seiten als ein wichtiges Instrument der Auswärtigen Kulturpolitik angesehen wurde. Marian Wojciechowski erklärte, dass für die polnischen Behörden das Ziel darin bestand,
dass die Deutschen ihre Schulbücher ändern, während wir praktisch nur kosmetische Ergänzungen vornehmen sollten. So wurden die Vorschläge des polnischen Teils der Kommission bei den inhaltlichen Änderungen der Schulbücher, die eingeführt werden sollten, boykottiert. Die damalige Wissenschaftsabteilung der PZPR […] vertrat diese Haltung unmissverständlich (Ruchniewicz 2013).
Es ist jedoch anzumerken, dass Wojciechowski selbst, zusammen mit Władysław Markiewicz, zu solcher Haltung beigetragen hat. In einer Notiz der beiden Professoren für das Außenministerium von 1975 heißt es, dass „die polnische Seite viel weniger ‚umzusetzen‘ hat […], weil unsere Schulbücher die Vergangenheit Polens und Deutschlands objektiver behandeln“(Jarząbek 2013, S. 184). Da die polnische Regierung sich selbst nicht an die Ergebnisse der Schulbuchgespräche hielt, war sie natürlich besorgt, dass auch die deutsche Seite sie nicht umsetzen würde. Kritisiert wurden hier insbesondere die Darstellung in den bundesdeutschen Schulbüchern der aktuellen Westgrenze Polens nach ihrem Verlauf im Jahr 1937 (sog. Perlenkette) und die Verwendung des Begriffs „unter polnischer Verwaltung“ für die westlichen Gebiete sowie das Fehlen objektiver Informationen über das damalige Polen (Strobel 2015, S. 111). Die polnischen Kommissionsmitglieder Władysław Markiewicz und Marian Wojciechowski waren einer anderen Meinung, als sie an das Außenministerium schrieben, dass „die Änderungen, die bereits an den Schulbüchern in Deutschland vorgenommen wurden, weiter gehen, als man erwarten würde. Das Bild Polens in diesen Schulbüchern ist zweifellos objektiviert worden“ (Jarząbek 2013, S. 184).
In der Tat war aber auch die deutsche Seite nicht ganz bereit, die Empfehlungen umzusetzen. Es gab hier allerdings eine deutlich größere Offenheit für die Berichterstattung über die Schulbuchgespräche. Bis Anfang der 1990er Jahre wurden die Empfehlungen in einer Gesamtauflage von rund 300.000 Exemplaren veröffentlicht. Im Gegensatz dazu erschien die polnische Version erst 1976 und hatte eine relativ geringe Auflage (Ruchniewicz 2013). Gleichzeitig überließen die deutschen Behörden die Einführung der Empfehlungen den Entscheidungen der einzelnen Bundesländer, in deren Zuständigkeit alle Bildungsfragen fallen. Klare Unterstützung kam nur aus Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen und NRW. Bayern und Baden-Württemberg waren dagegen. Weder das Auswärtige Amt noch andere Behörden versuchten es zu ändern. Dies war ein Hindernis z. B. für die Zusammenarbeit im Bereich des Jugendaustausches, denn die polnische Seite verweigerte lange Zeit ihre Zustimmung mit dem Argument, dass die Schulbuchempfehlungen auf deutscher Seite nicht umgesetzt worden seien (Pick 2016, S. 185). In dieser Hinsicht hatte die polnische Diplomatie nicht immer ein gutes Gespür. So weigerte sie sich beispielsweise, einen Jugendaustausch in das Programm der Städtekooperation zwischen Bremen und Gdańsk aufzunehmen, mit der Begründung, dies sei erst möglich, wenn die Empfehlungen umgesetzt seien. Die polnische Seite war offenbar überrascht, als die Bremer erklärten, dass die Empfehlungen für alle in Bremen zugelassenen Schulbücher gelten (Ruchniewicz 2013).
Bereits am Ende der Arbeit an den Empfehlungen stellte sich die Frage, wie es mit den Schulbuchgesprächen weitergehen sollte. Es wurde sogar die Abschaffung der Kommission erwogen. Es setzte sich jedoch die Meinung der an der Arbeit beteiligten HistorikerInnen durch, die argumentierten, dass die grundlegende Herausforderung darin bestehe, das Geschichtsbewusstsein der nächsten Generationen junger Polen und Deutscher zu prägen und dass diese Aufgabe ein langjähriger Prozess ist. Diese Ansicht wurde von den polnischen und deutschen Behörden unterstützt. Die Kommission änderte aber ihren Modus Operandi. Von 1976 bis 2008 konzentrierte sie ihre Aktivitäten auf die Organisation wissenschaftlicher Konferenzen und den Austausch von Wissen und Informationen über polnische und deutsche Schulbücher.Die Diskussionen verlagerten sich weitgehend auf die Fachwelt, unter geringer Beteiligung von AutorInnen und LehrbuchverlegerInnen.
Eine interessante Etappe im Verlauf der Zusammenarbeit veranschaulicht die Zeit der Verhängung des Kriegsrechts in Polen 1981‒1983. Die politischen und wirtschaftlichen Sanktionen, die in dieser Zeit eingeführt wurden, schränkten die Möglichkeiten der deutsch-polnischen Kooperation ein. Im Hinblick auf die gesellschaftliche Zusammenarbeit waren jedoch beide Seiten an einer Fortsetzung des Dialogs sehr interessiert. Die deutsche Seite wollte damit die Entspannung retten, um die Chancen auf deutsche Wiedervereinigung nicht zu gefährden. Die polnische Seite wollte den Eindruck von Normalität in einem Land unter Kriegsrecht erwecken. Die Kommission konnte also auch unter dem Kriegsrecht teilweise unabhängig von den staatlichen Steuerungsversuchen weiterarbeiten (Strobel 2015, S. 164ff.).
Der Zerfall des kommunistischen Regimes in Polen 1989 und später auch in der DDR änderte die Situation grundlegend. Antoni Czubiński wurde als polnischer Vorsitzender durch Janusz Tazbir ersetzt. Auf deutscher Seite trat Johannes Kalisch als Vertreter der DDR in die Kommission ein und auf polnischer der oppositionelle Historiker Jerzy Holzer. Es gab auch eine Namensänderung, da das Wort „Volk“ aus dem polnischen Kommissionsnamen gestrichen wurde und die Kommission nun „Gemeinsame UNESCO-Kommission der Republik Polen und der Bundesrepublik Deutschland zur Revision des Inhalts von Schulbüchern im Bereich Geschichte und Geographie“ hieß. Vor allem aber konnten Themen behandelt werden, die zuvor nicht diskutiert werden durften, wie die deutsch-polnischen Beziehungen im 20. Jh. und die Rolle der UdSSR, einschließlich Katyń (Strobel 2015, S. 173). In dieser Zeit nahm die Kommission vielmehr die Rolle einer Historikerkommission ein und entwickelte eine Reihe von Handbüchern, die nicht nur für den Schulunterricht bestimmt waren. Die behandelten Themen knüpften an frühere Empfehlungen an, aber die Debatten nahmen eine deutlich andere Form an. Wie Krzysztof Ruchniewicz schrieb, wirkten die deutsche Wiedervereinigung und die polnische Unabhängigkeit
befruchtend auf die Tätigkeit der Kommission [ein]. Man hielt es nicht für notwendig, der Arbeit der Kommission eine völlig neue Grundlage geben zu müssen. Man erweiterte vielmehr das Themengebiet und ging bei den wissenschaftlichen Treffen vermehrt über den vorher streng bilateralen Rahmen hinaus (Ruchniewicz 2005, S. 237).
Die Kommission entwickelte sich in dieser Zeit auch zu einer von der Politik unabhängigen Institution, die jedoch weiter mit den polnischen und deutschen Behörden zusammenarbeitete. Diese Entwicklung wurde von beiden Seiten positiv bewertet, und die Aktivitäten der Kommission wurden von den Außenministern Polens und Deutschlands im Jahr 2002 mit der Verleihung des Deutsch-Polnischen Preises gewürdigt.
Das transnationale Schulbuch Europa. Unsere Geschichte
Bei seinem Besuch in Warschau im Dezember 1970 erörterte Willy Brandt mit Władysław Gomułka, dem Ersten Sekretär des Zentralkomitees der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei, zum ersten Mal das Thema der Schulbuchrevision. Einem Vermerk der polnischen Seite zufolge sollte der deutsche Bundeskanzler die Vorbereitung eines gemeinsamen Geschichtsschulbuches vorgeschlagen haben.
Brandt sprach von der Möglichkeit, ein Geschichtsschulbuch zu entwickeln, in dem die Problematik der deutsch-polnischen Beziehungen von Fachleuten aus unseren beiden Ländern gemeinsam aufgearbeitet wird. Dabei setzt er keine Fristen für die Entwicklung eines solchen Schulbuches, er nennt eine Frist von 10‒20 Jahren und verweist auf die guten Erfahrungen mit Frankreich auf diesem Gebiet (Tomala 2005, S. 418).
Brandts Vorschlag wurde genau ein halbes Jahrhundert später realisiert, als 2016‒2020 die vier Bände des deutsch-polnischen Schulbuchs Europa. Unsere Geschichte erschienen. In seinen Gesprächen mit der polnischen Seite hat Brandt in gewisser Weise die Zukunft vorausgesehen. Denn die Idee eines deutsch-polnischen Schulbuchs basiert tatsächlich auf dem deutsch-französischen Schulbuch Histoire/Geschichte, zumal die deutschen und polnischen Fachleute zwölf Jahre lang daran gearbeitet haben.
In vielen Bereichen der deutsch-polnischen Beziehungen orientierte sich die deutsche Seite an dem deutsch-französischen Dialog, der in der Regel viel früher begann als der deutsch-polnische. Die Gründe dafür waren politischer Natur, vor allem die Zugehörigkeit zu zwei unterschiedlichen politischen Blöcken. Der Beginn des Dialogs wurde aber nicht nur durch das Bestehen des Eisernen Vorhangs, sondern auch durch innenpolitische Fragen erschwert. Die → Vertreibung der Deutschen und die viel brutalere Erfahrung der deutschen Besatzung in Polen als in Westeuropa führten dazu, dass sich der deutsch-polnische Dialog unter anderen geopolitischen Bedingungen wahrscheinlich auch langsamer entwickelt hätte. Das war beim Schulbuchdialog nicht anders. Französische Inspiration spielte schon für Enno Meyer eine Rolle (Ruchniewicz 2005, S. 247).
Die Notwendigkeit, praktische Ergebnisse zu erzielen, wurde bereits bei den Treffen im Jahr 1972 diskutiert. So sagte der polnische Historiker Gerard Labuda auf der ersten Sitzung der Schulbuchkonferenz:
Unsere Diskussion über die Schulbücher hat schon begonnen. Es erwartet uns noch ein weiterer Weg, bevor wir zu praktischen Resultaten gelangen. In diesem Augenblick können wir unsererseits nur die volle Bereitschaft zu dieser Diskussion erklären (Eckert, Markiewicz 1972/73, S. 338).
Die ersten praktischen Ergebnisse waren die oben genannten Empfehlungen für Schulbuchautoren und später die Handbücher. Im 21. Jh. arbeitete die Kommission weiter. Im Jahr 2001 wurde der erste Quellenband in polnischer und deutscher Sprache für GeschichtslehrerInnen erstellt (Becher, Borodziej, Maier 2001; über weitere Projekte Wojtaszyn, Strobel 2012). Sein Ziel war es, die SchülerInnen mit der Geschichte beider Nationen vertraut zu machen. Laut Włodzimierz Borodziej, einem der Herausgeber des Bandes, war der Band jedoch ein Misserfolg, da sich herausstellte, dass die LehrerInnen ihn nicht nutzen wollten. Der Grund dafür war jedoch weniger ein mangelndes Interesse der LehrerInnen, als vielmehr die schlechte Struktur des Bandes selbst (z. B. fehlende chronologische Anordnung, fehlende Register, Chaos in der Anordnung der Materialien, Unmöglichkeit, sich ohne das Studium der langen didaktischen Einführung reibungslos durch den Band zu bewegen). Die Materialien waren nicht so gut geordnet, dass eine Lehrkraft das entsprechende Material leicht hätte finden können.
Ganz anders verhielt es sich mit dem Projekt des gemeinsamen deutsch-polnischen Schulbuches Europa. Unsere Geschichte (Mehr über das Schulbuchprojekt siehe: Dominik Pick, Europa – Unsere Geschichte. Ein Lehrbuch für Deutschland und Polen, in: Public History Weekly, “Europe - Our History”. A Textbook for Poland and Germany - Public History Weekly - The Open Peer Review Journal (degruyter.com) , 25.06.2023; Interview mitProf. R. Traba: Prof. Robert Traba: W Azji dziwią się, jakim cudem Polacy i Niemcy mogą prowadzić partnerską debatę (wyborcza.pl), 25.06.2023; Interview mit Prof. I. Kąkolewski:Polska i Niemcy – szkicowanie wspólnej historii. Wywiad z prof. Igorem Kąkolewskim (teologiapolityczna.pl), 25.06.2023; Beispielkapitel sindauf der Projektwebsite verfügbar Europe – Our History (europa-unsere-geschichte.org), 25.06.2023). Zwischen 2008 und 2010 erarbeitete ein Team aus polnischen und deutschen ExpertInnen neue Empfehlungen für die Erstellung dieses Werkes (Gemeinsame Deutsche-Polnische Schulbuchkommission (red.) 2012). Die Empfehlungen bildeten die inhaltliche Grundlage, und die ExpertInnen, die sie zusammenstellten, waren die ersten GutachterInnen der einzelnen Bände. Die Idee, ein Schulbuch zu erstellen, kam aus der Politik, zu einem Zeitpunkt, als es so schien, als wären die Probleme aus der Vergangenheit in den deutsch-polnischen Beziehungen bereits überwunden. Mit dem Abschluss des Schulbuchprojekts wird jedoch deutlich, dass die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ein andauernder Prozess ist, der die beiden Gesellschaften weiterhin spaltet. So wie die Kommission 1976 ihre Tätigkeit ausgeweitet hat, steht sie auch heute vor der Herausforderung, ein neues, auf die aktuelle Situation zugeschnittenes Profil zu schaffen.
Im Rahmen des Projekts wurde zunächst untersucht, ob ein solches Schulbuch überhaupt erstellt werden kann. Man hat sich die Frage gestellt, inwieweit es möglich wäre, die Empfehlungen des polnischen Kerncurriculums und die 16 Kerncurricula der deutschen Bundesländer in einem einzigen Schulbuch umzusetzen. Eine große Herausforderung war später die Abschaffung der Gymnasien in Polen, die den polnischen Herausgeber dazu zwang, das Lehrwerk an das Niveau der polnischen Grundschulen (das Äquivalent zur deutschen Sekundarstufe 1) anzupassen. Infolgedessen ist das Lehrbuch anspruchsvoll für die Anforderungen der Grundschulen. Das wesentlich umfangreichere Kerncurriculum zwang auch zur Erstellung eines sogenannten nationalen Zusatzes auf polnischer Seite, der die in Polen geforderten Themen abdeckt, die für deutsche SchülerInnen als zu detailliert angesehen wurden.
Aus den Empfehlungen geht hervor, dass das Ziel des Schulbuchs war, unterschiedliche Sichtweisen und Interpretationen der Geschichte darzustellen und diese zu diskutieren. Diese Annahme schien theoretisch richtig zu sein, aber in der Praxis wurde diese Unterscheidung bei den meisten deutsch-polnischen Themen durch die Notwendigkeit der didaktischen Reduktion fast vollständig verwischt. Wie sich später herausstellte, wurde mehr über Napoleon, den Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg oder die Geschichte der UdSSR gestritten, als über rein deutsch-polnische Themen. Dies zeigt, wie fortgeschritten polnische und deutsche HistorikerInnen in ihrem Dialog über die gemeinsame Geschichte sind. Es zeigt aber auch ‒ z. B. bei der Erarbeitung der Kapitel über die Ukraine im 17. Jh. ‒, dass sich die Schulbuchdiskussion in Zukunft nicht nur auf eine bilaterale Perspektive beschränken darf, sondern dass eine breitere, europäischere Sichtweise der Geschichtsdarstellung notwendig ist. Es ist daher kein Zufall, dass die Kommission nun verstärkt Kontakte zu ukrainischen, litauischen oder belarussischen KollegInnen aufbaut.
Das Schulbuch wurde nicht nur von den AutorInnen, sondern auch von RedakteurInnen und ExpertInnen geschrieben. Viele Seiten wurden geändert und verfeinert, manchmal mehrmals umgeschrieben. Von der ersten Fassung blieben oft nicht mehr als wenige Sätze oder ein paar Quellen. Das Ergebnis war eine kollektive Arbeit, bei der AutorInnen, RedakteurInnen, ExpertInnen, BeraterInnen und ÜbersetzerInnen unterschiedliche, sich ständig ändernde Rollen spielten. Das Schulbuch wurde in einem Prozess intensiver inhaltlicher Verhandlungen und mehrfacher Übersetzungen erstellt. Der Übersetzung kam dabei eine Schlüsselrolle zu, denn erst bei der Übersetzung in eine andere Sprache wurden manchmal die problematischen Formulierungen in der Originalsprache erkannt. Dies war oft bei Formulierungen der Fall, die in Schulbüchern seit Jahren Standard waren, z. B. werden Begriffe wie → „wiedergewonnene“ oder „verlorene Gebiete“ in einem bilateralen Schulbuch zwangsläufig ganz anders verstanden. Ist etwa Schlesien nach 1945 ein verlorenes oder wiedergewonnenes Gebiet? Die Erstellung eines bilateralen Schulbuchs macht auch auf solche Fälle aufmerksam, die oft unreflektiert wiederholt eine antagonistische Geschichtsdarstellung tradierten (Mehr über den Aufbau und den Entstehungsprozess des Schulbuches, vgl. Wiatr, Pick 2022, S. 164ff.).
In der Praxis hatte die polnische Seite einen stärkeren Einfluss auf den Inhalt des Handbuchs als die deutsche Seite. Dies lag an den unterschiedlichen Kompetenzen des Redaktionsteams, da die polnischen ProjektteilnehmerInnen nicht nur in der polnischen, sondern auch in der mittel- und osteuropäischen Geschichte wesentlich besser bewandert waren. Der Beitrag des deutschen Redaktionsteams bezog sich bei solchen Themen vor allem auf die Art und Weise, wie einzelne Themen dargestellt wurden, und lieferte oft interessante Impulse zur Reflexion über die in Polen vorherrschenden Standardnarrative. Der Gutachter der Polnischen Akademie der Gelehrsamkeit meinte sogar, dass das Schulbuch eine eindeutig polnische Perspektive zeige ( Sitzung des Ausschusses für die Begutachtung von Schulbücher am 27.06.2023), wobei ein Gutachter auf deutscher Seite vermutlich zur gegensätzlichen Schlußfolgerung gelangt wäre. Ein Grund dafür ist, dass es sich bei dem Schulbuch weniger um ein stoffliches Gleichgewicht handelt, als um eine für beide Seiten akzeptable Erzählung. Dies steht in engem Zusammenhang mit zwei in der deutschen Didaktik stark verankerten didaktischen Prinzipien: der Multiperspektivität (Darstellung eines Themas aus verschiedenen Blickwinkeln) und der Kontroversität (Darstellung widersprüchlicher Bewertungen der Geschichte, um die eigenen Überzeugungen zu falsifizieren). Auch die Aufgabenstellungen zu den einzelnen Kapiteln sind nach deutschem Vorbild formuliert. Die Quellenmaterialien (sowohl schriftliche als auch ikonographische) dienen nicht nur der Veranschaulichung des Themas, wie es in polnischen Lehrbüchern oft der Fall ist, oder nur der Vertiefung des Themas (wie in deutschen Lehrbüchern üblich), sondern bilden gemeinsam mit dem Schulbuchtext ein gut durchdachtes Narrativ.
In Anlehnung an Violeta Julkowska ist anzumerken, dass „eine gemeinsam erarbeitete und für beide Seiten inhaltlich identische Schulbucherzählung nicht gleichbedeutend mit einem einheitlichen Geschichtsbild ist“ (Julkowska 2015, S. 222). Besonders deutlich wird dies z. B. bei der Frage über die Geschichte Schlesiens. Trotz der Tatsache, dass den SchülerInnen derselbe Text vorgelegt wird, werden sie ihn doch je nach ihrer eigenen Identität und ihrem Wissen unterschiedlich bewerten (Pick 2022, S. 227ff.). In dieser Situation besteht das Ziel einer gemeinsamen Erzählung darin, die Geschichte des Nachbarn kennen zu lernen, denn nur so kann man effektiv über den Platz der eigenen Gesellschaft in Europa diskutieren. Dies erfordert nicht die Übernahme eines anderen Standpunkts, sondern vor allem die Kenntnis der Erinnerungskulturen der Nachbarländer. Es kann an einem konkreten Beispiel im Kapitel über die Sowjetunion dargestellt werden: 2019 während der Redaktionsarbeiten wollte die deutsche Seite die positiven Merkmale der Entwicklung der sowjetischen Wirtschaft hervorheben und sah darin eine Chance, den Dialog mit dem heutigen Russland aufzubauen. Die polnische Seite hingegen konzentrierte sich auf die Verbrechen, die mit diesem wirtschaftlichen Fortschritt verbunden waren, und thematisierte vor allem das Gulag-System. Dies zeigt, wie viel beide Seiten voneinander lernen können, da beide Themen zur Geschichte der Sowjetunion gehören.
Das Schulbuch versucht auch eine europäische Perspektive auf die Geschichte zu vermitteln, was die Berücksichtigung und Konfrontation verschiedener Erzählungen beinhaltet. Dies gelingt, indem es viele Themen aufgreift, die normalerweise nicht in Schulbüchern vorkommen, die aber eine neue Lesart der europäischen Geschichte ermöglichen, z. B. die Tanzimat-Reformen in der Türkei, die Schlacht auf dem Kosovo-Feld oder Algerien unter französischer Herrschaft (Brückmann et al. 2019, S. 59, 74, 143). Es ging oft über die Grenzen Europas hinaus und ermöglichte damit einen viel umfassenderen Blick auf universelle Prozesse, die in anderen Regionen der Welt stattfinden. Dabei handelt es sich natürlich um einen punktuellen Ansatz, der jedoch darauf abzielt, das bestehende Narrativ zu durchbrechen und zum Nachdenken anzuregen ‒ nicht nur die SchülerInnen, sondern auch die Lehrkräfte. Schließlich geht es im Geschichtsunterricht darum, historisches Denken zu lehren, d. h. die Fähigkeit, mit Hilfe von historischem Wissen über die Vergangenheit und die Gegenwart zu reflektieren, anstatt Mythen über die Vergangenheit zu rekonstruieren.
Das gemeinsame deutsch-polnische Narrativ ist, wie schon erwähnt, kein Kompromiss, bei dem jede Seite ihre Erwartungen zurückschraubt, um eine Einigung zu erzielen. Ein Kompromiss reicht in diesem Fall nicht aus, auch wenn es zweifellos bei manchen Themen so passiert ist. Im Laufe der Arbeit wurde ein neuer transnationaler Ansatz entwickelt, der die Befindlichkeiten beider Nationen berücksichtigt und den Dialog fördert. So wurde bei vielen Themen die Falle der unreflektierten Wiederholung bestimmter Behauptungen vermieden, indem die Darstellung auf soliden wissenschaftlichen Grundlagen beruhte und auf spezifische wissenschaftliche Studien verwiesen wurde. Wichtig war, dass die Darstellung keine antagonistischen Inhalte enthält, d. h. keine wertgeladenen oder einseitigen Meinungen, die andere in einem ungünstigen Licht darstellen. Die Gefahr des Revisionismus besteht hier nicht, denn ein solcher Ansatz ermöglicht auch eine klare Beschreibung, wer für was in der Geschichte verantwortlich ist. Während dies bei den deutsch-polnischen Themen gelungen ist, ist beispielsweise die Aufarbeitung der Geschichte der osteuropäischen Staaten in dem Schulbuch wesentlich tendenziöser. Daher ist ein verstärkter Dialog in dieser Richtung notwendig. Das Schulbuch kann in diesem Bereich noch viel bewirken, wie Bartosz Dziewanowski-Stefańczuk zu Recht betonte:
Erinnerungskonflikte in den deutsch-polnischen Beziehungen resultieren aus unterschiedlichen Erinnerungskulturen, mangelnder Kenntnis oder Sensibilität gegenüber der anderen Seite, aber auch aus aktuellem politischen Kalkül. Langfristig bietet das deutsch-polnische Schulbuch daher die Chance, sich und den Nachbarn besser zu verstehen (Dziewanowski-Stefańczyk 2020).
Eines der Hauptziele des Schulbuchs für deutsche SchülerInnen und LehrerInnen war es, wie Igor Kąkolewski schrieb, „mit der ‚Verwestlichung‘ der Darstellung der europäischen Geschichte zu brechen“ und „den Blick der jungen Deutschen auf den mittleren und östlichen Teil Europas“ zu erweitern (Kąkolewski 2021, S. 4). Dieses Problem ist nicht neu, sondern besteht schon seit den Anfängen der Kommission. Bereits 1969 kamen die AutorInnen bei der Analyse westdeutscher Schulbücher zu dem Schluss: „Die untersuchten Schulbücher und Atlanten vermitteln keine sachlichen Informationen über die politische, staatliche und gesellschaftliche Realität Polens. Wichtige Tatsachen werden ausgelassen und irrelevante Details mit unangemessenem Gespür herausgearbeitet“ (Berndt, Strecker 1971, S. 107). Seitdem hat sich in den deutschen Schulbüchern viel verändert, aber dieses Zitat entspricht leider immer noch der heutigen Realität, in der Polen kaum in den Schulbüchern vorkommt. Man weiß im Endeffekt sehr wenig über Polen im heutigen Deutschland, und es besteht auch kein großes Interesse an diesem Thema. Das gilt auch für staatliche Institutionen und Behörden. Es ist z. B. kein Zufall, dass Polen in der Biographie von Angela Merkel (Marton 2021) kaum vorkommt, während die Treffen mit den Führern der USA, Russlands oder Frankreichs ausführlich beschrieben werden. Diese Situation unterscheidet sich nicht grundlegend von der in den 1970er Jahren (Pick 2017, S. 33f.). Auf diese Defizite hat die Schulbuchkommission in ihren jüngsten Empfehlungen für das Schulbuch Europa. Unsere Geschichte verwiesen (Ruchniewicz 2005, S. 237ff.). Diese Situation kann und sollte durch Schulbücher geändert werden. Hier spielt das deutsch-polnische Schulbuch eine wichtige Rolle. Dies zeigt sich bereits in einigen kleineren Änderungen der Lehrpläne. So beschäftigt sich Niedersachsen recht ausführlich mit polnischen Themen, und in Bayern wird nach dem neuen Kernlehrplan in der Oberstufe die Geschichte der Beziehungen Deutschlands zu Frankreich und zu Polen unterrichtet. Die Parallele, dass mit diesen beiden Ländern bilaterale Schulbücher entwickelt wurden, ist kaum zu übersehen.
Das Schulbuch Europa. Unsere Geschichte ist zweifellos das bahnbrechende transnationale Lehrbuch für den regulären Unterricht in der Sekundarstufe. Für seine Erarbeitung wurde die Gemeinsame Deutsch-Polnische Schulbuchkommission mit zwei Preisen ausgezeichnet: Band 1 (Pick 2017/2018, S. 19f.) 2017 mit dem Viadrina-Preis der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) und Band 4 (Vgl. Europe – Our History (europa-unsere-geschichte.org), 26.06.2023) mit dem Preis Schulbuch des Jahres 2021 in der Kategorie Gesellschaft. 2023 wurde der gleiche Band für den Preis der Polnischen Akademie der Gelehrsamkeit vorgeschlagen. Dennoch gibt es auf beiden Seiten der Grenze Widerstand gegen das Schulbuch. Bayern zum Beispiel hat beschlossen, es nicht zum Unterricht zuzulassen, weil es zu wenig Regionalgeschichte enthält. Das polnische Ministerium für Bildung und Wissenschaft wiederum hat die Zulassung von Band 4 des Schulbuchs auf der Grundlage eines Gutachtens, das dem polnischen Lehrplan widerspricht, blockiert (Prof. Robert Traba: W Azji dziwią się, jakim cudem Polacy i Niemcy mogą prowadzić partnerską debatę (wyborcza.pl); vgl.dazu auch Dlaczego polsko-niemiecki podręcznik do historii współczesnej nie dostał akceptacji ministra Czarnka? (wyborcza.pl) (beides abgerufen 15.09.2023).
In der Praxis können jedoch alle vier Bände von den polnischen Lehrkräften verwendet werden, da der vierte Band als so genanntes Unterrichtsmaterial dient, auf dessen Grundlage die Lehrkräfte das Programm umsetzen können. Darüber hinaus hat das Bildungsministerium erlaubt, das Schulbuch offiziell als Schulbuch zu bezeichnen, auch wenn dieser Begriff in Polen nur für die zugelassenen Materialien vorbehalten ist. Die fehlende Zulassung bedeutet also nicht, dass das Buch nicht in der Schule verwendet werden kann. Es handelt sich vielmehr um eine mentale Barriere, die LehrerInnen davon abhält, dieses Schulbuch zu kaufen. Hier sehen wir eine gewisse Parallele zum deutsch-französischen Projekt, das ebenfalls aufgrund der in Frankreich durchgeführten Bildungsreform nicht direkt in die französischen Schulen gelangte. Dennoch kann das Projekt des gemeinsamen deutsch-polnischen Schulbuchs als Erfolg gefeiert werden, denn die Zusammenarbeit zwischen deutschen und polnischen WissenschaftlerInnen war ausgezeichnet, und das Schulbuch stößt bei DidaktikerInnen und GeschichtsforscherInnen nicht nur in Polen und Deutschland, sondern auch außerhalb dieser Länder auf Interesse.
Polnische und deutsche Politik und die Schulbuchkommission
Obwohl die Kommission zur Bewertung und Revision von Schulbüchern eingerichtet wurde, war ihre Arbeit von Anfang an eng mit der wissenschaftlichen Geschichtsforschung verbunden. Ziel war es letztlich, gemeinsame Empfehlungen auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse zu erarbeiten. Die Kommission ist also sowohl eine Schulbuchkommission als auch eine Historikerkommission. Dass der Dialog zwischen den HistorikerInnen im Vordergrund steht, zeigt sich auch an der aktuellen Zusammensetzung der Kommission. Zu den 28 Mitgliedern des Präsidiums gehören drei UniversitätsdidaktikerInnen, sechs Geschichtslehrkräfte, vier GeographInnen. Die übrigen 15 Mitglieder sind GeisteswissenschaftlerInnen, und im Besonderen die GeschichtswissenschatlerInnen mit einem starken Schwerpunkt in der Museumspädagogik (Liste der aktuellen und ehemaligen Präsidiumsmitglieder: https://schulbuchkommission.eu/mit-glieder/, 28.06.2023) Wie in der Vereinbarung zwischen den UNESCO-Komitees festgelegt, sollte die Kommission regelmäßig zweimal im Jahr abwechselnd in Polen und Deutschland tagen. Außerdem wurden jährlich wissenschaftliche Konferenzen organisiert, die im Laufe der Zeit als Schulbuchkonferenzen bezeichnet wurden, obwohl ihre Themen nicht immer auf den Geschichtsunterricht ausgerichtet waren. Gegenwärtig finden die ordentlichen Sitzungen einmal im Jahr abwechselnd in beiden Ländern statt, darüber hinaus trifft sich die Kommission bei Bedarf online. Einzige Ausnahme war die Kommissionssitzung in Brüssel im Jahr 2018, als die Kommission zum ersten Mal außerhalb Polens und Deutschlands tagte. Ein Großteil der organisatorischen Arbeit und der Planung erfolgt virtuell, aber die jährlichen Sitzungen des Kommissionsvorstandes sind nach wie vor wichtige Präsenzveranstaltungen. Schulbuchkonferenzen werden alle zwei Jahre organisiert, ebenfalls abwechselnd in beiden Ländern.
Obwohl der Gründungsakt der Kommission eine Vereinbarung zwischen dem deutschen und polnischen UNESCO-Komitee war, die ihr eine formale Unabhängigkeit vom Staat und von den Parteibehörden verlieh, war sie anfangs ausdrücklich ein Instrument der auswärtigen Kulturpolitik beider Länder. Sie war auch ein regelmäßiges Thema zwischenstaatlicher Diskussionen. Obwohl die Regierungen die Arbeit der Kommission oft unterschiedlich bewerteten, wurde nach außen hin ein halbes Jahrhundert lang stets volle politische Unterstützung für ihre Tätigkeit bekundet. Dies geschah erstmals 1972 in einem gemeinsamen Kommuniqué der Außenminister, in dem die Zufriedenheit mit der Arbeit der Schulbuch-Expertengruppe zum Ausdruck kam. (Eckert, Markiewicz 1972/73, S. 236). Erneut wurde die Kommission in dem Kulturabkommen von 1976 erwähnt, in dem es heißt:
In Anbetracht der großen Bedeutung, die die Schule und die Schulbücher für die Jugenderziehung haben, werden die Vertragsparteien ihre Bemühungen fortsetzen, in den Schulbüchern eine Darstellung der Geschichte, Geographie und Kultur der anderen Seite zu erreichen, die eine umfassendere Kenntnis und ein besseres gegenseitiges Verständnis fördert; sie werden darauf hinwirken, daß dabei die Empfehlungen der gemeinsamen Schulbuchkommission berücksichtigt werden (Strobel 2015, S. 139).
Ebenfalls 1989 wurde die Kommission in Artikel 25 des deutsch-polnischen Nachbarschaftsabkommens positiv erwähnt: „Die Arbeit der unabhängigen polnisch-deutschen Schulbuchkommission wird weiterhin gefördert“ (Vertrag zwischen der Republik Polen und der Bundesrepublik Deutschland über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit, Bonn, 17. Juni 1991). Ausdruck dieser Unterstützung war die Verleihung eines Preises im Jahr 2002, aber auch die Beauftragung der Kommission mit der Entwicklung eines gemeinsamen deutsch-polnischen Schulbuchs. Auch in der angespannten Situation der frühen 2020er Jahre kritisierten die beiden Seiten das Vorgehen der Kommission nicht. Dies ermöglichte eine ungehinderte Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Kontakte in diesem Bereich, wenngleich konkrete Maßnahmen wie die Zulassung des vierten Bandes in Polen dadurch nicht leichter wurden.
Als Institution, die sich meistens aus WissenschaftlerInnen zusammensetzt, legt die Kommission großen Wert auf Autonomie und ungehinderte Meinungsfreiheit. Zugleich hat sie immer an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik agiert. Trotz der Schirmherrschaft der UNESCO wurden die Aktivitäten der Kommission auch stark von staatlichen Stellen beeinflusst. Da jedoch einige der polnischen Mitglieder über gute Kontakte in den Parteibehörden verfügten, war ein relativ hohes Maß an Unabhängigkeit in der Arbeit der Kommission möglich ‒ selbstverständlich nur, solange die Grundlagen des Systems nicht untergraben wurden, wie z. B. in der Katyń-Frage. Eine effektive Arbeit erforderte daher von der Kommission in den ersten beiden Jahrzehnten ihres Bestehens sowohl eine sorgfältige und eigenständige wissenschaftliche Arbeit als auch die Berücksichtigung der politischen Realitäten.
Auch im 21. Jh. spielen die Kontakte zur Politik weiterhin eine wichtige, wenn auch zum Teil andere Rolle. Das deutsch-polnische Schulbuchprojekt war zweifellos ein politisches Projekt, das aber nur unter den Bedingungen einer ungehinderten Diskussionsfreiheit realisiert werden konnte. Die Kommission hat ihre größten Erfolge bisher gerade in der Zusammenarbeit mit den polnischen und deutschen Behörden erzielt. Dies war auch beim Schulbuchprojekt der Fall, das lange Zeit als eines der wichtigsten gemeinsamen deutsch-polnischen Projekte angesehen wurde. 2016 erklärten die polnischen und deutschen Außenminister in einer gemeinsamen Erklärung anlässlich von 25 Jahren guter Nachbarschaft:
Schulbücher prägen und vermitteln Werte, Wissen und Kompetenzen. Wir haben heute den ersten Band des deutschpolnischen Schulbuchs Europa – Unsere Geschichte der Öffentlichkeit vorgestellt. An der vierbändigen Reihe, die die Geschichte Europas aus polnischen und deutschen Perspektiven behandelt, arbeiteten seit 2008 Fachwissenschaftler, Schulpraktiker und Verlage aus beiden Ländern. Wir begrüßen die Fortsetzung dieses Gemeinschaftsprojekts und die Bemühungen, ihm breiten Eingang in die Schulpraxis zu ermöglichen, damit es seine positive Wirkung voll entfalten kann (Gemeinsame Erklärung der Außenminister der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen zum 25. Jahrestag der Unterzeichnung des Vertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit, (Microsoft Word - 20160622 D-PL Erkl\344rung AM.docx) (auswaertiges-amt.de), 27.06.2023 .r).
Leider fallen die Errungenschaften der Kommission manchmal auch den politischen Ad-hoc-Interessen auf beiden Seiten zum Opfer. Auf polnischer Seite ist u. a. der fehlende gute Wille nach 2020 für die Zulassung des letzten vierten Bandes des Schulbuches zu nennen, die vom Bildungsministerium blockiert wurde. Auch die deutsche Seite war nicht bereit, das Thema dieser Nicht-Zulassung anzusprechen, da sie es für eine interne polnische Angelegenheit hielt. Es war nicht das erste Mal, dass die Behörden eines Landes sich weigerten, die Maßnahmen der Kommission zu unterstützen. Ein Beispiel auf deutscher Seite war nicht nur die früher genannte mangelnde Beteiligung des AA an der Förderung der Schulbuchempfehlungen, sondern auch die Bestimmungen der KMK von 1981 über kartographische Karten und die Art, die den Empfehlungen der Schulbuchkommission eindeutig widersprochen haben (Strobel 2015, S. 159).
Was das Schulbuch betrifft, so kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die polnische Seite mit einer Situation zufrieden wäre, in der das Buch in Deutschland weit verbreitet wird, aber in Polen wenig bekannt ist. Dies ist angesichts der hohen Kosten für die Entwicklung des Schulbuchs, die auch von polnischer Seite getragen wurden, ein eher überraschender Ansatz. Einen Teil der Personenkosten in der Schlussphase der Arbeit an dem vierten Band übernahm sogar das polnische Bildungsministerium. Vermutlich spielen hier vor allem die innerpolitischen Fragen eine bedeutende Rolle. Die gleichzeitige Einführung des Schulbuchs in beiden Ländern und seine intensive politische Begleitung wären nämlich sinnvoll, um ein positives Bild von Polen und Deutschen aufzubauen. Allerdings ist das negative Bild der Deutschen derzeit ein wichtiges Element zur Mobilisierung eines Teils der Wählerschaft auf der rechten Seite der politischen Szene in Polen. Dies ist fast vergleichbar mit den Versuchen der Regierungen vor 1989, die polnische Gesellschaft zu manipulieren und politisch zu mobilisieren.
Auch auf deutscher Seite hat sich die Situation nicht wesentlich geändert. Das Hauptproblem ist nach wie vor der Mangel an Interesse und Wissen über Polen. Das gilt nicht nur für deutsche Schulbücher, sondern auch für die breite öffentliche Debatte. Es ist kein Zufall, dass bereits 1972 Gerard Labuda, ein führender polnischer Mediävist, auf einer der ersten Sitzungen der Kommission sagte: „Wir glauben, dass die von der deutschen Geschichtsschreibung angewandte Verschweigung oder Geringschätzung Polens der westdeutschen Gesellschaft in der BDR nicht zugute kam“ (Eckert, Markiewicz 1972/73, S. 238).
Obwohl die Kommission versucht, sich mit den aktuellen politischen Fragen zu beschäftigen, kann und sollte sie nicht davor zurückschrecken, sich in der öffentlichen Debatte zu äußern. Sie soll auch mit den Behörden beider Länder zusammenarbeiten, auch wenn es manchmal kompliziert ist. Der grundlegende Unterschied zur Politik besteht jedoch in der langfristigen Perspektive, mit der die Kommission arbeitet. Wie Markiewicz und Wojciechowski 1975 gegenüber dem Außenministerium betonten,
darf [d]ie Arbeit der Schulbuchkommission nicht den Erfordernissen der alltäglichen politischen Praxis in der Sektion Warschau ‒ Bonn untergeordnet werden, d. h. sie darf kein Instrument zur Verwirklichung unserer unmittelbaren politischen Ziele gegenüber Deutschland sein. Das ist ein längeres Thema ‒ es geht vor allem darum, das bisherige Polenbild im Geschichtsbewusstsein der jungen deutschen Generation in Deutschland aufzubrechen (Jarząbek 2013, S. 185).
Diese Sichtweise gilt auch heute noch. Gegen Ende des Schulbuchprojekts schrieb die polnische Ko-Vorsitzende Violetta Julkowska:
Unabhängig davon, wie sich das Schulbuch in der Zukunft entwickelt, wird allein die Tatsache der gemeinsamen konzeptionellen, methodischen und redaktionellen Arbeit an dem Schulbuch, die mit großem Engagement von polnischen und deutschen Historikern und Geschichtslehrern geleistet wurde, und die Tatsache des ununterbrochenen Dialogs über mehrere Jahre hinweg zur Erarbeitung einer gemeinsamen Geschichte eine beispiellose Leistung in der Nachkriegsgeschichte Polens und Deutschlands bleiben (Julkowska 2015, S. 221).
Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass es neben diesem positivistischen Ansatz auch Stimmen in dieser Angelegenheit gab, die eine entschiedenere und aktivere Haltung erwarteten. Davon zeugt beispielsweise der offene Brief der ehemaligen Kommissionsvorsitzenden Michael G. Müller und Robert Traba an die Staatspräsidenten beider Länder, in dem die Zulassung des vierten Bandes für die Verwendung in der polnischen Schulen gefordert wird (Vgl. Offener Brief R. Traba, M.G. Müller).
Der organisatorische Rahmen der Kommission
Der rechtliche und organisatorische Rahmen für die Arbeit der Kommission ist eine recht komplizierte Angelegenheit und auf polnischer Seite ein eher fließender Prozess. Auf deutscher Seite wurden die Aktivitäten von Anfang an bis heute vom Auswärtigen Amt über das Georg-Eckert-Institut in Braunschweig (GEI) finanziert. Diese organisatorische Kontinuität auf deutscher Seite erleichtert die Aktivitäten und stabilisiert den deutschen Teil der Kommission. So ist beispielsweise die Stelle des wissenschaftlichen Sekretärs der Kommission am GEI angesiedelt und wird vom Auswärtigen Amt finanziert. Dies ist die einzige Stelle innerhalb der Kommission, die nicht ehrenamtlich besetzt ist. Allerdings ist die Stelle des Sekretärs nicht unbefristet, sondern wird alle drei Jahre neu besetzt, was ein Charakteristikum des deutschen Wissenschaftssystems wiederspiegelt.
Auf deutscher Seite war in der Anfangszeit nicht klar, wie die Kompetenzverteilung aussieht und welche Rolle das Braunschweiger Institut dabei spielt (Strobel 2015, S. 96). Diese Situation hat sich bis heute kaum geändert, und die Rolle des Instituts hängt von der Person seines Direktors ab. Das Gleiche gilt für die Kontakte zum UNESCO-Komitee. Ursprünglich waren die engen Kontakte darauf zurückzuführen, dass Georg Eckert seine Funktion als Präsident der UNESCO und als Leiter des Instituts verband (Strobel 2015, S. 96). Das GEI unterhält zwar nach wie vor Beziehungen zur UNESCO, doch hat dies kaum Einfluss auf die Arbeit der Kommission.
Auf der polnischen Seite erhält die Kommission keine offizielle Finanzierung durch das Außenministerium. Das einköpfige wissenschaftliche Sekretariat der Kommission ist eng mit der Person des/der derzeitigen polnischen Vorsitzenden und der von ihm/ihr vertretenen Institution verbunden. Die Institutionen, die die Arbeit der Kommission unterstützten, waren in der Anfangszeit das Westinstitut in Poznań mit dessen Direktor Professor Władysław Markiewicz (bis 1972 der erste polnische Kommissionsvorsitzende), und später die Polnische Akademie der Wissenschaften (1972‒1984). Nach der Übernahme des Vorsitzes durch Antoni Czubiński (1984‒1990) verlagerte sich das Zentrum der Kommissionsarbeit erneut an das Westinstitut in Poznań. In der Zeit nach 1989 bis zum Beginn der Arbeiten an dem Schulbuchprojekt wurde die Arbeit der Kommission nacheinander von Janusz Tazbir, Marian Wojciechowski und Włodzimierz Borodziej geleitet. Nachdem Robert Traba von der Polnischen Akademie der Wissenschaften die Leitung der Kommission auf polnischer Seite übernommen hatte, war das Sekretariat der Kommission zunächst kurzzeitig im Willy-Brandt-Zentrum in Wrocław untergebracht. Die Zusammenarbeit war jedoch bald zu Ende, und das Sekretariat der polnischen Seite kam wieder unter die Fittiche der Polnischen Akademie der Wissenschaften, wurde aber diesmal dem Zentrum für Historische Forschung der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Berlin angegliedert. Diese Situation ermöglichte ein relativ hohes Maß an Stabilität in der Arbeit der Kommission, da sowohl der Vorsitzende als auch der Sekretär der Kommission Mitarbeiter dieses Instituts waren (allerdings auch nur auf Zeit). So konnte das Potential beider Institutionen genutzt werden, um die Arbeiten am Deutsch-Polnischen Schulbuch abzuschließen. Auf die Initiative von Robert Traba wurden einige wichtige Änderungen an den Verfahren der Kommission vorgenommen, um der neuen gesellschaftlichen Situation gerecht zu werden. Erstens werden die Sitzungen der Kommission seit 2007 in zwei Sprachen abgehalten. Bislang wurden die Sitzungen ausschließlich auf Deutsch durchgeführt. Diese Änderung stand im Zusammenhang mit dem Eintritt der ersten polnischen Mitglieder in die Kommission, die nicht ausreichende Deutschkenntnisse mitgebracht hatten. Die zweite Änderung bestand darin, nicht mehr nur Personen mit Professorentiteln zu Kommissionsmitgliedern zu ernennen und eine ausgeglichene Vertretung von Frauen und Männern zu erreichen.
Die Übernahme der Leitung der Kommission durch Violetta Julkowska im Jahr 2020 machte einen weiteren Umzug des Sekretariats erforderlich, diesmal an die Adam-Mickiewicz-Universität in Posen. Nach der Unterzeichnung eines Kooperationsabkommens mit der Adam-Mickiewicz-Universität im Jahr 2021 wurde der wissenschaftliche Sekretär der Kommission ein Angestellter der Adam-Mickiewicz-Universität, mit seinem Sitz am Collegium Polonicum in Słubice. An dieser Stelle ist anzumerken, dass sowohl die Vorsitzende als auch der Sekretär trotz der organisatorischen Unterstützung durch die UAM ihre Kommissionsaufgaben zusätzlich zu ihrer regelmäßigen Tätigkeit an der Universität ausüben. Diese Struktur der Kommission unterscheidet die polnische Seite deutlich von der deutschen, da die Aktivitäten der Polen vollständig durch dritte Institutionen finanziert werden. Eine besondere Rolle spielt dabei die Stiftung für Deutsch-Polnische Zusammenarbeit, ohne die die Organisation der Kommissionssitzungen nicht möglich wäre. Derzeit arbeitet neben der UAM auch das Zentrum für historische Forschung der Polnischen Akademie der Wissenschaften eng mit der Kommission zusammen und führt eine Reihe von Projekten rund um das Schulbuch durch. Die Arbeit der Kommission mit Lehrkräften und Jugendlichen wird zudem vom Deutsch-Polnischen Jugendwerk unterstützt, u. a. durch die Erstellung von Unterrichtsplänen und den Aufbau von Netzwerken kooperierender Lehrkräfte im Rahmen des Leuchtturmprojektes. Außerdem finanziert sie Austauschprojekte, die von der Kommission durchgeführt werden (Mehr über die aktuellen Aktivitäten der Kommission unter Startseite - Deutsch-Polnische Schulbuchkommission, 27.06.2023).Was das polnische UNESCO-Komitee anbelangt, so sind die Kontakte und damit auch die Zusammenarbeit sehr begrenzt.
Lehrerinnen und Lehrer in der Arbeit der Schulbuchkommission
Der erste Anstoß, der zur Gründung der Kommission führte, ging auf die Initiative des Gymnasiallehrers Dr. Enno Meyer zurück. Aber später spielten die Lehrkräfte so gut wie keine Rolle in den Schulbuchgesprächen. Es ist erstaunlich, dass dies keine große Verwunderung auslöste, obwohl die Zusammenarbeit mit Lehrkräften naheliegend gewesen wäre. Ohne eine Inspiration aus der Schulpraxis wäre die Schulbuchrevision vielleicht nicht zu einer der Säulen der deutsch-polnischen Aussöhnung seit den 1970er Jahren geworden. Die Kommission wurde recht schnell zu einer Kommission von ProfessorInnen, oft herausragenden VertreterInnen ihres Fachs. Die Sitzungen der Kommission wurden von wissenschaftlichen Diskussionen beherrscht, die weit über das Thema Schulbuch hinausgingen. Nur wenige der Kommissionsmitglieder hatten selbst Erfahrung im Schulunterricht oder waren SchulbuchautorInnen.
Erst in den Jahren 2008‒2010 wurde die Expertise von Lehrkräften eingeholt, indem zwei Lehrkräfte auf polnischer Seite in den Expertenrat des Projekts aufgenommen wurden und an der Erarbeitung der Empfehlungen mitwirkten. Der nächste Anstoß für eine stärkere Einbindung von Lehrkräften in die Arbeit der Kommission kam 2016 mit dem Wechsel des wissenschaftlichen Sekretärs auf polnischer Seite und einer Schulbuchkonferenz in Halle, zu der eine kleine Gruppe von Lehrkräften eingeladen wurde, um eines der Kapitel des in Entwicklung befindlichen Schulbuchs zu testen. Es zeigte sich dann, dass die Kommission keinen engeren Kontakt zu den Lehrkräften hatte, was die Erprobung des Schulbuchkapitels und später auch die Umsetzung in den Schulen erschwerte. So war die Schulbuchkommission bis zu diesem Zeitpunkt seit ihrer Gründung im Wesentlichen mit dem Präsidium der Kommission identisch.
Die Idee, enger mit den LehrerInnen zusammenzuarbeiten, überzeugte die damaligen Co-Vorsitzenden und das Präsidium der Kommission zunächst zwar nicht, dennoch gelang es, eine große Gruppe von Lehrkräften zur Schulbuchkonferenz 2018 in Zamość einzuladen. Sie nahmen nicht nur an der Konferenz selbst, sondern auch an speziell für sie organisierten Workshops teil. Die meisten der anwesenden Lehrkräfte zeigten ihre Bereitschaft, weiterhin mit der Kommission zusammenzuarbeiten und sich mit dem Schulbuch zu beschäftigen. Dies ermöglichte die Einrichtung einer Arbeitsgruppe für deutsch-polnische Lehrerinnen und Lehrer in Zamość, die sich mit der Umsetzung des Schulbuches in den Schulen befasste (Mehr über die Arbeitsgruppe der deutschen und polnischen Lehrerinnen und Lehrer siehe: Wer sind wir - Deutsch-Polnische Schulbuchkommission, 28.06.2023). Die diesbezügliche Besorgnis des Präsidiums spiegelt sich in der Entscheidung wider, die Gruppe nur für einen Zeitraum von drei Jahren einzurichten, d. h. bis zum Abschluss des Schulbuchprojekts. Bis zum Ausbruch der Pandemie traf sich die Arbeitsgruppe zu weiteren Workshops in Berlin (2018 und 2019), Brüssel (2019) und Warszawa und Gdańsk (2019). Die Gruppe wählte ihre VertreterInnen, die sie nach außen und gegenüber dem Präsidium der Kommission repräsentieren.
Diese Aktivitäten wurden während der Online‒Treffen zur Zeit der Pandemie in Form von Sitzungen und Workshops für Lehrkräfte fortgesetzt. Auch die Arbeit an den Unterrichtsplänen für das Lehrbuch wurde in diesem Zeitraum aufgenommen. Die Idee der Unterrichtspläne, die ursprünglich ad hoc konzipiert wurde, um die Einbeziehung von Lehrkräften in die Arbeit der Kommission zu begründen, stellte sich als sehr treffend heraus. Aufgrund der großen Anzahl von Unterrichtsmaterialien erwiesen sich die Kapazitäten der Kommission jedoch als zu gering, um sie rasch zu veröffentlichen. Im Jahr 2023 wurde die Endredaktion der Materialien vom Zentrum für historische Forschung der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Berlin übernommen. Die fertigen Materialien werden auf der Website des CBHhist und auf der Website der Schulbuchkommission veröffentlicht.
Während der Pandemie wurde auch beschlossen, Lehrkräfte dauerhaft in das Präsidium der Schulbuchkommission aufzunehmen. Auch hier waren die Meinungen geteilt, aber auf die Initiative von Włodzimierz Borodziej (1956‒2021) hin wurde spontan beschlossen, vier VertreterInnen der Arbeitsgruppe in das Präsidium aufzunehmen. Einige Zeit lang gab es Bedenken, ob dies nicht verfrüht sei. Wie sich jedoch in den folgenden Jahren herausstellte, waren die Lehrkräfte die aktivste Gruppe unter den Kommissionsmitgliedern. Aus diesem Grund wurde im Jahr 2023 beschlossen, die Zusammensetzung des Präsidiums um ein weiteres Lehrerpaar zu erweitern (Es waren Verena Laubinger, Małgorzata Glinka, Joanna Pick (Zaborowski) sowie Jacek Konik, der im Jahr 2020 von Agnieszka Jaczyńska ersetzt wurde. Im Jahr 2023 hat das Präsidium zwei weitere Lehrkräfte, Volker Habermaier und Wiesława Araszkiewicz kooptiert).
Neben Unterrichtsentwürfen und Workshops für Lehrkräfte wurde 2021/2022 ein Pilotprojekt für einen deutsch-polnischen Austausch mit sechs Schulen gestartet. Initiiert wurde das Projekt vom Internationalen Delphischen Rat und dem CBH PAN. Dabei wurde bezweckt, dass sich Jugendliche im Unterricht Wissen aus dem Schulbuch aneignen, online mit Gleichaltrigen im anderen Land in Kontakt treten und sich anschließend gemeinsam künstlerisch mit den gelernten Inhalten auseinandersetzen (Vgl. International Delphic Council No more War! – Delphic Games, 27.06.2023). Das Projekt stieß auf das Interesse der Internationalen Jugendbegegnungsstätte in Kreisau, mit der eine engere Zusammenarbeit vereinbart wurde. Ab 2023 übernahm Kreisau die Koordination des Aufenthalts der polnischen und deutschen Schulen und auch die Organisation der jährlichen Treffen der Arbeitsgruppe der Lehrkräfte.
Die Lehrerinnen und Lehrer sind damit zu einem integralen Bestandteil der Kommission geworden, die ihren Aktionsradius über die Schulbuchanalyse und ihre Tätigkeit als Historikerkommission hinaus in den Bereich der Schulpraxis ausgedehnt hat. Das Problem des Wissenstransfers von der Schule in die universitäre Praxis ist nach wie vor ungelöst. Während die Lehrkräfte an den Ergebnissen der neuesten Forschung interessiert sind, besteht eine offensichtliche Zurückhaltung, sich für die praktischen Möglichkeiten der Schulen zu interessieren. Dies wird vermutlich ein wichtiges Thema innerhalb der Kommission in den kommenden Jahren sein. Es gibt keine andere bilaterale Kommission, in der FachhistorikerInnen, HochschuldidaktikerInnen und SchulpraktikerInnen gleichermaßen vertreten sind.
Ein Modell für bi- und multilaterale Kommunikation
Während ihrer gesamten Tätigkeit stützt sich die Kommission auf einen offenen Dialog zwischen polnischen und deutschen WissenschaftlerInnen. Ein wesentliches Merkmal der Tätigkeit ist das gegenseitige Vertrauen und Verständnis auf beiden Seiten. Dies betonte Georg Eckert kurz nach dem ersten Treffen in Warschau 1972: „Die Aufgeschlossenheit ist überall groß, auf Feindseligkeiten oder auch nur Unfreundlichkeiten bin ich nirgends gestoßen“ (Strobel 2005, S. 254). Bei ihrer Gründung wurde die Kommission als ein einzigartiger Schritt zur Überwindung der schwierigen Hypothek des Zweiten Weltkriegs zwischen Polen und Deutschen angesehen. Die anfänglichen Meinungsverschiedenheiten über die Art und Weise, wie die Geschichte dargestellt werden sollte, verliefen ziemlich stark entlang nationaler Linien.
Heute ist die Kommission eine Selbstverständlichkeit, und die Meinungen der Kommissionsmitglieder variieren eher je nach Spezialisierung oder eigenen Ansichten und Überzeugungen. Die Frage der Nationalität spielt aber nach wie vor eine wichtige Rolle, was sich unter anderem in der Parität des Präsidiums, in der Organisation der Kommissionssitzungen im Wechsel in Polen und Deutschland oder in der unterschiedlichen Organisationskultur und Diskussionsweise widerspiegelt. Die enge Zusammenarbeit vieler Mitglieder innerhalb und außerhalb der Kommission lässt die Kommission jedoch pragmatischer arbeiten.
Positiv zu bewerten sind die Erfolge bei der Entwicklung des deutsch-polnischen Dialogs, das gegenseitige Kennenlernen deutscher und polnischer Sichtweisen auf die Geschichte und die konkreten Schritte zur Verbesserung der Schulbücher und zur Schaffung eines Musterschulbuchs nicht nur für Polen und Deutschland, sondern auch für Europa. Der deutsch-polnische Dialog im Rahmen der Kommission hat sich insofern normalisiert. Die Geschichte spielt zwar immer noch eine erhebliche Rolle, es geht aber bei den Auseinandersetzungen viel weniger um konkrete historische Ereignisse, als vielmehr um deren Interpretation.
Der Abschluss des Schulbuchprojekts hat deutlich gemacht, dass es in der Entwicklung der deutsch-polnischen Beziehungen notwendig ist, sich von einem Einbahnstraßen- Denken zu lösen, das davon ausgeht, dass sich der Zustand der deutsch-polnischen Beziehungen durch aufeinanderfolgende Initiativen der Versöhnung und Verständigung seit den 1960er Jahren bis heute zunehmend verbessert hat. Weder die Erarbeitung von Empfehlungen noch die Herausgabe des Schulbuchs beenden die Arbeit der Kommission, denn der Dialog muss in den nachfolgenden Generationen fortgesetzt werden. Und dieser Dialog darf sich nicht nur auf Schulbücher konzentrieren, denn sie sind nur eines der Medien, über die junge Menschen Geschichte lernen. Die Kommission war sich dessen von Anfang an bewusst, wie wir in der Vereinbarung zwischen den UNESCO-Kommissionen lesen:
Die vorliegende Vereinbarung bezieht sich zwar im wesentlichen auf die Schulbücher, bezweckt aber zugleich eine Gestaltung des pädagogischen Klimas im Geiste der UNESCO. Beide UNESCO-Kommissionen sind sich dabei der Wandlungen bewußt, denen die Schulsysteme, die Schulbücher und der Lernprozeß in unserer Welt unterliegen; die Verbesserung der Schulbücher sollte daher als permanenter Prozeß von beiden Kommissionen gefördert werden (Vereinbarung zwischen den UNESCO-Kommissionen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Schulbuchrevision (vom 17.10.1972), in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 47/77, S. 69f.).
Das Projekt des Schulbuchs beendete den deutsch-polnischen Dialog nicht, sondern brachte ihn auf eine andere Ebene, indem es neben HistorikerInnen auch Lehrkräfte und JournalistInnen einbezog. Schulen sind hier ein guter Ausgangspunkt, da sie die Menschen formen, die später den Ton für den Mediendiskurs angeben. SchülerInnen wissen vielleicht nicht viel, wenn sie die Schule verlassen, aber wenn sie als PolitikerInnen oder JournalistInnen ins Berufsleben eintreten, stützen sie sich erstaunlicherweise doch oft auf die historischen Erzählungen, die sie in der Schule gelernt haben. Die Kommission hat deshalb auch dafür gesorgt, dass sie in den sozialen Medien präsent ist. Die geringe Personalkapazität bedeutet allerdings, dass die Aktivitäten in diesem Bereich klein bleiben müssen. Aus diesem Grund ist es das Ziel der Kommission, strukturelle Lösungen zu schaffen, die es ihr ermöglichen, mit künftigen Generationen effektiver zu kooperieren. Die Zukunft der Kommission wird seit 2020 intensiv diskutiert, auch wenn die Diskussion durch die Pandemie etwas gebremst wurde. Ab 2023 möchte die Kommission sich auf Analysen von polnischen und deutschen Schulbüchern konzentrieren. Derzeit fehlt es an solchen Analysen, aus denen sich Schlussfolgerungen für die Zukunft zur Konstruktion von Schulbüchern ableiten lassen. Ob diese Schlussfolgerungen die Form von Empfehlungen annehmen werden, ist ungewiss, aber sie werden vermutlich einen ähnlichen Charakter haben.
Die Kommission bleibt auch ein Modell für viele andere Nationen und andere Kontexte. Ihre Aktivitäten sind im Vergleich zu anderen bilateralen Kommissionen einzigartig. In den 1990er Jahren war das Interesse anderer Länder wie Japan, Südkorea, aber auch Südafrika und Brasilien an dem deutsch-polnischen Schulbuchdialog spürbar. Aus der Sicht vieler dieser Länder ist die deutsch-polnische Erfahrung eine hervorragende Wissensquelle, aber auch ein unvergleichliches Ideal (Yang, Sin 2013, S. 219). Thomas Strobel schreibt darüber:
Sie gilt als Modell für eine Initiative, die über die Grenzen des Ost-West-Konflikts hinweg einen Beitrag dazu leistete, nicht nur Wissenschaftler, sondern auch die Gesellschaften zweier Länder einander näher zu bringen, deren Beziehungen durch die Geschichte enorm belastet waren (Strobel 2005, S. 253).
Schon die Aufnahme der Schulbuchgespräche zwischen den beiden durch die Geschichte getrennten Ländern im Jahr 1972 war ein Durchbruch, ebenso wie die Ausarbeitung von Empfehlungen für SchulbuchautorInnen (auch wenn man bezweifeln kann, dass sie damals tatsächlich Einfluss auf die Gestaltung der Schulbucherzählungen hatten). Heute sind die Empfehlungen, die in dieser ersten Phase entwickelt wurden, nicht mehr gültig und haben nur noch einen historischen Charakter. Sie sind u. a. mangelhaft in Bezug auf das Thema Holocaust, die Abhängigkeit der Volksrepublik Polen von Moskau, den Molotow-Ribbentrop-Pakt und den Mord von Katyń (Dziewanowski-Stefańczyk 2020, S. 202f.). Sie sind jedoch nach wie vor ein Vorbild für die Arbeit anderer Kommissionen. Die Kurzlebigkeit des bisher Erreichten zwingt die Kommission, sich immer wieder neu zu definieren. Im Gegensatz zu vielen anderen Institutionen verändern ständig neue Initiativen die Kommission selbst und machen sie umso effizienter bei der Erreichung ihrer Ziele, die unverändert bleiben.
Literatur:
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Pick, Dominik, Dr., verfasste den Beitrag „Der deutsch-polnische Geschichtsdialog. Die Entwicklung der Schulbuchkommission zwischen der Politik und Zivilgesellschaft(Wissenschaft)“. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Adam Mickiewicz Universität in Polen und wissenschaftlicher Sekretär der Gemeinsamen Deutsch-Polnischen Schulbuchkommission der Historiker und Geographen. Er arbeitet in den Bereichen Sozialgeschichte, deutsche und polnische Beziehungsgeschichte und Geschichtsdidaktik.